| # taz.de -- Neuer Verfassungsschutzbericht: Kräftiger Anstieg an Rechtsextremen | |
| > Der neue Verfassungsschutzbericht befindet die AfD erstmals als | |
| > gefährlich und benennt rechtsextreme Gefahren. Ein Novum. | |
| Bild: Die Gesichter des AfD-“Flügels“: Björn Höcke und Andreas Kalbitz w… | |
| Es sind deutliche Worte, die Horst Seehofer verliert. „Der | |
| Rechtsextremismus ist die größte Bedrohung für die Sicherheit in | |
| Deutschland“, sagt der Innenminister. Die Deliktzahlen seien hoch, der | |
| [1][grassierende Antisemitismus] „eine Schande für unser Land“. Auch Thomas | |
| Haldenwang, der Verfassungsschutzchef, warnt markig vor rechtsextremen | |
| Stichwortgebern, den „Superspreadern von Hass, Radikalisierung und Gewalt“. | |
| Diese „verseuchen das gesellschaftliche Miteinander“, die Bedrohung durch | |
| rechte Gewalt sei hoch. | |
| Seehofer und Haldenwang stellen am Donnerstag in Berlin [2][den neuen | |
| alljährlichen Verfassungsschutzbericht] vor. Und sie haben allen Anlass zu | |
| ihren Äußerungen. Zuletzt gab es die rechtsextremen [3][Anschläge in Halle] | |
| und Hanau, der Kasseler Regierungspräsident [4][Walter Lübcke wurde | |
| ermordet]. Dazu toben im Internet Hasskommentare. Und die AfD driftet immer | |
| weiter nach rechts ab. | |
| Tatsächlich präsentieren Seehofer und Haldenwang nun ein Novum. Erstmals | |
| taucht im Verfassungsschutzbericht die AfD auf, in Form ihres inzwischen – | |
| formell – [5][aufgelösten Flügels um Björn Höcke] und der Parteijugend. D… | |
| Flügel stufte der Verfassungsschutz im März als volles Beobachtungsobjekt | |
| und „erwiesen extremistisch“ ein. Die „Junge Alternative“ (JA) läuft a… | |
| Verdachtsfall. Nun sorgen beide Organisationen für einen kräftigen Anstieg | |
| der vom Amt gezählten Rechtsextremen: von 24.100 im Vorjahr auf 32.080. | |
| Allein beim Flügel sieht der Verfassungsschutz 7.000 Anhänger – doppelt so | |
| viele wie die NPD. Der AfD-Jugend werden 1.600 Mitglieder zugerechnet. Er | |
| folge mit diesen Zahlen den Angaben der AfD-Führung, sagt Haldenwang, und | |
| eigenen Erkenntnissen. Welche? Haldenwang schweigt dazu. Aber: Mit den | |
| Einstufungen kann der Geheimdienst inzwischen den Flügel und die JA | |
| beobachten, interne Informationen abgreifen oder sogar Spitzel anwerben. | |
| ## Neuer Schwerpunkt Rechtsextremismus | |
| Und Seehofer unterstützt das Vorgehen. Er sei „sehr einverstanden“ mit den | |
| Ausführungen Haldenwangs, erklärt der CSU-Mann. Einen von Medien vermuteten | |
| Dissens über Flügel und JA bestreiten beide Männer. Vielmehr warnt auch | |
| Seehofer vor „geistigen Brandstiftern“ in diesem Land. | |
| Es ist der neue Kurs des Verfassungsschutzes, der sich nun niederschlägt. | |
| Jahrelang hatte das Amt, noch unter Hans-Georg Maaßen, vor allem auf den | |
| Islamismus geschaut. Bei der AfD bremste Maaßen eine Entscheidung aus, wie | |
| mit der Rechtsaußen-Partei umzugehen ist. Dann kamen die rechten Aufmärsche | |
| von Chemnitz – und Haldenwang, bis dahin Vize, Ende 2018 ins Amt. | |
| Schon da erklärte der 60-Jährige den Rechtsextremismus zum neuen | |
