# taz.de -- SPD-Ministerien: Scholz & Friends | |
> Knapp und arbeitsam: Bei der Vorstellung der SPD-Kabinettsmitglieder | |
> bleibt Olaf Scholz seinem Stil treu. Doch Überraschungen gibt es. | |
Bild: Team Olaf: Dank SPD ein fast paritätisch besetztes Kabinett | |
Auf dem Boden des Holzpodests im Willy-Brandt Haus kleben kleine gelbe | |
Zettel. Ganz rechts ist „OS“ zu lesen, Olaf Scholz. Daneben steht „A&S“. | |
Dort wird gleich Hubertus Heil stehen, der Minister für Arbeit und Soziales | |
bleibt. Scholz wird ihn mit gewöhnungsbedürftigem Charme als „Schlachtross | |
aus Niedersachsen“ vorstellen. | |
Der Kanzler in spe betritt um kurz nach zehn Uhr als Erster das Podest. | |
Dunkler Anzug, alle MinisterInnen, die Scholz nach und nach vorstellt, | |
tragen seriöses Blau. Von den Männern hat nur Karl Lauterbach keine | |
Krawatte. | |
Vier SPD-Ministerinnen, drei SPD-Minister. Im kompletten Ampelkabinett | |
werden damit acht Frauen und acht Männer sein. Zudem Scholz, der Kanzler. | |
Also fast Parität. „Die Frauen“, sagt Scholz, „sollen die Hälfte der Ma… | |
haben.“ Scholz präsentiert sein Team, er ist der Moderator, er steht im | |
Mittelpunkt. | |
Die größte Überraschung ist Nancy Faeser (51). Die Hessin, bislang Chefin | |
der SPD-Landtagsfraktion in Wiesbaden, wird die erste Innenministerin der | |
Bundesrepublik. Scholz erwähnt ihre Expertise als Innenpolitikerin. Die | |
MinisterInnen, die am Mittwoch vereidigt werden, sollen sich, so der Plan, | |
mit Ankündigungen zurückhalten. Das Ja der grünen Basis steht am | |
Montagmorgen noch aus. Faeser zieht aber schon mal eine Linie. Der | |
Rechtsextremismus sei „die größte Bedrohung“ der inneren Sicherheit, sagt | |
sie. | |
## Hessisch angehaucht | |
Scholz hat, so war zu hören, die MinisterInnen am Samstag informiert. Bei | |
der Besetzung mussten gleich mehrere Quoten berücksichtigt werden. | |
Mann/Frau, der Osten muss vorkommen, links/rechts spielt noch immer eine | |
wenn auch abnehmende Rolle, Fachkompetenz und Erfahrung sind gefragt, und | |
der Länderproporz ist immer wichtig. | |
Da scheint „Hessen vorn“ zu gelten. Denn die Hessin Christine Lambrecht, | |
derzeit Justizministerin, wird künftig als Verteidigungsministerin agieren. | |
Auch das hatte niemand auf dem Zettel. Lambrecht kündigt an, | |
Auslandseinsätze der Bundeswehr stärker zu überprüfen und „Exit-Strategien | |
zu entwickeln“. Das Verteidigungsministerium gilt als schwierig und schwer | |
steuerbar. Lambrecht gilt als durchsetzungsfähig. Das scheint | |
aufzuwiegen, dass sie mit Verteidigungspolitik bislang wenig Berührung | |
hatte. Scholz betont ihre Erfahrung als Ministerin. | |
Überraschend ist auch, dass die Potsdamerin Klara Geywitz Bauministerin | |
wird. Dieses neue Ministerium ist der ganze Stolz der SPD – es ist auch das | |
einzige Klimaministerium, das künftig von Sozialdemokraten geführt wird. | |
Der Kanzler in spe nennt sie eine „ganz talentierte Politikerin“, Geywitz | |
bedankt sich „persönlich bei Olaf Scholz“. Sie [1][hatte sich 2019 mit | |
Scholz vergeblich um den SPD-Vorsitz bemüht] und ist seit zwei Jahren | |
Vizechefin der Partei. Dort bemängeln manche, dass sie in dieser Rolle | |
ziemlich unsichtbar geblieben ist. Geywitz ist die einzige Ostlerin im | |
Paket der SPD-Kabinettsmitglieder. | |
Natürlich muss die nordrhein-westfälische SPD auch im Kabinett vertreten | |
