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# taz.de -- SPD-Ministerien: Scholz & Friends
> Knapp und arbeitsam: Bei der Vorstellung der SPD-Kabinettsmitglieder
> bleibt Olaf Scholz seinem Stil treu. Doch Überraschungen gibt es.
Bild: Team Olaf: Dank SPD ein fast paritätisch besetztes Kabinett
Auf dem Boden des Holzpodests im Willy-Brandt Haus kleben kleine gelbe
Zettel. Ganz rechts ist „OS“ zu lesen, Olaf Scholz. Daneben steht „A&S“.
Dort wird gleich Hubertus Heil stehen, der Minister für Arbeit und Soziales
bleibt. Scholz wird ihn mit gewöhnungsbedürftigem Charme als „Schlachtross
aus Niedersachsen“ vorstellen.
Der Kanzler in spe betritt um kurz nach zehn Uhr als Erster das Podest.
Dunkler Anzug, alle MinisterInnen, die Scholz nach und nach vorstellt,
tragen seriöses Blau. Von den Männern hat nur Karl Lauterbach keine
Krawatte.
Vier SPD-Ministerinnen, drei SPD-Minister. Im kompletten Ampelkabinett
werden damit acht Frauen und acht Männer sein. Zudem Scholz, der Kanzler.
Also fast Parität. „Die Frauen“, sagt Scholz, „sollen die Hälfte der Ma…
haben.“ Scholz präsentiert sein Team, er ist der Moderator, er steht im
Mittelpunkt.
Die größte Überraschung ist Nancy Faeser (51). Die Hessin, bislang Chefin
der SPD-Landtagsfraktion in Wiesbaden, wird die erste Innenministerin der
Bundesrepublik. Scholz erwähnt ihre Expertise als Innenpolitikerin. Die
MinisterInnen, die am Mittwoch vereidigt werden, sollen sich, so der Plan,
mit Ankündigungen zurückhalten. Das Ja der grünen Basis steht am
Montagmorgen noch aus. Faeser zieht aber schon mal eine Linie. Der
Rechtsextremismus sei „die größte Bedrohung“ der inneren Sicherheit, sagt
sie.
## Hessisch angehaucht
Scholz hat, so war zu hören, die MinisterInnen am Samstag informiert. Bei
der Besetzung mussten gleich mehrere Quoten berücksichtigt werden.
Mann/Frau, der Osten muss vorkommen, links/rechts spielt noch immer eine
wenn auch abnehmende Rolle, Fachkompetenz und Erfahrung sind gefragt, und
der Länderproporz ist immer wichtig.
Da scheint „Hessen vorn“ zu gelten. Denn die Hessin Christine Lambrecht,
derzeit Justizministerin, wird künftig als Verteidigungsministerin agieren.
Auch das hatte niemand auf dem Zettel. Lambrecht kündigt an,
Auslandseinsätze der Bundeswehr stärker zu überprüfen und „Exit-Strategien
zu entwickeln“. Das Verteidigungsministerium gilt als schwierig und schwer
steuerbar. Lambrecht gilt als durchsetzungsfähig. Das scheint
aufzuwiegen, dass sie mit Verteidigungspolitik bislang wenig Berührung
hatte. Scholz betont ihre Erfahrung als Ministerin.
Überraschend ist auch, dass die Potsdamerin Klara Geywitz Bauministerin
wird. Dieses neue Ministerium ist der ganze Stolz der SPD – es ist auch das
einzige Klimaministerium, das künftig von Sozialdemokraten geführt wird.
Der Kanzler in spe nennt sie eine „ganz talentierte Politikerin“, Geywitz
bedankt sich „persönlich bei Olaf Scholz“. Sie [1][hatte sich 2019 mit
Scholz vergeblich um den SPD-Vorsitz bemüht] und ist seit zwei Jahren
Vizechefin der Partei. Dort bemängeln manche, dass sie in dieser Rolle
ziemlich unsichtbar geblieben ist. Geywitz ist die einzige Ostlerin im
Paket der SPD-Kabinettsmitglieder.
