# taz.de -- Wettbewerb der Berlinale 2015: Teenager im Stroboskoplicht | |
> Der Stoff ist toll, Jugendliche nach dem Ende der DDR. Aber Andreas | |
> Dresen bebildert Clemens Meyers Roman „Als wir träumten“ eher | |
> schwerfällig. | |
Bild: Ein Moment der Erschöpfung in „Als wir träumten“ von Andreas Dresen. | |
Rico (Julius Nitschkoff) muss den Kampf gewinnen. Dann würde vielleicht ein | |
Boxer aus ihm werden. Verliert er, wird nichts aus ihm, so viel ist sicher. | |
Aber Rico hat keine Disziplin, er prügelt sich auf der Straße, er trinkt, | |
raucht und nimmt Drogen, und was seine Deckung angeht, so ist sie nicht | |
vorhanden. Obwohl er sich im Ring wacker hält, geht er am Ende in die Knie. | |
„Als wir träumten“, Andreas Dresens Verfilmung von Clemens Meyers | |
gleichnamigem Roman von 2006, setzt diesen Boxkampf etwas umständlich in | |
Szene: als Rückblende und zugleich in einer Parallelmontage, so dass | |
Gegenwart und Vergangenheit sich die Hand reichen. | |
Die jungen Männer, die das Personal von Film und Buch stellen, verfolgen in | |
einer Kneipe einen Kampf zwischen Rocky Rocchigiani und Henry Maske, bei | |
dem sie ihre Hoffnungen an Rocchigiani binden und enttäuscht werden. | |
Hineinmontiert in diese Szene sind Flashbacks von Ricos Kampf, flankiert | |
von der Stimme des Protagonisten Dani (Merlin Rose), der aus dem Off | |
kommentiert, was zu sehen ist. Zweimal also tritt David gegen Goliath an, | |
zweimal trägt Goliath den Sieg davon. | |
## Alles zweimal sagen | |
Wer an ein Kino gewöhnt ist, das seinem Publikum lieber alles zweimal sagt, | |
mag schätzen, wie Dresen hier ein Motiv ausführt und durchspielt. Wer es | |
subtiler mag, stört sich an der Dopplung und der dazugehörigen Emphase. | |
Wäre Ricos Kampf besser in Szene gesetzt, mehr wie ein wirklicher Boxkampf, | |
weniger wie etwas, das nur behauptet, dass geboxt wird, es hätte voll und | |
ganz gereicht. Man hätte den Eindruck gewonnen, dass Dresen ernst nimmt, | |
was er filmt, statt sich damit zu begnügen, eine Idee zu bebildern. | |
Dabei ist der Stoff toll. Dani und die übrigen Jungs sind Teenager, als die | |
DDR zu existieren aufhört. Alle, die gestern noch Autorität innehatten, die | |
Lehrer, die Eltern, die Kader, haben keine mehr. Das Vakuum ist groß, | |
Leipzig wird zu einem Abenteuerspielplatz, das Nebeneinander von Aufbruch | |
und Orientierungslosigkeit, von Rebellion und Ratlosigkeit schafft einen | |
aufregenden Zwischenzustand. | |
## Vergangenheit aus dem Katalog | |
Doch Dresen tut sich schwer mit der Inszenierung von Jugendlichkeit. | |
Jeansjacken, Pickel und abstruse Brillengestelle helfen ihm so wenig wie | |
das Stroboskoplicht. Die Bomberjacken und die Stiefel der Nazis, die Dani | |
und seinen Freunden das Leben schwermachen, sehen aus wie aus dem Katalog. | |
Noch weniger überzeugen die Rückblenden in die Zeit, als die DDR noch | |
existierte und die Figuren ein paar Jahre jünger waren. Irgend etwas | |
scheint zu verhindern, dass jenseits von Dokumentarfilmen – seien sie von | |
Helke Misselwitz, Thomas Heise oder Stefan Kolbe und Chris Wright – eine | |
DDR im Kino auftaucht, die nicht putzig und possierlich wäre, ganz so, als | |
verstellten „Good Bye, Lenin!“ oder „Sonnenallee“ nach wie vor den Blic… | |
## | |
10 Feb 2015 | |
## AUTOREN | |
Cristina Nord | |
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