# taz.de -- Westberliner Frauenbands: Der Durst nach Neuem | |
> Sie sorgten für Zoff und machten der Subkultur Ehre: Die Westberliner | |
> Frauenbands Mania D, Malaria! und Matador. Höchste Zeit für eine | |
> Werkschau. | |
Bild: Matador 1985 im Berliner Loft | |
Im Oktober 1981, als die Westberliner New-Wave-Band Malaria! im Studio 54 | |
auftrat, wurden die vier Künstlerinnen, bis dato nur Eingeweihten bekannt, | |
zum New Yorker „talk of the town“ – man hielt sie für Nazis. Dabei hatten | |
sich die vier Musikerinnen für den legendären New Yorker Club nur schick | |
machen wollen. Einige missdeuteten ihren forschen Look allerdings als Flirt | |
mit faschistischer Ästhetik – und das ausgerechnet an einem hohen jüdischen | |
Feiertag. | |
[1][Bettina Köster, Sängerin der Band], erinnert sich: „Genau, ganz in | |
Schwarz, in Stiefeln und Reithosen und mit roten Nelken im Knopfloch. Wir | |
traten so auf, weil wir uns als Sozialisten sahen und an die deutsche | |
Kultur anknüpfen wollten, bevor die Nazis alles über den Haufen geworfen | |
haben. Und das als Deutsche. Das haben die überhaupt nicht verstanden. Uns | |
war auch nicht bewusst, dass an dem Tag Jom Kippur war. In der Zeitung | |
stand dann nur,German Rockers dare to play on Jom Kippur'.“ | |
Eine von vielen Anekdoten, die sich in der gerade erschienenen Werkschau | |
„M_Dokumente“ nachlesen lässt. Der Band – teils reich bebildertes | |
Coffee-Table-Buch, teils Doku-Roman im Duktus von Jürgen Teipels | |
„Verschwende deine Jugend“ – erzählt die Geschichte von drei Bands, die … | |
Ende der 1970er aus einem Dunstkreis hervorgegangen sind: Mania D, Malaria! | |
und Matador. Das gelingt auf unterhaltsam subjektive Weise, die dennoch | |
Deutungsräume eröffnet. | |
Der erste Teil besteht aus Fotos und Archivmaterial – von Konzertplakaten | |
über bandinterne Memos bis zu Plattenverträgen, die Einblicke vermitteln in | |
eine dem DIY-Ethos verpflichtete Indie-Kultur, die Ende der 1970er, Anfang | |
der 1980er gerade erst im Entstehen begriffen war. | |
## Sie mischen mit, auch heute noch | |
Der zweite Teil besteht aus collagierten Interviews, die die | |
Musikjournalistin Anett Scheffel mit den Musikerinnen führte. [2][Die | |
nach wie vor stilprägende Elektronikproduzentin und Labelbetreiberin Gudrun | |
Gut] spielte bei allen drei Bands Schlagzeug und Synthesizer, ihre | |
ebenfalls bis heute aktiven Mitstreiterinnen Bettina Köster und Beate | |
Bartel – die 1981 dann auch mit der Band Liaisons Dangereuses einen | |
Underground-Welthit landete, „Los niños del parque“, waren bei zwei | |
Formationen dabei. | |
Vor der Gründung von Malaria! hatten Bettina Köster und Gudrun Gut schon | |
bei Mania D zusammengespielt; die 1979 gegründete Experimentalband brachte | |
New Wave mit Free Jazz zusammen. Auf Malaria!, die sich 1983 nach nur zwei | |
Jahren ausgebrannt auflösten – zu viele Gigs, zu wenig Geld –, folgten | |
Matador, die bis 1991 existierten. Sie waren näher am Kunstbetrieb, | |
zugleich spielerischer und letztlich poppiger. Erstmals kam beim | |
Musikmachen ein Computer zum Einsatz. | |
Der Poptheoretiker Diedrich Diederichsen sieht zwischen den Projekten | |
durchaus einen roten Faden, wie er in seinem Vorwort zu „M_Dokumente“ | |
schreibt (die übrigens so heißen, weil die Musikerinnen seinerzeit | |
vertraglich festhielten, dass auch künftige Projekte mit dem Buchstaben „M“ | |
beginnen sollten): „Trotzdem hört man heute“, so Diederichsen, „wenn man… | |
dichter Folge ihre Alben auflegt, so etwas wie ein Werk (nicht so sehr ein | |
Genre), eines, das man nicht unbedingt einer einzelnen Person zuordnen | |
kann, sondern eher einem Geist.“ | |
Missverstanden wurden die Bands immer wieder – vieles sollte sich jedoch | |
als produktiver erweisen als die New-York-Episode. Die Bands, vor allem | |
Malaria!, die wohl bekannteste der drei (ihr Song [3][„Kaltes klares | |
Wasser“] ist auch wegen einer Coverversion von Chicks On Speed bis heute | |
ein Clubhit), schufen nicht zuletzt durch Reibungen Raum für Neues. | |
## Überdruss an der Männerkultur des Rock | |
Mania D lösten bereits 1980 bei einem Berliner Frauenfestival Proteste und | |
eine Schlägerei aus – weil das frauenbewegte Publikum ihr kühles Auftreten | |
überhaupt nicht goutierte: „Sie haben wohl ein Blockflötenkonzert erwartet. | |
[…] Ich fand das ärgerlich, dass die uns überhaupt nicht verstanden haben�… | |
kommentiert Gudrun Gut trocken in „M_Dokumente“. | |
Überhaupt, die Sache mit dem Feminismus: Damals, so erklärte Gut unlängst | |
bei einem Radiointerview, hätte sie sich gar nicht als Feministin | |
