| # taz.de -- SWR-Doku „Die Gewählten“: „Wie fühlst du dich?“ | |
| > Der SWR trifft die neue Generation der Spitzenpolitik „hautnah“. Aber | |
| > Politiker:innen offenbaren sich nicht mal eben so, weil man nett | |
| > bittet. | |
| Bild: Politiker:innen geben nichts preis: Ricarda Lang (rechts) mit Miriam Davo… | |
| „Wie geht es dir?“ „Kommst du irgendwie klar seitdem?“ „Du bist ein | |
| bisschen abgetaucht, oder?“ Solche Fragen würde man in einer einfühlsamen | |
| Dokumentation über Menschen erwarten, die kurz vor dem Zusammenbruch | |
| stehen, die prekäre Berufe haben oder sonst vom System alleingelassen | |
| werden. | |
| Überraschen kann daher, dass diese Fragen nicht an Pflegepersonal gerichtet | |
| sind, sondern an Deutschlands Spitzenpolitiker:innen. Das Format | |
| heißt „Die Gewählten“. In der vierteiligen SWR-Dokumentation bewegen sich | |
| Reporter:innen auf einem äußerst schmalen Grad zwischen persönlichen | |
| Gesprächen und Ankumpelei. Begleitet werden (noch relativ) junge | |
| Politiker:innen der großen Parteien, durch die Koalitionsverhandlungen | |
| oder durch die Neuaufstellung ihrer Partei als Opposition. Dazu gehören zum | |
| Beispiel Ricarda Lang von den Grünen und [1][Tilman Kuban von der CDU]. | |
| Mit denen spazieren also die Moderator:innen Miriam Davoudvandi und | |
| Jan Kawelke durchs Regierungsviertel. Sie „blicken dabei hinter die | |
| Kulissen des Berliner Politik-Business“, so heißt es jedenfalls in der | |
| Beschreibung. Im Intro werfen sie Fragen auf: Wie die Politiker:innen | |
| denn persönlich seien, was sie antreibe, ob sie den Willen haben, etwas zu | |
| verändern. Man will ganz nah ran. Das klappt nur physisch. | |
| Das Genre „junges Politikformat mit persönlichen Gesprächen“ ist immer | |
| riskant. Politiker:innen tun einen Teufel, sich als Privatperson mit | |
| Abgründen zu zeigen oder mit Geständnissen zu überraschen, egal wie oft man | |
| sie fragt, wie es ihnen denn wirklich gehe. Das aber scheint die ganze | |
| Herangehensweise der Sendung zu sein. Als Kawelke und Davoudvandi sich | |
| treffen, um ihre Eindrücke zu besprechen, fallen immer wieder Sätze wie: | |
| „Klingbeil war sehr fertig“, „er hatte auch noch nichts gegessen“. Jens… | |
| solcher Eindrücke wird schnell ersichtlich: Die Politiker:innen geben | |
| nichts preis, was sie nicht auch bei anderen Terminen mit der Presse | |
| erzählen würden. | |
| ## Kirchgang und Piercing-Geschichten | |
| Damit verschenkt „Die Gewählten“ Gelegenheiten. Man hätte die Chance | |
| gehabt, nach Themen zu fragen, die junge Menschen wirklich interessieren – | |
| die für sie vielleicht sogar überlebenswichtig sind. Warum man in einer | |
| Zeit, in der es buchstäblich brennt, gutverdienende Politiker wie Tilman | |
| Kuban oder Lars Klingbeil fragt, ob sie mit ihrem stressigen Alltag | |
| klarkommen und wie viele Fangeschenke sie bekommen, bleibt für manch | |
| eine:n wohl ein Rätsel. | |
| Auch kritische Nachfragen hört man kaum. Stattdessen wird die Kamera auf | |
| die diversen Selbstinszenierungsangebote der Politiker:innen | |
| draufgehalten. Kuban geht mit der Jungen Union in die Kirche, Klingbeil | |
| erzählt die alte Geschichte, dass er als Juso ein Piercing hatte, Lang | |
| zeigt sich auf Antidiskriminierungs-Sitzungen und Vogel von der FDP | |
| natürlich im Automobil. Politikjournalismus kann man das kaum nennen. | |
| Dazwischen werden immer wieder pseudonachdenkliche Zwischenfazits gezogen: | |
| „Kuban versteckt sich hinter Floskeln“, „Deutschland, das Land der müden | |
| Politiker“. An einer Stelle erstaunt der Off-Kommentar besonders. Im Café | |
| fragt Davoudvandi [2][die mittlerweile Grünen-Vorsitzende Ricarda Lang], ob | |
| sie Angst habe, in Zukunft noch mehr Shitstorms abzubekommen. | |
| Lang antwortet, sie mache sich vor allem Sorgen um | |
| Lokalpolitiker:innen und Freiwillige vor Ort. Dieser Hinweis darauf, | |
| dass es konkrete rechte Gewalt gegen Menschen in lokalen Ämtern gibt, wird | |
| einfach mit dem Kommentar abmoderiert: „Ob Ricarda Lang so abgebrüht ist, | |
| dass der ganze Hass im Internet ihr nichts mehr anhaben kann?“ Nichts | |
| dergleichen hat Ricarda Lang gesagt. | |
| Als der Koalitionsvertrag im Berliner Futurium unterschrieben wird, fällt | |
| Kawelke die Symbolkraft auf, die der Ort, die Gesten, die | |
| Schwarz-Weiß-Bilder der Koalitionspartner:innen im Foyer haben | |
| sollen: „Man will wohl geschichtsschreibend wirken, bevor man überhaupt | |
| regiert“, sagt er in der Off-Stimme. Ein ähnliches Fazit könnte man für | |
| „Die Gewählten“ ziehen. Die Sendung ist eigentlich eine unspektakuläre | |
| Nacherzählung der Nachrichten und Schlagzeilen der letzten Monate. | |
| Obendrauf aber will man dringend tiefgründig wirken, ohne je in die Tiefe | |
| gegangen zu sein. | |
| 10 Feb 2022 | |
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| ## AUTOREN | |
| Emeli Glaser | |
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