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# taz.de -- Indie-Band Swansea Sound: Ebay essen Seele auf
> Swansea Sound aus Bristol sind eine Indie-Supergroup, die den Gedanken
> der Unabhängigkeit feiert: Mit eigenem Label und schön schrägen Hymnen.
Bild: Indierocker, die auf ihre alten Tage immer noch Indierock machen: Swansea…
Swansea Sound war der Name einer beliebten Radiostation in der walisischen
Küstenstadt. 2020 wurde der Sender von Bauer Radio, einem britischen
Ableger der deutschen Bauer Media Group, aufgekauft. Seither nennt er sich
Greatest Hits Radio South Wales, die Musik dudelt seelenlos vor sich hin.
Dass die britischen Künstler:innen Amelia Fletcher, Rob Pursey, Huw
Williams und Ian Button ihre Band Swansea Sound nach diesem Radiosender
benannt haben, ist ein Statement. Die vier haben jahrzehntelange
Erfahrungen im Musikbusiness, jede für sich sind sie Pioniere des
britischen Indiepop: Amelia Fletcher war Sängerin der Band Talulah Gosh,
ihr Ehemann Rob Pursey spielte dort Bass, später gründeten sie gemeinsam
die Band Heavenly. Ian Button war Gitarrist der Thrashing Doves und Death
in Vegas; Huw Williams Kopf der walisischen Band The Pooh Sticks.
Letztere hat sich schon in den achtziger Jahren über das Musikbusiness
lustig gemacht, mit Songs wie „Indiepop Ain’t Noise Pollution“ und „I K…
Someone Who Knows Someone Who Knows Alan McGee Quite Well“ (in Anspielung
auf den [1][Gründer des einflussreichen Labels Creation Records, den
Schotten Alan McGee]).
Kritik an den Zuständen der Musikindustrie ist auch bei Swansea Sound
elementarer Bestandteil des Programms: „Indies of the world / Be part of
the solution / You gotta fight / Spotify corruption / We’ll see the light /
when the tambourine starts to play“, heißt es in „Indies of the World“.
Wobei man sich fragen kann, ob das nicht schon Zynismus ist.
## „Indies of the World“ schaffte es in die britischen Top Ten
Rob Pursey sagt im Gespräch mit der taz: „Der Einfluss, den man als Band
auf einem kleinen Label hat, ist sehr – begrenzt. Aber gleichzeitig glaube
ich, dass Botschaften, die man in die Welt lässt, manchmal lauter sind, als
man denkt. Bands, die bei Major Labels veröffentlichen, tun sich sehr
schwer damit, etwas gegen Streamingdienste wie Spotify zu sagen. Oft müssen
sie Geheimhaltungsklauseln in ihren Plattenverträgen zustimmen, viele
Künstler:innen haben Angst, öffentlich über ihren Frust zu sprechen. Das
aber ist die künstlerische Freiheit, die wir haben: Wir können sagen, was
wir wollen.“
Moment, lupenreiner Indie-Idealismus eines Mittfünfzigers, der sein Geld
heute als Produzent beim britischen Fernsehen verdient? Krass! Noch
krasser: Die Single von Swansea Sound hat es im März in die britischen Top
Ten geschafft. Darüber lacht Amelia Fletcher immer noch: „Unsere erste und
einzige Top-Ten-Single!“ Rob erklärt, wie das passieren konnte: „Die
Singles waren komplett vorbestellt und schon bezahlt. Das heißt, dass sie
alle am Erscheinungstag als verkauft gezählt wurden. Wir hatten nur 300
Exemplare pressen lassen. Das hat gereicht, um uns auf Platz zehn der
Single-Charts zu katapultieren.“
Aus Idealismus und Spaß an der Sache haben Fletcher und Pursey vor gut
einem Jahr auch ein eigenes Label gegründet, Skep Wax. Erste
Veröffentlichung war die Swansea-Sound-Single, „I Sold My Soul on Ebay“.
Auflage: ein Exemplar. Sie haben es auf Ebay versteigert. „Natürlich haben
wir das auch gemacht, um mehr Aufmerksamkeit zu bekommen“, erzählt Rob
Pursey. „Aber wir wollten auch gegenrechnen, wie oft die Single gestreamt
werden müsste, um dieselbe Summe einzubringen.“ Was gar nicht so einfach
ist, denn es ist unterschiedlich, wie viel Geld an die Musiker:innen
fließt. Wahrscheinlich wären Streams im unteren sechsstelligen Bereich
dafür nötig.
Rob: „Jemand aus Deutschland hat für umgerechnet 470 Euro den Zuschlag
bekommen. Weil das viel mehr war, als wir erwartet hatten, haben wir die
Hälfte einer Vereinigung kleiner Musikclubs gespendet, um zu zeigen: Man
kann, wenn man unabhängig agiert, überzähliges Geld Leuten geben, die
bessere Dinge damit anstellen als die Plattenmultis und Spotifys dieser
Welt.“
## „Indie“ nur noch als Genrebegriff
Auch wenn sie damit nicht ihren Lebensunterhalt verdienen müssen, ist es
Fletcher und Pursey ernst mit ihrem Independent Label. Amelia ist
Professorin für Wirtschaftswissenschaften, sie hat hohe Auszeichnungen als
Ökonomin bekommen und einen Direktorinnenposten bei der britischen
Competition & Markets Authority inne, einer Institution vergleichbar mit
dem Bundeskartellamt.
