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# taz.de -- Studie zu Spotify-Geschäftspraktiken: Tauschbörse reloaded
> Dafür gründeten sie sogar Plattenlabel: Forscher untersuchten die
> Geschäftspraktiken des unnahbaren Musikstreamingdienstes.
Bild: Ein „SpotiBot“? Nee, wohl eher ein SpotiKid
Spotify ist unter Druck. Die schwedische Datenschutzbehörde hat den
Musikstreamingdienst kürzlich aufgefordert, offenzulegen, welche Daten von
seinen Nutzern er sammelt und wie er diese auswertet. Das klingt nach einem
Verwaltungsvorgang. Für den Stockholmer Konzern, dessen Kerngeschäft das
Sammeln und Auswerten gigantischer Datenmengen seiner Nutzer ist, könnte es
um seine Existenz gehen. Das Geschäftsmodell von Spotify ist in Gefahr.
Lange Zeit herrschte Unklarheit über das tatsächliche Geschäftsmodell von
Spotify. Die Nutzerzahlen waren zwar gigantisch – aktuell 207 Millionen –,
doch viele nutzten vor allem das werbefinanzierte Angebot und bezahlten gar
nichts. Ein schwedisches Forschungsprojekt brachte seit 2013 jedoch mit
staatlicher Förderung einige der unangenehmen Details ans Licht. Unter dem
Titel „Streaming Heritage“ stellten die fünf Forscherinnen und Forscher,
Maria Eriksson, Rasmus Fleischer, Anna Johansson, Pelle Snickars und
Patrick Vonderau, schlichte Fragen, die bis dahin aufgrund harter
Geheimhaltungsklauseln unbeantwortbar schienen: Was macht Spotify
eigentlich genau? Welche Daten werden gesammelt? Was geschieht mit den
Nutzerdaten? Werden die Audiofiles zentral nachbearbeitet? Woher stammen
die Audiofiles?
Diese letzte Frage brachte den Forscherinnen auch eine erste
Unterlassungsklage ein: Hatten sie doch herausgefunden, dass die frühesten
Audiofiles auf Spotify tatsächlich identisch mit Files waren, die auch im
illegalen Filesharingservice The Pirate Bay getauscht wurden, ebenfalls
einst in Schweden gegründet. War der Streamingriese Spotify, der alle Major
und Independent Labels bis zum Ersticken umarmt hatte, vielleicht doch
nicht mehr als eine weiterentwickelte Tauschbörse? Pirate Bay 2.0? Die
Forscher bekamen vor Gericht recht und Spotify muss seither akzeptieren,
dass diese belegbare Tatsache in der Welt ist und hier, in einem
Zeitschriftenartikel, auch so benannt werden darf.
## Künstliche Hörer
Ungewöhnlich abgeschirmte Unternehmen verlangen nach ungewöhnlichen
Forschungsmethoden. Die Forscher um Patrick Vonderau haben daher im Laufe
ihre Forschung testweise Plattenlabel gegründet, Musik auf Spotify
hochgeladen, dort vermarktet und verkauft. Sie nutzten künstliche Hörer,
„SpotiBots“, die ohne jede menschliche Aufmerksamkeit vorgaben, sich Musik
anzuhören. Damit brachten die Forscher den gehörten Musikern Geld ein und
wiesen auf diese große Softwarelücke hin.
Ein bulgarischer Nutzer bewirtschaftete sogar in großem Stil diesen Fehler
im System. Er ließ 1.200 Hörerbots 467 seiner kurzen Tracks anhören und
erhielt von Spotify etwas über eine Million US-Dollar. Die Forscher
entdeckten auch einen unerwarteten Effekt ihrer Bemühungen: Denn ihre
Testmusik, die aufgrund mangelnder künstlerischer Qualität und
Glaubwürdigkeit von Spotify wieder entfernt worden war, fand sich
schließlich auf ganz anderen Webseiten wieder und wurde dort
weiterverbreitet und beworben. Der Titel ihrer Musik: „The Silence of
Scholarly Life“ von einem erfundenen Künstler namens The Ethnologist.
Da Spotify kein Handbuch für Künstler oder Labels anbietet, das erklären
würde, wie Musik dort präsentiert, hochgeladen und beworben werden kann,
wurden die Forscherinnen tatsächlich zu Ethnografinnen auf dem fremden
Kontinent dieses Streamingdienstes. Sie machten mit, probierten aus und
lebten dort für einige Zeit. In ihrem Forschungskrimi, der jetzt unter dem
Titel „Spotify Teardown“ erschienen ist, erzählen sie ihre Erkenntnisse,
die Hürden ihrer Forschungen, etliche überraschende Erkenntnisse und
befremdliche Begegnungen mit diesem großen Konzern, der im Marketing sich
nahbar gibt, doch in der Kommunikation so hartleibig und unerbittlich wie
das ZK einer Staatspartei erscheint.
Einer der Köpfe des mutigen Projekts, Patrick Vonderau, ist seit Kurzem
Professor in Halle und erkundet dort, wie sich Spotify-HörerInnen, Likes
und Klicks in großem Stil erwerben lassen: Ein sehr einträglicher und für
viele unsichtbarer Wirtschaftszweig der vorgespiegelten öffentlichen
Aufmerksamkeit.
1 Aug 2019
## AUTOREN
Holger Schulze
## TAGS
Spotify
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Beyoncé
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