| # taz.de -- Regisseurin über Gender Transition: „Kinder wissen genau, wer si… | |
| > Die baskische Regisseurin Estibaliz Urresola Solaguren spricht über | |
| > Gender Transition bei Kindern. „20.000 Arten von Bienen“ ist ihr | |
| > Regiedebüt. | |
| Bild: Von Aitor über Cocó hin zum richtigen Namen: Lucía (Sofía Otero) | |
| Ein achtjähriges Kind wächst als Junge auf und fühlt sich als Mädchen. Die | |
| wohlwollende Mutter nennt Aitor längst Cocó, doch das Kind will Lucía sein. | |
| Wie die Familie damit umgeht und durch die Transition der kleinen Lucía vor | |
| allem die Frauen eigene Lebenswege und Rollenmuster in Frage stellen, | |
| erzählt die baskische Filmemacherin Estibaliz Urresola Solaguren in ihrem | |
| Regiedebüt „20.000 Arten von Bienen“ ebenso vielschichtig wie berührend. | |
| Ein Gespräch über Herkunft, Identitätssuche und junge weibliche Stimmen im | |
| spanischen Gegenwartskino. | |
| taz: Frau Urresola Solaguren , im Mittelpunkt Ihres Films steht das trans | |
| Mädchen Lucía, gespielt von der zum Zeitpunkt des Drehs neunjährigen | |
| [1][Sofía Otero, die dafür im Februar auf der Berlinale mit dem Silbernen | |
| Bären als beste Hauptdarstellerin ausgezeichnet] wurde. Sie ist | |
| hervorragend, trotzdem stellt sich die Frage: Warum haben Sie die | |
| Transfigur mit einem cis Mädchen besetzt? | |
| Estibaliz Urresola Solaguren: Wir haben bei unserer Recherche viele | |
| Familien mit trans Kindern kennengelernt und natürlich wäre es toll | |
| gewesen, ein trans Mädchen zu besetzen, aber wir haben schlicht keines in | |
| dem Alter gefunden, das fließend Spanisch und Baskisch spricht und die | |
| Hauptrolle in einem Kinofilm spielen wollte. Und selbst wenn, wäre es von | |
| so vielen anderen Faktoren abhängig gewesen, in welcher Phase der | |
| Transition das Kind ist, wie unterstützend die Eltern sind, all das wäre | |
| sehr delikat und mit großer Verantwortung verbunden gewesen. Wir haben uns | |
| dann für ein cis Mädchen entschieden, weil sich Lucía als Mädchen fühlt und | |
| auftritt. Ein Junge wäre da nicht infrage gekommen. | |
| Der Blickwinkel des Films wechselt zwischen Lucía, der Mutter und anderen | |
| Familienmitgliedern. Warum war diese Multiperspektive wichtig? | |
| Bei der Recherche begegnete ich immer wieder Eltern, die mir erzählten, | |
| dass die eigentliche Transition in der Familie passiert. Denn die Kinder | |
| wissen bereits sehr genau, wer sie sind. Nun ist es an den Eltern, sich | |
| anzupassen. Bei vielen führt das dazu, das eigene Leben zu hinterfragen, | |
| die Erfahrungen, die sie gemacht haben, und wie sie selbst durch ihre | |
| Genderidentität eingeschränkt sind. | |
| Wir alle sind Konstrukte bestimmter Rollenmuster, und das prägt unser | |
| Verhalten. Diese Wandlungen innerhalb der Familie wollte ich im Film | |
| erkunden, vor allem, wie die unterschiedlichen Generationen von Frauen mit | |
| der Situation umgehen. Die Älteren etwa hatten viel größere Widerstände, | |
| sich frei zu entfalten, ihre Identität zu finden, ihr sexuelles Begehren zu | |
| erkunden, sich beruflich zu verwirklichen. | |
| Wie offen waren die Eltern, mit denen Sie gesprochen haben? | |
| Ich habe 2018 mit der Suche begonnen, und die ersten Familien, die ich | |
| damals kennenlernte, erzählten mir von ihren Erfahrungen der Transition | |
| ihres Kindes, die sie etliche Jahre zuvor gemacht hatten. Andere schrieben | |
| ihre teils sehr intimen Berichte auf und schickten sie mir. All das war | |
| mein Ausgangsmaterial, aber ich merkte schnell, dass deren Erfahrungen von | |
| damals andere sind als von Familien, die jetzt mit der Transition eines | |
| Kindes umgehen. | |
| Warum? | |
| Weil sich gerade so viel ändert in der Sensibilität gegenüber nicht | |
| genderkonformen Menschen und damit auch Kindern. Also befragte ich erneut | |
| Familien, und es änderte viel im Drehbuch, vor allem Ane, die Mutter. Sie | |
| erkennt lange nicht, was ihr Kind will und braucht. Das liegt aber nicht | |
| daran, dass sie konservativ und engstirnig ist. Sie ist angelehnt an die | |
| vielen Mütter, die mir erzählten, wie stolz sie zunächst waren, einen | |
| femininen Sohn zu haben. Sie fühlten sich modern, weil sie ihren Jungs die | |
| Freiheit gaben, sich zu finden und eine neue, sanftere, weniger toxische | |