„Heute gilt ‚Indie‘ nur noch als Genrebegriff“, sagt sie. „Ein Fake, …
dem Tochterfirmen von großen Labels für ihre Künstler:innen werben. Die
Majors besitzen in der Regel auch die Rechte an deren Musik, das ist fast
wie beim Studiosystem in Hollywood – die Multis fällen die künstlerischen
Entscheidungen, die Musiker:innen bekommen eine Art Lohn für die
Ausführung. Auch darum geht es uns beim Independent-Gedanken, dass die
Musiker:innen frei sind in ihren künstlerischen Entscheidungen. Wirklich
interessante Werke erscheinen auf den unabhängigen Labels, bevor die Majors
darauf anspringen. Ich hoffe, dass die Majors kapieren, dass sie die
kleinen Labels brauchen, weil sie von deren Trüffelsuche leben.“
Mit ihrer Band Heavenly waren Fletcher und Pursey einst beim legendären
Bristoler Indie-Label Sarah Records unter Vertrag. „Inzwischen gibt es
einen Kult um die Plattenfirma“, sagt Rob Pursey. „Es wird viel darüber
geschrieben – weil die Leute heute bass erstaunt darüber sind, dass ein
unabhängiges Label damals so erfolgreich sein konnte.“
Mit ihrem eigenen Kleinlabel Skep Wax stellen Fletcher und Pursey unter
Beweis, dass auch in der Gegenwart mehr Nachhaltigkeit möglich ist, als
viele denken: Sie sind Teil eines Netzwerks von Indie-Labels in
verschiedenen Teilen der Welt, auch in den USA und in Japan – somit können
sie ihre Musik fast weltweit vertreiben, ohne sich von den großen Playern
abhängig zu machen.
## Überzeugung und Spaß am Handwerk
Natürlich geht es Swansea Sound auch um den Spaß an der Musik. Es ist fast
rührend, wie die vier mit Mitte 50 noch so rumpeligen wie melodieverliebten
Pop raushauen. In Songs wie „Corporate Indie Band“ ätzen sie dabei gegen
die wirtschaftlich stärker ausgepolsterte Konkurrenz, in „Freedom of
Speech“ kotzen sie ab über nach rechts abgedriftete Pop-Trolle wie
Morrissey und John Lydon. Aber auch für Liebesleid ist Platz, und für eine
sentimentale Nabelrückschau in dem Song „The Pooh Sticks“. Dabei bleibt
völlig unklar, ob sie in „Angry Girl“ über ihre eigene Vergangenheit sing…
oder über die Gegenwart ihrer Kinder.
Ihr Handwerk haben sie dabei noch aufs Schönste drauf: Ein aus Überzeugung
leicht schepperndes Schlagzeug, Gitarren, die eine Bandbreite menschlicher
Gefühlslagen abbilden, mehrstimmige Gesangsdialoge und detailverliebt
gesetzte, impressionistische Tupfer von Orgel und Gesang. Okay, diese Musik
klingt wie vor dreißig Jahren, lässt aber beim Hören keinen Moment einen
Zweifel daran aufkommen, dass sie im Hier und Jetzt spielt und aus tiefstem
Herzen kommt. „Live at the Rum Puncheon“ ist kein Livealbum, der Titel des
Debüts ist eine Hommage an einen längst geschlossenen Pub in Swansea.
Dass der Brexit einem kleinen Label das Leben zusätzlich erschwert, mussten
Rob Pursey und Amelia Fletcher auch erfahren, darum haben sie sich in
Deutschland einen direkten Vertriebspartner gesucht: „Sonst muss eine Menge
an Zollgebühren abgeführt werden, und viele Leute in der EU haben keine
Lust, Sachen aus Großbritannien zu bestellen, weil sie befürchten müssen,
dass sie in der Zollabfertigung stecken bleiben.“
Das hat sie auch aus einer anderen Bredouille befreit, wie Fletcher
belustigt erzählt: „Wir haben viel gelernt über die Unwägbarkeiten des
deutschen Postsystems. Von nirgendwo anders kamen so viele unserer Päckchen
zurück, mit Aufklebern, die wir nicht entziffern konnten. Wir haben sie
Leuten gezeigt, die Deutsch sprechen, aber auch die haben gesagt: Was da
draufsteht, ergibt keinen Sinn.“
2 Dec 2021
## LINKS
[1] /Memoiren-von-Musikmanager-Alan-McGee/!5792500
## AUTOREN
Dirk Schneider
## TAGS
Indie
Pop
Vereinigtes Königreich
Indiepop
Spotify
Schwerpunkt Angela Merkel
Subkultur
Basisdemokratie
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