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# taz.de -- Ärztemangel in Deutschland: Doktor Multikulti
> Zwei von fünf Medizinern am Krankenhaus in Hoyerswerda sind Ausländer.
> Ohne sie wäre der Klinikbetrieb nicht mehr möglich.
Bild: Sherzod Djuraev ist seit drei Jahren in Deutschland
HOYERSWERDA taz | Die Zukunft der Krankenhäuser liegt zwischen grauen
Plattenbauten und Schlaglöchern. Sie ist zu finden in einem weißen
60er-Jahre-Bau. Drinnen beugt sich ein Mann im grünen Kittel über das
nackte Bein einer Patientin. Vorsichtig legt er der Frau auf dem OP-Tisch
einen Katheter. Eine Kollegin tritt neben ihn, sie übernimmt die Operation.
Die Ärztin stammt aus Polen, ihr Kollege aus Syrien. Es ist ein ganz
normaler Arbeitstag im Krankenhaus von Hoyerswerda.
In der Umkleide legt der stille Anästhesist Kittel und Gesichtsmaske ab.
Zum Vorschein kommt Doktor Lauand Ali, 42 Jahre, Geheimratsecken,
Lachfalten. Der Syrer lebt seit eineinhalb Jahren in Deutschland. Mit Frau
und zwei kleinen Töchtern entfloh er den Trümmern der Metropole Aleppo. Aus
dem Bürgerkrieg verschlug es sie in die ostdeutsche Provinz.
Bevor Ali herkam, wusste er nichts über die Kreisstadt in der Oberlausitz.
„Ich guckte bei Google Earth, wo Hoyerswerda liegt. Da sah ich viel Grün.“
Erst, als er einem Bekannten in Berlin von seinem neuen Wohnort erzählte
und dieser ungläubig guckte, googelte er den Begriff „Hoyerswerda“. Da
wurde der stille Mann noch stiller.
## Fernsehbilder von gröhlenden Mobs
Die Stadt in der Oberlausitz wurde im September 1991 mit einem Schlag
bekannt. Fernsehbilder eines gröhlenden Mobs vor einem Flüchtlingsheim
gingen um die Welt, von Molotowcocktails werfenden Neonazis und brennenden
Hausfassaden. Vor der Wende lebten in Hoyerswerda 70.000 Menschen. Heute
sind es trotz Eingemeindungen nur noch halb soviel. Keine deutsche Stadt
schrumpft schneller.
Wenn Ausländer herziehen, dann meist als Bewohner des neuen
Asylbewerberheimes. Mit einer erstaunlichen Ausnahme: junge, gut
ausgebildete Ärzte.
Das Beispiel Hoyerswerda erzählt vom Ärztemangel an deutschen
Krankenhäusern. Und davon, wie diese damit fertig werden können.
## Ärzte aus der Slowakei, Tschechien, Rumänien
Ali geht vom OP-Bereich zur Intensivstation. Die Klinikflure sind hell und
sauber, in den vergangenen Jahren ist das Haus mit seinen 520 Betten
saniert worden. Neue medizinische Geräte haben alte ersetzt. Technisch kann
Hoyerswerda mit dem Rest des Landes mithalten.
„Aber ich vermisse den Kontakt zu Freunden und orientalische Geschäfte“,
sagt Ali. Sein Wortschatz ist groß, nur mit der Aussprache hapert es. Jeden
Tag hält er eine Sprechstunde. Die Sprache ist sein Hauptproblem. Im OP,
wenn er wenig reden muss, fühlt Ali sich in seinem Element. „Die deutsche
Mentalität ist mir noch fremd.“ An manche ungeschriebenen Gesetze hat er
sich noch nicht gewöhnt. Er lächelt. „Zum Beispiel fährt in Syrien niemand
einen Kombi.“
Im Krankenhaus von Hoyerswerda haben 40 Prozent der Mediziner keinen
deutschen Pass. Es waren auch schon knapp 60 Prozent, die Fluktuation ist
hoch. Die Ärzte stammen aus der Slowakei, Tschechien, Rumänien, Polen,
Mazedonien, Russland, Iran oder Libanon. 15 Nationen sind es insgesamt.
## Vom "negativen Image der Vergangenheit" gelöst
Hergeholt hat sie ein Mann mit kräftiger Stimme und Hang zum klaren Wort.
