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# taz.de -- Von Sarah Records zu Skep Wax: Federleicht den Regen vermeiden
> In fein ziselierter Softness schwelgen: das können nur Gitarrenpopbands
> des Jungbrunnen-Labels Sarah Records aus Bristol. Ein Ortsbesuch in
> England.
Bild: Treppe zum Erfolg: Das Duo The Gentle Spring
„Es ging nie darum, jung zu sein. Wir haben uns immer schon angezogen wie
alte Leute!“ [1][Drei Jahrzehnte ist es her, dass Rob Pursey mit seiner
Frau Amelia Fletcher beim Label Sarah Records] zuletzt ein Album
veröffentlicht hat, mit der gemeinsamen Band Heavenly.
Zwischen 1987 und 1995 existierte das Label Sarah Records im englischen
Bristol, und die britische Musikpresse hat das Label und seine
Künstler:Innen mit Inbrunst gehasst. Für die Kritik war die Musik der
Sarah-Bands etwas für wehleidige Bettnässer.
Speziell die Künstlerinnen wollten einfach nicht den Sex-Appeal liefern,
den die großmäuligen Alphatiere der damals noch wöchentlich erscheinenden
Musikmagazine NME und Melody Maker verlangten. „Wir hatten kein Geld und
haben unsere Klamotten in Secondhandläden gekauft“, erinnert sich Rob
Pursey im taz-Gespräch.
## Gekleidet wie Senioren
[2][Darum liefen die meisten Musiker*innen auf Sarah Records rum wie
ihre eigenen Großeltern.] Aber, so erklärt Pursey: „Das war auch eine
Verweigerungsgeste gegen die Übersexualisierung von Popmusik, wie wir sie
schon immer erlebt und gehasst haben.“
In den knapp acht Jahren, die Sarah Records existierte, haben dort neben
Heavenly auch Bands wie The Orchids, The Sea Urchins, Even As We Speak und
Secret Shine veröffentlicht. Und die meisten der Beteiligten von damals
machen auch heute noch Musik. Rob Pursey und Amelia Fletcher von Heavenly
sind nur zwei von ihnen.
Obwohl Fletcher einen Direktorinnenposten beim britischen Kartellamt
innehat und Pursey lange als TV-Produzent gearbeitet hat, [3][haben sie ihr
existenzielles Bedürfnis, Popmusik zu machen, nie aufgegeben.] Es ging auch
nie nur darum, jung zu sein.
## Sozialismus heißt hohe Tantiemen
2021 haben Fletcher und Pursey dann ein radikal unabhängiges Plattenlabel
gegründet: Skep Wax. Es sieht sich in direkter Nachfolge von Sarah Records,
das ein fast sozialistisches Verständnis seiner Arbeit hatte: Möglichst
niedrige Preise für Alben, möglichst hohe Tantiemenanteile für die
Künstler*innen, und eine Auswahl von Bands, die eben nicht die gängigen
Gender-Klischees reproduzieren.
Aber wir leben in anderen Zeiten, weshalb der radikalste Schritt für das
Label Skep Wax heute ein anderer ist: Es stellt grundsätzlich seine Musik
nicht den Streamingplattformen zur Verfügung!
Zumindest ungewöhnlich war es auch, dass das Label 2022 mit „Under the
Bridge“ einen Sampler veröffentlicht hat, mit neuer Musik von jenen Leuten,
die früher gemeinsam bei Sarah Records unter Vertrag waren. Das kam so gut
an, dass sie mit „Under the Bridge 2“ nun nachgelegt haben, sogar mit einem
Doppelalbum!
## Meist milde gestimmt und melancholisch klingend
Wer die Musik von Sarah Records mag, wird verblüfft sein: Auch 2024 machen
diese Künstler*innen noch Musik, die ihren Veröffentlichungen von vor 30
Jahren in nichts nachsteht. Dieser träumerische, meist höchst
melancholische twangy Gitarrenpop, für den Sarah Records berühmt war,
fliegt diesen Leuten auch mit 60 jungbrunnenhaft und federleicht aus den
Verstärkern.
„Kann schon sein, dass die Themen der Songtexte inzwischen etwas reifer
geworden sind“, räumt Amelia Fletcher ein. „Aber der Purismus und
Idealismus in Bezug auf Pop ist immer noch gleich. Wir sind einfach nicht
zynisch oder sarkastisch geworden. Die Musik kommt eben immer noch von
denselben Menschen, die immer noch dieselben Träume hegen.“
Michael Hiscock ist einer dieser Menschen, er war Bassist bei The Field
Mice und singt jetzt in seiner Band The Gentle Spring: „Eine Sehnsucht, wie
sie unsere Musik damals ausgedrückt hat, kann man doch ein Leben lang
haben. Ich würde auch nicht sagen, dass die Songtexte, die die Bands von
Sarah Records damals gesungen haben, unreif waren. Ein Song meiner alten
Band The Field Mice hieß ‚Sensitive‘. Ich bin auch im Alter noch
empfindsam.
