| # taz.de -- Komödie „Asteroid City“ von Wes Anderson: Ordnung in der kosmi… | |
| > „Asteroid City“ konfrontiert seltsame Figuren mit dem Unbekannten. Das | |
| > wirft Sinnfragen auf und neues Licht auf das Werk des Regisseurs. | |
| Bild: Ein gelangweilter Star: Midge Campbell (Scarlett Johansson) in „Asteroi… | |
| Entweder man ist hellauf begeistert von seinem Schaffen oder man ist ebenso | |
| restlos verwundert über diese Begeisterung: Wes Anderson gehört zu den | |
| konsequentesten Filmemachern unserer Zeit, wenn es um das Verfolgen eines | |
| ureigenen und eindeutig wiederzuerkennenden Stils geht. Mit der gleichen | |
| Konsequenz scheint sich das Kinopublikum in Enthusiasten und Kritiker | |
| seines Werks zu spalten. Ein Wechsel zwischen den Lagern, so wirkt es, | |
| kommt selten vor. | |
| Jene, die Wes Anderson nicht ausstehen können, stören sich meist am | |
| Solipsismus seines Kosmos, können dem Artifiziellen und Verspielten daran | |
| nichts abgewinnen oder halten schlicht für redundant, was in seinen | |
| Komödien geschieht und gesprochen wird. Wer in den Kreationen des | |
| texanischen Regisseurs und Drehbuchautors nicht viel mehr als | |
| selbstzufriedene, wenn auch aufwendige Eskapismusübungen erkennen kann, | |
| bewertet [1][Wes Andersons bisherige Arbeit nach „Asteroid City“] | |
| vielleicht neu. Zumindest, wer bereit dazu ist, im gewohnten Geplapper | |
| umgeben vom üblichen Pastellpomp genau zuzuhören. | |
| Die Zelte seiner unbeirrbar blassroten bis babyblauen Welt werden diesmal | |
| mitten in der US-amerikanischen Wüste im Jahr 1955 aufgeschlagen – in einer | |
| Ödnis unweit des Highways, in der es nicht viel mehr als ein Motel, ein | |
| Diner und eine Tankstelle zu erkunden gibt. | |
| Seinen Namen verdankt das titelgebende Örtchen dem Krater eines | |
| Asteroideneinschlags. Unweit von diesem beobachten Wissenschaftler eines | |
| Observatoriums (darunter eine gewohnt einnehmend elfenähnliche Tilda | |
| Swinton) den Sternenhimmel. In Kooperation mit dem US-Militär wird dort | |
| alljährlich ein beschaulicher Kongress abgehalten, in dessen Zuge besonders | |
| findige Wissenschaftsprojekte von High-School-Schülern ausgezeichnet | |
| werden. | |
| Der Anlass zieht allerlei Anderson’sche Charaktere an, alle auf ihre Art | |
| und Weise verschroben. Die spitzzüngige Schauspielikone Midge Campbell | |
| (Scarlett Johansson) kommt mit ihrer Tochter Dinah (Grace Edwards) und | |
| einem neuen Drehbuch, das studiert und für die optimale Vorbereitung auf | |
| die nächste Rolle möglichst auch durchlebt werden will, nach „Asteroid | |
| City“. | |
| Augie Steenbeck (Jason Schwartzman), ein verwitweter Kriegsfotograf, der im | |
| Hinterkopf ein Schrapnell und im Gesicht beinahe pausenlos eine Pfeife mit | |
| sich herumträgt, reist mit seinen vier Kindern und der lange aufgeschobenen | |
| Aufgabe an, seinem Nachwuchs endlich vom Tod ihrer Mutter zu erzählen. Der | |
| älteste Sohn Woodrow (Jake Ryan), der als „Brainiac“ der Familie bereits | |
| ahnt, dass etwas nicht stimmt, wird am Wettbewerb teilnehmen. | |
| ## Verlorensein in Raum und Zeit | |
| Die „Junior Stargazer Convention“ gerät schnell ins Hintertreffen, | |
| stattdessen geht es um die possierlich heruntergespielten Problemchen der | |
| Figuren, die sich in ihrem Alltag wahlweise mit dem Streben nach Ruhm und | |
| Reichtum, nach Wissen und Kunst oder mit Romanzen und Rivalitäten die Zeit | |
| vertreiben. | |
| Das Wesentlichere, das in diesem heiteren Weltall-Diorama, in dem sich | |
| unter anderem Tom Hanks als mürrischer Großvater, Steve Carell als | |
| verquerer Motel-Besitzer und Jeffrey Wright als General und Gastgeber des | |
| Wettbewerbs einfinden, munter wabert, ist das Verlorensein des Menschen in | |
| Raum und Zeit. Und die Sehnsucht nach einem Sinnzusammenhang – nach etwas, | |
| das dabei hilft, mit dem großen Unbekannten, das uns umgibt, fertig zu | |
| werden, es vergessen oder verdrängen zu können. | |
| Ob Andersons Figuren diese Sehnsucht nun bewusst ist oder nicht, | |
| konfrontiert werden sie mit ihr durch einen äußerst kuriosen Zwischenfall: | |
