| # taz.de -- Bundesparteitag der Grünen: Besondere Umstände | |
| > Die Grünen haben eine neue Parteispitze: Omid Nouripour und Ricarda Lang | |
| > übernehmen den Vorsitz. Mit was für einer Partei bekommen sie es zu tun? | |
| Bild: Nach der Vorsitz-Wahl der Grünen: Von Robert zu Omid, von Annalena zu Ri… | |
| Berlin taz | Omid Nouripour feiert den Sprung in die Doppelspitze ohne die | |
| neue Co-Chefin. Der 46-Jährige hat gerade sein Ergebnis erfahren. Mit 82,6 | |
| Prozent der Stimmen haben ihn die Delegierten an [1][die Grünen-Spitze | |
| gewählt,] an der Seite von Ricarda Lang. Aber als er am späten | |
| Samstagnachmittag auf der Bühne steht und zur Dankesrede ansetzt, ist seine | |
| Co-Vorsitzende nicht dabei. | |
| Sie sitzt nicht mal in der Halle. Wegen einer Corona-Infektion nimmt sie | |
| von zuhause aus am Parteitag teil, den die Grünen im Berliner Velodrom | |
| abhalten und von dort an rund 800 Delegierte im Home Office ausstrahlen. Es | |
| sind eben seltsame Zeiten, in denen sich die Grünen fürs Regieren neu | |
| sortieren müssen. | |
| „Ich gelobe, alles dafür zu tun, dass wir die Partei noch größer machen“, | |
| ruft Nouripour von der Bühne, als sich der erste Applaus der wenigen | |
| Anwesenden gelegt hat. „Das können wir nur zusammen machen.“ Was man eben | |
| so sagt bei solchen Gelegenheiten. | |
| [2][Annalena Baerbock und Robert Habeck haben sich am Vorabend vom | |
| Grünen-Vorsitz verabschiedet.] Als Kabinettsmitglieder mussten sie das Amt | |
| abgeben, so schreibt es die Parteisatzung vor. Für die Nachfolge trat die | |
| 28-jährige Lang ohne Gegenkandidatin an, Nouripour bewarb sich gegen zwei | |
| Basisgrüne. | |
| Es ist keine simple Staffelübergabe. Die Rolle der Grünen hat sich durch | |
| den Regierungseintritt verändert, die Balance zwischen ihren verschiedenen | |
| Machtzentren hat sich verschoben. Die scheidenden Parteivorsitzenden | |
| behalten ihren Einfluss oder vergrößern ihn vielleicht sogar noch. Die | |
| neuen müssen das Amt neu definieren. Wie sie es angehen werden? | |
| ## Werben fürs Regieren | |
| Nouripour für seinen Teil wirbt in seiner Bewerbungsrede, etwas früher am | |
| Samstagnachmittag, zunächst fürs Regieren. Der Koalitionsvertrag bestehe | |
| vielleicht nicht zu 100 Prozent aus grünen Wünschen, aber er trage | |
| zumindest einen grünen Anstrich. Die neuen Grünen am Kabinettstisch hätten | |
| einen „Knochenjob“ vor sich. „Sie brauchen unsere Unterstützung“, | |
| einerseits. „Impulse einer klugen Partei“ seien in die andere Richtung aber | |
| ebenso nötig. | |
| Werben fürs Regieren – ist das bei diesen Grünen eigentlich noch nötig? | |
| Eine Weile wirkt es auf diesem Parteitag so, als müsse sich die Spitze da | |
| überhaupt keine Sorgen mehr machen. Am Freitagabend wird eine Reihe | |
| aktueller Anträge debattiert. Mitglieder aus der Basis stellen einzelne | |
| Punkte aus dem Koalitionsvertrag wieder in Frage. Chancen haben sie damit | |
| nicht. | |
| Die Gegenrede zu einem Antrag gegen Kampfdrohnen hält ausgerechnet Katja | |
| Keul. Die Parteilinke hatte jahrelang gegen die Bewaffnung gekämpft, noch | |
| beim Programmparteitag vor der Bundestagswahl warb sie für ein Nein. Sie | |
| scheiterte aber und hat sich damit abgefunden. Ist gut jetzt, sagt sie, | |
| inzwischen Staatsministerin im Auswärtigen Amt, in der Debatte sinngemäß. | |
| Die Drohnen stehen im Koalitionsvertrag, den könne man nicht noch mal | |
| aufmachen. Die Delegierten lehnen den Antrag ab. | |
| ## Diskussion um die Taxonomie | |
| Bei einer Reihe anderer Themen läuft es ähnlich. Es ist aber auch nicht so, | |
