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# taz.de -- Pflegejobs und Ausbeutung: Im Dauernachtdienst
> Sind Jobs in der Pflege immer schlecht bezahlt? Nein. Das Projekt
> „Faircare“ in Stuttgart vermittelt osteuropäische Kräfte zu fairen
> Bedingungen.
Bild: Egal ob Alten- oder Krankenpflege, gute Bezahlung ist Pflicht.
BERLIN taz | Malgorzata F. aus Krakau hat Glück gehabt. Sie betreut eine
alleinstehende pflegebedürftige Dame in einem Haushalt in einer Großstadt
in Baden-Württemberg. Die Tochter der Seniorin kommt oft vorbei und hilft.
Daneben wird Malgorzata F. durch eine Minijobberin einmal in der Woche
entlastet. Damit hat die Pflegehilfskraft aus Polen wenigstens etwas
Freizeit, dennoch entspricht ihr Job nicht dem hiesigen Arbeitsrecht.
Denn die Pflegerin hat jede Nacht Bereitschaftsdienst und begleitet die
alte Dame dann mehrmals zur Toilette. Nach deutschem Recht müsste der
Nachtdienst als Arbeitszeit gelten. Dieses Stundenvolumen aber wäre kaum
bezahlbar und gegen die arbeitsrechtlichen Bestimmungen, die eine
Höchstarbeitszeit von 48 Stunden in der Woche erlauben. „Da kommt man
leicht in einen Graubereich“, sagt Peter Ruf, Sprecher der Diakonie
Württemberg.
Die Diakonie Württemberg hat mit dem [1][Pilotprojekt „Faircare“ in
Stuttgart] versucht, die Arbeitsbedingungen für osteuropäische
Pflegehilfskräfte zu verbessern. Faircare arbeitet mit
Partnerorganisationen in Polen und Rumänien und vermittelt die Frauen an
Privathaushalte. Die Arbeitszeiten der Frauen wurden auf 40 Wochenstunden
begrenzt und die Haushalte in Deutschland legal als Arbeitgeber eingesetzt.
Doch während viele Rumäninnen und Polinnen sich für die „fairen“ Jobs in
den Haushalten interessierten, war den potenziellen Kunden in
Baden-Württemberg das Angebot von Faircare oft zu teuer und zu aufwendig.
Dass der nächtliche Bereitschaftsdienst ausgeschlossen war, erwies sich als
„ein wesentlicher Wettbewerbsnachteil gegenüber allen anderen Anbietern“,
hieß es im Abschlussbericht nach der dreijährigen Pilotphase.
In den drei Jahren kamen rund 400 Anfragen von Familien, 60
Betreuungskräfte wurden in Baden-Württemberg vermittelt. Zum Vergleich:
Sozialforscher schätzen, dass in Deutschland weit mehr als 100.000
osteuropäische Pflegehilfskräfte in Privathaushalten arbeiten.
## 24-Stunden-Pflege erwartet
Legal zu beschäftigen ist teuer: Obwohl die Faircare-Betreuungskräfte netto
nur rund 1.000 Euro verdienen, kommen auf die Haushalte mit allen
Arbeitgeberanteilen Kosten von über 2.000 Euro im Monat und viel Bürokratie
zu. „Das ist für viele nicht attraktiv genug“, sagt Ruf.
Herkömmliche Agenturen werben zudem mit der sogenannten 24-Stunden-Pflege,
was bedeutet, dass eine Dauerbereitschaft der Pflegehilfskraft im
Privathaushalt erwartet wird. Bei diesen Arbeitsverhältnissen werden die
Frauen von Zeitarbeitsfirmen in Polen und Rumänien nach Deutschland
entsendet, die Kosten liegen so hoch wie bei „Faircare“ oder niedriger,
aber die Bürokratie für die Familie ist weniger aufwendig und die
Arbeitszeitvorgabe weniger streng.
Noch ungeregelter geht es bei den Schwarzarbeitsverhältnissen zu, wo
Pflegehilfskräfte ohne Sozialversicherungsschutz in den Familien arbeiten,
manchmal nur über eine Auslandskrankenversicherung abgesichert. Das kostet
die Familien dann zuweilen nur etwas mehr als 1.000 Euro im Monat. Doch
nicht selten entstehen dabei Horrorarbeitsverhältnisse, wo schlecht Deutsch
sprechende Kräfte – wenig erfahren und allein gelassen – Demente betreuen.
Nachdem das Pilotprojekt der Diakonie beendet wurde, hat der zur Diakonie
gehörende Verein für Internationale Jugendarbeit jetzt die weitere
Vermittlung übernommen, berichtet die neue „Faircare“-Koordinatorin Laura
Beck. Bei den Nachtdiensten sei man jetzt flexibler. „Das geht, wenn man
nur ein- oder zweimal in der Nacht die Einlagen wechseln oder Medikamente
geben muss“, sagt Beck. Trotzdem: „Die Pflege zu Hause ist ein Angebot, das
sich nur bestimmte Leute leisten können“, betont der Diakonie-Sprecher Ruf.
13 Aug 2014
## LINKS
[1] http://www.diakonie-wuerttemberg.de/rat-und-hilfe/faircare/
## AUTOREN
Barbara Dribbusch
## TAGS
Pflege
Stuttgart
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Familie
Gesundheitspolitik
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