# taz.de -- Schauspieler*innen über deutsches TV: „Die Wirklichkeit ist scho… | |
> Was tut sich in Sachen Queerness im Fernsehen, ein Jahr nach #ActOut? | |
> Zwei Schauspieler*innen über Fortschritte – und was sich noch ändern | |
> muss. | |
Bild: Endlich: queere Geschichten im deutschen Fernsehen! (Hier: „Loving her�… | |
taz am wochenende: Oska Melina Borcherding, Martín Peñaloza Cecconi, | |
[1][mit der Intitiative ActOut vor einem Jahr] kritisierten queere | |
Schauspieler*innen unter anderem, dass ihnen in der Branche immer | |
wieder vom Coming-out abgeraten werde. Wer sagt so etwas? | |
Oska Melina Borcherding: Wir müssen ein bisschen aufpassen, dass wir das in | |
der Branche nicht immer einer Berufskategorie zuschieben. Ich glaube, dass | |
einfach eine Art Automatismus darüber herrscht. „Behalte es für dich, dann | |
ist alles leichter.“ Ich habe das selbst oft erlebt – als wirklich | |
wohlgemeinte Ratschläge. Viele würden jetzt vielleicht sagen, „das sind vor | |
allem die Caster*innen und Agenturen“, ich möchte das aber, wie gesagt, | |
denen allein nicht zuschieben. Ich spüre da eher insgesamt einen Vibe. „Es | |
ist einfacher, wenn du dich nicht outest. Hol dir diese Schwierigkeiten | |
nicht!“ | |
Ist es denn einfacher? | |
Martín Peñaloza Cecconi: Ich kann mir vorstellen, dass es für das Draußen | |
erst mal leichter ist. Aber ich muss sagen, ich will diese Freiheit nicht | |
missen. Ich spiele sehr gerne andere Menschen – aber dann will ich in der | |
Zeit, wo ich ich bin, wirklich ich sein. Die Frage ist natürlich auch: | |
geoutet als was? Das eine ist die Geschlechtsidentität, das andere die | |
sexuelle Orientierung. | |
Borcherding: Wir haben unterschiedliche Privilegien innerhalb der LGBTQIA+ | |
Community. Als ich kapiert habe, dass ich trans bin, hat mich die | |
Vorstellung, mich zu outen, lange in Panik versetzt. Ich dachte immer, das | |
sei verbunden mit einem Berufsausstieg. Dass ich nie wieder als | |
Schauspieler würde arbeiten können. Es hat mir wirklich Panikattacken | |
gemacht. Ich habe aber mit der Zeit gemerkt, dass es einfach nicht möglich | |
ist für mich, ungeoutet zu sein. | |
Ich bin eine Person, die zu 90 Prozent als weiblich gelesen wird. Ich fühle | |
mich aber zu 90 Prozent als männlich. Da gibt es kein Drumherumkommen ums | |
Outen, wenn ich als ich leben und glücklich sein will. Ich versuche jetzt | |
öfter darauf aufmerksam zu machen, dass ich ein „Er“ bin, dass ich | |
trans*nichtbinär bin. Gleichzeitig macht das Angst: Was, wenn Leute | |
jetzt denken, dass ich eine Diva bin? Was, wenn ich jetzt alles kompliziert | |
mache? Und wenn plötzlich die Leute sich nicht mehr trauen, mit mir zu | |
arbeiten, weil sie Angst haben, alles falsch zu machen? | |
Peñaloza Cecconi: Das sehen wir doch bei allen Diskriminierungsformen. | |
Sobald eine marginalisierte Gruppe die Stimme erhebt, fühlen sich die | |
Oppressoren beraubt und sagen: „Das macht jetzt aber alles sehr | |
kompliziert!“ | |
Im Süddeutsche Zeitung Magazin damals hat der Schauspieler Tucké Royale | |
gesagt: „Ich hatte Angst, wenn ich mich oute, dass ich mein Rollenfach | |
ändern muss.“ Was ist ein Rollenfach und warum ist das relevant? | |
Borcherding: Rein theoretisch kann ich zwar alles spielen, denn ich bin | |
ausgebildet und ich persönlich finde es geil, mich zu verwandeln. | |
Stattdessen aber wird typisiert – vor allem in der deutschen Film- und | |