sein. Scholz setzt da halb auf Kontinuität. Svenja Schulze, derzeit | |
Umweltministerin, wird das Ressort für wirtschaftliche Zusammenarbeit (BMZ) | |
leiten. Das ist auf den zweiten Blick eine naheliegende Wahl. Klima spielt | |
auch im BMZ eine Rolle. Das Ministerium hat zu Unrecht den Ruf, ein | |
Trostpreis zu sein. Schulze erinnert knapp an ihre VorgängerInnen wie | |
Erhard Eppler und Heidemarie Wieczorek-Zeul, um die Bedeutung des | |
Ministeriums zu unterstreichen. | |
## Kein Zirkus, keine Show | |
Und dann kommt Karl Lauterbach, der nicht ganz trittsicher seine gelbe | |
Markierung sucht. Über den Job des Gesundheitsministers war viel debattiert | |
worden. Scholz sagt: „Die Bürgerinnen und Bürger haben sich gewünscht, dass | |
der Gesundheitsminister vom Fach ist und dass er Karl Lauterbach heißt.“ | |
Das ist eine freundliche Vorstellung. Aber sie lässt die Frage offen, ob | |
auch der Bürger Olaf Scholz sich Lauterbach so innig als Minister gewünscht | |
hat. Lauterbach hat in der SPD den Ruf eines Solospielers. | |
Lauterbach kündigt an, dass Reisen zu Weihnachten möglich sein werden, wenn | |
es gelingt, jetzt die Infektion einzudämmen. Er bedankt sich bei „Olaf“ und | |
bei der SPD. | |
Als Letzter betritt Wolfgang Schmidt, künftig Kanzleramtschef, das Podest. | |
Er sagt knapp, sein Job sei es, dem Kanzler „den Rücken freizuhalten“. | |
Scholz hat einmal gesagt, er wolle Bundeskanzler und kein Zirkusdirektor | |
werden. Dem entspricht der Geist dieser Präsentation. Nichts sickert vorab | |
durch. Wenig Show. Alle eher knapp, nüchtern und arbeitsam. Es ist eine | |
Vorstellung im Stil von Olaf Scholz. | |
## Innere Überraschung: Nancy Faeser | |
„Ich werde mich niemals einschüchtern lassen und weiter entschlossen gegen | |
Rechtsextremismus und Antisemitismus kämpfen!“, twitterte Nancy Faeser, als | |
im Juni in ihrem Wahlkreisbüro ein mit „NSU 2.0“ unterzeichnetes | |
Drohschreiben einging. Die hessische Innenpolitikerin und SPD-Landeschefin | |
weiß, was rechtsextreme Bedrohungen bedeuten. Und so lautete am Montag auch | |
ihre erste Ankündigung als designierte Bundesinnenministerin: | |
„Rechtsextremismus zu bekämpfen wird mir ein besonderes Anliegen sein.“ | |
Faesers Ernennung ist so oder so eine Zäsur – und eine Überraschung. Die | |
51-jährige Juristin, Mutter eines Sohnes im Grundschulalter, wird die erste | |
Innenministerin auf Bundesebene. Dafür gehandelt wurde eigentlich | |
Justizministerin Christine Lambrecht, Faeser hatte fast niemand auf dem | |
Zettel. Und sie dürfte andere Akzente als Noch-Minister Horst Seehofer | |
setzen. | |
In Hessen hat sich Faeser in 18 Jahren Landtagsarbeit über die | |
Parteigrenzen hinweg Respekt verschafft. Seit 12 Jahren war sie dort | |
innenpolitische Sprecherin der SPD, klärte im NSU-Untersuchungsausschuss | |
mit auf, wurde im November 2019 auch Landeschefin ihrer Partei. | |
Im Umgang mit der politischen Konkurrenz tritt sie dabei | |
freundlich-fröhlich und verbindlich auf, in der Sache dagegen hart. | |
„Schwarz-Grün taugt nur als abschreckendes Beispiel“, urteilte Faser über | |
die hessische Regierungskoalition. Von Innenminister Peter Beuth (CDU) | |
forderte sie den Rücktritt wegen dessen Versagens im Umgang mit den | |
NSU-2.0-Drohschreiben und den rechten Umtrieben in der hessischen Polizei. | |
## Höhere Tochter gegen Rechtsextreme | |
In Hessen wurde Faeser schon länger für Höheres gehandelt, im Land ist sie | |