Natürlich muss die nordrhein-westfälische SPD auch im Kabinett vertreten
sein. Scholz setzt da halb auf Kontinuität. Svenja Schulze, derzeit
Umweltministerin, wird das Ressort für wirtschaftliche Zusammenarbeit (BMZ)
leiten. Das ist auf den zweiten Blick eine naheliegende Wahl. Klima spielt
auch im BMZ eine Rolle. Das Ministerium hat zu Unrecht den Ruf, ein
Trostpreis zu sein. Schulze erinnert knapp an ihre VorgängerInnen wie
Erhard Eppler und Heidemarie Wieczorek-Zeul, um die Bedeutung des
Ministeriums zu unterstreichen.
## Kein Zirkus, keine Show
Und dann kommt Karl Lauterbach, der nicht ganz trittsicher seine gelbe
Markierung sucht. Über den Job des Gesundheitsministers war viel debattiert
worden. Scholz sagt: „Die Bürgerinnen und Bürger haben sich gewünscht, dass
der Gesundheitsminister vom Fach ist und dass er Karl Lauterbach heißt.“
Das ist eine freundliche Vorstellung. Aber sie lässt die Frage offen, ob
auch der Bürger Olaf Scholz sich Lauterbach so innig als Minister gewünscht
hat. Lauterbach hat in der SPD den Ruf eines Solospielers.
Lauterbach kündigt an, dass Reisen zu Weihnachten möglich sein werden, wenn
es gelingt, jetzt die Infektion einzudämmen. Er bedankt sich bei „Olaf“ und
bei der SPD.
Als Letzter betritt Wolfgang Schmidt, künftig Kanzleramtschef, das Podest.
Er sagt knapp, sein Job sei es, dem Kanzler „den Rücken freizuhalten“.
Scholz hat einmal gesagt, er wolle Bundeskanzler und kein Zirkusdirektor
werden. Dem entspricht der Geist dieser Präsentation. Nichts sickert vorab
durch. Wenig Show. Alle eher knapp, nüchtern und arbeitsam. Es ist eine
Vorstellung im Stil von Olaf Scholz.
## Innere Überraschung: Nancy Faeser
„Ich werde mich niemals einschüchtern lassen und weiter entschlossen gegen
Rechtsextremismus und Antisemitismus kämpfen!“, twitterte Nancy Faeser, als
im Juni in ihrem Wahlkreisbüro ein mit „NSU 2.0“ unterzeichnetes
Drohschreiben einging. Die hessische Innenpolitikerin und SPD-Landeschefin
weiß, was rechtsextreme Bedrohungen bedeuten. Und so lautete am Montag auch
ihre erste Ankündigung als designierte Bundesinnenministerin:
„Rechtsextremismus zu bekämpfen wird mir ein besonderes Anliegen sein.“
Faesers Ernennung ist so oder so eine Zäsur – und eine Überraschung. Die
51-jährige Juristin, Mutter eines Sohnes im Grundschulalter, wird die erste
Innenministerin auf Bundesebene. Dafür gehandelt wurde eigentlich
Justizministerin Christine Lambrecht, Faeser hatte fast niemand auf dem
Zettel. Und sie dürfte andere Akzente als Noch-Minister Horst Seehofer
setzen.
In Hessen hat sich Faeser in 18 Jahren Landtagsarbeit über die
Parteigrenzen hinweg Respekt verschafft. Seit 12 Jahren war sie dort
innenpolitische Sprecherin der SPD, klärte im NSU-Untersuchungsausschuss
mit auf, wurde im November 2019 auch Landeschefin ihrer Partei.
Im Umgang mit der politischen Konkurrenz tritt sie dabei
freundlich-fröhlich und verbindlich auf, in der Sache dagegen hart.
„Schwarz-Grün taugt nur als abschreckendes Beispiel“, urteilte Faser über
die hessische Regierungskoalition. Von Innenminister Peter Beuth (CDU)
forderte sie den Rücktritt wegen dessen Versagens im Umgang mit den
NSU-2.0-Drohschreiben und den rechten Umtrieben in der hessischen Polizei.
## Höhere Tochter gegen Rechtsextreme
In Hessen wurde Faeser schon länger für Höheres gehandelt, im Land ist sie
bekannter als manche MinisterIn. Dreimal war sie in Hessen als
Schattenministerin nominiert, für Inneres oder Justiz, bei der nächsten
Landtagswahl 2023 sollte sie die SPD nach 24 Jahren Opposition wieder in
die Staatskanzlei zurückführen. Nun wird sie Bundesinnenministerin.