bezeichnet. Dass sie genau das ist, sei ihr erst in den 1990ern klar | |
geworden. Programmatisch aufgeladen war die Vorreiterrolle jedenfalls | |
nicht, die ihre Bands zweifellos hatten. „Wir wollten einfach machen, wozu | |
wir Lust hatten – und wir hatten mehr Lust, mit Frauen was zu machen.“ | |
Neues auszuprobieren und dafür nicht gleich beurteilt zu werden, sei ihnen | |
wichtig gewesen. | |
Nach Neuem dürsteten auch Fans, glaubt Diederichsen: „Nur wenige der vielen | |
Rock-Überdrüssigen konnten damals benennen, dass es eine Männerkultur war, | |
derer man überdrüssig war: einer heterosexuellen, sich nunmehr seit einem | |
Vierteljahrhundert austobenden Selbstbefreiung von Dudes. Nicht nur Frauen | |
hatten das satt.“ | |
## Im Ausland mehr beachtet | |
Bezeichnend ist ein weiterer Aspekt, der in den Interviews durchscheint: | |
Obwohl die drei Bands in den Kanon der Berliner | |
Subkultur-Geschichtsschreibung integriert sind, fanden sie seinerzeit im | |
Ausland mehr Beachtung als in Deutschland – weniger, weil es sich um reine | |
Künstlerinnen-Projekte handelte, sondern weil der Musikmarkt seinerzeit so | |
angloamerikanisch dominiert war, dass allein ihre Herkunft Aufmerksamkeit | |
generierte. | |
Berühmt – [4][der legendäre britische Radio-DJ John Peel] etwa feierte | |
Mania D als „Queens of Noise“ – waren sie also durchaus. Sie wurden sogar | |
zu so etwas wie „musician’s musicans“, obwohl sie sich ja eher als „Gen… | |
Dilettanten“ sahen. Bei einem Malaria!-Auftritt in London, so erzählt | |
Köster, waren unter den 350 Gästen 300 Musiker*innen. Und stellt an anderen | |
Stelle fest: „Es war einfach Musik, die wirklich tief aus uns herauskam. | |
Wir haben nie gedacht: ‚Oh, wir klingen wie die Achtziger‘. Nee, die | |
achtziger Jahre klangen eher wie wir. Wir haben nichts nachgespielt oder | |
Vorbilder imitiert.“ | |
Der kommerzielle Erfolg stellte sich trotzdem nur bedingt ein, anders als | |
etwa bei ihren Zeitgenossen von [5][Einstürzende Neubauten] – in deren | |
Frühphase Bartel und Gut übrigens auch selbst mitmischten. | |
## Boheme der Mauerstadt | |
Die Interview in „M_Dokumente“ lesen sich sympathisch unaufgeregt – ohne | |
die heroische Aufladung, die oft mitschwingt, wenn Dabeigewesene von früher | |
erzählen. So stimmig wie vielstimmig ersteht eine untergegangene Welt; die | |
kreative Boheme in der Mauerstadt, die Diederichsen zeitlich und ästhetisch | |
„,zwischen Bowie in Schöneberg/Tunix-Kongress/Foucault im Dschungel auf | |
der einen Seite und Mauerfall und Techno auf der anderen“ verortet. | |
Zum Teil ebenfalls aus Archivschätzen speisen sich auch die gerade | |
erschienenen „M_Sessions“, auf der neben Neuinterpretationen rare | |
Originalaufnahmen der drei Bands zu finden sind. Das Doppel-Album mit | |
Remixen von Künstlerinnen des Produzentinnen- und Künstlerinnenkollektivs | |
Monika Werkstatt – einem weiteren von Gudrun Gut initiierten Projekt, das | |
mit M beginnt – zeigt, wie anschlussfähig die Musik an die | |
elektronisch-experimentelle Gegenwart ist. | |
Beim viertägigen Festival zum Thema, das Ende Oktober im Silent Green in | |
Berlin stattfand, spielte sich unter anderem eine Tribute-Band, die eigens | |
für diesen Abend zusammengefunden hatte, quer durch das Werk. Unter anderem | |
dabei: die klassisch ausgebildete Komponistin Midori Hirano, die zwischen | |
Akustik und Elektronik arbeitet, und Pilocka Krach, sonst als | |
wild-eklektische Techno-DJ unterwegs. | |
Obwohl es bei dem Minifestival eher unnostalgisch zuging, hatten einige | |
Abende den Charakter eines Klassentreffens, bei dem all jene zusammenkamen, | |
die damals zusammen Spaß hatten – und sich natürlich doppelt freuten, als, | |
etwas überraschend, die einstigen Malaria! noch einmal zusammen auf der | |
Bühne standen. Nun spielten sie als „Die Mücken“ schalkhaft ihr eigenes | |
Tribute-Konzert. | |
Da blieb den Nachgeborenen allenfalls latenter Neid auf eine Zeit, in denen | |
Künstler*innen im seinerzeit so billigen Berlin einfach drauflos machten | |
– und die Verwertungs- und Rezeptionssysteme, anders als heute, nicht immer | |
schon auf Hochtouren lief, bevor etwas Neues, Spannendes überhaupt | |
entstanden war. | |
26 Nov 2021 | |
## LINKS | |
[1] /Interview-mit-Malaria-Saengerin/!5423547 | |
[2] /DAS-MONTAGSINTERVIEW/!5082855 | |
[3] https://www.youtube.com/watch?v=RAg4VmBY7so | |
[4] /Archiv-Suche/!681252&s=Radio+DJ+John+Peel&SuchRahmen=Print/ | |
[5] /Neues-Album-der-Einstuerzenden-Neubauten/!5685554 | |
## AUTOREN | |
Stephanie Grimm | |
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