bekannter als manche MinisterIn. Dreimal war sie in Hessen als | |
Schattenministerin nominiert, für Inneres oder Justiz, bei der nächsten | |
Landtagswahl 2023 sollte sie die SPD nach 24 Jahren Opposition wieder in | |
die Staatskanzlei zurückführen. Nun wird sie Bundesinnenministerin. | |
Wer Faeser kennengelernt hat, traut ihr das zu. Die Ampel im Bund lobte | |
Faeser zuletzt als „echtes Fortschrittsbündnis“ und „eine Ära der | |
Neuerungen“. Im Koalitionsvertrag wurde der Rechtsextremismus als größte | |
Bedrohung der Sicherheit festgeschrieben. Faeser darf nun das | |
Demokratiefördergesetz einführen, das Projekte gegen Extremismus | |
langfristig absichert, oder den Rasse-Begriff aus dem Grundgesetz streichen | |
– beides von der SPD lange gefordert und bisher an der Union gescheitert. | |
Daneben warten Großaufgaben wie die Folgen der Coronabekämpfung oder die | |
Migrationsproblematik in der Belarus-Krise auf sie. | |
Auf der anderen Seite schränken Grüne und FDP im Koalitionsvertrag Faesers | |
Handlungsmöglichkeiten ein: Alle Sicherheitsgesetze sollen von einer | |
„Freiheitskommission“ überprüft werden, die Bundespolizei bekommt keine | |
Staatstrojaner, eine Vorratsdatenspeicherung darf höchstens anlassbezogen | |
her. Die SPD wollte eigentlich mehr Spielräume. | |
Faeser suchte in Hessen die Nähe, setzte sich bei der Polizei für eine | |
bessere Bezahlung und mehr Personal ein. Ihr Slogan: „Je Station eine | |
Streife mehr“. Die Frage wird nun sein, wem Faeser künftig eher folgt: dem | |
Koalitionsvertrag, ihrer Partei oder den Behörden? C. Schmidt-Lunau, K. | |
Litschko | |
## Auf die Gesundheit: Karl Lauterbach | |
Man musste auf der Landeswahlliste der SPD in Nordrhein-Westfalen schon | |
ziemlich weit nach unten scrollen, um den Namen Karl Lauterbach zu finden. | |
Erst auf Platz 23 tauchte der 58-Jährige als Bundestagskandidat auf. Ein | |
Hinweis darauf, dass die Popularität, die der Rheinländer in der | |
Öffentlichkeit genießt, in sozialdemokratischen Parteikreisen nicht | |
uneingeschränkt geteilt wird. | |
Formal ist Lauterbach seit 2013 nicht einmal mehr gesundheitspolitischer | |
Sprecher der Bundestagsfraktion. Seine Kandidatur um den Parteivorsitz 2019 | |
scheiterte kläglich. | |
Dennoch ist der salzfrei lebende Mediziner jetzt am Ziel seiner Träume – im | |
Kabinett Scholz wird er Gesundheitsminister. Wem er das zu verdanken hat, | |
machte er kurz nach seiner Ernennung per Tweet klar. „Ich möchte mich bei | |
allen bedanken, die mich als Gesundheitsminister hier auf Twitter | |
unterstützt haben“, [2][schrieb er]. | |
Durch zahlreiche Talkshow-Auftritte, gepaart mit der Sehnsucht nach einer | |
Heldenfigur in der Coronakrise, ist es Lauterbach gelungen, auch an den | |
Befindlichkeiten seiner Partei vorbei ein Ministeramt zu bekleiden. | |
Lauterbach, der seinen Wahlkreis in Köln/Leverkusen mit großem Vorsprung | |
direkt gewonnen hat, zeigte sich am Montag bei seinem kurzen Auftritt im | |
Willy-Brandt-Haus entschlossen: „Wir werden den Kampf gegen die Pandemie | |
gewinnen, und für weitere Pandemien werden wir besser gerüstet sein“, | |
versprach er. | |
## Pandemie-Star auf Twitter | |
Die Frage ist, ob Lauterbach seine Popularität in erfolgreiche | |
Regierungsarbeit ummünzen kann. Sein kurzfristiger Fokus wird auf dem Kampf | |
