| # taz.de -- Literaturverfilmung „Little Women“: Ich hasse affektierte Prinz… | |
| > Mit „Little Women“ hat Greta Gerwig einen US-Literaturklassiker verfilmt. | |
| > Kann sie dem oft adaptierten Coming-of-Age-Roman neue Seiten abgewinnen? | |
| Bild: Die Schwestern: Meg (Emma Watson), Jo (Saoirse Ronan), Amy (Florence Pugh… | |
| Junge Mädchen“, tönt der backenbärtig-väterliche Verleger, der gegenüber… | |
| March (Saoirse Ronan) an einem imposanten Schreibtisch sitzt, „junge | |
| Mädchen müssen am Schluss eines Romans verheiratet sein. Oder tot.“ Jo, die | |
| ihm gerade einen ihrer ersten literarischen Versuche vorgelegt hat und | |
| mitnichten die Ehe oder das Ende ihrer Protagonistin plante, schluckt. Doch | |
| man kann dem nicht gerade begeisterten Gesichtsausdruck Jos entnehmen, dass | |
| sie die fragwürdige Prämisse direkt infrage stellt. | |
| Denn darum geht es in dieser fünften Kinoadaption von Louisa May Alcotts | |
| 1868 erschienenem Bestseller „Little Women“: um Emanzipation im wahrsten | |
| Wortsinn, um politische Selbstbefreiung, die auch in der literarischen | |
| Vorlage bereits durchscheint. Eigentlich wollte die Gruselromanautorin | |
| Alcott keine „Teenagerliteratur“ schreiben und brachte die auf | |
| autobiografischen Erlebnissen basierende Geschichte der Familie March mit | |
| den Töchtern Jo, Meg, Beth (Betty) und Amy sowie deren Mutter Marmee und | |
| diverser „love interests“ nur auf Wunsch ihres Verlegers zu Papier. | |
| Doch dann gelang ihr mit „Little Women“ und dem zweiten Teil „Good Wives�… | |
| die zu einem Buch zusammengefasst wurden, ein bunter, in einer so simplen | |
| wie bildhaften Sprache vorgetragener Coming-of-Age-Roman mit klar | |
| gezeichneten Charakteren, vorhersehbaren Konflikten – und einer | |
| energetischen Portion Charme aufseiten der als Tomboy definierten, | |
| designierten Schriftstellerin Jo: „Sofort sprang Jo auf, stemmte ihre Hände | |
| in die Hüften, und begann, munter zu pfeifen. ‚Hör auf, Jo! So etwas tun | |
| nur Jungs!‘ ‚Genau deswegen mache ich es ja!‘ ‚Ich verabscheue Mädchen… | |
| sich nicht damenhaft benehmen können!‘ 'Und ich hasse affektierte | |
| Prinzesschen!’“ | |
| Der Roman und seine paradigmatischen Figuren nahmen über Jahrzehnte, wenn | |
| nicht Jahrhunderte, starken Einfluss auf die US-amerikanische Gesellschaft. | |
| Auch in den 2000ern tauchte „Little Women“ noch regelmäßig auf den vorder… | |
| Plätzen von Lieblingsbuch-Rankings auf. Für deutschsprachige Interessierte | |
| lag er erst 2015 in der Übersetzung und unter dem Titel „Betty und ihre | |
| Schwestern“ vor. Dabei gibt das Buch neben dem historischen | |
| Postbürgerkriegssetting inklusive dazugehöriger Traumata vor allem die | |
| US-amerikanischen Kommunikationsformen beispielhaft wieder, und kann so | |
| sehr viel erklären. | |
| Jener laute Kuddelmuddel, der im Haus der Familie und im Umgang der | |
| Schwestern untereinander herrscht, die Reibung der Charaktere, das | |
| gegenseitige Inswortfallen, das liebevolle Necken stehen auch in der neuen | |
| Adaption der Drehbuchautorin und Schauspielerin Greta Gerwig im | |
| Vordergrund, die mit dem Film ihre [1][zweite Regiearbeit nach „Lady Bird“] | |
| vorlegt. Neben Ronan als Jo reden, kichern, schreien und jammern Jos | |
| Schwestern Meg (Emma Watson), Amy (Florence Pugh), Beth (Eliza Scanien) und | |
| „Marmee“ (Laura Dern) um die Wette. | |
| ## Funktionale Prototypen | |
| Sie bilden altbekannte, aber funktionale Prototypen, anwendbar auf fast | |
| jede Boygroup: Meg, die Älteste, ist die Hübsche, Vernünftige, Jo die | |
| Wilde, Charismatische, Beth die Schüchterne, Musikalische und Amy die | |
| kleine Künstlerin. Beim Erwachsenwerden schlagen die vier Charaktere | |
| diverse Kapriolen. Jo will zunächst unabhängig bleiben und nicht an die | |
| Liebe glauben; Meg dagegen folgt dem Herzen, auch wenn es ökonomisch nicht | |
| sinnvoll scheint; Beth arbeitet an der Überwindung der Schüchternheit, und | |
| Amy ist so egozentrisch wie bezaubernd. | |
| Daneben brennen hier und da die Herzen, man geht zum Debütantinnenball, | |
| verkleidet sich mit Zylinder als Jungs und tut Gutes, wie Marmee es gelehrt | |
| hat. Ein trauriges Krankheitsschicksal schlägt, der Dramatik wegen, | |
| ebenfalls zu. | |
