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# taz.de -- Die Ampel-Politik wird weiblicher: Sicherheit ist Frauensache
> Die SPD-Frauen Christine Lambrecht und Nancy Faeser schlagen als
> Verteidigungs- und Innenministerin neue Töne an.
Bild: Christine Lambrecht wird am Tag ihrer Amtsübernahme mit militärischen E…
Es ist Anfang Juli, als Nancy Faeser im hessischen Landtag ans
RednerInnenpult tritt. Das Parlament bringt auf Betreiben der SPD einen
[1][Untersuchungsausschuss zum Hanau-Anschlag] auf den Weg, und Faeser, die
Fraktionschefin der SozialdemokratInnen, nennt die Tat einen „tiefen
Einschnitt für unser Land“. Sie erzählt, wie sie bei der Familie des
erschossenen Hamza Kurtović auf dem Sofa saß und miterlebte, wie diese mit
Trauer und offenen Fragen rang: „Als Mutter werde ich diesen Besuch niemals
vergessen.“
Sie habe gehofft, dass die Sicherheitsbehörden nach dem NSU-Terror und dem
Mord an Walter Lübcke schon viel weiter seien. „Wir schulden den
Angehörigen die Aufklärung“, sagt Faeser – und: „Das ist auch eine Frage
des Vertrauens in unseren Staat.“
Es sind klare, offene Worte, die man bald auch von der
Bundesinnenministerin hören könnte. [2][Am Montag stellt Olaf Scholz in
Berlin seine SPD-MinisterInnen für die neue Regierung vor] – darunter
Faeser als Frau fürs Innere. Und auch hier betont die 51-jährige Juristin:
Die größte Bedrohung sei der Rechtsextremismus. „Ihn zu bekämpfen, wird
mir ein besonderes Anliegen sein.“
Faesers Ernennung ist nicht nur eine große Überraschung. In den
Sicherheitsbehörden hatte sie niemand auf dem sprichwörtlichen Zettel, erst
zwei Tage vorher soll Scholz ihr das Amt angeboten haben. Ihre Ernennung
ist auch eine Zäsur. Denn mit Faeser bekommt Deutschland die erste
Bundesinnenministerin überhaupt.
Eigentlich war Christine Lambrecht, bisher Justizministerin, ebenfalls
Hessin und Juristin, dafür gehandelt worden. Lambrecht ist nun aber
Verteidigungsministerin – das Haus ist bereits seit acht Jahren in
Frauenhand. Jetzt unterstehen Lambrecht 180.000 SoldatInnen und Faeser ein
Ministerium mit 20 Behörden und 85.000 Bediensteten.
„Sicherheit wird in dieser Regierung in den Händen starker Frauen liegen“,
erklärt Scholz am Montag. Die Frage ist: Entsteht damit auch eine neue
Sicherheitspolitik? Eine weiblichere? Und wie könnte diese aussehen?
## Auf dem rechten Auge keineswegs blind
Auf Nancy Faeser, die zuletzt 18 Jahre lang Innenpolitik von der
Oppositionsbank in Hessen betrieb, ruht die Erwartung, dass sie einiges
anders macht als ihr Vorgänger Horst Seehofer. Während der CSU-Mann mit Law
and Order antrat und einmal erklärte, der Islam gehöre nicht zu
Deutschland, setzt Faeser mit dem Thema Rechtsextremismus einen ganz
anderen ersten Aufschlag.
„Der Kampf gegen den Rechtsextremismus hat mich persönlich in die Politik
geführt und zur Sozialdemokratie“, sagte Faeser einmal. Im hessischen
NSU-Untersuchungsauschuss war sie Obfrau ihrer Partei und kritisierte die
Aktensperren des Verfassungsschutzes. Wo sich Seehofer mit einer Bewertung
der „Querdenker“ zurückhielt, erklärte Faeser, niemand dürfe diese Beweg…
„weiter verharmlosen“. Auch gegen die AfD – „ein Feind der Demokratie�…
fordert die Juristin klare Reaktionen des Rechtsstaats ein. Hatte Seehofer
noch die Migration als „Mutter aller Probleme“ benannt, verkündete Faeser
am Montag, sie arbeite für eine „offenere und tolerantere Gesellschaft“.