gegen die Pandemie liegen. Doch mittelfristig warten weitere Aufgaben. | |
Lauterbach muss den Personalmangel in der Pflege und die Schieflage in der | |
Krankenhausfinanzierung verbessern. | |
Dass er während der rot-grünen Regierungszeit an der breiten | |
Implementierung des vielfach kritisierten Fallpauschalensystems mitgewirkt | |
hat, ist dabei sicherlich eine Hypothek. Denn der Pflegemangel geht | |
teilweise auf die Ökonomisierung des Krankenhausbetriebs zurück. Zudem | |
plädierte er für die Schließung kleinerer Kliniken auf dem Land und saß im | |
Aufsichtsrat eines privaten Klinikbetreibers. | |
Andererseits hat er auch vor Ausbruch der Coronakrise bereits dafür | |
geworben, die Krankenhausfinanzierung wieder bedarfsgerechter zu gestalten. | |
Als Mediziner und Gesundheitsökonom dürfte es zudem kaum jemanden geben, | |
der sich besser im komplizierten deutschen Gesundheitssystem auskennt. | |
Von nun an wird Lauterbach für die Entwicklung in der Pandemie | |
verantwortlich gemacht werden – im Guten wie im Schlechten. Übrigens: Auch | |
die Twitter-Fangemeinde lässt ihre Helden im Zweifel schnell fallen. Jörg | |
Wimalasena | |
## Viel Arbeit: Hubertus Heil | |
Der designierte Bundeskanzler Olaf Scholz nannte ihn am Montag das | |
„Schlachtross aus Niedersachsen“. Das war eine Anspielung auf das | |
politische Durchhaltevermögen, vielleicht auch auf die Leibesfülle von | |
Hubertus Heil, 49, der nun zum zweiten Mal Bundesminister für Arbeit und | |
Soziales wird und es schafft, nur wenig Aggressionen aus Wählerschaften und | |
Lobbygruppen auf sich zu ziehen. | |
Heil hat Glück, einerseits. Die Zeiten der Massenarbeitslosigkeit rund um | |
die nuller Jahre sind Geschichte, auch dank der Demografie. Damals war Heil | |
ein Verfechter der Einführung von Hartz IV. Am Montag nun verkündete Heil | |
die Umbenennung, er werde das „Bürgergeld“ einführen. Klingt gut, nur | |
leider gibt es damit für die Betroffenen kaum einen Euro mehr. | |
„Respekt“ und „Leistungsgerechtigkeit“ seien seine Ziele, sagt er, der | |
erfolgreich für die Grundrente und einen höheren Mindestlohn kämpfte und | |
„stabile Renten“ verspricht. Dabei ist die Demografie eben auch sein | |
größtes Problem, langfristig. Konflikte um die Rentenfinanzen müssen gelöst | |
werden. Die Ampelkoalition hat dies in die Zukunft verschoben. Das | |
„Schlachtross“ begibt sich nicht in jeden Kampf. Barbara Dribbusch | |
## Frau für Verteidigung: Christina Lambrecht | |
Eigentlich hatte sich Christine Lambrecht schon verabschiedet. Vor Monaten | |
versicherte die 56-jährige Justizministerin, nach mehr als 20 Jahren im | |
Bundestag aus der Politik aussteigen und wieder als Anwältin arbeiten zu | |
wollen. Dann aber gewann die SPD die Wahl. Und Lambrecht änderte ihre | |
Meinung. | |
Gehandelt wurde sie indes als Bundesinnenministerin. Nun wird es | |
stattdessen das Verteidigungsministerium, das bereits seit 2013 in | |
weiblicher Hand ist – zuletzt von Annegret Kramp-Karrenbauer und Ursula von | |
der Leyen. | |
Lambrecht nannte die Leitung dieses Amts am Montag selbst eine Überraschung | |
für sie – aber sie nehme Herausforderungen gerne an. Und irgendwie passt es | |
auch – denn Lambrecht gilt als Allrounderin. Politisiert wurde sie durch | |
die Anti-Atom-Bewegung, schon mit 16 Jahren trat sie in die SPD ein, wurde | |
drei Jahre später Stadtverordnete im hessischen Viernheim. | |
