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# taz.de -- SPD-Bundesparteitag: Die große Harmonie
> Saskia Esken und Lars Klingbeil sind das neue SPD-Führungsduo. Kevin
> Kühnert wird Generalsekretär. Alles ohne Kontroversen.
Bild: Siegerpose ohne Maske: Lars Klingbeil und Saskia Esken sind die neuen SPD…
Berlin taz | Der SPD-Parteitag wählt Lars Klingbeil (43) und Saskia Esken
(60) zu Parteichef*innen und Kevin Kühnert (32) zum Generalsekretär.
Manche träumen von „einem sozialdemokratischen Jahrzehnt“. Das Ganze ist
eine Mischung aus Zufriedenheit, Erschöpfung und Familienfeier.
Vor einer Woche hat die SPD auf einem Kurzparteitag mit fast 99 Prozent für
den Koalitionsvertrag votiert. Der reguläre Bundesparteitag am Samstag
sollte eigentlich drei Tage dauern. Doch pandemiebedingt ist vieles anders.
Der zugige Saal im Berliner CityCube ist spärlich besetzt. Gut 500
Delegierte sind online zugeschaltet. Alles fällt eher kurz aus. Der
Parteitag ist abends zu Ende, der Leitantrag umfasst nur acht Seiten.
„Ohne kontroverse Debatten gibt es keinen Fortschritt“ sagt Norbert
Walter-Borjans leise mahnend in seiner letzten Rede als SPD-Chef. Der
69-Jährige hat auf eine Wiederwahl verzichtet. Das ist eine generöse Geste.
Aber es ist ja auch lebensklug, zu gehen, wenn gerade alles bestens läuft.
Auf Kontroversen hat die Partei aber keine Lust. Auf eine lange Phase des
Niedergangs, den Streit um die Groko, folgten innere Einigung, Wahlkampf,
Wahlsieg, Regierungsbildung. Nun herrscht eine Mischung aus Zufriedenheit
und Erschöpfung. Sarah Ryglewski, neu ernannte Staatsministerin für Bund
und Länder, sagt: „Wir haben ja eine Neigung dazu, schlechte Laune zu
haben. Also lasst uns den Moment jetzt genießen.“ Damit trifft sie die
Stimmung.
## Esken lobt Einigkeit der Partei
Saskia Esken erinnert an die „Zeiten, als der Niedergang der
Sozialdemokratie unaufhaltsam schien.“ Diese Zeiten sind zwar erst ein paar
Monate her, hier sollen sie wie ein ferner Alptraum scheinen. Man will es
harmonisch. Esken lobt die Einigkeit der Partei und den Wahlerfolg. Sie
wird mit 76,7 Prozent als Parteichefin wiedergewählt, ziemlich genau das
Ergebnis von 2019. Es ist angesichts des grandiosen SPD-Sieges ein recht
bescheidenes Resultat.
Lars Klingbeil bekommt mit 86,3 fast zehn Prozent mehr als Esken. Das ist
kein Votum für den Parteirechten und gegen die Parteilinke. Es drückt eher
Sympathien aus. Klingbeil hat seit 2017 als Generalsekretär viel für den
inneren Zusammenhalt der Partei getan. Dass es in der SPD keine
Zerwürfnisse gab, als der Wahlsieg nur eine ferne Möglichkeit war, ist auch
sein Verdienst. Klingbeil wirkt anders als Esken lässig, kommunikativ, er
ist everybody's darling.
## Klingbeil inszeniert sich als Versöhner
Klingbeil, Sohn eines Soldaten, mit einer für SPD-Rechte typischen innigen
Beziehung zur Bundeswehr, ist mit 43 Jahren der jüngste SPD-Chef seit
Langem. Er kann ausgleichen. Zu Hause in Niedersachsen ist er im
Schützenverein, kann aber auch mit Hipstern in Berlin. Das ist seine
Vorstellung von Volkspartei 2021.
