# taz.de -- Amira Casar über dunkle Charaktere: „Schauspieler sind sehr eins… | |
> Schmerz in Schönheit suchen ist eine Leidenschaft von Schauspielerin | |
> Amira Casar. „Der Letzte Sommer der Reichen“ läuft auf der Berlinale als | |
> Panorama Special. | |
Bild: Schauspielerin Amina Casar spielt gerne Figuren, die nichts mit ihr zu tu… | |
taz: Frau Casar, in Peter Kerns Gesellschaftssatire „Der letzte Sommer der | |
Reichen“ spielen Sie die Hauptfigur Hanna von Stezewitz, Enkelin eines | |
millionenschweren österreichischen Alt-Nazis, ohne sich über sie lustig zu | |
machen. | |
Amira Casar: Mein Job ist es, sie glaubwürdig zu zeigen. Hanna ist ein | |
dunkler Charakter, deshalb musste ich da hinein, wo es richtig wehtut, um | |
sie authentisch darzustellen. | |
Haben Sie viel Eigenes in Peter Kerns Script eingebracht? | |
Einige Szenen sollten ursprünglich in Englisch gedreht werden, sie ist | |
schließlich eine Wanderin zwischen den Welten, ein verdorbenes, ohne Liebe | |
aufgewachsenes Kind, das in internationalen Internaten aufwuchs. Ein Film | |
ist immer Teamarbeit und so habe ich in Paris intensiv Deutsch gelernt, | |
während ich „Saint Laurent“ mit Bertrand Bonello drehte. Es war harte | |
Arbeit, aber ich bin ein Workaholic und ich wollte unbedingt nach | |
Österreich und die Herausforderung annehmen. Ich mag es, in anderen | |
Sprachen zu arbeiten. Trotzdem hatte ich Angst und fragte mich, „werde ich | |
das schaffen?“ (auf Deutsch im Interview) | |
Hanna ist keine folkloristische Figur mit „Wiener Schmäh“, eher eine | |
Karikatur auf mondän globalisierten Sadomasochismus. | |
Ja, das findet man überall auf der Welt, wo Macht die Köpfe besetzt. Ich | |
war perplex, dass viele Prostituierte mir bei meinen Recherchen erzählten, | |
dass Leute in hohen Positionen besonders oft masochistische Neigungen | |
ausleben. Aber der Film hat doch eine österreichische Anmutung. | |
Wie meinen Sie das? | |
Hanna erinnert mich an einen Dandy, sie liebt die Schönheit wie eine Figur | |
aus dem 18. Jahrhundert. Ich denke, wenn Machtmenschen sehr einsam sind, | |
entsteht diese Lust, andere Leute zu brechen und sich dafür zu bestrafen. | |
Hanna besitzt alles und hat nichts, weil sie essentielle Liebe nie erfahren | |
hat. Sie ist unermesslich reich, aber sie kann nur etwas fühlen, wenn | |
Schmerz damit verbunden ist. Sie verführt andere unwiderstehlich, indem sie | |
sie kauft. | |
Sie artikulieren die innere Leere der Figur offen. Bricht der Film damit | |
aus dem Thriller/Comedy-Rahmen aus? | |
Ich spiele gern Figuren, die mit mir nichts zu tun haben, aber ihre | |
Erfahrung der Leere könnte ich in mir finden. Das Schauspielerleben ist | |
auch sehr einsam. Man reist, man arbeitet und ist unter Leuten und geht | |
allein zurück in sein Zimmer. Welcher Schauspieler hat das nicht erlebt? Es | |
gibt immer wieder Selbstmorde in dieser Situation, denken sie an Philip | |
Seymour Hoffman oder George C. Scott. Schauspieler sind sensibel, sie | |
durchleben menschliches Leid. Es dringt durch sie hindurch und vermittelt | |
sich – hoffentlich – den Zuschauern. | |
Ist das schwer, das zu vermitteln? | |
Das kommt nicht aus dem Nichts, wir müssen es in uns kreieren, und deshalb | |
sind gerade die dunklen Charaktere die interessantesten. Empathie für die | |
Figur, die man verkörpert, gehört zum Beruf des Performers genauso wie | |