Seit 1998 sitzt sie im Bundestag, war Staatssekretärin im | |
Bundesfinanzministerium unter Olaf Scholz, bevor sie 2019 zur | |
Justizministerin aufstieg – und zuletzt, nach dem Rücktritt von Franziska | |
Giffey, [3][auch noch das Familienministerium schulterte]. | |
## Auslandseinsätze evaluieren | |
Der kommende Bundeskanzler Olaf Scholz lobte Lambrecht denn auch als | |
Politikerin, die an vielen Stellen „große Fähigkeiten“ bewiesen habe. | |
„Eine, die es auch kann.“ Nun ist für sie erst mal wieder viel Neuland zu | |
beackern. Als Justizministerin knöpfte sich Lambrecht den | |
Rechtsextremismus vor, etwa mit dem Netzwerkdurchsetzungsgesetz. | |
Den Kampf kann sie nun bei den KSK-Spezialkräften fortsetzen. Sie wolle für | |
eine gute Beschaffung für die Bundeswehr sorgen und die Attraktivität des | |
Soldatentums steigern, kündigte Lambrecht an. Auch gehörten die | |
Auslandseinsätze evaluiert, inklusive eine Exit-Strategie, wie sie zuletzt | |
in Afghanistan gefehlt habe. | |
Die Spielräume dafür hat die Verteidigungsministerin: Der | |
Ampel-Koalitionsvertrag ist in diesen Punkten recht deutungsoffen. | |
Christine Lambrecht hat zuletzt auch bewiesen, dass sie flexibel ist, nicht | |
immer nur zur Freude ihrer MitarbeiterInnen im Ministerium. Was die | |
Bundespolitik und insbesondere die Bundeswehr mit Lambrecht zu erwarten | |
haben, bleibt damit auch ein Stück weit Überraschung. Konrad Litschko | |
## Aufbauend: Klara Geywitz | |
Klara Geywitz (45) hat politisch schon eine Menge ups and downs erlebt. Die | |
Potsdamerin war 15 Jahre lang Abgeordnete im Brandenburger Landtag. 2019 | |
verlor sie ihr Direktmandat an eine Grüne. Auch ihre Karriere als | |
Generalsekretärin der SPD Brandenburg endete 2017 jäh. | |
SPD-Ministerpräsident Dietmar Woidke blies die ungeliebte | |
Kreisgebietsreform ab – Geywitz trat aus Protest dagegen zurück. „Als | |
Generalsekretärin ist man entweder General oder Sekretärin“, sagte sie | |
flott. Sekretärin ist nichts für sie. | |
Die Feministin trieb in Brandenburg das Paritätsgesetz voran. Der Landtag | |
sollte, so das Ziel, zu gleichen Teilen weiblich und männlich besetzt sein. | |
Das Gesetz scheiterte vor Gericht. Weitsichtiger handelte bei der | |
Kreisgebietsreform allerdings Woidke. Dank des Verzichts auf die Reform | |
holte die SPD bei der Landtagswahl 2019 den Sieg. | |
Geywitz ist eine profilierte Kommunal- und Landespolitikerin. Auf | |
bundespolitischer Bühne ist sie neu. Gerühmt wird ihr Witz und | |
Selbstbewusstsein. Als sie 2019 mit Olaf Scholz für den SPD-Vorsitz antrat, | |
bekundete sie in der Bundespressekonferenz, „nicht das dekorative | |
Salatblatt an seiner Seite“ sein zu wollen. | |
Geywitz engagiert sich gegen das gender pay gap. In der taz kündigte sie | |
2019 an: „Wir haben immer noch große Unterschiede zwischen Männern und | |
Frauen bei Löhnen und in der Rente. Olaf und ich wollen das nächste | |
Jahrzehnt zum Jahrzehnt der Gleichstellung machen.“ | |
Dass sie jetzt Bauministerin wird, ist eine Überraschung. Als | |
Schlüsselbegriff für ihren neuen Job nennt sie Sicherheit. Mieterinnen und | |
Mieter müssten vertrauen können, dass sie nicht wegen übermäßig stark | |
steigender Mieten aus ihren Wohnungen vertrieben werden, und sich in ihrem | |
Stadtteil sicher fühlen. Stefan Reinecke | |
## Gute Entwicklung? Svenja Schulze | |
Svenja Schulze gilt als sozialdemokratische Allzweckwaffe. Vor den | |