Wer Faeser kennengelernt hat, traut ihr das zu. Die Ampel im Bund lobte
Faeser zuletzt als „echtes Fortschrittsbündnis“ und „eine Ära der
Neuerungen“. Im Koalitionsvertrag wurde der Rechtsextremismus als größte
Bedrohung der Sicherheit festgeschrieben. Faeser darf nun das
Demokratiefördergesetz einführen, das Projekte gegen Extremismus
langfristig absichert, oder den Rasse-Begriff aus dem Grundgesetz streichen
– beides von der SPD lange gefordert und bisher an der Union gescheitert.
Daneben warten Großaufgaben wie die Folgen der Coronabekämpfung oder die
Migrationsproblematik in der Belarus-Krise auf sie.
Auf der anderen Seite schränken Grüne und FDP im Koalitionsvertrag Faesers
Handlungsmöglichkeiten ein: Alle Sicherheitsgesetze sollen von einer
„Freiheitskommission“ überprüft werden, die Bundespolizei bekommt keine
Staatstrojaner, eine Vorratsdatenspeicherung darf höchstens anlassbezogen
her. Die SPD wollte eigentlich mehr Spielräume.
Faeser suchte in Hessen die Nähe, setzte sich bei der Polizei für eine
bessere Bezahlung und mehr Personal ein. Ihr Slogan: „Je Station eine
Streife mehr“. Die Frage wird nun sein, wem Faeser künftig eher folgt: dem
Koalitionsvertrag, ihrer Partei oder den Behörden? C. Schmidt-Lunau, K.
Litschko
## Auf die Gesundheit: Karl Lauterbach
Man musste auf der Landeswahlliste der SPD in Nordrhein-Westfalen schon
ziemlich weit nach unten scrollen, um den Namen Karl Lauterbach zu finden.
Erst auf Platz 23 tauchte der 58-Jährige als Bundestagskandidat auf. Ein
Hinweis darauf, dass die Popularität, die der Rheinländer in der
Öffentlichkeit genießt, in sozialdemokratischen Parteikreisen nicht
uneingeschränkt geteilt wird.
Formal ist Lauterbach seit 2013 nicht einmal mehr gesundheitspolitischer
Sprecher der Bundestagsfraktion. Seine Kandidatur um den Parteivorsitz 2019
scheiterte kläglich.
Dennoch ist der salzfrei lebende Mediziner jetzt am Ziel seiner Träume – im
Kabinett Scholz wird er Gesundheitsminister. Wem er das zu verdanken hat,
machte er kurz nach seiner Ernennung per Tweet klar. „Ich möchte mich bei
allen bedanken, die mich als Gesundheitsminister hier auf Twitter
unterstützt haben“, [2][schrieb er].
Durch zahlreiche Talkshow-Auftritte, gepaart mit der Sehnsucht nach einer
Heldenfigur in der Coronakrise, ist es Lauterbach gelungen, auch an den
Befindlichkeiten seiner Partei vorbei ein Ministeramt zu bekleiden.
Lauterbach, der seinen Wahlkreis in Köln/Leverkusen mit großem Vorsprung
direkt gewonnen hat, zeigte sich am Montag bei seinem kurzen Auftritt im
Willy-Brandt-Haus entschlossen: „Wir werden den Kampf gegen die Pandemie
gewinnen, und für weitere Pandemien werden wir besser gerüstet sein“,
versprach er.
## Pandemie-Star auf Twitter
Die Frage ist, ob Lauterbach seine Popularität in erfolgreiche
Regierungsarbeit ummünzen kann. Sein kurzfristiger Fokus wird auf dem Kampf
gegen die Pandemie liegen. Doch mittelfristig warten weitere Aufgaben.
Lauterbach muss den Personalmangel in der Pflege und die Schieflage in der
Krankenhausfinanzierung verbessern.
Dass er während der rot-grünen Regierungszeit an der breiten
Implementierung des vielfach kritisierten Fallpauschalensystems mitgewirkt
hat, ist dabei sicherlich eine Hypothek. Denn der Pflegemangel geht
teilweise auf die Ökonomisierung des Krankenhausbetriebs zurück. Zudem
plädierte er für die Schließung kleinerer Kliniken auf dem Land und saß im
Aufsichtsrat eines privaten Klinikbetreibers.