Fernsehbranche. Das ist dann das Rollenfach. | |
Als ich noch ungeoutet war, kam es häufiger vor, dass Leute meinten, es sei | |
nicht so ganz klar, welche Frauenrollen ich spielen kann. Nach meinem | |
Outing war ich dann wiederum nicht trans genug. „Also du siehst halt jetzt | |
doch einfach aus wie eine Frau.“ Anderes Beispiel: Ich bin auch Grieche, | |
aber dann heißt es: „Nee, du siehst nicht aus wie ein Grieche.“ | |
Sie sagen „vor allem in der deutschen Film- und Fernsehbranche“. Wie ist es | |
im Theater? Das Theater hat ja eine Crossdressing-Tradition. Gibt es da | |
Unterschiede: zwischen Bühne und Kamera? | |
Peñaloza Cecconi: Ja, aber das kommt dann auf die Regie an. Vor Kurzem habe | |
ich ein Buch gelesen, das ich sehr liebe und nur empfehlen kann: | |
[2][„Steine schmeißen“ von Sophia Fritz]. Da kommen unterschiedlichste | |
Identitäten und Orientierungen vor, sind einfach da. Das wird nicht groß | |
aufgebauscht, nein, die leben einfach. Ich bin der Meinung, dass es mehr | |
Repräsentation braucht und dass das etwas verändert in der Wahrnehmung, in | |
der Realität. Momentan ist es so, dass das – nicht alles, aber vieles – die | |
Wirklichkeit von vor zwanzig Jahren abbildet, oder die regressive Realität | |
in den Köpfen weniger. Da ist die Wirklichkeit draußen auf den Straßen | |
längst weiter. | |
Steht dahinter eine Angst, dass man das mir, dem Publikum, nicht zumuten | |
kann? | |
Peñaloza Cecconi: Ja, aber meiner Meinung nach ist das ein bevormundender | |
Gedanke. | |
Borcherding: Es hat eine wahnsinnige Arroganz, zu behaupten: „Das verstehen | |
die nicht.“ Das ist so ein Argument, das mich mittlerweile sauer macht. Vor | |
allem, wenn es aus einem Raum voller homogener Leute kommt. Vor wem habt | |
ihr jetzt Angst, gewisse Dinge zu zeigen, vor euch oder vor anderen? | |
Peñaloza Cecconi: Wenn die Kunst nicht den Absprung schafft, wer dann? | |
Borcherding: Wenn wir zum Ziel haben, etwas Authentisches wiederzugeben, | |
dann dürfen wir nicht vergessen: Die Wirklichkeit ist überfordernd und | |
komplex und vielschichtig. Das fehlt mir immer noch. Ich sehe ja viele | |
Bemühungen im Film und Fernsehen, sich ein bisschen diverser zu gestalten. | |
Aber Stoffe über trans Personen beispielsweise handeln fast immer nur von | |
jungen Leuten. | |
Die Serien „Loving Her“, „All you Need“ und „Wir“ erzählen eigenst… | |
schwule und lesbische Geschichten. In der neuen RTL-Familienserie | |
„Friedmanns Vier“ kommt ein trans Kind vor. Ein Jahr nach ActOut, was hat | |
sich aus Ihrer Sicht bewegt? | |
Borcherding: Ich möchte der Branche noch nicht zu viel vorwerfen, ein Jahr | |
später ist nicht viel Zeit. Ich habe mich sehr über diese queeren Stoffe | |
gefreut, über die lesbischen und schwulen Serien, die auch versucht haben, | |
ein realistisches Bild von der Community zu zeichnen. Und war dann | |
gleichzeitig ein bisschen traurig, dass trans und nichtbinäre Menschen | |
vergessen wurden, die sich durchaus als lesbisch und schwul und als Teil | |
dieser Communitys identifizieren. | |
Peñaloza Cecconi: Als Nächstes müssen wir schauen, in welche Ebenen diese | |
Figuren vordringen. Eine Miniserie mit einer queeren Hauptrolle, okay – | |
aber ich bin gespannt, ob wir auch mal Kinohauptrollen sehen werden. | |
Borcherding: Ich nehme durchaus wahr, dass viele Castings inzwischen | |
explizit auch nach trans und nichtbinären Personen suchen. Oft von | |
