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# taz.de -- Filme über Transition auf der Berlinale: Schmetterlinge verbrennen
> Wie man wird, wer man ist: Von Transidentität erzählen im
> Panorama-Programm der Berlinale die italienischen Filme „Swing Ride“ und
> „Into My Name“.
Bild: Nicolò Sproccati, Raffaele Baldo, Andrea Ragno und Leonardo Arpino in �…
Benedetta ist ein italienischer weiblicher Vorname und bedeutet: die
Gesegnete. Die pummelige 15-jährige Benedetta wird von ihrer Mutter zu
einem Ernährungsberater gebracht. In der Praxis wird sie genau gemessen und
gewogen. Man solle mehr auf die Diät achten, so das knappe Urteil des
Arztes. „Eigentlich isst das Mädchen gar nicht so viel“, rechtfertigt sich
die Mutter. Benedetta schweigt und, wieder zu Hause angekommen, schließt
sich in ihr Zimmer ein.
Als in dem anonymen Vorort von Rom, in dem Benedetta wohnt, ein
heruntergekommener Jahrmarkt Station macht, ändert sich ihr monotones
Leben. Auf ihrem Schulweg über staubige Landstraßen hält plötzlich ein Auto
an. Benedetta beobachtet, wie ein schlanker, junger Mann nicht besonders
freundlich aus dem Wagen rausgeschmissen wird. Er heißt Amanda.
Dem wegfahrenden Freier hinterherfluchend, sammelt Amanda ihre Sachen ein
und trifft auf Benedettas fast hypnotisierten Blick. „Wie heißt du?“ –
„Benedetta“ – „Und von wem, bitte?“, erwidert Amanda ironisch. Das M�…
das sich tatsächlich von dieser besonderen Begegnung gesegnet fühlt, starrt
Amanda schweigend an, neugierig und fasziniert. Amanda, die zur
Jahrmarkttruppe gehört, lässt das Mädchen in ihren Schausteller-Wohnwagen,
ihr Zuhause, eintreten. Ab jetzt setzt für Benedetta ein unumkehrbarer
Prozess von Identitätssuche und Entdeckung ein, den sie mutig und nicht
ohne Risiken und Enttäuschungen geht.
## Leo macht einen Podcast
Die italienische Regisseurin Chiara Bellosi (2020 mit „Ordinary Justice“
auf der Berlinale) rückt ihren Figuren in „Swing Ride“ auf die Pelle. Mit
ruhigen Beobachtungen und vielen Nahaufnahmen gelingt es ihr, die
Unsicherheit Benedettas (überzeugendes Debüt: Gaia Di Pietro) körperlich
spürbar zu machen. Amanda (mühelos genderfluid: Andrea Carpenzano) ist
besessen von ihrem Aussehen, sie verbringt viel Zeit vor dem Spiegel und
hat eine Leidenschaft für Stoffschmetterlinge, die sie selbst bastelt.
„Sie leben eine Woche, und nur um sich schön zu machen“, verrät sie
Benedetta. Wenn die beiden später an einem Lagerfeuer sitzen, werden die
Schmetterlinge verbrannt, wie in einem Reinigungsritual, denn: „Sie waren
schön, aber jetzt sind sie alt.“ Wachsen ist nichts für Feiglinge.
Ums Wachsen geht es auch in dem Dokumentarfilm „Into My Name“ („Nel mio
nome“), des italienischen Regisseurs Nicolò Bassetti, genauer gesagt, um
das Wachsen mit dem eindeutigen Gefühl, im „falschen“ Körper geboren zu
sein. Nic, Leo, Andrea und Raff sind vier Freunde, die zu dem einen Prozent
der trans* Personen weltweit zählen, etwa 80 Millionen Menschen sind es
insgesamt.
Alle vier wurden als Mädchen sozialisiert. Alle vier entscheiden sich für
einen individuellen Transitionsprozess. Im Film, der vom kanadischen
Schauspieler und Produzenten Elliot Page, früher Ellen, mitproduziert
wurde, haben die Protagonisten das Wort. Es wird nicht über sie geredet,
sie halten das Mikrofon, und zwar wörtlich, direkt in der Hand: Leo macht
einen Podcast mit dem Ziel, die Stimmen, die teils sehr unterschiedlichen
Erfahrungen und Biografien seiner Freunde, der Öffentlichkeit zu
präsentieren.
Schon die Frage, die jeder von ihnen irgendwann gestellt bekommen hat,
„Bist du ein Junge oder ein Mädchen?“, ist für Leo extrem heikel, sogar
existenziell. Wird man möglicherweise gar nicht als Mensch wahrgenommen,
wenn man sich weder in dem einem noch in dem anderen Geschlecht erkennt?
Findet ein schleichender Prozess der „Dehumanisierung“ statt?
Am Anfang des Films erfahren wir, dass 2017 in einem Urteil eines
italienischen Gerichts festgestellt wurde, dass es keinen Raum für ein
drittes Geschlecht gibt. Die legale Prozedur, um seinen Namen zu ändern –
Nic zum Beispiel war früher mal Irene –, ist nicht einfach. In einer
bewegenden Szene in dem schönen Landhaus, wo sie wohnen, unterhalten sich
Nic und seine langjährige Freundin mit einer Juristin. Ihre lang ersehnte
Eheschließung wird am Ende so aussehen wie eine zwischen einem Mann und
einer Frau. Entspricht das den Tatsachen? Ist das gerecht?
Was ist ein Name? Ein Name ist nicht nur eine bürokratische Angelegenheit,
sondern auch eine Frage der Identität. Im Deutschen Bundestag wird nun
konkreter über die [1][Abschaffung des Transexuellengesetzes] zugunsten des
[2][Selbstbestimmungsgesetzes] diskutiert. Mit seinem Film könnte Nicolò
Bassetti, selber Vater eines trans* Sohnes, Anstöße für die Debatte in
Italien bringen.
16 Feb 2022
## LINKS
[1] /Anne-Spiegel-ueber-Ampelplaene/!5821001
[2] /Hetze-gegen-Selbstbestimmungsgesetz/!5818120
## AUTOREN
Sara Piazza
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Schwerpunkt Berlinale
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Italien
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