Auch privat pflegt er Kontakte zu unterschiedlichen Leuten. Er ist mit
Kevin Kühnert befreundet, auch wenn es Freundschaft in der Politik nur in
Anführungszeichen gibt. Und er ist mit Gerhard Schröder befreundet, dem
Altkanzler. Klingbeil hat schon als Student für Schröder gearbeitet und war
auf dessen Hochzeit. Schröder und Kühnert sind so etwas wie die äußersten
Pole in der SPD. Es ist typisch für Klingbeil, den Ausgleichenden, mit
beiden gut zu können.
Der neue Parteichef inszeniert sich als Versöhner – allerdings mit
eingestreuten klaren Ansagen, ja Warnungen. Die SPD habe nach 2017 aus
ihren Fehlern gelernt, jetzt müsse man aus dem Sieg lernen. Die SPD dürfe
sich sich „nicht um sich selbst drehen“, sagt er. Kein Flügelstreit, kein
Spalt zwischen Scholz und SPD, so seine Forderung.
## Aufrechte wirken wie Partykiller
Dass Partei und Regierung nicht das Gleiche sind, vernebelt der neue
Vorsitzende. Einer der gravierenden Fehler vor 2017 war ja gerade, dass die
SPD völlig in der Regierungslogik verschwunden war. Deshalb wirkte sie im
Wahlkampf 2017 so ratlos, blass und programmatisch leer.
Ein paar Aufrechte erinnern an das, was fehlt. Dass die SPD doch die
sachgrundlose Befristung von Jobs abschaffen will und die Ampel diese nur
einschränken wird. Oder dass es noch immer Widerstand gegen die Bewaffnung
der Bundeswehr mit Drohnen gibt. Aber das wirkt ein bisschen wie
Partykiller. Für Meinungsstreit interessiert sich an diesem Tag niemand so
recht. Stattdessen träumt Klingbeil von einer SPD-Hegemonie: „Wir stehen an
der Schwelle zu einem sozialdemokratischen Jahrzehnt.“ sagt er. Der
Parteitag hört es gern. Auch wenn das angesichts der wankelmütigen
Wählerschaft eine äußerst kühne Prognose ist.
## Kühnert will Anwalt der Partei sein
Es geht nicht um das Ringen um Zukunftsstrategien, sondern um die
reibungslose Abwicklung der personellen Rochaden. Fast alles läuft glatt.
Thomas Kutschaty, der für die SPD die Wahl in NRW gewinnen soll, wird mit
85 Prozent zum neuen Parteivize, Kevin Kühnert mit knapp 78 Prozent zum
Generalsekretär gewählt. Das ist, angesichts der Polarisierung, für die der
Ex-Juso-Chef stand, ein ordentliches Ergebnis.
Der neue Job ist ein Scharnier zwischen Basis und Regierung. Auch Kühnert
will von einer Frontstellung zwischen Kanzler und Partei nichts wissen,
skizziert aber Aufgaben für die Partei. „Wir sollten nicht verschämt
Einwanderungsgesellschaft sein“ sagt er. Deutschland werde eine halbe
Million Zuwanderer brauchen, das sei noch nicht von allen verstanden
worden. Das Konzept Bürgerversicherung müsse nachgeschärft werden. „Ich
will als Generalsekretär Anwalt der Partei sein“, so Kühnert.
Der 32-jährige Berliner hat eine raketenartige Karriere gemacht: Jusochef,
Anführer der No-Groko-Bewegung, Vize-Parteichef, jetzt
Bundestagsabgeordneter und Generalsekretär. Und damit Machtfaktor in der
Regierungspartei. Den Job des Generalsekretärs wird Kühnert offensiv
gestalten. Erkennbar ist auch das Rollenspiel zwischen Klingbeil und
Kühnert. Man widerspricht sich nicht, setzt im Spannungsfeld
Regierung-Partei aber andere Nuancen.
11 Dec 2021
## AUTOREN
Stefan Reinecke
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