Introduction
Introduction Statistics Contact Development Disclaimer Help
# taz.de -- Fassbinder-Ausstellung in Berlin: Exzessiver Kreativ-Arbeiter
> Ende Mai wäre Rainer Werner Fassbinder 70 Jahre alt geworden. Eine Schau
> im Gropius-Bau will die Rezeption des Regisseurs versachlichen.
Bild: Fassbinder-Lektion: Ming Wongs Arbeit „Lerne Deutsch mit Petra von Kant…
Rainer Werner Fassbinder ist längst keine Terra incognita mehr. Dies galt
auch schon vor dessen 70. Geburtstag, den wir in diesem Monat begehen.
Während andere deutschen Regisseure des 70er-Jahre-Booms heute diskursfrei
zu ihren Ehren-Bären durchgewunken werden, gibt es zu Fassbinder eine ernst
zu nehmende Literatur, die von theoretischen Werken von Thomas Elsaesser
bis zu dem „Berlin Alexanderplatz“-Buch von Manfred Hermes reicht, aber
auch großes Klatschmaterial umfasst.
Die Ausstellung im Gropius-Bau erteilt erst mal dem Meister selbst das
Wort: Zur Begrüßung sieht man Fassbinder auf neun Monitoren in sehr
unterschiedlicher Verfassung.
Aber jedes dieser, leider immer wieder abgebrochenen und auf den nächsten
Monitoren mit dem nächsten Talkfetzen fortgesetzten Gespräche hätte man
gern länger gehört. Selbst ein intellektueller Künstler wie Fassbinder war
damals noch kein Diskursprofi wie heute jeder Fußballspieler; ähnlich, wie
man es auch bei alten Rudi-Dutschke-Interviews erleben kann, wiederholt er
zu Beginn seiner Antwort trotzig bis muffig die Frage, bevor er, auf ihrem
Inhalt rumkauend, manchmal gar nichts sagt, manchmal in grandiose
Gedankenkaskaden gerät.
## Das Gegenüber als Depp
Am besten ist er, wenn er von Freunden (Christian Braad Thomsen) interviewt
wird – oder wenn er beleidigt ist. Noch bei der Verfertigung der ersten
beantwortenden Beiwörter sieht man, wie er sich überlegt, wie aggressiv er
es dem Trottel gleich zeigen wird: Lohnt es sich noch, bei aller
Genervtheit, das Gespräch fortzusetzen, oder sollte man so derbe
zurückbeleidigen, dass das Gegenüber als Depp weiterleben muss?
Dominant waren seit seinem Tod die Rezeptionszwischensummen Fassbinder I
und Fassbinder II: zwei eng miteinander verknüpfte Konstrukte deutschen
Geniekults. Fassbinder I ist der unerschöpfliche Großkünstler, das
Naturereignis, unerklärlich, nicht von dieser Welt, so viel Kaffee kann man
gar nicht trinken, so viel Kokain gibt es in ganz Südamerika nicht.
Fassbinder II, eng mit dem ersten verwandt, ist der Missbrauchs-Fassbinder,
der Quäler seiner Schauspieler, der vampirische Kunstverrückte, der für
eine gute Heulszene denjenigen, die ihn doch liebten, rücksichtlos
Verletzungen beibrachte und absaugte, bis sie dem Personal seiner
Melodramen glichen. Diese beiden mythologischen Charaktere haben bisher den
Zugang zum planenden, kalkulierenden Künstler, aber auch zu dem dezidierten
Vertreter politischer Inhalte in „Die dritte Generation“, in „Acht Stunden
sind kein Tag“, aber eben auch in „Der Müll, die Stadt und der Tod“ nicht
gerade leicht gemacht.
## Explosivität eines Künstlers
Die Ausstellung „Fassbinder jetzt“ versucht diese beiden Typen zu umgehen
und die Rezeption zu versachlichen. Das gelingt, teilweise um den Preis der
Entschärfung dessen, wovon der Geniemythos zwar ungenügend und verdreht,
aber auch nicht ganz grundlos redet: der historisch spezifischen
Explosivität eines Künstlers.
