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# taz.de -- Start des Berlinale-Wettbewerbs: Gefangen im Melodram
> 50 Shades of Braun: Der Berlinale-Wettbewerb startet mit François Ozons
> allzu penetranter Fassbinder-Reminiszenz „Peter von Kant“.
Bild: Denis Ménochet und Isabelle Adjani in „Peter von Kant“
Eine Hommage unterscheidet sich von der bloßen Anspielung vor allem durch
eines: Deutlichkeit. Und tatsächlich gibt es nichts daran zu deuteln, dass
François Ozon mit seinem neuen Film „Peter von Kant“ [1][Rainer Werner
Fassbinder] Reverenz erweist.
Man muss noch nicht einmal besondere Filmgeschichtskenntnisse besitzen, um
zu erschließen, dass der Titel sich auf Fassbinders „Die bitteren Tränen
der Petra von Kant“ bezieht, ein ursprünglich von Fassbinder [2][fürs
Theater geschriebenes Stück], das er 1972 selbst verfilmt hat, mit Margit
Carstensen und Hanna Schygulla in den Hauptrollen.
In Ozons Hommage sind drei der Figuren nun männlich statt weiblich, aus
einer lesbischen Liebesverstrickung wird eine schwule – auch das ist aber
weniger eine Umkehrung oder Revolutionierung der Perspektive als eine
Verdeutlichung. Dass sich in der Modeschöpferin Petra von Kant und ihrem
obsessiven Liebesgebaren ein Selbstporträt Fassbinders mehr oder weniger
„verbarg“, gehört lange schon zur gängigen Interpretation.
## Verdeutlichung over the top
Weshalb es fast ein bisschen ratlos macht, dass Ozon in „Peter von Kant“
seinen Hauptdarsteller Denis Ménochet in vielen Szenen mittels einzelner
ikonischer Kleidungsstücke und Sonnenbrille auch äußerlich noch dem großen
Vorbild anverwandelt. So deutlich, überdeutlich wird das Ganze, dass man
fast verführt ist, „wir haben es kapiert!“ gen Leinwand zu rufen.
Oder aber, wie in einer der Pressevorführungen geschehen, Szenenapplaus zu
geben, wenn mit Hanna Schygulla als Peters Mutti, der sich verneigende
Anschluss an die Originalbesetzung – Schygulla verkörperte bei Fassbinder
das sich entziehende Objekt der Begierde Karin – vollzogen wird.
Ozon hat auch die theaterhafte Anmutung der Vorlage beibehalten. Die 90
Minuten Laufzeit teilen sich klar in verschiedene Akte, einziger Schauplatz
ist Peter von Kants Wohnung, die nur zur Eröffnung des jeweiligen Akts in
Außenansicht gezeigt wird: eine ausgebaute Remise mit einem hübschen
Plätzchen davor, dahinter ist die Skyline von Köln mit dem Dom als Kulisse
zu erkennen.
## Geisterhaft alterslose Isabelle Adjani
Peter von Kant ist, das dürfte jetzt niemanden mehr wundern, ein
Filmregisseur; die mit ihm befreundete Sängerin Sidonie (gespielt von einer
fast geisterhaft alterslosen Isabelle Adjani) macht ihn mit dem jungen,
schönen Amir (Khalil Ben Gharbia) bekannt. Peter bietet ihm eine Rolle und
sein Herz an, und muss doch wenig später, als Amir zum Star aufsteigt,
feststellen, dass er ausgenutzt wurde.
Völlig gefangen im eigenen großen Melodrama bleibt Peter blind dafür, dass
er seinerseits Sekretär Karl (Stefan Crepon) immer nur befehligt und
ausbeutet. „Karl! Hol den Champagner!“ – der Satz wird fast zum Running
Gag. Auch hier neigt Ozon dazu, etwas zu verdeutlichen, was schon von der
ersten Szene an klar ist. Und ja, die Zeilen vom Mann, der tötet, was er
liebt, werden auch gesungen.
So eklatant ist der Mangel an Subtilität, dass man versucht ist, wenigstens
im Umgang mit [3][dem deutschen Setting] etwas Spielerisches zu erkennen,
im 70er-Jahre-Interieur mit seinen vielen Brauntönen, darin, dass Hanna
„Mutti“ gerufen wird und Peter auch mal Lederhosen anzieht. Man hätte sich
mehr Leichtigkeit und Ironie gewünscht.
11 Feb 2022
## LINKS
[1] /Fassbinder-Dokumentarfilm-auf-DVD/!5685230
[2] /Fassbinders-Katzelmacher-am-BE/!5665562
[3] /Kolumne-Was-bisher-geschah/!5381590
## AUTOREN
Barbara Schweizerhof
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