Andreas Grahlemann ist seit acht Jahren Geschäftsführer des Klinikums – und
so stolz auf das Erreichte, dass er gar nicht aufhören will, darüber zu
reden. Seine Sprecherin drängt wiederholt zum Aufbruch, doch der 61-Jährige
redet weiter. „Von auswärts“, sagt er, „kommt doch kein Arzt hierher.“
Grahlemann selbst wohnt nur von Montag bis Freitag hier; er pendelt
zwischen seiner Arbeitsstelle, Frankfurt/Oder und Berlin. Hoyerswerda hat
wenige Kulturangebote und schlechte Verkehrsanbindungen. Die Jungen und gut
Ausgebildeten ziehen weg. Auch die Arztpraxen in der Umgebung, sagt
Grahlemann, fänden nur schwer oder gar keine Nachfolger. „Es ist nicht mehr
chic, am Patienten zu arbeiten.“
Was also sollten die Hoyerswerdaer tun? Sie machten die Not zur Tugend.
Am einfachsten war noch die Sache mit dem Namen. Vor vier Jahren benannte
sich das „Klinikum Hoyerswerda“ um – in „Lausitzer Seenland-Klinikum –
Akademisches Lehrkrankenhaus der Technischen Universität Dresden“.
„Hoyerswerda“ steht nur noch in der Adresse. In einer Broschüre lobt der
Klinikkonzern Sana, dem das Krankenhaus zu 49 Prozent gehört, es habe sich
damit „vom negativen Image der Vergangenheit“ gelöst.
## Jeder dritte Patient ist über 70 Jahre
Grahlemann fuhr auf Messen in Polen, Tschechien, Österreich und der
Slowakei. Dort baute er seinen Stand auf und verteilte Broschüren an
Medizinstudenten. Auf Karten zeigte er, dass Hoyerswerda im Grünen liegt
und recht nah an ihren Heimatorten. Er erzählte von den vielen
Arbeitsmöglichkeiten. Unter dem Dach des Klinikums arbeiten 13
Klinikabteilungen, im vergangenen Jahr behandelten sie insgesamt 64.000
Patienten.
Das hat seine Gründe. Je älter die Bevölkerung rund um Hoyerswerda wird,
desto mehr medizinische Betreuung braucht sie. Jeder dritte Patient hier
ist älter als 70 Jahre. Und je mehr Arztpraxen schließen, desto mehr
Patienten kommen in die Klinik. Mit rund 1.000 Beschäftigten ist
Grahlemanns Haus heute der größte Arbeitgeber in der Stadt.
Wer hier arbeiten will, dem wird geholfen. Das Krankenhaus zahlt neuen
Ärzten in den ersten 14 Tagen die Hotelkosten, hilft bei der Suche nach
einem Kitaplatz. Wer Wurzeln schlägt, weiß Grahlemann, bleibt länger. Wer
will, kann die gesamte fünfjährige Ausbildung zum Facharzt hier
absolvieren. Spätestens danach ziehen die meisten ausländischen Ärzte
weiter.
## "Das verdammt reiche Deutschland"
Grahlemanns Werbetour durch Osteuropa hatte Erfolg. Osteuropäer besetzten
die offenen Stellen. Er hat eigentlich keine Zeit mehr. Seine Sprecherin
drängt noch einmal zum Aufbruch. Dann erzählt er doch vom großen Frust. Von
den Problemen, die er in der sächsischen Provinz nicht lösen kann, auch
nicht mit Fleiß und Namensänderungen. „Das verdammt reiche Deutschland“,
sagt er, „löst seine Strukturprobleme nicht.“
Das Problem ist seit Jahrzehnten bekannt. Kassen, Ärzteverbände und Politik
streiten über die Frage, ob hierzulande genügend Klinikmediziner
ausgebildet werden. Und, ob die Arbeitsanreize richtig gesetzt sind. Ärzte
beklagen schlechte Bezahlung und unregelmäßige Arbeitszeiten. Kassen
kontern, heute gebe es mehr Ärzte denn je. Fast 360.000 arbeiteten Ende
2013 in Deutschland. Nur müssten ärztliche Selbstverwaltung und
Bundesländer den Umzug in ländliche und ärmere Regionen attraktiver machen.