Zum einen begegnet einem Fassbinder nun als apollinischer Kinokünstler.
Dies ist sicher eine wenig behandelte Dimension seines Werks. Formalisten
findet man unter den großen Fassbinder-Verehrern weniger. Aber auch
komplexer denkende Cinephile haben ihn nie sonderlich gemocht. In der
„Filmkritik“ kam er kaum vor; für deren Autoren war er zu Lebzeiten eher
ein Dialogregisseur zwischen TV und Theater, später Mainstream.
Hier wird dagegen als erstes Merkmal von Fassbinders Arbeit die kreisende
Kamera genannt und anhand zahlreicher Ausschnitte exemplifiziert. Ein
weiterer Raum nennt (und zeigt) die klaustrophoben Räume und andere
typische Settings. Aufwendig und eindrucksvoll schließlich die Präsentation
der Roben und Ballkleider, die die Ausstellung ausdrücklich als Requisiten
gesellschaftlicher Mobilität (nach unten) gefeiert wissen will. Fassbinders
Geschichten sind Geschichten des sozialen Niedergangs.
## Formale Vergleichspunkte
Ein Grund für diese nüchternen Expositionen formaler Eigenheiten ist – war
– wohl das Vorhaben, Fassbinder mit zeitgenössischer, von ihm inspirierter
Kunst zu konfrontieren. Dafür wurden formale Vergleichspunkte gewählt, was
zu einer gewissen Beliebigkeit beiträgt: Man muss schon sehr weit ausholen,
wenn man einen Jeff Wall mit Fassbinder zusammenspannen will; Ming Wong
schlüpft halt immer in Figuren aus bekannten Spielfilmen – auch das geht
mit Fassbinder. Und Rikrit Tiravanija steht wie viele Leute auf die so
treffend missglückte Grammatik des Satzes „Angst essen Seele auf“ –
allerdings nicht viel mehr.
Eher schon kann man in dem Werk „Mandarin Ducks“ des niederländischen
Künstlerduos Jeroen de Rijke/Willem de Rooij – im Katalog von Anna Fricke
auf den Begriff der „realistischen Künstlichkeit“ gebracht –das Spezifis…
eines Fassbinder-Bezugs in der Gegenwartskunst produktiv werden sehen. Und
natürlich auch bei Runa Islams Abstraktion von einer Szene aus „Martha“.
Denn die Künstlerin ist darauf spezialisiert, Kamerabewegungen als solche
zu zelebrieren.
Neben dem coolen Bilderkomponisten hat man sich aber noch einen Fassbinder
ausgedacht: Seine wahnsinnige Produktivität wird aus der Genieecke heraus
ein paar Zentimeter ins Bürokratische verschoben.
## Die Lohnlisten des Dr. Mabuse
Es sind detailversessene Drehpläne, handschriftliche Genauigkeitsexzesse,
aber auch komplizierte Gehaltsberechnungen, die aussehen wie die Lohnlisten
des Dr. Mabuse, die in diversen Vitrinen teilweise sehr schick zum
elektronischen Nachblättern aufbereitet sind: Fassbinder ist auch hier
derjenige, der „schlafen kann, wenn ich tot bin“, aber wachend hat er nicht
nur Darsteller angeherrscht und in der „Deutschen Eiche“ gekokst, sondern
war echter Chef einer Firma, in der das Licht nie ausging.
Dieser unerschöpfliche Arbeiter der kreativen wie administrativen
Baustellen ist natürlich auch die passende Aktualisierung des sich
verzehrenden Genies für die heutigen Opfer der allgemeinen
Selbstausbeutungsökonomie. Nicht nur der Creative Director, auch der
Kontakter und der Mediaplaner sind jetzt Fassbinders Erben, wenn sie mit
Herzrhythmusstörungen aus der Agentur getragen werden.
Natürlich ist dieser Blick in die Fassbinder-Fabrik auch eine nötige
Korrektur von Klischees. Beim zweiten Hinsehen fällt schon auf, dass die
Hälfte der Listen und Tabellen von treuen Mitarbeitern wie Harry Baer
stammen: Der Chef konnte auch delegieren.