| Gerade als sich das bunte Grüppchen zusammengefunden hat, um ein seltenes | |
| Spektakel am Himmel zu beobachten, landet in ihrer Mitte eine fliegende | |
| Untertasse, und ein tapsiges Männchen geht für einen kurzen Augenblick von | |
| Bord, um den Meteoriten, der vor tausenden Jahren einschlug, mitzunehmen. | |
| Es handelt sich unleugbar um einen Außerirdischen (Jeff Goldblum), was in | |
| der Quarantäne, unter die die Augenzeugen von der Regierung gestellt | |
| werden, vielerlei Fragen aufwirft. Sind wir womöglich nicht allein? Gibt es | |
| da draußen doch Antworten? | |
| ## Kleine Existenz im großen Universum | |
| Das menschliche Bedürfnis, gesehen zu werden, das Verlangen nach etwas, das | |
| unserer Existenz eine Bedeutung verleiht, bringt Wes Anderson in kurzen, | |
| treffsicheren Dialogzeilen zum Ausdruck. Etwa wenn einer der jugendlichen | |
| Wettbewerbsteilnehmer, der sich zum Unmut seines Umfelds ständig in | |
| skurrile Mutproben begibt, auf die entnervte Frage seines Vaters, warum er | |
| das denn tue, erschrocken zugeben muss, dass er fürchtet, andernfalls würde | |
| niemand Notiz von seiner kleinen Existenz im großen Universum nehmen. | |
| Oder aber wenn ein Schauspieler auf einer anderen Handlungsebene des Films | |
| seinen Regisseur um Anleitung bittet, wie er den verwitweten | |
| Kriegsfotografen zu spielen habe. Als dieser zurückgibt, dass niemand | |
| wisse, wie man jemanden richtig spielt, fühlt sich das nach einem Verweis | |
| auf unser eigenes Aufgeschmissensein vor der Frage an, wie dieses Leben zu | |
| führen sei. | |
| Mit einer Erzählstruktur, die wie zuletzt in [2][„The French Dispatch“] und | |
| [3][„Grand Budapest Hotel“] mehrere Ebenen umfasst – hier sind es ein | |
| geplagter Autor (Edward Norton), der die Story „Asteroid City“ ersinnt, ein | |
| Regisseur, der an der Inszenierung (Adrien Brody) feilt und ein Moderator | |
| (Bryan Cranston), der durch die TV-Adaption leitet – würdigt Wes Anderson | |
| das Geschichtenerzählen als einziges stützendes Geländer in dieser | |
| „kosmischen Wildnis“. | |
| Auch wenn es wahrlich nicht sein stärkster Film ist und sich der Plot | |
| stellenweise in Redundantem verliert, ist es doch das Solipsistische von | |
| „Asteroid City“, das das Ansinnen des Filmemachers so viel greifbarer macht | |
| als bisher: Wie die Autoren in „The French Dispatch“ gegen die | |
| Bedeutungslosigkeit anschreiben und der Concierge des „Grand Budapest | |
| Hotel“ mit seinem hohen zivilisatorischen Anspruch gegen die aufziehende | |
| Barbarei ankämpft, lassen sich Wes Andersons Filme in ihrer strengen | |
| Stiltreue als rührender Versuch lesen, die Illusion einer anmutigen Welt zu | |
| errichten, in der alles eine beruhigende Ordnung hat. | |
| Erzählen, um das große Unbekannte eine Zeitlang auszukehren – so | |
| realitätsfremd ist das nicht. | |
| 14 Jun 2023 | |
| ## LINKS | |
| [1] /Zwischenbilanz-Filmfestival-Cannes/!5933556 | |
| [2] /Wes-Andersons-The-French-Dispatch/!5805981 | |
| [3] /Wes-Andersons-Grand-Budapest-Hotel/!5047142 | |
| ## AUTOREN | |
| Arabella Wintermayr | |
| ## TAGS | |
| Spielfilm | |
| Komödie | |
| Wes Anderson | |
| Universum | |
| Schwerpunkt #metoo | |
| Wes Anderson | |
| Film | |
| Wes Anderson | |
| ## ARTIKEL ZUM THEMA | |
| Film „Mein fabelhaftes Verbrechen“: Victim Blaming vom feinsten | |
| „Mein fabelhaftes Verbrechen“ ist eine Hommage an Screwball-Komödien. | |
| Zweifelhafte MeToo-Verweise machen ihn anachronistisch. | |
| Zwischenbilanz Filmfestival Cannes: Die Willkür eines Papstes | |
| Wes Anderson geht auf Tuchfühlung mit Aliens, Marco Bellocchio stellt sich | |
| in den Dienst der Geschichte. Viele Künstler:innen zeigen Routine. | |
| Wes Andersons „The French Dispatch“: Von allem etwas zu viel | |
| Eine Liebeserklärung an den Magazinjournalismus und eine Hommage an den New | |
| Yorker. Die neue Komödie von Wes Anderson. | |
| Spielfilm von Wes Anderson: Es ist ein Hundeleben | |
| Über „Isle of Dogs“, den neuen Film von Wes Anderson, gibt es in den USA | |
| eine Debatte über kulturelle Aneignung – denn die Handlung spielt in Japan. |