Andererseits hat er auch vor Ausbruch der Coronakrise bereits dafür
geworben, die Krankenhausfinanzierung wieder bedarfsgerechter zu gestalten.
Als Mediziner und Gesundheitsökonom dürfte es zudem kaum jemanden geben,
der sich besser im komplizierten deutschen Gesundheitssystem auskennt.
Von nun an wird Lauterbach für die Entwicklung in der Pandemie
verantwortlich gemacht werden – im Guten wie im Schlechten. Übrigens: Auch
die Twitter-Fangemeinde lässt ihre Helden im Zweifel schnell fallen. Jörg
Wimalasena
## Viel Arbeit: Hubertus Heil
Der designierte Bundeskanzler Olaf Scholz nannte ihn am Montag das
„Schlachtross aus Niedersachsen“. Das war eine Anspielung auf das
politische Durchhaltevermögen, vielleicht auch auf die Leibesfülle von
Hubertus Heil, 49, der nun zum zweiten Mal Bundesminister für Arbeit und
Soziales wird und es schafft, nur wenig Aggressionen aus Wählerschaften und
Lobbygruppen auf sich zu ziehen.
Heil hat Glück, einerseits. Die Zeiten der Massenarbeitslosigkeit rund um
die nuller Jahre sind Geschichte, auch dank der Demografie. Damals war Heil
ein Verfechter der Einführung von Hartz IV. Am Montag nun verkündete Heil
die Umbenennung, er werde das „Bürgergeld“ einführen. Klingt gut, nur
leider gibt es damit für die Betroffenen kaum einen Euro mehr.
„Respekt“ und „Leistungsgerechtigkeit“ seien seine Ziele, sagt er, der
erfolgreich für die Grundrente und einen höheren Mindestlohn kämpfte und
„stabile Renten“ verspricht. Dabei ist die Demografie eben auch sein
größtes Problem, langfristig. Konflikte um die Rentenfinanzen müssen gelöst
werden. Die Ampelkoalition hat dies in die Zukunft verschoben. Das
„Schlachtross“ begibt sich nicht in jeden Kampf. Barbara Dribbusch
## Frau für Verteidigung: Christina Lambrecht
Eigentlich hatte sich Christine Lambrecht schon verabschiedet. Vor Monaten
versicherte die 56-jährige Justizministerin, nach mehr als 20 Jahren im
Bundestag aus der Politik aussteigen und wieder als Anwältin arbeiten zu
wollen. Dann aber gewann die SPD die Wahl. Und Lambrecht änderte ihre
Meinung.
Gehandelt wurde sie indes als Bundesinnenministerin. Nun wird es
stattdessen das Verteidigungsministerium, das bereits seit 2013 in
weiblicher Hand ist – zuletzt von Annegret Kramp-Karrenbauer und Ursula von
der Leyen.
Lambrecht nannte die Leitung dieses Amts am Montag selbst eine Überraschung
für sie – aber sie nehme Herausforderungen gerne an. Und irgendwie passt es
auch – denn Lambrecht gilt als Allrounderin. Politisiert wurde sie durch
die Anti-Atom-Bewegung, schon mit 16 Jahren trat sie in die SPD ein, wurde
drei Jahre später Stadtverordnete im hessischen Viernheim.
Seit 1998 sitzt sie im Bundestag, war Staatssekretärin im
Bundesfinanzministerium unter Olaf Scholz, bevor sie 2019 zur
Justizministerin aufstieg – und zuletzt, nach dem Rücktritt von Franziska
Giffey, [3][auch noch das Familienministerium schulterte].
## Auslandseinsätze evaluieren
Der kommende Bundeskanzler Olaf Scholz lobte Lambrecht denn auch als
Politikerin, die an vielen Stellen „große Fähigkeiten“ bewiesen habe.
„Eine, die es auch kann.“ Nun ist für sie erst mal wieder viel Neuland zu
beackern. Als Justizministerin knöpfte sich Lambrecht den
Rechtsextremismus vor, etwa mit dem Netzwerkdurchsetzungsgesetz.