| Schwerpunkt. Die zuständige Abteilung im Haus ließ er verdoppeln. | |
| Haldenwang sieht sich in seinem Weg am Donnerstag bestätigt, verweist auf | |
| die jüngsten Anschläge und auf 13.000 als gewaltorientiert eingestufte | |
| Rechtsextreme oder die um 17 Prozent gestiegenen antisemitischen | |
| Straftaten. Die Täter nennt der Verfassungsschutzchef den „leibhaftig | |
| gewordenen Hass“. | |
| Und Haldenwang knüpft sich seit seinem Amtsantritt auch die Anheizer vor. | |
| Nicht nur die AfD, die als Gesamtpartei ein Prüffall ist, sondern die | |
| gesamte Szene wurde inzwischen eingestuft: das Institut für Staatspolitik | |
| von Götz Kubitschek, [6][das Compact-Magazin von Jürgen Elsässer], die | |
| Identitären und das Netzwerk „Ein Prozent“. „Sie alle konstruieren | |
| Sündenböcke, schüren Hysterien und Feindbilder“, warnt Haldenwang. Auch sie | |
| „säen unser gesellschaftliches Verderben und provozieren Hass, Zwietracht | |
| und Gewalt“. | |
| ## Seehofer muss sich Fragen gefallen lassen | |
| Aber der Weg ist nicht unumstritten und wird nicht von allen Bundesländern | |
| beschritten. Zuletzt schien Sachsen auszuscheren, ausgerechnet. Anfang Juli | |
| versetzte Innenminister Roland Wöller (CDU) den Verfassungsschützer Gordian | |
| Meyer-Plath, weil sein Landesamt angeblich rechtswidrig Daten von acht | |
| AfD-Abgeordneten speicherte und nicht löschen wollte. Unter den | |
| Abgeordneten war auch AfD-Parteivorsitzender Tino Chrupalla. Der versetzte | |
| Verfassungsschützer Meyer-Plath widersprach, sah seine Arbeit beschnitten | |
| und die Beobachtung der Neuen Rechten in Gefahr. | |
| Haldenwang rückt am Donnerstag indes von Meyer-Plath ab und deutet an, dass | |
| die Datenspeicherung tatsächlich nicht konform mit der Praxis der anderen | |
| Ämtern war. Er habe inzwischen ein Gespräch mit Wöller und dem neuen Chef | |
| des Landesamts, Dirk-Martin Christian, geführt, sagt er. Man arbeite nun | |
| „absolut im Schulterschluss“. | |
| Auch Seehofer muss sich Fragen gefallen lassen. Denn aktuell wird auch über | |
| [7][Rechtsextreme in der Polizei] und Bundeswehr diskutiert. Gerade erst | |
| wurde bekannt, dass nach der Frankfurter Anwältin Seda Başay-Yıldız nun | |
| auch die hessische Linken-Fraktionschefin Janine Wissler [8][Drohschreiben | |
| eines „NSU 2.0“ erhielt]. Mit Daten, die offenbar zuvor von einem | |
| Polizeicomputer abgerufen wurden. Seehofer nennt den Vorgang „vollkommen | |
| inakzeptabel“, er müsse „rücksichtslos aufgeklärt“ werden. | |
| In den Verfassungsschutzberichten sind Extremisten in den | |
| Sicherheitsbehörden indes seit Jahren eine Leerstelle. Diesmal werden ihnen | |
| immerhin drei Sätze gewidmet. Extremisten im öffentlichen Dienst | |
| „erschüttern das Vertrauen in öffentliche Stellen“, ihre Haltung | |
| widerspreche den „Eckpfeilern des Berufsbeamtentums“. Da die Bediensteten | |
| Zugriffe auf sensible Informationen und Kenntnis vom Vorgehen der | |
| Sicherheitsbehörden hätten, bestehe eine besondere Gefährlichkeit, wird | |
| gewarnt. Ausführlicher aber wird es nicht. | |
| ## Sicherheitsbehörden bleiben blinder Fleck | |
