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# taz.de -- Kolumne Was bisher geschah: Rainer-Werner-Binge-Watching
> Jede einzelne Sekunde des Ausharrens wert: Die restaurierte Fassung von
> Fassbinders „Acht Stunden sind kein Tag“ in der Berliner Volksbühne.
Bild: Brillant alle beide: Irm Hermann als Irmgard, Hanna Schygulla als Marion …
Sieben Stunden und achtundfünfzig Minuten hat man auf den Stühlen der
Volksbühne ausgeharrt, hat das Sitzfleisch arg strapaziert, sich mit Kaffee
und Brezeln wach gehalten, aber jede Sekunde dieses
Rainer-Werner-Fassbinder-Binge-Watchings am Samstagabend und am
Sonntagmorgen ist es wert, jede Sekunde seiner großen Familienserie aus dem
Jahr 1972, und so ärgert man sich, dass man am Sonntagfrüh um 9 Uhr,
nachdem Berlins Partyleichen einem am Alexanderplatz entgegenstolpern, zwei
Minuten zu spät zur 3. Folge kommt, und als man sich gesetzt hat, ist man
wieder mitten in dieser Kölner Fabrik, um die sich diese Serie dreht und in
der sich Werkzeugmacher Jochen (Gottfried John) mit seiner Arbeitsgruppe
für Mitbestimmung einsetzt, in der Kämpfe mit Werkshallenleiter Gross und
untereinander ausgefochten werden; Jochens Oma (Luise Ullrich) hatte sich
am Vorabend in den ersten Folgen mit Gregor einen neuen Mann geangelt – und
was sind Gregor und Oma bitte für ein kongeniales Leinwand-Duo! –, aber der
Kinderladen, den sie ohne Erlaubnis in eine ehemalige Stadtbücherei
pflanzen, war doch eher eine Schnapsidee, auch wenn der Geist der
Emanzipation gerade durch die Domstadt weht, liegt diese immer noch in
Deutschland; bei Jochen läuft das mit der Liebe gerade auch ganz gut, denn
er und die umwerfende Marion (Hanna Schygulla) sind sehr sweet zusammen;
und wie Schygulla als Marion ihren rauchenden Freund Jochen imitiert,
riesengroßes Kino das, Überkino fast, und wie passgenau das Menjou-Bärtchen
bei Fiesling Harald (Kurt Raab) sitzt, wie bitter-bieder das Kleidchen der
zunächst so spießig-ätzenden Irmgard (Irm Hermann) wirkt, wie durch und
durch BRD das Interieur ist – fantastisch; unglaublich, dass so progressive
und gute Sachen mal im Öffentlich-Rechtlichen liefen und irgendwie kein
Wunder, dass die Produktion nach fünf Folgen abgesetzt wurde; derart
gebannt spürt man das Sitzfleisch eigentlich gar nicht mehr, als Marion und
Jochen dessen immer so schön schimpfenden Vater Wolf (Wolfried Lier) in
Folge 5 zu einem Wohnungstausch bewegen wollen und Jochen in seiner Fabrik
die Arbeit nach eigener Zeiteinteilung durchboxt und der Geschäftsführer
dies gar goutiert (Marion weiß genau, warum); man staunt am Ende noch ein
bisschen, wie viele Klare getrunken und wie viele Kippen geraucht werden in
diesen sieben Stunden und achtundfünfzig Minuten auf der Leinwand in der
fantastischen Familienserie „Acht Stunden sind kein Tag“.
„Acht Stunden sind kein Tag“, Regie: Rainer Werner Fassbinder, Darsteller:
Gottfried John, Hanna Schygulla, Irm Hermann, Rudolf Waldemar Brem, Karl
Scheydtund u.a., 478 Min., inkl. 32-seitigen Booklet mit
Hintergrundinformationen. Die Serie ist kürzlich auch als DVD und Blu-ray
erschienen, herausgegeben von der Rainer Werner Fassbinder Foundation, dem
WDR und Museum of Modern Art (MoMA).
15 Feb 2017
## AUTOREN
Jens Uthoff
## TAGS
Rainer Werner Fassbinder
Hanna Schygulla
Schwerpunkt Berlinale
Schwerpunkt Rassismus
Schwerpunkt Berlinale
Frank Witzel
Schwerpunkt Berlinale
Rainer Werner Fassbinder
Martin-Gropius-Bau
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