| dass Vorstand und Kabinettsmitglieder auf ihre Partei überhaupt keine | |
| Rücksicht mehr nehmen müssen. Die Taxonomie ist so ein Beispiel, die | |
| geplanten Regeln der EU-Kommissionen zu nachhaltigen Investitionen also. | |
| Ein Basisantrag formulierte scharfe Kritik daran, dass Brüssel Atom- und | |
| Gasenergie als grün labeln möchte. Der scheidende Bundesvorstand wollte die | |
| Kritik entschärfen, bekam aber schon im Vorfeld des Parteitags Gegenwind. | |
| Zu einer Kampfabstimmung wollte er es am Ende lieber nicht kommen lassen, | |
| in einem Kompromissantrag kam er den Antragstellern stattdessen weit | |
| entgegen. Fürs erste wurde das Thema still beigelegt. Das muss aber nicht | |
| das letzte Wort gewesen sein. Dass SPD und FDP dem Grünen-Parteitag folgen | |
| und in den Widerstand gegen die Taxonomie einsteigen, ist schließlich nicht | |
| gesagt. | |
| Werben fürs Regieren, es schadet also vielleicht doch nicht. Als sich | |
| Ricarda Lang am Samstag dem Parteitag vorstellt, klingt sie stellenweise | |
| ähnlich wie später Nouripour. Sie wurde in den letzten Wochen häufig | |
| gefragt, wie schlimm es denn mit all den Kompromissen in der Regierung sei. | |
| „Ich finde das ein bisschen absurd“, sagt Lang, anders als Nouripour eine | |
| Vertreterin des linken Parteiflügels. „Regieren ist keine Strafe, es ist | |
| eine riesengroße Chance“. | |
| ## Rede aus dem WG-Zimmer | |
| Im Zimmer ihres Mitbewohners hält Lang ihre Bewerbungsrede. Das Bild auf | |
| der Leinwand sieht nicht aus wie das vieler anderer | |
| Home-Office-Delegierter: Die Verbindung hakt nicht, im Hintergrund sieht | |
| man keinen Klamottenstapel, das Mikrofon ist an und die Kandidatin gut | |
| ausgeleuchtet. Nach der Nachricht von Langs positivem PCR-Test bauten die | |
| Grünen in ihrer WG ein professionelles Setting auf. | |
| Es ist ein neues Genre der Parteitagsrede, die ins Velodrom und von dort | |
| weiter ins Netz übertragen wird: Lang legt ein Volumen in ihre Stimme, als | |
| stünde sie wirklich auf der Bühne und müsste Hunderte in der Halle in | |
| Ekstase reden. Die wenigen Grünen, die tatsächlich dort vor Ort sind, | |
| applaudieren auch wirklich mit Verve an den passenden Stellen, was Lang | |
| zuhause aber offenbar nicht hört, so dass sie in den Beifall hineinredet. | |
| Lang ist wahrscheinlich eine bessere Rednerin als Nouripour, der später bei | |
| seinem Auftritt etwas hastig wirkt. Unter den besonderen Umständen läuft | |
| ihr Vorteil trotzdem ins Leere. | |
| Rund 76 Prozent der Stimmen bekommt sie am Ende. Für Grünen-Verhältnisse | |
| ist das ein akzeptables Ergebnis, doch ein schlechteres als das ihres neuen | |
| Co-Vorsitzenden. Vielleicht wurde Lang ein wenig von den Schlagzeilen zu | |
| den Corona-Boni runtergezogen, die sich der scheidende Vorstand selbst | |
| genehmigt hat – mit der neuen Chefin als damalige Vize. | |
| Diese Boni waren auf dem Parteitag übrigens auch kurz Thema. Am | |
| Samstagvormittag, als der Schatzmeister seinen Jahresbericht vorstellte, | |
| eine Delegierte den Umgang der Spitze mit der Sache monierte, die Mehrheit | |
| doch für die Entlastung des Vorstands stimmte. Bei Langs Vorstellung | |
| spielten die Boni dann keine Rolle mehr, auch nicht in den Fragen der | |
| Delegierten an die Kandidatin. | |
| Wenn es darauf ankommt, [3][dann demonstrieren die Grünen weiter | |
| Geschlossenheit.] | |
| 29 Jan 2022 | |
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| ## AUTOREN | |
| Tobias Schulze | |
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