Den Kampf kann sie nun bei den KSK-Spezialkräften fortsetzen. Sie wolle für
eine gute Beschaffung für die Bundeswehr sorgen und die Attraktivität des
Soldatentums steigern, kündigte Lambrecht an. Auch gehörten die
Auslandseinsätze evaluiert, inklusive eine Exit-Strategie, wie sie zuletzt
in Afghanistan gefehlt habe.
Die Spielräume dafür hat die Verteidigungsministerin: Der
Ampel-Koalitionsvertrag ist in diesen Punkten recht deutungsoffen.
Christine Lambrecht hat zuletzt auch bewiesen, dass sie flexibel ist, nicht
immer nur zur Freude ihrer MitarbeiterInnen im Ministerium. Was die
Bundespolitik und insbesondere die Bundeswehr mit Lambrecht zu erwarten
haben, bleibt damit auch ein Stück weit Überraschung. Konrad Litschko
## Aufbauend: Klara Geywitz
Klara Geywitz (45) hat politisch schon eine Menge ups and downs erlebt. Die
Potsdamerin war 15 Jahre lang Abgeordnete im Brandenburger Landtag. 2019
verlor sie ihr Direktmandat an eine Grüne. Auch ihre Karriere als
Generalsekretärin der SPD Brandenburg endete 2017 jäh.
SPD-Ministerpräsident Dietmar Woidke blies die ungeliebte
Kreisgebietsreform ab – Geywitz trat aus Protest dagegen zurück. „Als
Generalsekretärin ist man entweder General oder Sekretärin“, sagte sie
flott. Sekretärin ist nichts für sie.
Die Feministin trieb in Brandenburg das Paritätsgesetz voran. Der Landtag
sollte, so das Ziel, zu gleichen Teilen weiblich und männlich besetzt sein.
Das Gesetz scheiterte vor Gericht. Weitsichtiger handelte bei der
Kreisgebietsreform allerdings Woidke. Dank des Verzichts auf die Reform
holte die SPD bei der Landtagswahl 2019 den Sieg.
Geywitz ist eine profilierte Kommunal- und Landespolitikerin. Auf
bundespolitischer Bühne ist sie neu. Gerühmt wird ihr Witz und
Selbstbewusstsein. Als sie 2019 mit Olaf Scholz für den SPD-Vorsitz antrat,
bekundete sie in der Bundespressekonferenz, „nicht das dekorative
Salatblatt an seiner Seite“ sein zu wollen.
Geywitz engagiert sich gegen das gender pay gap. In der taz kündigte sie
2019 an: „Wir haben immer noch große Unterschiede zwischen Männern und
Frauen bei Löhnen und in der Rente. Olaf und ich wollen das nächste
Jahrzehnt zum Jahrzehnt der Gleichstellung machen.“
Dass sie jetzt Bauministerin wird, ist eine Überraschung. Als
Schlüsselbegriff für ihren neuen Job nennt sie Sicherheit. Mieterinnen und
Mieter müssten vertrauen können, dass sie nicht wegen übermäßig stark
steigender Mieten aus ihren Wohnungen vertrieben werden, und sich in ihrem
Stadtteil sicher fühlen. Stefan Reinecke
## Gute Entwicklung? Svenja Schulze
Svenja Schulze gilt als sozialdemokratische Allzweckwaffe. Vor den
vergangenen dreieinhalb Jahren, als sie in der Großen Koalition als
Bundesumweltministerin fungierte, war die gebürtige Düsseldorferin sieben
Jahre lang Wissenschafts- und Forschungsministerin in Nordrhein-Westfalen.
Nachdem die 53-Jährige zunächst für das Bauministerium gehandelt worden
war, übernimmt sie nun das Ressort Wirtschaftliche Zusammenarbeit und
Entwicklung. „Die Entwicklungspolitik hat eine lange Tradition in der SPD“,
sagte Schulze bei ihrer Vorstellung. Verbunden seien damit solche Namen wie
Erhard Eppler, Egon Bahr, Marie Schlei und Heidemarie Wieczorek-Zeul.
Was Schulze unerwähnt ließ: Außer vielleicht bei Willy Brandt hatte das
Ressort bei noch keinem Bundeskanzler einen besonders hohen Stellenwert.
Dass das auch bei Scholz so bleiben könnte, lässt sich daran ablesen, dass
er sie am Montag als Letzte präsentierte.
