# taz.de -- Interview mit Malaria!-Sängerin: „Älter werden kann schön sein… | |
> Bettina Köster hat den Westberliner Underground der 1980er Jahre geprägt, | |
> sich vom Musikgeschäft verabschiedet – und ist nun mit neuem Album | |
> zurück. | |
Bild: „Als in den 1980ern plötzlich alle begannen, Speed zu nehmen, waren wi… | |
taz: Frau Köster, haben Sie denn heute schon etwas zu essen bekommen? | |
Bettina Köster: Ja, ein süßes Croissant. Das war sehr lecker. | |
Die Zeiten, in denen Sie für Ihre Kunst gehungert haben, sind also vorbei? | |
Na ja, mal so, mal so. Aber es geht ja nicht ums Geld. | |
Vor rund zwei Jahren haben Sie gesagt: „Wer Kunst machen will, der soll | |
dafür auch hungern wollen.“ | |
Das finde ich auch richtig. Ich habe ja auch alles mir zur Verfügung | |
stehende Geld ausgegeben für diese Platte. Aber erstens hat es mir Freude | |
gemacht, und zweitens habe ich jetzt eine Platte. | |
Sie haben Ihr Häuschen in Süditalien verkauft? | |
Nein, nein, das miete ich ja nur. Ich bin da ein gern gesehener Gast. | |
Waren Sie schon mal pleite? | |
Ja, ich hatte schon mal ein Loch im Schuh. | |
Offenbarungseid? | |
Nein, aber wer weiß, was noch kommt. Ich glaube aber nicht, dass ich | |
verhungern werde. Aber wenn man das macht, was man machen will, dann muss | |
man auch gewillt sein, ein Kleid weniger zu kaufen. Man muss … – wie nennt | |
man das?: Prioritäten … Man muss Prioritäten setzen. Und tatsächlich hatte | |
ich sehr, sehr wenig Geld, als ich mich 2004, 2005 entschlossen hatte, | |
wieder Musiker zu werden. Da war mir klar, dass ich erst einmal kein Geld | |
damit verdienen würde. Aber wenn ich etwas ausholen darf … | |
Nur zu! | |
Ich war ungefähr zu dieser Zeit damals in Triest bei einer Astrologin. Die | |
meinte, ich hätte ein typisches Horoskop für eine Musikerin. Aber dann | |
guckte sie ganz erschrocken und sagte: „Oh, wie schrecklich.“ Bei mir wäre | |
es so: Immer wenn ich Geld hätte, würde ich alles ausgeben, und dann müsste | |
ich wieder ganz von vorn anfangen. Das würde ich immer so machen, und da | |
sei auch kein Ende abzusehen. Da musste ich laut lachen, weil das ja genau | |
stimmte. | |
Hat Sie das nicht erschreckt? | |
Nein. Die Astrologin schon, mich nicht. Aber ich hab ja auch langsam | |
Routine damit. | |
Hatten Sie nie Angst, dass das mit dem Wiederanfangen mal nicht mehr | |
klappen könnte? | |
Doch, klar, als ich jünger war. Aber ich hab mir darüber nie wirklich | |
Gedanken gemacht. Denn erst einmal muss man das Bedürfnis haben, sich | |
künstlerisch ausdrücken zu wollen. Dann sollte man sich Gedanken machen, | |
was man sagen will. Und dann, wie man es sagen will. Und irgendwann kann | |
man auch mal darüber nachdenken, wie man damit seinen Lebensunterhalt | |
verdienen kann. Aber nicht in umgekehrter Reihenfolge. Man muss bereit | |
sein, vielleicht sogar mal Kohldampf zu schieben. Aber auch so etwas ist im | |
Nachhinein ganz gut. Als in den 1980ern in Westberlin plötzlich alle | |
begannen, Speed zu nehmen, waren wir von Malaria! viel zu arm, um uns die | |
Drogen leisten zu können. Vielleicht bin ich deshalb noch am Leben? Aber es | |
stimmt schon, man muss auf Dinge verzichten, auf eine Familie zum Beispiel. | |
Denn Kinder zu haben, das wäre verantwortungslos, so wie ich lebe. Aber der | |
Verzicht ermöglicht einem im Gegenzug eine künstlerische Freiheit, die | |
anders nicht zu haben ist. Man muss sich entscheiden: Will ich leben, um zu | |
schaffen? Oder schaffen, um zu leben? | |
Im Umkehrschluss bedeutet der Satz, dass man hungern muss für die Kunst, ja | |
