| # taz.de -- Regisseurin Stöckl über Frauen im Film: „Nichts passiert über … | |
| > „Meine Generation hatte den männlichen Blick in sich“, sagt Regisseurin | |
| > Ula Stöckl. Ihr Film „Neun Leben hat die Katze“ von 1968 läuft in den | |
| > Berlinale Classics. | |
| Bild: Ula Stöckl: in den 70ern eine der ersten Filmfrauen, die ihre feministis… | |
| Im Café der dffb, Filmhaus neunter Stock, hat man ein paar Meter | |
| Höhenabstand zur Berlinale. Es ist Mittagszeit, Studenten klappern mit | |
| Besteck. Ula Stöckl tritt auf und eine Dame von der Initiative Pro Quote | |
| Regie steckt uns Glückskekse zu. Frau Stöckls Glückskeks-Zettel spricht: | |
| „Ich bin für die Quote, damit wir sie endlich abschaffen können.“ | |
| taz: Frau Stöckl, was halten Sie von der Quote? | |
| Ula Stöckl: Es gibt ein strukturelles Problem der Ungleichheit, und das | |
| muss gelöst werden – und wenn es anders nicht geht, muss es eben eine Quote | |
| geben. Wenn das Problem gelöst ist, können wir die Quote wieder abschaffen. | |
| Aber es kann nicht sein, dass da so ein Spruch aufkommt wie „Qualität statt | |
| Quote“, weil Qualität haben die Filme von Frauen genauso wie die Filme von | |
| Männern. Und warum sollten Frauen davon ausgeschlossen sein, auch schlechte | |
| Filme zu machen. | |
| Einige Filme haben auch Schwierigkeiten, überhaupt auf die Welt zu kommen. | |
| Ihr Film „Neun Leben hat die Katze“ von 1968, der in der Retrospektive der | |
| Berlinale zu sehen ist, hatte nicht nur einen Verleih, der kurz nach | |
| Fertigstellung pleite machte – ich habe gelesen, es gab auch Prozesse gegen | |
| ihn? | |
| Zwei Prozesse hatte ich mit Heide Stroh, der Sängerin, die im Film Gabriele | |
| heißt. Im ersten Prozess sagte sie, sie singt falsch und dass sie das gerne | |
| raushaben will. Der zweite ist der berühmte Schamhaar-Prozess. Ich habe ja | |
| dieses Fantasiebild im Film, in dem sie ganz weiß geschminkt, nackt, vor | |
| der Figur des Stefan (Jürgen Arndt) auf ihren Fersen sitzt. Und da hat sie | |
| gesagt, man sieht ihre Schamhaare. Aber man sieht die nicht, man weiß nur | |
| ganz einfach, dass da welche sind. Den Prozess mit dem Falschsingen habe | |
| ich gewonnen, weil ich einen Richter hatte, der sagte: „Wer sich mit dem | |
| Neuen Deutschen Film einlässt, ist selber schuld.“ Auch ein Argument. Beim | |
| Schamhaar-Prozess hatte ich hingegen eine Richterin, die darin einen Verrat | |
| einer Frau an einer anderen Frau sah. Den habe ich also verloren. Aber es | |
| gab ja ohnehin keinen Verleih mehr. Der Film kam erst 1976 bei Basis in den | |
| Verleih. | |
| Es gab auch noch einen dritten Prozess, oder? | |
| Der ging von Dornier (Anm.: deutscher Flugzeughersteller) aus und hatte mit | |
| dem Senkrechtstarter zu tun. Die haben mir damals 40.000 DM angeboten, | |
| damit ich die Szene rausschneide, in der das Flugzeug eine Bauchlandung | |
| macht. Ich habe den zwanzigsten Testversuch gefilmt und das war für die | |
| keine Reklame. Für mich war es natürlich eine Metapher, ja, für eine | |
| Bauchlandung, in jeder Beziehung. In der Szene ging es auch um die Frage | |
| „Was wird gefördert?“. Und ja, eine Bauchlandung. Wer da eine Bauchlandung | |
| macht, das möchte ich eigentlich gar nicht beantworten. Das soll jeder für | |
| sich selbst herausfinden. Aber für mich war es einfach ein ganz starkes | |
| Bild. | |
| Nun gibt es den Film sogar digital restauriert. | |
| Die Kinemathek hat das gemacht, und das finde ich wunderbar. Da kann man | |
| nur sagen: Was lange währt, wird endlich gut. Und es ist schön, dass ich | |
| gleichzeitig mit einem anderen Film, „Die Widerständigen ’also machen wir | |
| das weiter …‘“, ein Geschenk an meine im Juli 2012 verstorbene Freundin | |
| Katrin Seybold, deren Film ich fertiggestellt habe, im Berlinale-Programm | |
| Panorama vertreten bin. Das ist ja das erste Mal wieder seit 1992 mit „Das | |