## Genügend Lebenserfahrung
Na und! Wenn Menschen mich enttäuschen, verletzt mich das eben. Aber ich
gehe heute anders damit um. Ich sage mir: Ach komm, mit 58 Jahren habe ich
genügend Lebenserfahrung, um damit zurechtzukommen. Und einen schönen Song
daraus zu komponieren.“
„Dodge the Rain“, „Vermeide den Regen“, heißt das sanft-versponnene St…
mit dem Hiscocks Band The Gentle Spring den Reigen des Samplers eröffnen.
Dabei macht „Under the Bridge 2“ auch noch einmal deutlich, mit Bands wie
Jetstream Pony, Action Painting! und der Shoegaze-Band Secret Shine, dass
Musik aus dem Sarah-Umfeld auch krachig laut und treibend klingen kann.
Wunderschön-traurige Gitarrenballaden sind aber im Klangbild immer noch
vorherrschend, wie das herzzerreißende „Beauty, You Will Break Us All“ der
australischen Band Even As We Speak. Auch Sängerin Mary Wyer hat es die
harte Schale gebrochen: „Als ich das Demo unseres Songwriters Matt zum
ersten Mal gehört habe, musste ich weinen. Es hat mich so sehr in die Zeit
von damals zurückversetzt.“
## Gedimmtes Licht
Für Wyer ist es aber nicht nur eine nostalgische Angelegenheit, mit Ende 50
noch in einer Band zu singen. „Wenn ich im Studio bin, Kopfhörer aufhabe,
das Licht ist gedimmt, ich bin alleine im Aufnahmeraum und singe, dann
befördert mich das an diesen zeitlosen Ort … ich kann noch nicht einmal
sagen, was das für ein Ort ist.“
Ein Teil des Mythos von Sarah Records entlarvt sich aber auch in den
Interviews von heute: Eine Gemeinschaft waren diese Bands damals nie.
Michael Hiscock erinnert sich, dass er und seine Bandkollegen von The Field
Mice sich nie als Teil einer Community um das Label gefühlt haben, und Mary
Wyer erzählt, dass es lediglich mit der Band Boyracer eine Freundschaft
gab. Mit allen anderen Künstler:Innen, wenn man sie denn überhaupt einmal
getroffen hat, hat man kaum ein Wort gewechselt, es gab ein Gefühl der
Rivalität.
Das ist heute tatsächlich anders, sagt Wyer: „2018 waren wir mit Action
Painting!, Boyracer und Secret Shine gemeinsam auf Tour. Wir haben uns
betrunken und in beschissenen Unterkünften geschlafen. Das war wirklich wie
ein Trip in die Vergangenheit. Nur besser, wir hatten jede Menge Spaß
zusammen.“
## Nie wieder Streaming
Für Amelia Fletcher und Rob Pursey von Skep Wax hat sich etwas auf der
ökonomischen Ebene geändert: „Wenn Sarah Records eine neues Werk
veröffentlicht hat, wurden im ersten Jahr die meisten Exemplare davon
verkauft. Bei den andern tröpfeln die Erlöse nur langsam rein, durch das
Streaming. Man kann sein Geld vielleicht heute wieder einspielen, aber das
kann schon mal 20 Jahre dauern. Für Major Labels mit gutem Cashflow ist das
kein Problem, für uns als kleine Akteur*innen wird das schwierig“, sagt
die Wirtschaftsexpertin Fletcher.
Trotzdem schreibt Skep Wax schwarze Zahlen, wenn auch immer nur knapp. Geld
ist aber nicht die Motivation für Fletcher und Pursey, es ist die
Begeisterung für Musik. Und der Gedanke, dass Popmusik politisch sein kann,
auch ohne eine einzige aktivistische Zeile in den Songtexten, sagt Pursey:
„Entscheidend ist der Zusammenhang, in dem die Musik erscheint. [4][Mit
unserer anderen Band Swansea Sound] haben wir eine Single zum Record Store
Day veröffentlicht, allerdings eher als Satire auf diese schrecklich
kommerzielle Veranstaltung.
Der Song heißt „Markin’ It Down“. Ein Exemplar dieser Single haben wir in
weißem Vinyl pressen lassen und versteigert. Die Erlöse gehen an
Amazon-Beschäftigte in Großbritannien, die im Streik waren. [5][Auch wir
als Musiker*innen kämpfen gegen Großkonzerne wie Amazon, Spotify und
Apple]. Wir haben einen gemeinsamen Feind.“
18 Jul 2024
## LINKS
[1] /Indie-Band-Swansea-Sound/!5819401
[2] /Archiv-Suche/!5554703&s=Sarah+Records&SuchRahmen=Print/
[3] /Noisepunk-Benefits-Nails/!5928985
[4] /Indie-Band-Swansea-Sound/!5819401
[5] /Studie-zu-Spotify-Geschaeftspraktiken/!5613333
## AUTOREN
Dirk Schneider
## TAGS
Indiepop
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Label
Post-Punk
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