auch, dass aus einer komfortablen Situation heraus keine große Kunst | |
entstehen kann. | |
Nein, das will ich damit gar nicht sagen. Überhaupt nicht. Ich will vor | |
allem sagen: Man soll Kunst machen, weil man Kunst machen will. Nicht, weil | |
man Geld verdienen will. Wie die alten Griechen sagen: art for art’s sake. | |
(lacht laut) | |
Trotzdem hatten Sie eine ganze Zeit lang nicht mehr das Gefühl, noch Kunst | |
machen zu müssen. | |
Ja, ich war mehrere Jahrzehnte lang eingeschnappt (lacht). Als 1986, 1987 | |
die großen Plattenfirmen auftauchten und alles übernahmen, fand ich das nur | |
noch schrecklich. Da habe ich mir gesagt, ich möchte mir die Liebe zur | |
Musik bewahren und nehme mich lieber aus dem Geschäft raus. Wohlgemerkt aus | |
dem Geschäft: Ich habe immer weiter Musik gemacht, aber halt nur noch | |
selten etwas veröffentlicht. Ich hatte dann in New York eine ganze Weile | |
auch noch eine Band mit Sara Lee von Gang of Four, die hat Bass gespielt, | |
und Barbara Gogan von den Passions. Die Band hieß In The Service Of, und | |
wir sind viel aufgetreten, aber wir haben fast nur in New York gespielt, | |
vielleicht sind wir mal nach Washington gefahren. New York reichte uns, da | |
gab es so viele Clubs damals. | |
Und das reichte zum Leben? | |
Natürlich nicht. Als ich 1983 nach New York ging, wollte ich drei Wochen | |
bleiben. Daraus sind dann ungefähr zwanzig Jahre geworden. Und irgendwann | |
musste ich natürlich Geld verdienen. Meinen ersten Job habe ich bei einer | |
schottischen Putzagentur gefunden. Ich war zuständig für die Jalousien: | |
Zwischen den Lamellen sauber machen, das konnte ich besonders gut. Dann | |
habe ich bei der Danceteria angefangen … | |
… dem legendären New Yorker Club, der von dem Deutschen Rudolf Pieper | |
geführt wurde. | |
Genau. Ich kannte Rudolf, weil wir mit Malaria! dort gespielt hatten. | |
Angefangen habe ich als Rezeptionistin. Dann haben die mir Buchhaltung | |
beigebracht, und ich wurde Tagesmanager, habe den Schnaps bestellt, | |
Gehälter ausgezahlt. Als die Danceteria zugemacht hat, weil sich der Laden | |
nicht mehr rentiert hat, wurde es finanziell eng. Da brauchte ich Geld, und | |
wo gibt es Geld? Bei der Bank. Also habe ich mir an der Wall Street einen | |
Job gesucht, und ich hatte Glück, dass ich zweisprachig war, und habe etwas | |
bei einer deutschen Bank gefunden. | |
Bei der Deutschen Bank? | |
Nein, bei einer deutschen Bank. Da hat mir jemand Marktanalyse beigebracht, | |
und ich wurde Chartist. Ich habe im World Trade Center gearbeitet, aber | |
irgendwann wurde mir klar: Die produzieren ja alle nichts. Vor allem die | |
Broker, denen war alles egal. Da liefen Kungeleien, Insidergeschäfte, | |
vieles, was wirklich nicht erlaubt war. Ich hab dann auch eine Menge Geld | |
verloren mit Investitionen in Ölquellen, die es wahrscheinlich nie gegeben | |
hat … | |
Und die Musik? | |
2004 wollte ich dann doch wieder mit der Musik anfangen, aber da musste ich | |
mich erst einmal finden. Nicht wiederfinden, denn was ich gewesen war, das | |
wusste ich ja. Ich musste nach der langen Zeit erst einmal herausfinden, | |
wer ich nun war, welche Musik dieser Mensch machen würde. Wie will ich | |
singen? Was will ich singen? Das hat gedauert. Ich arbeite sehr langsam. | |
Was dauert so lang? | |
Ich brüte erst einmal sehr lange vor mich hin. Ich putze Fenster. Ich fahre | |
lange Auto. Und hoffe, mir fällt etwas ein. Aber wenn ich eine Idee habe, | |
dann ziehe ich die auch durch. Und denke oft erst hinterher darüber nach, | |
ob die Idee jetzt wirklich so besonders gut war. Das gilt für die Kunst, | |