Grahlemann schüttelt den Kopf. „Den Enthusiasten, der voller Elan in die
Klinik kommt, auch wenn seine Familie darüber zerbricht, den gibt’s nicht
mehr.“ Nicht in Deutschland – und immer seltener auch in der Slowakei,
Polen oder Tschechien. Alle wollten heute geregelte Arbeitszeiten und
viele, vor allem Frauen, eine Teilzeitstelle.
## Djuraev wollte eigentlich in die Schweiz
Viele deutsche Ärzte verdienen ihr Geld lieber in Norwegen oder der
Schweiz. Sie berichten von familienfreundlichen Arbeitsbedingungen, hohen
medizinischen Standards und guten Löhnen. Die Kunde hat sich
herumgesprochen. Sogar bis ins ferne Usbekistan.
Doktor Sherzod Djuraev, 33, ist ein Mann mit breitem Lächeln und großem
Selbstvertrauen. Für den Urologen war Hoyerswerda nicht die erste Wahl.
„Die Stadt“, sagt er ohne Zögern, „ist fast leer und etwas langweilig.�…
Südusbekistan zog es Djuraev 2010 zunächst in die Schweiz. In Basel gefiel
es ihm, doch eine feste Stelle konnte er dort nicht ergattern. Eine Agentur
vermittelte ihm den Job in der fast leeren und etwas langweiligen Stadt.
Heute hat Djuraev eine sogenannte Blaue Karte, eine Aufenthalts- und
Arbeitsgenehmigung der EU.
Der Usbeke sagt, er sei noch nie rechten Schlägern begegnet. Vielleicht
liegt es daran, dass Hoyerswerda besser ist als sein Ruf. Vielleicht aber
auch schlicht daran, dass der Usbeke den Rat von Bekannten befolgt: Er
meidet manche Gegenden. Die neuen Ärzte von Hoyerswerda versuchen nicht,
die Stadt zu verändern. Sie wollen einfach ihren Job machen.
## Deutschkenntnisse auf Smalltalkniveau
Djuraev untersucht einen Patienten per Ultraschall. Der Mittfünfziger liegt
auf einer Pritsche, den Bauch freigelegt, und scherzt: „Sie werden das doch
nicht machen bei jemandem, den Sie nicht lieben.“ Beide lachen.
„Die Sprache“, sagt Djuraev später, „muss perfekt sein.“ Wie sonst sol…
sie in Sprechstunden mit Patienten reden, Pflegepersonal präzise
Anweisungen geben, sich untereinander verständigen? Der Usbeke lernte
Deutsch schon in der Schule. Trotzdem trägt er noch heute, nach mehr als
drei Jahren in Deutschland, ein Buch in der Kitteltasche. Ein
Bestimmungsbuch voller Namen von Medikamenten und ihren Wirkstoffen.
Doch der Alltag an deutschen Kliniken sieht anders aus. In elf von 16
Bundesländern, klagt der Verband Leitender Krankenhausärzte, bräuchten
Mediziner nur Deutschkenntnisse auf „Smalltalkniveau“ vorzuweisen. Auch,
wer nach Hoyerswerda kommt, muss in den meisten Fällen Deutsch erst lernen.
Die örtliche Volkshochschule bietet zwar Deutschkurse an, doch Ärzte sagen,
diese kämen nicht zustande, es fänden sich nicht genügend Teilnehmer. Es
gibt schlicht zu wenig Ausländer in der Stadt.
## Lehrer reisen aus Dresden an
Mittlerweile organisiert das Seenlandklinikum einen eigenen Deutschkurs.
Zweimal die Woche à drei Stunden. Die Lehrer reisen extra aus Dresden an.
Hat Djuraev als Usbeke Probleme wegen des Akzents? Der Selbstbewusste
versteht die Frage auf seine Weise: „Ich habe keine Probleme, den
sächsischen Akzent zu verstehen.“
Der Urologe muss zurück auf seine Station. Zuvor posiert er im frisch
gestrichenen Treppenhaus noch schnell für ein Foto. Die Frühlingssonne
scheint ihm aufs Gesicht. Ein Kollege im weißen Kittel sieht die Szene und
lächelt. Mit ungarischem Akzent fragt er Djuraev: „Zeigst du etwa in die
Zukunft?“
23 Apr 2014
## AUTOREN
Matthias Lohre
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