vergangenen dreieinhalb Jahren, als sie in der Großen Koalition als | |
Bundesumweltministerin fungierte, war die gebürtige Düsseldorferin sieben | |
Jahre lang Wissenschafts- und Forschungsministerin in Nordrhein-Westfalen. | |
Nachdem die 53-Jährige zunächst für das Bauministerium gehandelt worden | |
war, übernimmt sie nun das Ressort Wirtschaftliche Zusammenarbeit und | |
Entwicklung. „Die Entwicklungspolitik hat eine lange Tradition in der SPD“, | |
sagte Schulze bei ihrer Vorstellung. Verbunden seien damit solche Namen wie | |
Erhard Eppler, Egon Bahr, Marie Schlei und Heidemarie Wieczorek-Zeul. | |
Was Schulze unerwähnt ließ: Außer vielleicht bei Willy Brandt hatte das | |
Ressort bei noch keinem Bundeskanzler einen besonders hohen Stellenwert. | |
Dass das auch bei Scholz so bleiben könnte, lässt sich daran ablesen, dass | |
er sie am Montag als Letzte präsentierte. | |
Wichtig ist Schulze trotzdem für den kommenden Kanzler. Denn anders als der | |
Solitär Lauterbach repräsentiert die in Münster wohnende Schulze den immer | |
noch mächtigen NRW-Landesverband. Zu ihrer Jugendzeit zählte sie ebenso wie | |
Scholz zum Stamokap-Flügel in den Jusos, einer dogmatisch-marxistischen | |
Strömung, die ideologisch der DKP nahestand. | |
Ihre rebellische Phase hat indes auch Schulze schon lange hinter sich | |
gelassen. Sie lässt sich als ideologisch ungebundene und loyale | |
Pragmatikerin beschreiben – nicht konfliktscheu, aber ihre Grenzen kennend. | |
Das dürfte auch für den Bereich Entwicklungszusammenarbeit gelten. Pascal | |
Beucker | |
## Mann hinter dem Kanzler: Wolfgang Schmidt | |
Bei Wolfgang Schmidt (51) ist fast immer auf zweierlei Verlass. Er hat gute | |
Laune und viele Argumente dafür, warum es völlig richtig ist, was Olaf | |
Scholz gerade tut. Oder getan hat. Oder tun wird. Seit 19 Jahren arbeiten | |
die beiden zusammen, noch ist Schmidt Staatssekretär im Finanzminsterium. | |
Auf Scholz, so Schmidt kürzlich in einem seiner seltenen Interviews, „ist | |
Verlass. Natürlich ist er als Norddeutscher nicht der Emotionalste.“ | |
Schmidt ist habituell eine Art kongeniale Ergänzung seines Chefs, | |
emotional, locker, kommunikativ begabt. Es macht ihm Spaß, zu debattieren | |
und sich auch Gegenargumente anzuhören. „Er denkt Scholz, er atmet Scholz, | |
er lebt Scholz“, so der Spiegel. | |
Mit seiner Loyalität und seinem offensiven Stil hat sich Schmidt ein paar | |
Probleme eingehandelt. Als Scholz 2019 vergeblich versuchte, SPD-Chef zu | |
werden, war Schmidt im unermüdlichen Twitter-Dauereinsatz für seinen Chef. | |
Das rief Kritiker auf den Plan. Er habe ja offenbar kaum noch Zeit für | |
seinen Job im Finanzministerium, hieß es. | |
## Schlüsselposition | |
Als ein Osnabrücker Staatsanwalt vor der Wahl eine mehr als fragwürdige | |
Razzia im Finanzministerium veranlasste, [4][twitterte Schmidt Auszüge aus | |
dem Durchsuchungsbeschluss]. Er wollte damit plausibel machen, dass es sich | |
bei dieser Razzia um ein politisches Manöver eines CDU-Staatsanwaltes | |
handele. | |
Das Strafgesetzbuch verbietet es, Dokumente eines Strafverfahrens vor einem | |
Prozess zu veröffentlichen. Die Aktion brachte ihm eine Strafanzeige und | |
einen ungewohnten Rüffel von Scholz ein, der erklärte, er wisse nicht, was | |
„sein Staatssekretär im Einzelnen macht“. | |