| Gerwig hat für ihre Figuren großartige Schauspielerinnen gefunden, die | |
| neben dem Talent dennoch vor allem der Look eint: Die Zielgruppe, die das | |
| für sechs Oscars (inklusive „Bester Film“) nominierte Werk in jeder Szene | |
| fest im Auge behält, ist eine homogen-weiße juvenile Clique von | |
| Social-Media-Romantikerinnen, die Lust auf Retroästhetik hat und zwischen | |
| der Suche nach „dem Einen“ und der Lust am Feiern hin und her tänzelt. | |
| ## Objekt der Begierde | |
| Regisseurin und Drehbuchautorin Gerwig (oder ihre Produzent*innen) | |
| morphen sogar Jos späteren Ehemann Friedrich Bhaer, der im Buch als | |
| unscheinbarer, deutscher, von Jo zunächst ignorierter älterer Lehrer | |
| beschrieben wird, in ein heißes, vom jungen französischen Schauspieler | |
| Louis Garrel gespieltes Objekt der Begierde. Das führen sie folgerichtig in | |
| Slowmotion ein: Als Jo den Professor und seinen getrimmten Dreitagebart | |
| sieht, bleibt die Zeit stehen. | |
| Mit gutem Willen könnte man diese Entscheidung als Selbstermächtigung | |
| auslegen – immerhin dürfen sich mit Garrel und Timothée Chalamet als Jos | |
| bester Freund Laurie zwei altersmäßig passende Schauspieler in den Rollen | |
| der Posterboys betätigen. Doch man ahnt, dass es nur um eins geht: Das | |
| Kino, wünschenswerterweise gefüllt mit Heterofrauen, soll kollektiv | |
| aufstöhnen. | |
| Neben dem Klaviergeklimper von Gefühlsroutinier Alexandre Desplat, das | |
| permanent das Emotionszentrum knetet, lassen Entscheidungen wie diese | |
| Gerwigs Film hinter die anderen, in ihrer Zeit verhafteten Adaptionen | |
| zurückfallen. George Cukors 1933 entstandene erste Tonfilmversion mit | |
| Katherine Hepburn als Jo wirkt mit seinen in porenloser Kintopp-Ästhetik | |
| ausgeleuchteten, korkenzieherlockigen und überspielenden Protagonistinnen | |
| authentisch – man glaubt ihr sogar das 19. Jahrhundert. | |
| Und die für drei Oscars nominierte Version „Betty und ihre Schwestern“, | |
| 1994 inszeniert von der australischen Regisseurin Gillian Armstrong und | |
| besetzt mit Winona Ryder als Jo und Christian Bale als Laurie, brachte | |
| bereits all das mit, was Gerwig teils in fast identischen Szenen ausstellt: | |
| Humor und Timing, Herzigkeit und Emanzipation, Energie, Liebe und | |
| Liebeskummer. | |
| ## Feministisch-frecher Prototyp | |
| Gerwig gilt seit ihrer Beteiligung an den Filmen ihres Partners Noah | |
| Baumbach, „Greenberg“ und [2][„Frances Ha“], und ihrem Regiedebüt „L… | |
| Bird“ als feministisch-frecher Prototyp der unerschrockenen „Alpha Woman“. | |
| Dem US-amerikanischen Mainstream-Kino-Frauenbild, das sich auch nach den | |
| nötigen Debatten nur mühsam ändert, hat sie dagegen mit ihrer Mädchenclique | |
| außer ein paar treffenden Bemerkungen und einer etwas erratischen, auf | |
| verschiedenen Zeitebenen verzahnten Dramaturgie kaum etwas hinzuzufügen. | |
| Ihre „Little Women“-Darstellerinnen sehen mit ihren ebenmäßigen Gesichtern | |
| aus wie vom Cover eines Liebesromans von Barbara Cartland hinabgestiegen. | |
| Folgerichtig bleiben sie auf der Bild- und Textebene so keusch wie die | |
| Vorlage: Es mag ja um Liebe im Spannungsfeld von moderner | |
| Gendergerechtigkeit gehen, doch die „body politics“ stammen aus dem | |
| vorletzten Jahrhundert. Die spielerischen, gekonnt durcheinanderwirbelnden | |
| Dialoge sind da kaum mehr als gutmütiges Geplänkel. | |
| Dabei hat neben anderen die britische Regisseurin Andrea Arnold just | |
| vorgemacht, wie ein romantischer, ebenso oft adaptierter Liebesstoff von | |
| 1847 übertragen werden kann, ohne ihm das Zeitkolorit zu nehmen: In Arnolds | |
| flirrender Version von Emily Brontës „Sturmhöhe“ spielte 2011 der | |
| dunkelhäutige britische Schauspieler James Howson den getriebenen | |
| Außenseitercharakter Heathcliff – und gab ihm eine starke körperliche | |
| Authentizität. | |
| Von solchen Ideen hält Gerwig Abstand. Und so ist das Vergnügen, den | |
| Schauspielerinnen zuzuschauen, wie sie sich zu Dallmayr-Prodomo-Werbemusik | |
| bunte Schürzen an- und ausziehen, recht vergänglich. | |
| 28 Jan 2020 | |
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| ## AUTOREN | |
| Jenni Zylka | |
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