Wichtig ist Schulze trotzdem für den kommenden Kanzler. Denn anders als der
Solitär Lauterbach repräsentiert die in Münster wohnende Schulze den immer
noch mächtigen NRW-Landesverband. Zu ihrer Jugendzeit zählte sie ebenso wie
Scholz zum Stamokap-Flügel in den Jusos, einer dogmatisch-marxistischen
Strömung, die ideologisch der DKP nahestand.
Ihre rebellische Phase hat indes auch Schulze schon lange hinter sich
gelassen. Sie lässt sich als ideologisch ungebundene und loyale
Pragmatikerin beschreiben – nicht konfliktscheu, aber ihre Grenzen kennend.
Das dürfte auch für den Bereich Entwicklungszusammenarbeit gelten. Pascal
Beucker
## Mann hinter dem Kanzler: Wolfgang Schmidt
Bei Wolfgang Schmidt (51) ist fast immer auf zweierlei Verlass. Er hat gute
Laune und viele Argumente dafür, warum es völlig richtig ist, was Olaf
Scholz gerade tut. Oder getan hat. Oder tun wird. Seit 19 Jahren arbeiten
die beiden zusammen, noch ist Schmidt Staatssekretär im Finanzminsterium.
Auf Scholz, so Schmidt kürzlich in einem seiner seltenen Interviews, „ist
Verlass. Natürlich ist er als Norddeutscher nicht der Emotionalste.“
Schmidt ist habituell eine Art kongeniale Ergänzung seines Chefs,
emotional, locker, kommunikativ begabt. Es macht ihm Spaß, zu debattieren
und sich auch Gegenargumente anzuhören. „Er denkt Scholz, er atmet Scholz,
er lebt Scholz“, so der Spiegel.
Mit seiner Loyalität und seinem offensiven Stil hat sich Schmidt ein paar
Probleme eingehandelt. Als Scholz 2019 vergeblich versuchte, SPD-Chef zu
werden, war Schmidt im unermüdlichen Twitter-Dauereinsatz für seinen Chef.
Das rief Kritiker auf den Plan. Er habe ja offenbar kaum noch Zeit für
seinen Job im Finanzministerium, hieß es.
## Schlüsselposition
Als ein Osnabrücker Staatsanwalt vor der Wahl eine mehr als fragwürdige
Razzia im Finanzministerium veranlasste, [4][twitterte Schmidt Auszüge aus
dem Durchsuchungsbeschluss]. Er wollte damit plausibel machen, dass es sich
bei dieser Razzia um ein politisches Manöver eines CDU-Staatsanwaltes
handele.
Das Strafgesetzbuch verbietet es, Dokumente eines Strafverfahrens vor einem
Prozess zu veröffentlichen. Die Aktion brachte ihm eine Strafanzeige und
einen ungewohnten Rüffel von Scholz ein, der erklärte, er wisse nicht, was
„sein Staatssekretär im Einzelnen macht“.
Als Staatssekretär im Finanzministerium war Schmidt für internationale
Finanz- und Währungspolitik und die Koordinierung der SPD-Ministerien mit
der Unionsseite verantwortlich. Als Kanzleramtschef hat er jetzt eine
Schlüsselstellung inne. Sie bedeutet faktisch viel Einfluss, Macht, die
aber am besten unsichtbar bleibt. Schmidt wird seine Twitter-Aktivitäten
wohl deutlich herunterfahren. Oder so gestalten, dass sie weniger Anstoß
erregen können. Stefan Reinecke
6 Dec 2021
## LINKS
[1] /Scholz-und-Geywitz-fuer-SPD-Vorsitz/!5617432
[2] https://twitter.com/Karl_Lauterbach/status/1467806125009551368?s=20
[3] /Lambrecht-uebernimmt-fuer-Giffey/!5773842
[4] /Ermittlungen-gegen-Scholz-Vertrauten/!5797405
## AUTOREN
Stefan Reinecke
Barbara Dribbusch
Jörg Wimalasena
Konrad Litschko
Christoph Schmidt-Lunau
Pascal Beucker
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Ampel-Koalition
Lesestück Recherche und Reportage
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Wochenkommentar
Ampel-Koalition
Kevin Kühnert
Integrationsbeauftragte
Wirtschaft
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