| alte Lied“. Das bestätigt mich auch als Filmemacherin, die ich ja vor allem | |
| bin. | |
| Glauben Sie, dass ein Film wie „Neun Leben hat die Katze“ noch immer als | |
| ein Affront aufgefasst werden könnte? Von Männern zum Beispiel? | |
| Ach, es hat ja auch da mittlerweile Nachwuchs gegeben. Und ich denke, dass | |
| die Jungs heute selber darüber nachdenken müssen, wo ihr Platz in der Welt | |
| ist. Wenn wir mit unserer Identitätssuche angefangen haben, dann ist das | |
| vielleicht bei den Männern inzwischen auch angekommen, dass da was zu tun | |
| ist. Aber das ist ihr Problem. So wie es unser Problem ist, dass wir gehört | |
| werden, dass wir alles dafür tun, dass wir gesehen werden, dass wir | |
| sichtbar sind. Und das muss von uns aus passieren, weil das macht keiner | |
| für uns. Für Ihre Generation gibt es mit Sicherheit heute noch weibliche | |
| lebende Vorbilder. Ich hatte damals noch keine weiblichen Vorbilder im | |
| Film, ich hatte sie aber in der Literatur und ich hatte sie eben in der | |
| Mythologie. Also in allen meinen Filmen gibt es ja mythologischen | |
| Anspielungen. | |
| Eine Figur in „Neun Leben heißt die Katze“ heißt Kirke (Antje Ellermann) … | |
| nach der griechischen Mythologie ist Kirke eine Zauberin. Ich erinnere | |
| mich, dass Sie während eines Gesprächs mit Saskia Walker im Roten Salon | |
| sagten, Kirke sei Ihr Vorbild. Ihre Begründung: „Denn die konnte ja alles!�… | |
| Mein erster Kurzfilm heißt „Antigone“ und Antigone ist eine Figur, die mich | |
| gelehrt hat, dass es immer einen Moment im Leben eines jeden Menschen gibt, | |
| wo er für sich ganz alleine entscheiden muss: Bis hierher und nicht weiter | |
| und jetzt muss ich Nein sagen, und wenn es das Leben kostet. Und mit | |
| unserer deutschen Geschichte war das für mich natürlich immer so eine | |
| Frage, woher hat diese Figur die innere Sicherheit genommen, wie wusste sie | |
| das, woher hatte sie den Mut, hätte ich, Ula, den Mut auch gehabt? Und auf | |
| unsere Zeit übertragen – es geht bei uns ja ganz oft um viel weniger als | |
| das Leben, und noch immer wissen wir den Moment nicht, wo wir Nein sagen | |
| müssen, wo wir Kompromisse machen, wo wir sie nicht hätten machen dürfen. | |
| Welche Konsequenz hat das für Ihr Filmschaffen? | |
| Ich mach nicht mal eben einen Film, sondern ich will das sagen, was ich zu | |
| sagen habe. Und ich will das verändern, was ich verändern kann und will. | |
| Und Sie wussten auch immer deutlich, was das ist? | |
| Sehr. Es war aber eine harte Nuss für mich, überhaupt zu begreifen, dass | |
| ich als Frau ganz anders gesehen werde in meiner Arbeit. Denn meine | |
| Generation hatte den männlichen Blick in sich. Es geht immer wieder um | |
| Bewusstwerden und Bewusstmachen. Wie sehe ich als Frau andere Frauen? Und | |
| von wem habe ich das gelernt? Trage ich das so weiter? Die Frauen hatten ja | |
| erst in den 70er Jahren das Recht auf ein eigenes Bankkonto und haben in | |
| den 50ern noch ihren Mann um Erlaubnis fragen müssen, ob sie arbeiten gehen | |
| dürfen. Ein Federstrich kann alles ändern. Aber nichts passiert über Nacht. | |
| Es bahnt sich an. Und man kann es sehen. | |
| Nicht alle können das erkennen. | |
| Deswegen ist es so wichtig, dass die Wenigen, wenn es denn wenige sein | |
| sollten, die es sehen, die Freiheit haben zu sagen, was sie sehen, und dass | |
| sie vielleicht auch bei dem einen oder anderen augenöffnend wirken. Und das | |
| hat eben auch etwas damit zu tun, welchen Stand man als eine solche Person | |
| in der Gesellschaft hat, in der man lebt. Deswegen ist es völlig klar, dass | |
| das Argument einer Frau in unserer Gesellschaft gleichviel wiegen muss wie | |
| das eines Mannes. Egal, an welcher Stelle sie steht. | |
| 9 Feb 2015 | |
| ## AUTOREN | |
| Carolin Weidner | |
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