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# taz.de -- Fassbinder-Remake in den Kinos: Eine ungesunde Liebe
> Der Regisseur François Ozon hat mit „Peter von Kant“ einen
> Fassbinder-Film neu bearbeitet. Darin spielt er lustvoll mit Verweisen.
Bild: Bitter, Tränen? „Peter von Kant“
Hat man die Besetzungsliste von François Ozons neuem Film, „Peter von
Kant“, nicht gründlich studiert, könnte man gleich zu Beginn einem Irrtum
unterliegen: Anmutig, dürr, ätherisch beschreitet Karl (Stefan Crépon) da
die luxuriöse Kölner Wohnung und erinnert damit sogleich an Margit
Carstensen. Carstensen war es, die in Rainer Werner Fassbinders „Die
bitteren Tränen der Petra von Kant“ (1972) der labilen, mal aufbrausenden,
dann umschmeichelnden Hauptfigur ihr nahezu unheimliches Antlitz verlieh.
Doch die Verwirrung wird schnell aufgelöst, wenn man begriffen hat, dass
Ozons Adaption des Klassikers wenig auf äußerliche Replikation sinnt. Eher
geht es dem Regisseur darum, jene persönlichen Begehrlichkeiten Fassbinders
auf eine Weise offenzulegen, wie sie im ursprünglichen Werk mittels eines
komplizierten lesbischen Liebesdreiecks kodiert wurden.
Fünfzig Jahre später hat das Figurenpersonal, bis auf wenige Ausnahmen, das
Geschlecht gewechselt. Aus Petra von Kant ward Peter (Denis Ménochet), aus
dem Faktotum Marlene (Irm Hermann) Karl, und das Zentrum von Petras
Leidenschaft, Karin Thimm (Hanna Schygulla), ist nun der junge, schöne Amir
Ben Salem (Khalil Gharbia).
Zusammenhänge, auf deren Verständnis sich beim bloßen Ansehen von „Peter
von Kant“ vielleicht verzichten ließe. Allerdings versäumt es Regisseur
Ozon selbst kaum, immer wieder mit Querverweisen zu spielen. Da realisiert
Peter von Kant, hier seines Zeichens Filmemacher und nicht wie einst Petra
Modeschöpferin, den Stoff „Liebe ist heißer als der Tod“ und meint damit
natürlich Fassbinders ersten Spielfilm „Liebe ist kälter als der Tod“.
## Ozon arbeitet viel mit Zwillingsfiguren
Muse von einst war damals Hanna Schygulla, bei Ozon beziehungsweise Peter
heißt sie Amir. Ozons Faszination für Dopplungen, Verwechslungen und
transformierende Geschlechter ist keine Überraschung. Immer wieder tauchen
in seinen Arbeiten [1][Zwillingsfiguren auf („Der andere Liebhaber“)],
kommt es zu [2][ungewöhnlichen Verflechtungen („Eine neue Freundin“)].
Und auch der Neuinterpretation bereits existierender Stoffe widmet er sich
voller Inbrunst. Sein im Frühling in Deutschland gestarteter Film
[3][„Alles ist gut gegangen“ fußte auf den autobiografischen Erinnerungen
Emmanuèle Bernheims], „Eine neue Freundin“ basiert auf einer gleichnamigen
Kurzgeschichte Ruth Rendells.
In „Peter von Kant“ folgt Ozon derweil auch inszenatorischen Spuren: Der
mondäne Lebensmittelpunkt Peters, in Köln sowie an den Schwellen des
Wahnsinns angesiedelt, ähnelt Petras Bremer Flokati-Paradies. Die
Jalousien, durch die Marlene einst so bewachend wie sehnsüchtig spähte,
finden sich auch häufig in der Nähe von Karl.
Nicht zuletzt ist es der metaphorische Bildaufbau, an dem sich Ozon, teils
auf recht skurrile Weise, probiert. Einmal sitzt Amir, jüngst bezirzt vom
sich bis dato langweilenden Erfolgsregisseur Peter, in einem roten Pullover
am Esstisch. Karl hat rötliche Riesengarnelen kredenzt, hinter Amir bauen
sich seltsame, feuerrote Schaufensterpuppen auf.
## Grenzüberschreitung mit Kamera
Genüsslich verspeist Peter die Schalentiere, schlürft, saugt, nuckelt an
ihnen. Und schnell ist man sich nicht mehr sicher, ob die Gier denn
wirklich nur den Meeresfrüchten gilt oder nicht gleichwohl dem unschuldig
dasitzenden Amir. Denn schließlich hatte sich das opulente Genie gerade
erst dessen tragische Lebensgeschichte mit der Kamera einverleibt, war an
Stellen der Erzählung, an denen das Mitgefühl ein Ausschalten geboten
hätte, dem Objekt der Begierde nur noch weiter auf die Pelle gerückt.
„Peter von Kant“ erzählt damit von derselben obsessiven, ungesunden Liebe,
wie sie auch Petra beim Anblick von Karin erfasste. Schnell entwickelte
sich eine Abhängigkeit, folgte der Kontrollverlust, kroch Petra vernebelt
und voller Schmerz auf dem Boden, Karin anflehend und verfluchend zugleich.
Und während der Soundtrack bei Petra von The Platters und ihrem
schwermütigen Stück „Smoke Gets In Your Eyes“ stammte, singt für Peter b…
Ozon Isabelle Adjani „Jeder tötet, was er liebt“.
Diese Isabelle Adjani ist es dann auch, die für die größte Freude sorgt.
Verschwand die Figur der Sidonie von Grasenabb (Katrin Schaake) bei
Fassbinder leider bald aus dem Gedächtnis, erhält sie in Form von Adjani
neuen Glamour. Als koksendes und überdrehtes Starlet schwirrt sie um Peter
von Kant, gibt sich als Vertraute und hat doch keine Ahnung, bereitet Amir
die Bühne und vernascht ihn wenig später selbst, tut, als würde sie sich
mit Geld allein zufriedengeben, während auch das Lechzen nach Ruhm keine
kleine Rolle spielt.
Dieser erfrischenden Wiederkehr Sidonies beizuwohnen, ist das eigentliche
Glück eines Films, der von einem melodramatischen Niedergang erzählt und
sich im Referenziellen tummelt, aber vor allem von den trüben Wassern und
hässlichen Auswüchsen des Showbusiness erzählt. Möglicherweise liegt darin
eine Botschaft Ozons verborgen, eine Not verschlüsselt. Bleibt die Frage,
wer sich ihrer in fünfzig Jahren wohl anzunehmen gedenkt.
22 Sep 2022
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## AUTOREN
Carolin Weidner
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