| # taz.de -- Massenprodukt Huhn: Heißhunger auf Huhn | |
| > Kein Tier ist so überzüchtet wie das Huhn. Es ist fett und billig. Aber | |
| > warum wurde ausgerechnet das Huhn zum Ramschartikel in der Fleischtheke? | |
| Bild: Geflügelmäster Stefan Teepker kontrolliert die Krallen seiner Hühner | |
| Handrup/Kolkwitz taz | Stefan Teepker knipst das Licht an, Stall Nummer 4 | |
| wird erleuchtet, und 37.000 Hühner erwachen. Sekunden später wogt eine | |
| Welle aus weißen Körpern durch die graue Wellblechhalle. Eine chaotische | |
| Masse, die scheinbar kein Ende nimmt, in der es keine Ordnung gibt. Staub | |
| steigt auf und vermischt sich mit dem Gelärme aus Tausenden Hühnerkehlen, | |
| spitz und kratzig. | |
| Teepker greift unerschrocken in die weiße Masse hinein und packt zu. Der | |
| weiße kleine Körper in seiner Hand windet sich, protestiert und wird dann | |
| schlaff. Es ist ein Hähnchen, 26 Tage alt, etwa 1,4 Kilo schwer. In zwei | |
| Wochen wird es geschlachtet. | |
| Seit April dieses Jahres ringt das „Klimakabinett“ der Bundesregierung um | |
| nachhaltige Lösungen für Verkehr und Landwirtschaft. Die deutsche | |
| Gesellschaft debattiert über Fleischverzicht, und der Konsum von Rind und | |
| Schwein geht langsam zurück. Nur das Huhn hat nichts davon. | |
| 622 Millionen Masthühnchen landeten 2018 in den Schlachthöfen, 23 Millionen | |
| mehr als im Vorjahr. 81 Prozent aller geschlachteten Tiere in Deutschland | |
| sind Masthühner. Hähnchenbrustfilet, 300 Gramm für 4 Euro. Noch nie wurde | |
| so viel Geflügel verzehrt wie heute. Nicht nur in Deutschland, sondern | |
| weltweit. | |
| ## Immer weniger Betriebe mästen immer mehr Tiere | |
| Das Huhn ist zum Massenprodukt geraten, zum Ramschartikel in der | |
| Fleischtheke. Zum hochgezüchteten Superhuhn, das schneller wächst und mehr | |
| Fleisch und Eier liefert als je zuvor. | |
| Ein Wandel, eine Steigerung der Effizienz, die nicht nur das Huhn ergriffen | |
| hat, sondern die gesamte Landwirtschaft. Immer weniger Betriebe | |
| bewirtschaften immer mehr Land und mästen immer mehr Tiere. Kleine Höfe | |
| geben auf, statt festen Arbeitskräften malochen billige Lohnarbeiter auf | |
| den Feldern. Technik ersetzt Handwerk in den Ställen. | |
| Und das Huhn ist das hochgemästete Werbegesicht dieser Entwicklung. Einer | |
| Entwicklung, die aus Tieren Maschinen macht und Landwirte in ein System | |
| zwängt, aus dem es kaum einen Ausstieg gibt. Wie konnte es dazu kommen? Und | |
| gibt es ein Zurück? | |
| Ein warmer Junimorgen im platten Hinterland von Niedersachsen, der Hochburg | |
| der deutschen Geflügelwirtschaft. Rund 61 Millionen Hühner leben hier, zwei | |
| Drittel aller deutschen Masthühner. | |
| ## Das Ross 308 ist ein Superhuhn | |
| Stefan Teepker steuert seinen schwarzen Mercedes durch den trägen | |
| Vormittag, vorbei an satten Wiesen und Höfen aus verwittertem Backstein. | |
| Der 38-Jährige ist unterwegs zu einem seiner Ställe. Einer Ansammlung von | |
| grünem Wellblech, die sich unauffällig in die Landschaft schmiegt. | |
| Stefan Teepker ist Landwirt, Hühnermäster und Vater von vier strohblonden | |
| Kindern. Er beschäftigt 17 Angestellte, beackert 500 Hektar Ackerfläche, | |
| hält 3.000 Schweine und 440.000 Hühner. Eine Großstadt voller Gefieder. Man | |
| könnte sagen, Stefan Teepker ist ein Mann der Effizienz. Dazu passt auch | |
| sein Vieh. | |
| In Teepkers Stall lebt das Ross 308. Ein Superhuhn. | |
| „Das Ross 308 ist weltweit als ein Masthähnchen anerkannt, das eine | |
| konstante Leistung liefert. Produzenten schätzen die Wachstumsrate, die | |
| Futtereffizienz und die robuste Leistung des Ross 308.“ | |