seine Egozentrik. Schauspiel ist eine ziemlich einsame Welt. Ich bin zwar | |
gern allein, aber ich kann mich mit der dunklen Seite des Mondes, dieser | |
existenziellen Einsamkeit, gut identifizieren. Da sind wir wieder bei | |
Hanna. | |
Sie agiert ihre Macht lustvoll aus. Die gängigen Kino-Klischees ignorieren | |
solche Frauenfiguren gern und bieten lieber männliche Alpha-Tiere zur | |
Identifikation an. | |
Ja, es ist schwer nachzuvollziehen, warum Frauen nicht die gleichen Rechte | |
haben wie Männer, wenn sie mit derselben Kompetenz handeln. Nehmen wir | |
unseren Beruf: Männer verdienen mehr, vor allem in Frankreich. Obwohl ich | |
nicht der ausgesprochen feministischen Ära entstamme, finde ich diese | |
Verhältnisse unfair und ungerecht. Als ich in meiner Jugend deutsche Filme | |
sah, hatte ich das Gefühl, man könne Macht besitzen und gleichzeitig | |
freundlich sein. Hanna in „Der letzte Sommer der Reichen“ muss da erst | |
hinkommen. In der deutschen Kunst, nehmen wir Bilder von Cranach bis Helmut | |
Newton, hat die Frau „Macht“ (deutsch). Sie steht da und zeigt sich. Bei | |
Peter Stein, Frank Castorf und vielen anderen deutschen | |
Theaterinszenierungen habe ich diese Körperkraft sehen können. Paris | |
präsentiert viel europäisches Theater. In Deutschland spielen Frauen | |
machtvolle starke Rollen, anders als in Frankreich. In diesem Sinn verstehe | |
ich mich als europäische Schauspielerin. Hanna erinnert mich sehr an | |
Fassbinders Drama „Die bitteren Tränen der Petra von Kant“, das ich in | |
Paris gespielt habe. Auch Petra ist eine Powerfrau, die all ihre Attitüden | |
verliert, als sie sich in ihre Assistentin verliebt. | |
Konnten Sie an Peter Kerns Arbeit mit Rainer Werner Fassbinder anknüpfen? | |
Unbedingt. Ich mag seinen an Baudelaires „Les fleurs du mal“ erinnernden | |
Ästhetizismus, diesen Schmerz in all der Schönheit, diese Düsternis | |
seelenzerstörender Gedanken. Peter Kern kommt aus der Ära Fassbinder, als | |
man gefährlich lebte und sich einen Scheiß darum kümmerte, ob das Publikum | |
einen liebte. Ich finde ihn mutig. Ich finde alle Regisseure mutig, die | |
nicht nach den Massen gieren. | |
Sehen Sie eine Frau wie Hanna als Gewinnerin oder Verliererin? | |
Alle, die nicht lieben, sind auf jeden Fall Verlierer. Auf der anderen | |
Seite: Gibt es die Liebe wirklich? Was ist mit denen, die denken, dass sie | |
lieben, und tun es nicht? Vielleicht gibt es wirkliche Liebe nur zwischen | |
Mutter und Kind? | |
Hanna und ihr Love Interest Sarah sind beide Vater-Töchter. | |
Ich weiß nicht, ob das ein Schlüssel zum Drehbuch ist. Mich hat eher | |
interessiert, dass Hanna sich sehr bewusst ist, dass sie auf schmutzigem | |
Geld sitzt. Ich liebe den Moment, in dem sie sich vom Imperium des | |
Nazi-Kollaborateurs abwendet und verletzlich wird, kindlich fast, wenn sie | |
ihre Habe verschenkt. Ich hätte Hanna vielleicht noch mehr gemocht, wenn | |
sie ihr Vermögen einer jüdischen Organisation gegeben hätte. Dann wäre sie | |
ein besserer Mensch geworden, aber Peter Kerns Film ist kein Thriller. Ich | |
will Hanna nicht romantisieren. Sie ist furchtbar, sie missbraucht | |
Menschen. Niemand hat ihr je Grenzen gesetzt. Nietzsche sagte, dass nur | |
sehr wenige Menschen ohne die Autorität anderer leben können. | |
12 Feb 2015 | |
## AUTOREN | |
Claudia Lenssen | |
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