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# taz.de -- Spielfilm von Wes Anderson: Es ist ein Hundeleben
> Über „Isle of Dogs“, den neuen Film von Wes Anderson, gibt es in den USA
> eine Debatte über kulturelle Aneignung – denn die Handlung spielt in
> Japan.
Bild: Für die Anderson-Welt-Verteidiger ist die Debatte eine Zumutung
Die Marvel Studios mögen mehr Geld einnehmen, aber als „Cinematic Universe“
könnte man gut auch das beschreiben, was Wes Anderson mit seinen bislang
neun Filmen in 20 Jahren geschaffen hat. „Anderson-World“ ist eine Marke
für sich, gut erkennbar in Stil und Ton, mit wiederkehrenden Motiven und
Cross-over-Figuren. Egal, ob „Bottle Rocket“ in Texas, die „Royal
Tenenbaums“ in New York oder „Grand Budapest Hotel“ in einem fiktiven
Mitteleuropa spielen, sie sind sämtlich „Locations“ einer Fantasy-Welt, die
in ihren fein ausgearbeiteten Details nie ganz real, aber immer völlig
„andersonisch“ ist.
Nicht alle mögen das, diese fast groben visuellen Gags, wenn ein Vater (Ben
Stiller) mit seinen Söhnen im gleichen roten Adidas-Trainingsanzug
rumläuft, die gepflegte Wehmut der Teenager-Fantasien oder den trockenen
Witz einer immer nur heimlich rauchenden Gwyneth Paltrow. Vielleicht
gerade, weil es eine Sache des Mögens ist, wurde die „Anderson-Welt“ vor
den klassischen Ideologieprüfungen unserer Zeit – divers genug?,
feministisch genug? – bislang sehr effektiv durch ihre dichte Atmosphäre
aus Verschrobenheit und Melancholie geschützt. Mit „[1][Isle of Dogs]“, der
im Februar als Eröffnungsfilm der Berlinale Premiere feierte, war die
Schonzeit auf einmal vorbei.
Dabei ist „Isle of Dogs“ vom Titel und seinem Wortspiel auf die Parole „I
Love Dogs“ bis in jedes Fellhaar seiner Hundehelden als zutiefst
andersonisch erkennbar. Es ist nach „Fantastic Mr. Fox“ Andersons zweiter
Animationsfilm, liebevoll realisiert in aufwendiger Stop-Motion-Technik,
ein Fest der Mikro-Details, in dem die Aufschrift auf einer Dose hinten
rechts im Bild einem dafür empfänglichen Zuschauer noch etwas sagt.
## Visuelle Viruosität und prominente Stimmen
Die Handlung spielt „in 20 Jahren“ in einem fiktiven Land, in dem ein
Katzen liebender Autokrat den Ausbruch einer Grippe-Epidemie erfolgreich
den Hunden in die Schuhe schiebt und deshalb vorbeugend sämtliche Köter auf
eine Müllinsel deportieren lässt. Erstes Opfer ist in Vorbildfunktion der
persönliche Hund des Neffen des Autokraten. Wenige Jahre darauf entführt
der inzwischen 12-jährige Neffe ein Flugzeug, um seinen vierbeinigen Freund
zu retten. Auf der Insel angekommen, muss er ihn erst mal suchen, wobei ihm
eine launige Gruppe von fünf sehr unterschiedlichen Hunden assistiert. Es
passiert so einiges auf dieser Odyssee, und es wird niemanden überraschen,
dass am Ende die Macht der Katzenliebhaber wieder gebrochen wird.
Das alles ist nicht nur mit der üblichen visuellen Virtuosität erzählt,
sondern wird noch von einem regelrechten Gala-Aufmarsch an prominenten
Stimmen – Bryan Cranston, Edward Norton, Bill Murray, Bob Balaban, Greta
Gerwig, Francis McDormand, Harvey Keitel, Scarlett Johansson, Yoko Ono u.
v. m. – vertont, bis hin zum Credit-Witz, in dem Anjelica Huston als
Sprecherin eines „stummen Pudels“ aufgeführt wird.
Wieder ist viel daran eine Sache des Mögens, aber wer gewillt ist, sich auf
die Anderson-Welt einzulassen, sieht sich diesmal belohnt von einer vor
Düsternis nicht zurückscheuenden Parabel, in der aktuelle Themen wie
Ausgrenzung, Fake News und Totalitarismus verhandelt werden, was vielleicht
sogar den Nerd in seinem Fan-Kokon erwischt.
## Homage oder Versagen der Sensibilität
Es könnte also alles so schön sein. Aber Andersons Dystopie spielt nicht im
Nirgendwo, sondern in einem fiktiven Japan, dessen „nationale Identität“
Anderson in ähnlicher Weise fabriziert, wie er das mit Mittelosteuropa in
„Grand Budapest Hotel“ machte. Fürs Drehbuch hat er neben seinen Buddys
Roman Coppola und Jason Schwartzman auch den japanischen Schauspieler
Kunichi Nomura ins Boot geholt. Megasaki heißt der fiktive Stadtstaat,
Kobayashi ist der böse Autokrat, Atari sein heldenhafter Neffe, die Hunde
aber tragen Namen wie Chief, Duke, Boss, King und Rex. Die japanischen
Menschenfiguren sprechen japanisch und werden nicht immer übersetzt, die
Hunde parlieren in Englisch. Der Score (Alexandre Desplat) setzt
Taiko-Trommeln ein, die akribisch komponierten Bilder enthalten multiple
Anspielungen an japanische Hoch- und Popkultur.
Genau das aber wurde zum Kinostart in den USA zum Stein des Anstoßes.
Cultural appropriation wurde Anderson vorgeworfen, und schlimmer noch:
racial stereotypes. „Ist diese äußerst selektive, idiosynkratische
Wiedergabe einer ostasiatischen Gesellschaft durch einen weißen
amerikanischen Filmemacher eine Hommage oder ein ahnungsloses Versagen der
Sensibilität?“, fragte etwa der Filmkritiker der [2][Los Angeles Times,
Justin Chang], woraufhin die Anderson-Welt-Verteidiger ihren eigenen
Shitstorm lostraten gegen die Zumutung, über solche ideologischen
Implikationen überhaupt nachdenken zu sollen.
Nicht in allen Beschreibungen dessen, was Anderson hier als „kulturelle
Aneignung“ betreibe, erkennt man den Film wirklich wieder. Ist doch „Isle
of Dogs“ gerade in seiner Idiosynkrasie und seinem Detailreichtum auch ein
Beleg dafür, dass ein Popkultur-Produkt mehr ist als die Absicht seiner
Schöpfer. Die Zuschauer schaffen sich ihre eigenen Bedeutungen. Wer mit
japanischer Popkultur wirklich vertraut ist, so schrieb [3][Moeko Fujii im
New Yorker], wird mit vielen Seiten-Gags belohnt, die sich im unübersetzten
Teil des Films verbergen.
9 May 2018
## LINKS
[1] https://www.youtube.com/watch?v=8XkYLvuRrkY
[2] http://www.latimes.com/entertainment/movies/la-et-mn-isle-of-dogs-review-20…
[3] https://www.newyorker.com/culture/cultural-comment/what-isle-of-dogs-gets-r…
## AUTOREN
Barbara Schweizerhof
## TAGS
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