## Country-Tristesse
Nichts reicht indes an die Eindrücke der hier gezeigten Originalszenen
heran wie der Ausspähung einer Kneipe in Rio Das Mortes, eine der
kreisenden Kamerafahrten zu der zarten Country-Tristesse von „Ruby, Don’t
Take Your Love to Town“ von Kenny Rogers. Man hat dann ganz andere Fragen,
die keine Ausstellung beantworten kann.
Niemand erklärt mir, warum diese Ansammlung von leicht verrutschten, teils
angeschickerten, als Schauspieler erkennbaren, ihre ironische Stimmungen
nicht versteckenden, platt oder auch sexy posierenden, frisch kostümierten
Figuren, die auch gleich loslachen könnten, so massiv und überdeutlich als
bitterernst herüberkommen, so ernst wie der Abgrund von Macho-Verzweiflung
in dem leisen Liedchen des gelähmten Vietnam-Veteranen, der seine junge
Frau Abend für Abend ausgehen sieht?
Man konnte sich damals die Zeichen, die Atmosphären, die Songs, den Fummel
noch einfach greifen. Nichts gehörte jemandem, nichts war belegt.
11 May 2015
## AUTOREN
Diedrich Diederichsen
## TAGS
Martin-Gropius-Bau
Regisseur
Ausstellung
Rainer Werner Fassbinder
Französischer Film
Rainer Werner Fassbinder
Regisseur
Rainer Werner Fassbinder
New York
Hanna Schygulla
Russland
Werner Herzog
## ARTIKEL ZUM THEMA
Fassbinder-Remake in den Kinos: Eine ungesunde Liebe
Der Regisseur François Ozon hat mit „Peter von Kant“ einen Fassbinder-Film
neu bearbeitet. Darin spielt er lustvoll mit Verweisen.
Kolumne Was bisher geschah: Rainer-Werner-Binge-Watching
Jede einzelne Sekunde des Ausharrens wert: Die restaurierte Fassung von
Fassbinders „Acht Stunden sind kein Tag“ in der Berliner Volksbühne.
Regisseur Peter Kern gestorben: Sinnlichkeit und Humor
Seine Liebe galt den Grauzonen der Gesellschaft, seine Filme strotzen vor
Eigensinn: Der österreichische Regisseur Peter Kern ist tot.
Zum 70. Geburtstag Fassbinders: Alles andere als normal
Rainer Werner Fassbinder gilt vielen als Prototyp des linken Antisemiten.
Heute fehlt sein schonungsloser, provozierender Blick.
Kunstauktion in New York: Weltrekord für Picasso-Bild
Noch nie wurde ein Bild teurer versteigert als ein Ölgemälde von Picasso.
Ein Unbekannter ersteigerte es bei einer Auktion für fast 180 Millionen
Dollar.
Film „Fassbinder“: Schnarchende Hunde treten
Gröber geht's nimmer: Annekatrin Hendel versucht sich an einem Porträt
Rainer Werner Fassbinders. Werk und Leben setzt sie umstandslos in eins.
Im Wettbewerb der Berlinale: Die Streichhölzer waren feucht
Einen Überschuss an schönem Quatsch und an symbolischem Theater bietet der
russische Film „Pod elektricheskimi oblakami“.
Wettbewerbsfilm Berlinale 2015: Der Araber ballert gern doppelläufig
Angeblich hat Werner Herzog bei „Queen of the Desert“ Regie geführt.
Anzumerken ist das diesem Kolonialschinken nicht.
Eröffnungsfilm der Berlinale: „Mensche müsse helfe Mensche“
Es ist Liebesdrama im ewigen Eis: „Nadie quiere la noche“ von Isabel
Coixet. Wir haben immerhin ein wenig empathisch mitgefroren.
You are viewing proxied material from taz.de. The copyright of proxied material belongs to its original authors. Any comments or complaints in relation to proxied material should be directed to the original authors of the content concerned. Please see the disclaimer for more details.