# taz.de -- Ian Penman „Fassbinder“: Radikalität hat ihre Zeit | |
> Der Autor Ian Penman denkt sich in einem Mosaik aus Splittern durch | |
> Rainer Werner Fassbinders Filme und das eigene Leben: „Fassbinder“. | |
Bild: Rainer Werner Fassbinder in einer Szene des Films KAMIKAZE 1989 | |
Dies ist kein Buch, dessen Autor sich seinen Gegenstand mit akademischer | |
Distanz ausgesucht hat. Der Gegenstand hat ihn vielmehr selbst in prägenden | |
Jahren gepackt, daran lässt Ian Penman keinen Zweifel: „In meinem Leben hat | |
es eine Zeit gegeben (gegen Ende meiner Teeniejahre, Anfang zwanzig), da | |
war ich von Fassbinder komplett besessen.“ Penman ist Jahrgang 1959, es | |
geht also um die späten siebziger Jahre, da hat Fassbinder noch gelebt. | |
Er war in den Medien und weit über Deutschland hinaus präsent, berühmt, | |
berüchtigt, wie verrückt produktiv, hat einen Film nach dem anderen | |
gedreht, bevor er dann 1982 starb, an einem Schlaftabletten- und | |
Drogen-Cocktail, an der Intensität eines Lebens, das er in den 37 Jahren, | |
die er hatte, ausgekostet hat bis zum Letzten. | |
Dies ist ein Buch, das sich allen Genres entzieht. „Fassbinder“, so lautet | |
der Titel, mag sein Alpha und sein Omega sein, aber es passt weiß Gott | |
alles mögliche Andere mit hinein. Der Untertitel, „Tausende von Spiegeln“, | |
beschreibt ein zentrales Motiv von Fassbinders Filmen, aber es sind auch | |
Tausende Spiegel, in denen Ian Penman sich selbst, und sich selbst in | |
seiner Zeit, reflektiert. | |
Nur sind diese tausend Spiegel vielfach gesplittert, das Buch ist eine | |
große Konfession, ein Memoir, ein von poststrukturalistischer Theorie | |
grundiertes Assoziationsineinander, die Wiederbegegnung mit dem eigenen | |
Leben, unterteilt in 450 Abschnitte, viele davon rasend kurz. Der letzte | |
wird lauten: „Es ist schon spät. Geh schlafen, Mann.“ | |
## Mittendrin in der eigenen Zeit | |
Hierzulande ist Penman wenig bekannt. In Großbritannien ist er aber eine | |
Größe, etwas wie ein pop writers’ writer, einflussreich als Autor der | |
damals legendären Musikzeitschrift NME (New Musical Express), bei der er | |
nicht der einzige war, der sich für die neue Musik, Punk, Post-Punk, New | |
Wave etc. öffnete, und immer zugleich auch für Schreibweisen, die Theorie | |
mit Drogenkonsum und Slang und Pun und radikaler Subjektivität mixten, ein | |
wenig wie in Deutschland dann Sounds und Spex, einerseits esoterisch, | |
nichts für die Masse, aber doch mittendrin in der eigenen Zeit. | |
Und dadurch mit einem wie Fassbinder in direkter Verbindung, der aus einer | |
ganz anderen Welt, nämlich der damals aufregenden Münchner Provinz kam, im | |
Theater mit seiner Truppe, die selbstverständlich antitheater hieß, kurz | |
Anlauf nahm und dann im Kino, auch im Fernsehen, nicht nur in Deutschland, | |
eine Schneise des Hasses und der Bewunderung hinterließ. | |
Dieses Buch hat 450 Abschnitte und tausendundeinen Gedanken, es ist ein | |
Mosaik aus Splittern, die nur bedingt nach einem Zusammenhang suchen. | |
Fassbinder ist der magnetische Pol, der ein wenig Ordnung hineinbringt, | |
Fassbinder als Zentrum von Penmans Porträt seiner selbst, seiner Zeit, der | |
„Fassbundesrepublik“, aber der Weg ist nie weit zu Genet, zu Kippenberger, | |
zu Artaud und zu Straub und Huillet, von der eigenen Biografie zum | |
Fassbinder-Psychogramm, in dem diese sich womöglich ihrerseits spiegelt: | |
„Was er sucht, ist nicht ein fernes Ideal, es ist sein eigenes echtes, | |
wahres, uneingeschränktes Selbst. Eines, das von sich selbst nicht | |
entfremdet ist, in seinem Begehren frei, unangetastet, wach und lebendig in | |
allen Nervensträngen, unverwickelt in Herrschaftsverhältnisse. | |
Das Problem: Er entdeckt, dass sein wahres Selbst streitsüchtig ist, | |
unzufrieden, mit einem unstillbaren Durst.“ (Für Penmans artifizielles | |
Pop-Idiom hat Robin Detje in seiner Übersetzung ein unangestrengtes | |
deutsches Pendant nacherfunden.) | |
## Fasziniert vom Werk Fassbinders | |
Es kann nicht anders sein: Das Ich, das von Fassbinder besessen war, | |
erkennt Penman beim [1][Wiedersehen der Filme] nur in Teilen noch wieder. | |
Er bleibt fasziniert, von der Figur wie vom Werk, aber gerade die | |
konsequente Abwesenheit des Glückenden, ja, der Transzendenz und des | |
Sakralen, auch der Natur, befremdet ihn nun: „Als ich jung war und vom | |
Leben keine Ahnung hatte, kam mir so etwas hellsichtig und wahrhaftig vor. | |
Heute frage ich mich: Ist diese Art Weltsicht nicht allzu typisch und allzu | |
bequem für einen in seiner Entwicklung steckengebliebenen Mann?“ | |
Es gibt viele Arten, vom Leben eine und keine Ahnung zu haben. Und | |
vielleicht ist das Interessanteste an dem manchmal auch etwas | |
selbstverliebt geschwätzigen, nichts zu Ende denkenden Text, dass es diese | |
Differenzen performt und umkreist. Keine Abrechnung, aber doch eine | |
Reflexion auf die Umwertung mancher Werte, dazu die Einsicht, dass | |
Radikalität ihre Zeit hat. Und zugleich die Frage danach, was von | |
Fassbinder, nein, nicht bleibt, sondern: heute noch lebt. Vielleicht nicht | |
das Schlechteste, was man über dieses Buch sagen kann: Es macht große Lust, | |
[2][sich auf Fassbinders Filme zu stürzen], um das am eigenen Selbst zu | |
prüfen. | |
17 Feb 2024 | |
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## AUTOREN | |
Ekkehard Knörer | |
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