| # taz.de -- Film „Mein fabelhaftes Verbrechen“: Victim Blaming vom feinsten | |
| > „Mein fabelhaftes Verbrechen“ ist eine Hommage an Screwball-Komödien. | |
| > Zweifelhafte MeToo-Verweise machen ihn anachronistisch. | |
| Bild: Die Freundinnen Pauline Mauléon (Rebecca Marder) und Madeleine Verdier (… | |
| Die beiden Freundinnen Madeleine (Nadia Tereszkiewicz) und Pauline | |
| (Rebecca Marder) haben sich ihr Leben sicherlich anders ausgemalt. Ihr | |
| Apartment in einem unprätentiösen Vorort von Paris ist zu klein für ihre | |
| großen Ansprüche, die Miete zu hoch für ihre niedrigen Einkünfte. Während | |
| die Schauspielkarriere der schönen, aber talentlosen Madeleine stagniert, | |
| scheint Pauline zwar tatsächlich eine begabte Rechtsanwältin zu sein. Ihr | |
| Erfolg bleibt wiederum aufgrund ihres unscheinbaren Äußeren aus. | |
| Als Lebenskünstlerinnen wissen sie sich jedoch mit der Mittellosigkeit zu | |
| arrangieren, indem sie ihren Charme spielen lassen oder mit geschickten | |
| Bluffs und rhetorischen Verwirrspielen ihre Gläubiger vertrösten. Mit der | |
| abenteuerlichen Geschichte voller rasanter Dialoge und raffiniertem | |
| Wortwitz, die François Ozon das ungleiche Duo in „Mein fabelhaftes | |
| Verbrechen“ durchleben lässt, verneigt sich der französische Filmemacher | |
| vor der Screwball-Tradition der goldenen Ära Hollywoods. | |
| Dass [1][Ozon („Peter von Kant“)] die Handlung seiner Komödie in den 1930er | |
| Jahren ansiedelt, kann man als eine weitere Referenz an das Genre, das | |
| seine Hochphase in derselben Dekade erlebte, verstehen. Womöglich erschien | |
| es dem Regisseur und Drehbuchautor aber auch unverfänglicher, so manche | |
| irrwitzigen coups de théâtre der Handlung, die sich leicht als provokanter | |
| Kommentar zur #MeToo-Bewegung lesen lassen, im Kontext eines weit | |
| entfernten Gestern anzusiedeln. | |
| Das Blatt für die beiden jungen Frauen im Zentrum wendet sich ausgerechnet | |
| nach dem Mord an einem weltberühmten Theaterproduzenten. Die Polizei | |
| verdächtigt die unschuldige Madeleine, die nur wenige Stunden vor dem | |
| Tatzeitpunkt in seiner Villa war, um für eine kleine Rolle vorzusprechen. | |
| Um diese zu bekommen, sollte sie sich allerdings zu sexuellen | |
| Gefälligkeiten bereit erklären. Als sie ablehnte, habe er versucht, über | |
| sie herzufallen, berichtet Madeleine ihrer Freundin, nachdem sie ihm im | |
| letzten Augenblick entkommen konnte. | |
| ## Ein trotteliger Ermittlungsrichter | |
| Pauline rät ihr, den Behörden nichts von dem Grund für ihr abruptes | |
| Aufbrechen zu erzählen – wohl in dem Wissen, dass man ihr entweder keinen | |
| Glauben schenken würde oder ihr sogar ein Motiv für den Mord anhängen | |
| könnte. „Mein fabelhaftes Verbrechen“ spielt damit nicht nur auf den | |
| [2][„Weinstein“-Skandal] und ähnliche Fälle an, sondern greift auch die | |
| Widerstände auf, die Opfer davon abhalten, von Ausbeutung und Missbrauch zu | |
| berichten. Dann jedoch nimmt die Geschichte eine Wendung mit fragwürdigem | |
| Aussagegehalt. | |
| Ein trotteliger Ermittlungsrichter (Fabrice Luchini), der es auf eine | |
| schnelle Aufklärung des Falls abgesehen hat, versucht ihr zunächst ein | |
