# taz.de -- Ausstellung „Hautnah“ von Barbara Baum: Luxus und Verführung | |
> Die Deutsche Kinemathek in Berlin stellt Arbeiten von Barbara Baum aus. | |
> Kleider und Hosenanzüge belegen die eindrucksvolle Arbeit der | |
> Kostümbildnerin. | |
Bild: Auch für „Aimée & Jaguar“ kamen die Kostüme von Barbara Baum zum E… | |
Wenn Kleider Leute machen – was macht dann ein „Kasack aus Crêpe de Chine | |
mit Goldlamé-Tüpfeln“ aus einem Menschen? Und wie fühlt sich jemand, der | |
ein „hautenges Abendkleid aus Silberlamé“ trägt, dessen Ärmel „übertr… | |
stark gepolstert“ sind? | |
In [1][Rainer Werner Fassbinders] luzidem Kriegsmelodrama „Lilli Marleen“ | |
tritt die Schauspielerin [2][Hanna Schygulla] in den genannten Kleidern | |
auf: Sie spielt die Sängerin Willie, die durch das Lied „Lili Marleen“ | |
während des Zweiten Weltkriegs Karriere macht – und trotz Erfolgs bei den | |
Nazis ihren jüdischen Liebhaber Robert nicht vergessen kann. Den „Kasack“, | |
eine Bluse mit überschnittenem V-Ausschnitt, trägt sie im Film unter | |
anderem bei einer Aussprache mit dem Liebsten: „Dir gefällt das doch“, | |
wirft er ihr den offenen Schulter(polster)schluss mit den Mördern vor, „Du | |
genießt die Vorteile die du dadurch hast.“ Sie antwortet: „In gewisser | |
Weise … schon.“ | |
Während sie die Szene spielt, leuchten die Blumen auf dem Kasack unter | |
einem Polarfuchspelz, den sie um den Hals trägt – ein unfassbarer, geradezu | |
unverschämter Luxus, der textil das unterstreicht, was Willie soeben | |
zugegeben hat. | |
Die Kostümbildnerin Barbara Baum, der die Deutsche Kinemathek momentan eine | |
Ausstellung mit dem Titel „Hautnah“ widmet, hatte die Kleider für Willie | |
genauestens geplant. Zeichnungen mit detaillierten Beschreibungen wurden | |
mit Stoffproben versehen, dazu kamen Fotos der Schauspieler*innen im | |
Kostüm. | |
## Meterweise Stoffproben | |
Geplant war die Show „zum Anfassen“ – man wollte Baums Arbeit und ihre | |
überragende Stoffkenntnis auch Blinden und Sehbehinderten vermitteln. Wegen | |
der Coronapandemie musste man ein wenig improvisieren: Wer den ersten der | |
zwei Räume betritt, in dem auch meterweise Stoffproben auf Bügeln | |
nebeneinander hängen, bekommt ein Tütchen mit Einmalhandschuhen | |
ausgehändigt. So bleibt das Textil dann doch nur indirekt erlebbar – | |
dennoch können die farbigen, golddurchwirkten Seiden- und Brokatstoffe ihre | |
Wirkung entwickeln: Kostümbild ist eine umfassende kreative Anstrengung. | |
Und die 76-jährige Baum, die für „Homo Faber“ auch mit [3][Volker | |
Schlöndorff zusammenarbeitete], ist eine Meisterin darin, sich einzufühlen: | |
„Diese Intuition ist Barbara Baums große Stärke“, wird der Regisseur | |
zitiert. | |
Im zweiten Raum der Ausstellung kann man das unmittelbar erleben: Hier | |
stehen die Kleider, Mäntel, Hosenanzüge und Pelze auf Modellen, und richten | |
ihre Botschaft an den oder die Betrachter*in. Denn wenn die Liebhaberin | |
eines verheirateten Frankfurter Industriellen unerwartet in einem goldenen, | |
tief dekolletierten Kleid auf dessen Geburtstagsparty auftaucht, dann teilt | |
sie damit etwas mit: Hier bin ich, und ich schäme mich nicht. Mode ist | |
Kommunikation – und Kostümbild, das im Rahmen eines eingerahmten Narrativs | |
erschaffen wird, erst recht. | |
## Das goldene Kleid der Rosemarie Nitribitt | |
[4][Nina Hoss] trug jenes goldene Kleid in [5][Bernd Eichingers] | |
Fernsehadaption des 1958 entstandenen Spielfilms über den Femizid an der | |
Prostituierten Rosemarie Nitribitt. Statuesk leuchtend wirkt das Kleid wie | |
ein großes, vestimentäres Ausrufezeichen. | |
Inwiefern Eichinger die selbstermächtigende Komponente des Kleidungsstücks | |
bewusst war, ist nicht klar – seine Kostümbildnerin hat sie auf jeden Fall | |
erkannt. Zusammen mit Nina Hoss’ Film-Maske, dem blonden Haar und dem roten | |
Lippenstift, wirkt es wie eine trotzige Marilyn-Monroe-Rüstung: Indem der | |
Stil der US-Schauspielerin bewusst zitiert wird, bekommt der Stoff eine | |
zusätzliche Ebene. Hoss alias Nitribitt, die nach der Szene im Goldkleid | |
sterben wird, drängt den Zuschauer*innen ihre von der High Society | |
ignorierte Präsenz geradezu auf, und stellt sich damit selbstbewusst neben | |
die Damen der besseren Gesellschaft. | |
Die mit zahlreichen Preisen ausgezeichnete Barbara Baum arbeitet seit dem | |
Ende der 1960er Jahre vor allem für historische Filme. Ihre Entwürfe, das | |
kann man in einem langen Interviewvideo erfahren, folgen den Entwicklungen | |
der Filmfiguren: Sie sollen „Gefühle ausstrahlen“, sagt sie. Wenn etwa | |
„Effi Briest“, 1974 verfilmt von Rainer Werner Fassbinder, im Laufe der | |
Geschichte immer ernster wird, muss sich auch das Kostüm zurückhalten. | |
Das „Kostüm“, in dem sich die Deutsche Kinemathek zeigt, hat sich übrigens | |
ebenfalls etwas geändert: Seit Anfang Oktober empfängt das Haus in einem | |
neuen, überarbeiteten Corporate Design, das sich in rundlichen Fonts und | |
bunten Flyern zeigt. Auf jeder Etage gibt es Sitzgelegenheiten, die | |
Stoffsessel wurden aus Theaterauflösungen „upgecycelt“, und verhelfen dem | |
kühlen Glasbau zumindest an ein paar Ecken zu einer redseligen | |
Gemütlichkeit. Und vor dem Bau flattern ein paar neue Flaggen: Auch sie | |
laden zur Kommunikation ein. | |
25 Oct 2020 | |
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## AUTOREN | |
Jenni Zylka | |
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