aber auch fürs Leben. Da läuft man natürlich auch mal gegen die Wand, aber | |
am Schluss hat es immer funktioniert. Und wenn man immer wieder von vorne | |
anfängt, dann bekommt man Routine. Wiederholung macht gelassen. | |
Kann man sagen, dass diese radikale Einstellung, das Leben der Kunst | |
unterzuordnen, eine für die achtziger Jahre typische ist, die Sie aus | |
dieser Zeit herübergerettet haben? | |
Ja, das kann schon sein. | |
Wenn Sie sich heute so umschauen: Fehlt diese Entschlossenheit bei den | |
Jüngeren? | |
Das kann ich nicht so richtig beurteilen, gerade auch auf Berlin bezogen, | |
weil ich erst seit September wieder zurück bin. Aber ich habe schon viel | |
mit jungen Leuten zu tun, und was ich merke, dass die ganz Jungen, zwischen | |
18 und 24 Jahren, die sind nicht so blauäugig, wie wir es waren. Die sind | |
auch unheimlich gut informiert und wissen, was vor ihnen passiert ist. | |
Und weiß der Nachwuchs zu schätzen, was Sie vor drei Jahrzehnten gemacht | |
haben? | |
Ja, aber das liegt auch daran, dass die Ästhetik, die wir vor allem mit | |
Malaria! musikalisch und visuell geprägt haben, nicht altmodisch geworden | |
ist – im Gegensatz zu vielem, was dann als Neue Deutsche Welle verkauft | |
wurde. In unserer Musik ging es ja nicht um schöne Melodien, sondern | |
durchaus darum, zu nerven und gewisse Sachen anzustoßen. Das hat bei | |
einigen funktioniert, zum Beispiel ja auch bei Thurston Moore, der uns | |
gesehen hat und sich gesagt hat: Wenn die sich das trauen, dann kann ich | |
auch eine Band gründen. Und so sind Sonic Youth entstanden. Ich habe das | |
Gefühl, dass die Musik von Malaria! immer noch diese Qualität hat. Und | |
„Kaltes Klares Wasser“ lief ja tatsächlich hoch und runter und läuft immer | |
noch. Das ist offensichtlich zeitlos. | |
Wie ist Ihr Verhältnis zu diesem Lied, Ihrem einzigen Hit? | |
Ich mag das Lied bis heute sehr gerne. Auch weil es so einfach kam. Es war, | |
als ging mir der Kopf auf, und das Lied war plötzlich drin. Wie zugeflogen. | |
Das war einer dieser schönen Momente, die gar nicht so oft vorkommen. Aber | |
ein richtiger Hit war es ja nicht. | |
„Kaltes Klares Wasser“ zahlt nicht Ihre Miete? | |
Pffft. Dafür reicht es lange nicht, das Geld haben wir immer eher mit | |
Konzerten verdient. Gut, wenn man das über die 35 Jahre zusammenzählt, | |
kommt zwar ein bisschen was zusammen, aber solch ein großer Hit war es dann | |
auch wieder nicht. Eigentlich hatte ich noch nie einen richtigen Hit. Aber | |
was nicht ist, kann ja noch werden. Ich bin ja noch jung. (lacht) | |
Finden Sie, Ihr Lebenswerk wird angemessen gewürdigt? | |
Ich denke ja, dass mein Lebenswerk noch nicht ganz fertig ist, deshalb habe | |
ich da noch nicht richtig drüber nachgedacht. Ich hoffe, dass mein neues | |
Album wahrgenommen wird. Und angehört wird, gern ein paar Mal. | |
Wenn Sie so zurückblicken, auf was sind Sie noch stolz? | |
Hm, da habe ich auch noch nicht drüber nachgedacht. | |
Wirklich nicht? | |
Nein, ich denke anscheinend eh nicht so viel nach, merke ich gerade. | |
(lacht) Worauf ich stolz bin: Dass ich immer für Frauenrechte eingestanden | |
bin und Frauen dazu beflügelt habe, auch für Frauenrechte einzustehen, und | |
für ein solidarisches Miteinander. Mein großes Idol war Pippi Langstrumpf. | |
So wollte ich leben. | |
Wie bewusst war diese feministische Haltung damals? | |
Nicht sehr bewusst. Das entstand daraus, dass wir alle vorher mit Jungs | |
gespielt hatten – und uns auf der Bühne nie hören konnten, weil die Jungs | |
ihre Verstärker immer dermaßen laut aufgedreht haben. Die wollten auch | |
