# taz.de -- Regisseur Peter Kern gestorben: Sinnlichkeit und Humor | |
> Seine Liebe galt den Grauzonen der Gesellschaft, seine Filme strotzen vor | |
> Eigensinn: Der österreichische Regisseur Peter Kern ist tot. | |
Bild: Im Februar war der verstorbene Regisseur Peter Kern noch mit seinem Film … | |
„Hallo, hier Büro Peter Kern, einen Moment bitte, ich verbinde mit Herrn | |
Peter Kern.“ Wenn Peter Kern in der Redaktion anrief, war man vor | |
Unerwartetem nie gefeit. Natürlich spielte er auch in solchen profanen | |
Momenten des Alltags jede Rolle selbst. Kern ahmte Konventionen nach, um | |
sie damit der Lächerlichkeit preiszugeben. Es gab kein Büro mit | |
Angestellten, sein Hauptsitz war bis zuletzt die Wohnung in der Landstraße. | |
Kern war Regisseur, Autor und Produzent in Personalunion und nicht zu | |
vergessen ein herrlich explosiver Nörgler: Von den gewachsenen Strukturen | |
des Filmgeschäfts wollte er nicht einmal träumen. Kern drehte ohne | |
Sicherheitsnetz, die Stoffe drängten aus ihm heraus. Die langatmigen | |
Routinen der Produktionsabläufe hielt er für kreativitätshemmend. | |
1949 in Wien, Leopoldstadt, geboren, war Kern als Kind bei den Wiener | |
Sängerknaben, wie er gern betonte, ehe er das Theater für sich entdeckte. | |
Ausgerechnet mit dem Musical „Hair“ ging er auf Tournee, um dann bei den | |
deutschen Kinoerneuerern der 1970er Jahre eine Heimstatt zu finden. Mit | |
seinem markanten Äußeren, pausbäckig, rund das Gesicht, dazu das krause | |
Haar und der damals schon recht üppige Körper, fügte er sich gut in die | |
Reihe wirklichkeitsnaher Figuren der Zeit. | |
## Deutscher Filmpreis | |
In Wim Wenders Goethe-Film „Falsche Bewegung“ machte Peter Kern als Dichter | |
Bernhard Landau Furore und gewann den Deutschen Filmpreis. Mit Fassbinder | |
drehte er „Faustrecht der Freiheit“ und „Despair“, mit Hans-Jürgen | |
Syberberg „Hitler, ein Film aus Deutschland“. | |
Ein weiterer wichtiger Bezugspunkt war Werner Schroeter, unter dem er in | |
Düsseldorf viel auf der Bühne stand und bei dem er später in der | |
Ingeborg-Bachmann-Adaption „Malina“ mitwirkte. In Christoph Schlingensief | |
fand er einen weiteren Geistesverwandten und spielte in dessen Film „Terror | |
2000 – Intensivstation Deutschland“ mit. | |
Seit Anfang der 1980er Jahre drehte Kern selbst Filme, gemeinsam mit Kurt | |
Raab „Die Insel der blutigen Plantage“, ein Exploitation-Drama mit Udo | |
Kier, bald folgten solche, die sich bevorzugt Außenseitern und | |
Nonkonformisten annahmen – Ausgestoßene, zu denen sich Kern insgeheim | |
selbst zählte. Kerns Liebe galt den Grauzonen der Gesellschaft, den an | |
ihren Obsessionen Leidenden – nicht von ungefähr war einer seiner | |
Lieblingsautoren Jean Genet. | |
## Homosexualität und imposante Körperfülle | |
Gelernt habe er das Regiefach durchs Zusehen, pflegte er zu erzählen, er | |
blieb länger am Set als die anderen, beobachtete die Regisseure beim Tun. | |
„Domenica“ erzählt das bewegte Leben der Hamburger Prostituierten Domenica | |
Niehoff, die später als Sozialarbeiterin arbeitete. „Knutschen, kuscheln, | |
jubilieren“ zeigt den Alltag von sechs älteren Homosexuellen. In „Ein | |
fetter Film“ befasste sich Kern mit seiner Homosexualität und imposanten | |
Körperfülle. | |
Beinahe jährlich drehte Kern einen neuen Film, oft unter abenteuerlich | |
improvisierten Bedingungen, ohne oder mit minimaler Förderung. Ihre | |
Mischung aus kraftvollem Dokumentarismus und grellen Spielfilmszenen, die | |
Plakatives und lyrisch Überhöhtes nicht scheuten, verlieh ihnen eine | |
unverkennbare Handschrift. Mit Kolportage attackierte er in „Haider lebt – | |
1. April 2021“ die österreichische Innenpolitik, ließ einen deutschen | |
Journalisten nach dem verschwundenen Rechtspopulisten Jörg Haider suchen. | |
Schauspielstars wie Helmut Berger, August Diehl und Christine Kaufmann | |
beteiligten sich an dem Film, der keine Geldgeber fand. „King Kongs | |
Tränen“, eine Attacke gegen die Mittelmäßigkeit der Kunst, das Jugenddrama | |
„Donauleichen“ oder zuletzt das ausladende Melodram „Der letzte Sommer der | |
Reichen“, für das ihm endlich einmal mehr Budget zur Verfügung stand, haben | |
eines gemeinsam: Sie wirken roh, mitunter uneben, aber aufrichtig | |
empfunden. | |
## Gegen die Sicherheiten des Geschäftskalküls | |
Kerns Filme sind gegen Vorstellungen des Formvollendeten und Runden, gegen | |
die Sicherheiten des Geschäftskalküls und des guten Geschmacks gerichtet | |
und träumen dann mit vereinzelten Kranfahrten doch von großem Kino. Sie | |
strotzen vor Eigensinn, brechen sogar mit ihren eigenen Vorstellungen von | |
Schönheit und schmerzen deshalb umso mehr. | |
„Was in österreichischen Filmen fehlt, gibt es in meinen Filmen fast zu | |
viel: Sinnlichkeit. Sinnlichkeit und Humor. Das kommt ansonsten nicht vor“, | |
sagte Peter Kern im Interview noch Anfang dieses Jahres anlässlich der | |
Berlinale-Premiere von „Der letzte Sommer der Reichen“. Er fühlte sich | |
unverstanden in Österreich. Die Schaffenskraft dieses so getriebenen wie | |
charakterstarken Künstlers wird als Gradmesser bleiben. Am Mittwoch ist | |
Peter Kern im Alter von 66 Jahren in Wien gestorben. | |
27 Aug 2015 | |
## AUTOREN | |
Dominik Kamalzadeh | |
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gestorben | |
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