Als Staatssekretär im Finanzministerium war Schmidt für internationale | |
Finanz- und Währungspolitik und die Koordinierung der SPD-Ministerien mit | |
der Unionsseite verantwortlich. Als Kanzleramtschef hat er jetzt eine | |
Schlüsselstellung inne. Sie bedeutet faktisch viel Einfluss, Macht, die | |
aber am besten unsichtbar bleibt. Schmidt wird seine Twitter-Aktivitäten | |
wohl deutlich herunterfahren. Oder so gestalten, dass sie weniger Anstoß | |
erregen können. Stefan Reinecke | |
6 Dec 2021 | |
## LINKS | |
[1] /Scholz-und-Geywitz-fuer-SPD-Vorsitz/!5617432 | |
[2] https://twitter.com/Karl_Lauterbach/status/1467806125009551368?s=20 | |
[3] /Lambrecht-uebernimmt-fuer-Giffey/!5773842 | |
[4] /Ermittlungen-gegen-Scholz-Vertrauten/!5797405 | |
## AUTOREN | |
Stefan Reinecke | |
Barbara Dribbusch | |
Jörg Wimalasena | |
Konrad Litschko | |
Christoph Schmidt-Lunau | |
Pascal Beucker | |
## TAGS | |
Olaf Scholz | |
Bundeskabinett | |
Bundesministerium für Gesundheit | |
Ampel-Koalition | |
Lesestück Recherche und Reportage | |
GNS | |
Ampel-Koalition | |
Nancy Faeser | |
SPD-Vorsitz | |
Wochenkommentar | |
Ampel-Koalition | |
Kevin Kühnert | |
Integrationsbeauftragte | |
Wirtschaft | |
Bündnis 90/Die Grünen | |
Olaf Scholz | |
## ARTIKEL ZUM THEMA | |
Bau-Staatssekretärin Cansel Kiziltepe: „Wohnen ist eine Existenzfrage“ | |
Die SPD-Politikerin aus Kreuzberg hält die Ampel für besser als ihren Ruf. | |
Dennoch will sie mehr erreichen als im Koalitionsvertrag steht. | |
Landesministerin über Nancy Faeser: „Ich hoffe auf eine Signalwirkung“ | |
Sabine Sütterlin-Waack, CDU-Innenministerin in Schleswig-Holstein, freut | |
die Ernennung Nancy Faesers. Sie könne Vorbild für andere Frauen sein, sagt | |
sie. | |
SPD-Bundesparteitag: Die große Harmonie | |
Saskia Esken und Lars Klingbeil sind das neue SPD-Führungsduo. Kevin | |
Kühnert wird Generalsekretär. Alles ohne Kontroversen. | |
SPD regiert im Bund und in Berlin: Alles Sozialdemokraten, oder was? | |
Erstmals seit Jahren stellt die SPD die Regierungschefs sowohl in Berlin | |
wie im Bund. Eröffnet das Franziska Giffey neue Chancen? Ein | |
Wochenkommentar. | |
Die Ampel-Politik wird weiblicher: Sicherheit ist Frauensache | |
Die SPD-Frauen Christine Lambrecht und Nancy Faeser schlagen als | |
Verteidigungs- und Innenministerin neue Töne an. | |
Kevin Kühnert über sein neues Amt: „Ohne ein Arschloch zu werden“ | |
Kevin Kühnert wird am Samstag zum SPD-Generalsekretär gewählt. Ein Gespräch | |
über politische Macht und Stil, die „Bild“ und Mieten. | |
Integrationsbeauftragte Alabali-Radovan: Einst selbst Schutzsuchende | |
Mit 31 Jahren wird die SPD-Frau Reem Alabali-Radovan | |
Integrationsbeauftragte der Bundesregierung. Ihre eigene Lebensgeschichte | |
dürfte dabei helfen. | |
Banker bleibt Scholz-Vertrauter: Jörg Kukies in Kanzler-Boygroup | |
Der ehemalige Investmentbanker zieht als Leiter der Abteilung Wirtschaft | |
und Finanzen ins Kanzleramt. Für Olaf Scholz eine zentrale Schaltstelle. | |
Parteibasis stimmt für Koalitionsvertrag: Grünes Licht für die Ampel | |
Jetzt haben auch die Grünen „Ja“ zum Koalitionsvertrag gesagt. Bereits am | |
Mittwoch soll Olaf Scholz zum neuen Kanzler gewählt werden. | |
Künftiger Kanzler Olaf Scholz: Der Unauffällige | |
Olaf Scholz' Karriere verlief ohne Brüche und Dramen – am Mittwoch will | |
sich der Sozialdemokrat zum Bundeskanzler wählen lassen. Wie wird er | |
regieren? |