außerhalb Deutschlands, aber nicht nur. Also was ich an Veränderung | |
wahrnehme in der Branche, ist auf jeden Fall ein Bewusstsein. Ich habe | |
letztes Jahr aber zum Beispiel auch eine Sache erlebt, die ich bezeichnend | |
fand. Für ein deutsches Format wurde händeringend nach einem trans Mann | |
gesucht. Ich habe dann von drei verschiedenen cis Männern Anrufe bekommen: | |
Sie hätten da diese Anfrage und sie wüssten nicht so recht, und – ob sie | |
das jetzt dürften …? | |
Dürften sie? | |
Borcherding: Ich habe die klare Meinung, dass wir nicht an einem Punkt sind | |
in der Geschichte, an dem trans Personen von cis Personen gespielt werden | |
sollten. Ich weiß nicht, ob ich diese Meinung immer haben werde, momentan | |
habe ich sie. Ich finde total schön, dass sich cis Kollegen und Kolleginnen | |
inzwischen solidarisieren und sagen: „Das mache ich nicht mehr! Das habe | |
ich jetzt begriffen, dass das für viele Menschen verletzend ist.“ Aber der | |
traurige Ausgang dieser Geschichte ist, dass am Ende doch wieder ein cis | |
Mann die Rolle gespielt hat. Das finde ich schon bitter. | |
Peñaloza Cecconi: Wenn cis Personen trans Figuren spielen dürfen, aber | |
nicht andersherum, dann haben wir ein Problem. | |
Borcherding: Ein Gegenargument, das häufig kommt, lautet ja: „Aber spielen | |
ist doch Verwandlung! Dann sollten doch alle alles spielen!“ Es geht aber | |
nicht darum, dass das Spielen verboten wird. Es geht darum, dass Spielen | |
ein Privileg ist. Schauspielen war nie etwas – jetzt mal für Deutschland, | |
Österreich, Schweiz gesprochen –, das immer alle machen durften. Nein, es | |
gab ein paar Leute, die haben sich in alle anderen verwandelt; haben sich | |
auch über bestimmte Gruppen lustig gemacht – und unser Bild über diese | |
geprägt. „Aha, ihr wollt jetzt nur noch spielen, was ihr seid?“ Nein, es | |
geht um ein Machtbewusstsein, um ein Bewusstsein an Teilhabe. Es geht | |
darum, dass jede Person die Chance haben soll, zu spielen und besetzt zu | |
werden. | |
Peñaloza Cecconi: Also ich hasse ja dieses ganze Kategorisieren. Bist du | |
jetzt dies oder das, damit kann man mich jagen! Wenn mensch diese | |
Kategorien aufmacht, dann nur als Zwischenschritt, um sie irgendwann | |
hoffentlich wieder abzuschaffen. Aber es ist einfach gerade nicht so, dass | |
wir auf einer friedlichen Insel leben, wo alle gleichberechtigt sind. | |
Borcherding: Leider auch nicht innerhalb der Community. Was im Zuge von | |
ActOut viel vorkam, waren Reaktionen wie: „Ach, alle sind jetzt queer, aber | |
sie vergessen die Frauen.“ Diese terf-Bewegung, also die „trans excluding | |
radical feminists“ … | |
… Feminist*innen, die glauben, dass die Fortschritte für trans Menschen | |
zulasten von cis Frauen gehen … | |
Genau. Diese Bewegung erstarkt in Deutschland gerade leider. [3][Nehmen wir | |
den Angriff der Emma neulich gegen die trans Politikerin Tessa Ganserer]. | |
Ich finde diese Bewegung gefährlich und bedrohlich und wünsche mir, dass | |
Feministinnen und Feministen ihre Standpunkte überprüfen. Dass sie gucken: | |
„Kann es sein, dass ich manchmal trans-exklusiv bin? Kann es sein, dass ich | |
manchmal kein guter Ally bin für trans Personen?“ Ich glaube, dass das | |
etwas ist, in das man leicht reinrutschen kann. | |
5 Feb 2022 | |
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## AUTOREN | |
Peter Weissenburger | |
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