Es wird interessant, ob Faeser sich dieses Wording nun bewahrt. Gleiches
gilt für Lambrecht, die, anders als Faeser, zur SPD-Linken zählt und in der
Vergangenheit bewaffnete Drohnen ablehnte – die nun allerdings im
Koalitionsvertrag der Ampel stehen. Auch Lambrecht hat als Justizministerin
den Kampf gegen Rechtsextremismus zu einem Schwerpunkt gemacht, etwa mit
dem Netzwerkdurchsetzungsgesetz gegen Onlinehass. Als
Verteidigungsministerin kann sie diesen Strang weiterverfolgen, nunmehr
[3][in den Reihen der Soldaten, etwa beim Eliteverband KSK].
Aber Lambrecht und Faeser haben auch gezeigt, dass sie flexibel sind. So
suchte Lambrecht in ihren ersten Statements als Verteidigungsministerin
Nähe zu den SoldatInnen. Sie wolle sich „mit Fürsorge und Hingabe“ um die…
kümmern, sagte sie am Mittwoch und nannte etwa eine bessere
Materialbeschaffung, mehr Attraktivität des SoldatInnentums und tiefgehende
Evaluationen der Auslandseinsätze als Ziele.
In Hessen hat auch Faeser stets den Kontakt zur Polizei gesucht. Wiederholt
besuchte sie Wachen, präsentierte sich auch mal in Polizeiweste, forderte
immer wieder eine bessere Ausstattung und mehr Personal. Als rechtsextreme
Chatgruppen in der hessischen Polizei aufflogen, schoss Faeser vor allem
gegen den dortigen CDU-Innenminister Peter Beuth und dessen
„Führungsversagen“. Und als es im Dannenröder Forst zu Auseinandersetzung…
zwischen BesetzerInnen und der Polizei kam, lobte Faeser die Einsatzkräfte
als „sehr besonnen“ und verurteilte Gewalt gegen sie „aufs Schärfste“.
Oliver Malchow, der Vorsitzende der Gewerkschaft der Polizei (GdP), spricht
von einem „guten Draht“ zu Faeser, sie habe sich „intensiv für die Poliz…
eingesetzt“. Er freue sich „auf die künftige politische Zusammenarbeit.“
Anderenorts in den Sicherheitsbehörden sind ebenfalls kaum Vorbehalte zu
vernehmen, vielmehr wird Faesers innenpolitische Expertise gelobt. Und
unisono heißt es: Dass sie die erste Frau in dem Amt ist, spiele keine
Rolle.
Wirklich nicht? Klar ist: Faeser und Lambrecht werden einem immer noch
männlich dominierten Sicherheitsapparat vorstehen. Innen- wie
Verteidigungsministerium waren seit 16 Jahren in Unionshand und sind beide
entsprechend konservativ geprägt. Als Seehofer 2018 Innenminister wurde,
besetzte er alle acht Staatssekretärsposten mit Männern. Bei der Polizei
liegt der Männeranteil bei gut 70 Prozent, in den Führungsebenen noch
höher. Die Bundespolizei, das BKA und das Bundesamt für Verfassungsschutz
werden seit jeher von Männern geführt. Und bei der Bundeswehr machen Frauen
bis heute nur einen Anteil von 12 Prozent aus.
Aber ein bisschen was tut sich doch. Auf Länderebene gibt es erstmals seit
Jahren mit Sabine Sütterlin-Waack aus Schleswig-Holstein und Tamara
Zieschang aus Sachsen-Anhalt wieder Innenministerinnen. Und die Frauenquote
bei der Polizei steigt seit einigen Jahren an: zwischen 2000 und 2019 von
20 auf 29 Prozent.