| Seit Monaten verspricht der Verfassungsschutz indes ein Lagebild zu diesen | |
| Extremisten im öffentlichen Dienst. Die Landesämter aber tun sich schwer | |
| mit der Datenerhebung: Pauschal überprüfen können sie die Bediensteten | |
| nicht, sondern nur aufgeflogene Extremisten zusammentragen. Seehofer | |
| spricht von einer „Herkulesaufgabe“. Nun soll es Ende September ein | |
| kleineres Lagebild geben, vorerst nur zu den Sicherheitsbehörden, | |
| verspricht er. | |
| Seehofer selbst muss sich außerdem für seine jüngsten Kapriolen | |
| rechtfertigen. Schon vor zweieinhalb Wochen sollte der Innenminister | |
| ursprünglich den Verfassungsschutzbericht vorstellen – er sagte den Termin | |
| in letzter Minute ab. Wegen der Krawalle in Stuttgart, beteuert Seehofer | |
| nun. Tatsächlich war es aber wohl eher die damalige Debatte um Seehofers | |
| zwischendurch [9][geplante Anzeige gegen die taz] wegen einer Kolumne über | |
| die Polizei. | |
| Rechtfertigen muss sich Seehofer auch für seine [10][Absage einer geplanten | |
| Studie zum Racial Profiling] in der Polizei. Er wolle schrittweise | |
| vorgehen, sagt der CSU-Mann. Erst solle das Lagebild zu den | |
| Sicherheitsbehörden kommen, dann womöglich andere Maßnahmen. Seehofer lobt | |
| vielmehr sich und die Bundesregierung, verweist auf ein im Herbst 2019 | |
| beschlossenes Maßnahmenpaket: Noch nie sei so konsequent gegen | |
| Rechtsextremismus vorgegangen worden wie heute. | |
| Tatsächlich wurden zuletzt Neonazi-Gruppen wie Combat 18 verboten, wurde | |
| ein Gesetz gegen Hasspostings im Internet verabschiedet, das Waffenrecht | |
| verschärft. Wenn es aber um Extremismus in den Reihen der | |
| Sicherheitsbehörden geht, fehlt Seehofer diese Klarheit. | |
| ## Haldenwang gibt sich offensiv | |
| Was die Studie zum Racial Profiling betrifft, macht Justizministerin | |
| Christine Lambrecht (SPD) weiter Druck, auch der Europarat fordert die | |
| Untersuchung ein. Das Bundeskabinett will darüber noch mal beraten. | |
| Die AfD wiederum keilt am Donnerstag gegen den Verfassungsschutz. Als | |
| „politisches Instrument der Altparteien“ beschimpft sie erwartbar den | |
| Dienst, klagt über eine „Beobachtungskeule“ gegen sich. Gegen die Nennung | |
| des Flügels und der Parteijugend im aktuellen Verfassungsschutzbericht | |
| [11][hatte die AfD sogar geklagt]. Die Richter wiesen das zurück: Es gebe | |
| „gewichtige“ Anhaltspunkte, dass beide Gruppen verfassungsfeindlich seien. | |
| Und der Verfassungsschutz fungiere ja gerade als Frühwarnsystem. | |
| Haldenwang gibt sich am Donnerstag daher offensiv. Man schaue gerade genau, | |
| wie die Flügel-Akteure um Höcke derzeit auf die Gesamtpartei einwirkten, | |
| droht er der AfD. Und man werde „nicht nachlassen, Extremisten zu | |
| identifizieren und zu benennen“. Zuletzt spricht Haldenwang noch eine | |
| „Warnung“ aus: „Der Staat wird entschieden gegen jede Form von Gewalt | |
| vorgehen. Kein Extremist und kein Terrorist darf sich mehr sicher fühlen.“ | |
| 9 Jul 2020 | |
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| ## AUTOREN | |
| Konrad Litschko | |
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