| Maskulinität heranwachsen sahen. Und sie mussten einsehen, wie falsch sie | |
| damit lagen. So auch Ane im Film. | |
| Wie erklären Sie sich dieses Bedürfnis, von den Erfahrungen zu erzählen? | |
| Weil sie es als große Erleichterung empfanden, nicht alleine zu sein. Noch | |
| 2018 haben viele der Eltern erzählt, wie verunsichert sie lange waren, weil | |
| sie nicht verstanden, was in ihren Kindern vorging und wie sie damit | |
| umgehen sollten. Kinder und Eltern fühlten sich je auf ihre Weise allein. | |
| Bis sie Gruppen und Vereine fanden und andere mit ähnlichen Erfahrungen | |
| kennenlernten und sich austauschen konnten. Weil sie sahen, dass es völlig | |
| okay und natürlich ist, nicht in heteronormative Schubladen zu passen. Und | |
| sie wollen davon erzählen, um es denen, die nach ihnen kommen, leichter zu | |
| machen. | |
| Ganz nebenbei fängt der Film den Alltag im Baskenland ein. Menschen reden | |
| durcheinander, es vermischen sich spanische und baskische Sprache, oft im | |
| selben Satz. Wie sind diese sehr organisch wirkenden Szenen entstanden? | |
| Für viele Bewohner des Baskenlandes ist es selbstverständlich, im Alltag | |
| zwischen beiden Muttersprachen zu wechseln. Sprache ist kulturelle | |
| Identität und diese Vielfalt sollte sich auch im Film widerspiegeln. Vor | |
| den Dreharbeiten probten wir drei Monate lang, um gemeinsam die Beziehungen | |
| zwischen den Familienmitgliedern zu entwickeln. Ich ermutigte die | |
| Schauspielenden, herauszufinden, was die Figuren mit ihnen selbst zu tun | |
| haben. Alles sollte so natürlich wie möglich wirken, wie eine echte | |
| Familie. Beim Dreh selbst gab es dann aber keine Improvisationen, die | |
| Szenen und Dialoge waren exakt geschrieben. | |
| Woher kommt dieses Interesse an Familienkonstellationen? | |
| Ich bin das fünfte von sechs Geschwistern und in einer sehr lebendigen, | |
| auch lauten Familie aufgewachsen. Das Leben spielt sich oft in mehreren | |
| Räumen gleichzeitig ab, mal passieren Dinge unbeachtet parallel, mal gibt | |
| es Konfrontationen. Dieses alltägliche Chaos wollte ich möglichst | |
| authentisch auf die Leinwand bringen. | |
| Es gibt derzeit eine ganze Reihe junger Filmemacherinnen aus Spanien, die | |
| sehr spezifische Geschichten aus ihren Regionen des Landes erzählen, wie | |
| etwa [2][Carla Simón, die 2022 mit „Alcarràs“ über eine katalonische | |
| Obstbauernfamilie den Goldenen Bären gewonnen] hat. Wie erklären Sie sich | |
| diese neue Welle weiblicher Stimmen im spanischen Kino? | |
| Es ist das Ergebnis eines langen Prozesses. Es wurde endlich anerkannt, | |
| dass es ein Gender-Ungleichgewicht gibt, das Ergebnis sozialer und | |
| kultureller Umstände ist und nicht naturgegeben. An den Universitäten und | |
| Filmhochschulen sind seit vielen Jahren mehr Frauen als Männer | |
| eingeschrieben, aber nur wenige Regisseurinnen konnten danach in der | |
| Branche Fuß fassen. Oder sie mussten sich wie ich bis Ende 30 mit | |
| Kurzfilmen abrackern, während die Jungs oft nach dem ersten Kurzfilm schon | |
| eine Serie oder einen Kinofilm drehen durften. Darauf haben die | |
| Förderinstitutionen nun endlich reagiert und unterstützen verstärkt | |
| Filmemacherinnen bei ihren Regiedebüts. Und das Ergebnis davon beginnen wir | |
| jetzt zu sehen. Da wird noch viel passieren in den nächsten Jahren. Wir | |
| fangen gerade erst an. | |
| Würde Ihr Regiedebüt denn anders aussehen, wenn Sie es bereits mit Ende 20 | |
| hätten verwirklichen können? | |
| Eine vertrackte Frage. Natürlich hoffe ich, mit dem Alter zu wachsen und | |
| eine gewisse Reife und Lebenserfahrung zu gewinnen, die auch im Film zum | |
| Ausdruck kommt. Aber ich möchte auch das Recht haben, simple, unreife und | |
| schlechte Filme zu machen, wie jeder Typ. | |
| Wie hielten Sie durch? | |
| Die eigene Stimme zu finden, ist immer schwer. Umso mehr, wenn Vorbilder | |
| fehlen. Wie soll ich als angehende Filmemacherin Selbstvertrauen finden, | |
| wenn es keine weiblichen Regisseure im Umfeld gibt, mit denen ich mich | |
| identifizieren kann? Deswegen ist diese Welle jetzt so wertvoll, weil wir | |
| uns mit dieser Präsenz gegenseitig pushen. | |
| 29 Jun 2023 | |
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| ## AUTOREN | |
| Thomas Abeltshauser | |
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