Dazu prägen im Bundestag zunehmend auch Frauen die Innenpolitik: Andrea
Lindholz von der CSU, Martina Renner von der Linken oder Irene Mihalic von
den Grünen. Sie freue sich, dass das Bundesinnenministerium erstmals von
einer Frau geführt werde, sagt Mihalic, früher selbst Polizistin. Aus ihrer
Sicht würde eine [4][Geschlechterparität] die Sicherheitspolitik auch
„inhaltlich voranbringen“. So sollten etwa bei der Hasskriminalität
Perspektiven von Frauen stärker berücksichtigt werden, findet Mihalic.
„Auch auf internationaler Bühne zeigt sich, dass bessere Ergebnisse erzielt
werden, wenn Frauen mit am Verhandlungstisch sitzen.“
Ob Faeser und Lambrecht hier nun tatsächlich noch stärkere Akzente setzen,
bleibt abzuwarten. Als Justizministerin tat Lambrecht dies etwa mit der
Einführung einer Quote in Aufsichtsräten. Faeser vergab immerhin einen
ihrer ersten drei StaatssekretärInnenposten an eine Frau, an die SPDlerin
Rita Schwarzelühr-Sutter.
## Corona, Belarus, „Querdenker“: Großprobleme en masse
Aber gerade Faeser wird sich umgehend einigen Großproblemen widmen müssen:
der Coronapandemie, den Geflüchteten an der belarussischen Grenze,
afghanischen Ortskräften und radikalisierten „Querdenkern“. Zudem hat sie
es mit Sicherheitsbehörden zu tun, die teils reserviert auf die Ampelpläne
reagieren, die Faeser nun umsetzen soll, darunter die Einführung eines
Polizeibeauftragten, die Kennzeichnungspflicht für Einsatzkräfte und ein
Recht auf Verschlüsselung.
Von einem „schwarzen Tag für die Sicherheit“ sprach die rechte Deutsche
Polizeigewerkschaft (DpolG), 100.000 Mitglieder stark, bei der Vorstellung
des Koalitionsvertrags und beklagte ein „tief verwurzeltes Misstrauen
gegenüber den Sicherheitsbehörden“. Die GdP nennt die Legalisierung von
Cannabis ein „absolut falsches Signal“. Entscheidend wird sein, wie Faeser
mit der Kritik umgeht. Es waren vor allem Grüne und FDP, die auf die
genannten Projekte drängten, nicht die SPD.
Zu Belarus gab Faeser bereits am Donnerstag erste Antworten, bei ihrer
Reise zum EU-Innenministerrat in Brüssel: Den Umgang von Machthaber
Lukaschenko mit den [5][Geflüchteten an der polnischen Grenze] nannte sie
„skandalös und menschenverachtend“ – wieder wählte sie also sehr deutli…
Worte. Inhaltlich blieb sie indes auf Seehofer-Linie, forderte einen
Frontex-Einsatz und ungehinderten Zugang für Hilfsorganisationen.
Es könnte das Schema in nächster Zeit werden: Ein neuer Ton zieht in die
nun frauengeführte deutsche Sicherheitspolitik ein. Doch der Kurswechsel
hängt davon ab, inwieweit es Faeser und Lambrecht gelingt, den
Koalitionsvertrag auch faktisch umzusetzen. In Fragen der Inneren
Sicherheit liest sich das Papier durchaus progressiv.
Für Faesers Kampf gegen den Rechtsextremismus liefert der Ampelvertrag
jedenfalls Vorlagen. Das Demokratiefördergesetz ist darin festgeschrieben,
die koordiniertere Überwachung und die Entwaffnung rechtsextremer
Gefährder. Zudem steht eine Gerichtsentscheidung über die AfD-Beobachtung
bevor. Hier könnte Faeser Zeichen setzen. Nicht nur die Hinterbliebenen von
Hanau werden sie daran messen.
11 Dec 2021
## LINKS
[1] /Attentat-in-Hanau/!582017
[2] /SPD-Ministerien/!5817203
[3] /Geheimdienste-vor-Kontrollgremium/!5807280
[4] /Frauenpolitik-der-SPD/!5807146
[5] /Fluechtlingspolitik-der-EU/!5816081
## AUTOREN
Konrad Litschko
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