| Verbrechen aus niederen Beweggründen (immerhin scheinen 300.000 Franc | |
| entwendet) oder aus Leidenschaft anzuhängen. Als er Pauline auf ihre Frage | |
| hin, welche Strafe denn zu erwarten sei, wenn die Tat zur Rettung der | |
| eigenen Ehre, des Lebens, ja aus Notwehr verübt wurde, mit „keine“ | |
| antwortet, platzt Madeleine mit einem fingierten Geständnis heraus. | |
| Die Freundinnen beschließen, die folgende Gerichtsverhandlung zu ihrer | |
| Bühne zu machen, verfassen dafür sogar eigens ein Drehbuch, durch das | |
| Madeleine die Öffentlichkeit für sich gewinnen und zur feministischen | |
| Heldin aufgebauscht werden soll, die die Tat begangen habe, um nicht nur | |
| sich selbst, sondern die „Sache der Frauen“ gleich mit zu verteidigen. Die | |
| Wortgefechte sind in alter Screwball-Manier humoristisch überspitzt, | |
| schließen jedoch unverkennbar an moderne Debatten an. | |
| Personifiziert durch einen verbissenen Staatsanwalt (Michel Fau), der | |
| Madeleine unterstellt, ihren Vermieter „in Naturalien“ bezahlt zu haben und | |
| eine „widernatürliche Beziehung“ zu Pauline zu unterhalten, werden zwar | |
| auch leidliche Diskreditierungsversuche, zu denen es im Zuge von Prozessen, | |
| die mit sexueller Gewalt zu tun haben, bekanntlich regelmäßig kommt, von | |
| Ozon persifliert. | |
| ## Gängige Vorwürfe werden bedient | |
| Was von „Mein fabelhaftes Verbrechen“ aber wesentlich umfänglicher | |
| beleuchtet wird und im Gedächtnis bleibt, ist, dass es Madeleine und | |
| Pauline gelingt, eine Tat zu ihren Gunsten als feministischen Akt | |
| umzudeuten und dafür von einer sensationsgierigen Öffentlichkeit mit Ruhm | |
| und Rampenlicht belohnt zu werden. Damit bedient der Film den gängigen | |
| Vorwurf, wie er oft im Kontext von Missbrauchsfällen und Gewalttaten von | |
| Männern vorgebracht wird: den, dass Frauen sich doch gern (fälschlich) zum | |
| Opfer stilisieren würden, um damit Aufmerksamkeit zu erlangen. | |
| Für Madeleine und Pauline regnet es im Anschluss jedenfalls Aufträge, und | |
| bald können sie das bequeme Leben führen, von dem die beiden so lange | |
| geträumt haben. Selbst als sich die eigentliche Mörderin – gespielt von | |
| Isabelle Huppert – bei ihnen meldet, sind die Schwierigkeiten nur momentan. | |
| Und der Irrglaube daran, dass sich der (Ruf-)Mord an Männern | |
| augenscheinlich auszahlt – oder zumindest nicht bestraft wird, wenn man | |
| diese Tat nur angemessen zu verkaufen weiß – zieht bald sogar | |
| Nachahmungstaten nach sich. | |
| Trotz einiger wohlplatzierter Pointen und gelungener Situationskomik zündet | |
| der Witz in „Mein fabelhaftes Verbrechen“ wegen der unter dem | |
| ironisch-verspielten Ton immer wieder hervorbrechenden, borniert wirkenden | |
| Bezugnahmen auf heutige Debatten am Ende nicht. Auch die ausgezeichnete | |
| Ausstattung und das galante Spiel der beiden Hauptdarstellerinnen retten | |
| den Film nicht davor, als eine seltsam anachronistische Komödie in | |
| Erinnerung zu bleiben. | |
| 5 Jul 2023 | |
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| ## AUTOREN | |
| Arabella Wintermayr | |
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