# taz.de -- DVD „Haus der Lügen“ von Marnier: Gegen die natürliche Raumor… | |
> Mit schöner Bösartigkeit inszeniert Sébastien Marnier die | |
> Klassendifferenzen in Frankreich. Sein Film ist eine Krimikomödie um eine | |
> fragwürdige Erbin. | |
Bild: Wer darf erben? Die Widersacherinnen aus „Haus der Lüge“ | |
Drei Schauplätze: ein Frauenknast, eine Fischkonservenfabrik, ein | |
Luxus-Anwesen auf der Côte-d’Azur-Insel Porquerolles. In aufsteigender | |
Reihenfolge. Und es verwundert nicht, dass es nicht nur die Heldin, sondern | |
auch den Film vom sozialen Unten ins Oben zieht. Er beginnt, auch das ist | |
klar, unten. Mit einer langen Einstellung, die Kamera schwebt wie ziellos | |
durch den Umkleideraum der Konservenfabrik, bleibt lange nirgendwo hängen, | |
als wäre erst einmal offen, wessen Geschichte von hier aus erzählt wird. | |
Natürlich landet sie am Ende aber doch auf der Figur, um die es ihr geht. | |
Die Frau, die wir als Stéphane (Laure Calamy) kennenlernen, arbeitet hier. | |
Ihre Lebensgefährtin (Suzanne Clément) ist im Knast. Was genau sie dahin | |
gebracht hat, erfährt man, wie manches Andere auch, erst im Weiteren, an | |
Überraschungen nicht armen Verlauf der Geschichte. Erst einmal schickt sich | |
Nathalie, in finanziell verzweifelter Lage – nun hat sie auch noch ihre | |
bescheidene Bleibe verloren – selbst in höhere Sphären. Sie ruft einen Mann | |
an, den sie nie gesehen hat, und sagt, sie sei seine verlorene Tochter aus | |
einer lange zurückliegenden Affäre mit Nathalies nun verstorbener Mutter. | |
So gelangt sie nach [1][Porquerolles]. Serge Dumontet (Jacques Weber), der | |
mutmaßliche Vater, hat als Unternehmer viel Geld gemacht. Nach einem | |
Schlaganfall ist er nun nicht mehr ganz auf der Höhe seiner patriarchalen | |
Macht und gewillt, sein Haus zu bestellen. Nathalie kommt ihm dabei, wie es | |
scheint, nur zu Recht. Allerdings ist sie in eine Schlangengrube geraten. | |
Eine weitere Anwärterin auf das Erbe ist das Letzte, was die versammelte | |
Familie hinzunehmen bereit ist. Von der ersten Minute an wird Nathalie von | |
allen gemobbt. | |
Von der Gattin Louise (Dominique Blanc), gerne outriert gekleidet, deren | |
ganzer Stolz die riesige Sammlung von VHS-Kassetten mit lückenlosen | |
Aufzeichnungen des TV-Programms ist. Von der Tochter George (Doria Tiller), | |
schön und kalt und ganz die Geschäftsfrau, die die Geschäfte des Vaters zu | |
dessen Unwillen noch zu dessen Lebzeiten an sich zu reißen begonnen hat. | |
Von der Haushaltshilfe Agnès (Véronique Ruggia), sie ist etwas wie die – | |
allerdings nicht unbedingt gute – Seele des Hauses. Eher neutral, da eh | |
meistens am Handy: die Enkelin. Abwesend, weil aus der Schlangengrube mit | |
exzellentem Weinkeller abgehauen: der Sohn, den es mal gab. | |
## Ein Haus wie bei Agatha Christie | |
Ein paar Mal kehrt der Film von Porquerolles noch in den Knast und in die | |
Fischkonservenfabrik zurück. Den ganzen Plot hat Regisseur und | |
Drehbuchautor (mit Fanny Burdino) Sébastien Marnier aber gebastelt, um sich | |
in das Haus der Lügen und Intrigen auf Porquerolles begeben zu können. | |
Es ist ein Haus wie bei Agatha Christie oder auch in [2][François Ozons] „8 | |
Frauen“ oder in [3][Rian Johnsons Krimikomödien-Hit „Knives Out“]. Hinter | |
jeder Ecke lauert eine Intrige, eine neue Wendung, ein Hinterhalt. Lange | |
bleibt unklar, wer hier die Fäden in der Hand hält und zieht. | |
Wobei der Regisseur sehr deutlich markiert, dass er ganz gewiss nicht den | |
Faden verliert. Mit schöner Bösartigkeit steckt er sein Personal mehrfach | |
in einen Käfig aus Splitscreens, in denen er alle von ihnen gegen die | |
natürliche Raumordnung ganz genau in den Blick nehmen kann. Bei allem | |
Klassendifferenzhintergrund nähren sich die Figuren und die | |
Gesamtkonstellation mehr aus dem Klischee als aus der sozialen Realität. | |
Ein wenig fehlt Marnier der Mut, sich – wie einst etwa Ozon – ganz der | |
Genre-Künstlichkeit zu überlassen. Aber auch in der mittleren | |
Überzeichnung, die er für seinen Krimi-Plot wählt, macht das alles noch | |
hinreichend Spaß. | |
18 Jan 2025 | |
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## AUTOREN | |
Ekkehard Knörer | |
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