unsere Ideen nie hören. Deswegen haben wir Frauenbands gegründet, da | |
mussten wir uns wenigstens nicht mehr um die Lautstärke streiten. Mehr | |
steckte da erst einmal nicht dahinter. Aber wir hatten ein | |
Selbstverständnis, weil es ja Frauen gab, auf die wir uns beziehen konnten, | |
ob es Alice Schwarzer war oder Mo Tucker von Velvet Underground, die fanden | |
wir alle großartig. Wenn wir uns die Haare abgeschnitten haben, dann nicht, | |
weil wir bewusste Feministinnen waren, sondern weil wir ein feministisches | |
Selbstverständnis hatten: Mädchen können das. Und das reichte schon, um | |
massive Irritationen auszulösen. | |
Wie sahen die aus? | |
Wir wurden mit unseren Frisuren und Outfits, die inspiriert waren von der | |
Mode der 20er und 30er, von Stummfilmen und Majakowski, selbst innerhalb | |
der feministischen Szene als Provokation empfunden. Aber natürlich haben | |
wir vor allem das andere Geschlecht irritiert: Es gab eine Sorte Männer, | |
die sind bei Konzerten unglaublich sauer und aggressiv geworden, die haben | |
uns beschimpft. Auch bei den Plattenfirmen, wo damals fast ausschließlich | |
Männer arbeiteten, konnten die nichts mit uns anfangen. Wir waren kein | |
Massenprodukt, aber wir haben in New York und London gespielt, wir waren | |
für eine Kellerband aus Westberlin sehr erfolgreich und angesagt – und | |
hätten eigentlich eine große Plattenfirma hinter uns haben sollen. Aber mit | |
dem nächsten Schritt hat es nie geklappt, weil die Männer in den | |
Plattenfirmen Angst vor uns hatten. Da hieß es: Kann man sich auf die | |
Mädels verlassen? Die haben doch einen Journalisten in Wien gefesselt und | |
ausgepeitscht. | |
Und, hatten Sie? | |
Natürlich nicht. Das hatten wir nur angedroht, und das war auch in Referenz | |
an Hermann Nitsch [Wiener Aktionskünstler – Anm. d. Red.] Aber nicht jeder | |
hat unseren feinsinnigen Humor verstanden. (lacht) | |
Es war ja nicht nur Ihr Outfit. Die irritierende Androgynität fand ja eine | |
Fortsetzung in Ihrer wahnsinnig tiefen Stimme. | |
Ich hatte noch als Jugendliche eine ganz glockenhelle Stimme. Ich habe gern | |
zur akustischen Gitarre Joan Baez gesungen, und eines Tages, ich war 16 | |
oder 17 Jahre alt, da hatten wir Besuch, und meine Mutter hat gesagt: | |
Bettina, komm doch mal runter und sing uns was vor. Da hat sich der Besuch | |
so kaputtgelacht über meine hohe Stimme, dass sich in meinem Kopf etwas | |
verschaltet hat. Von diesem Tag an hatte ich so etwas wie einen | |
psychologischen Hänger, ab da war meine Stimme so tief, wie sie jetzt ist. | |
Kaum zu glauben. | |
Aber wahr. Jetzt fällt mir noch etwas ein, auf das ich wirklich stolz bin: | |
Ich habe einen Preis von der Universität Graz und der Stadt Graz bekommen | |
als „Most Promising Elderly Artist“. | |
So einen Preis gibt es? Für die vielversprechendste ältere Künstlerin? | |
Ja, den hab ich gewonnen, weil ich die einzige Nominierte war. Denn die | |
anderen wollten alle nicht zugeben, dass sie schon über 50 sind. Darauf bin | |
ich stolz, denn da geht es darum, dass sich Frauen mit dem Alter oft selbst | |
aus dem Geschehen rausnehmen. Und dagegen will ich ein Zeichen setzen. | |
Gegen Altersdiskriminierung? | |
Ja, ich bin auf einer Mission: Ich will den Leuten klar machen, dass es | |
vollkommen okay ist, älter zu werden. Dass es sogar sehr schön sein kann. | |
Die roten Haare von Pippi Langstrumpf werden grau? | |
Ja, selbst Pippi muss irgendwann einmal älter werden. | |
13 Jul 2017 | |
## AUTOREN | |
Thomas Winkler | |
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