| So steht es in der Produktbeschreibung des Tiers. Nachzulesen auf der | |
| Website des amerikanischen Unternehmens Aviagen, eines der größten | |
| Masthähnchenzüchter der Welt. Dort findet sich auch eine | |
| Bedienungsanleitung für das Ross 308, genannt „Broiler-Handbuch.“ Neben | |
| Tipps zur Temperaturregelung im Stall und der empfohlenen Futtermenge ist | |
| auch die Leistung der Tiere erfasst. | |
| ## Vier Kilo in 40 Tagen | |
| In rund 40 Tagen frisst ein Huhn der Kategorie Ross 308 etwa vier Kilo | |
| Getreide und legt zwei bis drei Kilo zu. So viel und schnell wie kein | |
| anderes Nutztier. Schweine müssen drei Kilo fressen, um ein Kilo Fleisch | |
| anzusetzen, Kühe, je nach Gewicht und Alter zwischen acht und zehn | |
| Kilogramm. | |
| „Das Ross 308 ist das beliebteste Masthähnchen der Welt.“ So steht es im | |
| Broiler-Handbuch von Aviagen. | |
| Das amerikanische Unternehmen gehört zur deutschen Erich Wesjohann Gruppe, | |
| kurz EW Group, einem Geflecht aus 28 deutschen und 81 ausländischen Firmen. | |
| Der Konzern ist Weltmarktführer der Hühnergenetik. | |
| In der Produktpalette der EW Group finden sich Hühner, die man je nach | |
| ihrer Veranlagung und Beschaffenheit eingeteilt hat. In Legehennen und | |
| Masthähnchen, weibliche und männliche Tiere, die auf Gewichtszunahme | |
| gezüchtet sind. Tiere aus dem Labor, Hybridhühner, gezüchtet aus | |
| unterschiedlichen Hühnerrassen. Das Lohmann LB extra, dessen Eierschale als | |
| „attraktiv braun“ beschrieben wird und in 85 Wochen bis zu 377 Eier legt. | |
| Ein Huhn, besonders geeignet für die ökologische Landwirtschaft. Das Ross | |
| 708: „Für einen außergewöhnlichen Fleischertrag“. Perfekt für die | |
| konventionelle Landwirtschaft. Perfekt für den wachsenden Hunger auf Huhn. | |
| ## Der Bruder von Wiesenhof | |
| Der Kopf hinter diesen Hochleistungstieren heißt Erich Wesjohann. Er ist | |
| der Bruder von Paul-Heinz Wesjohann, besser bekannt als Erbe und Eigner | |
| der Geflügelmarke Wiesenhof, des größten Herstellers von Geflügelfleisch in | |
| Deutschland. Huhn liegt in der Familie. | |
| Das Firmenzentrum der EW-Group liegt in Niedersachsen, nicht weit weg von | |
| Teepkers Hof, in der Kleinstadt Visbek. Hier, in einem weißen Schlösschen, | |
| das als Firmenzentrale dient, regiert Erich Wesjohann über das Erbgut des | |
| Huhns. Die Superhühner von Wesjohann werden in über 160 Länder verschifft. | |
| Nach Kasachstan, Argentinien und Frankreich. Der Erfolg dieser Expansion | |
| liegt im Huhn selbst, in seiner Genetik. | |
| Durch Züchtung ist es der EW Group gelungen, das Huhn von einem zarten | |
| Vögelchen in einen Brocken aus Fleisch zu verwandeln. In eine Maschine, | |
| deren Körper rund drei Kilo mehr auf die Waage bringt als noch 1957 und | |
| fast doppelt so viele Eier legt wie in den 1960ern, rund 300 Stück pro | |
| Jahr. | |
| Diese Leistungen gehen aber bereits nach einer Hühnergeneration verloren, | |
| die Geninformation wird nicht weitervererbt. Wer Nachschub für seine Ställe | |
| braucht, muss immer wieder neu nachbestellen. Ein System, das an die | |
| Monopolisierung von Saatgut durch das Unternehmen Monsanto erinnert. Auch | |
| die EW Group bietet Zubehör an: Impfungen und perfekt abgestimmtes Futter. | |
| Das Ergebnis ist eine Monopolisierung des Huhns, die nicht nur zu | |
| Verschiebungen in der Landwirtschaft geführt hat, sondern auch im Huhn | |
| selbst. | |
| ## Kein anderes Nutztier hat der Mensch so stark verändert | |
| „Der moderne Broiler ist ein markanter neuer Morphotyp mit einer relativ | |
| breiten Körperform, einem niedrigen Schwerpunkt. Wenn man sie bis zur Reife | |
| leben lässt, ist es unwahrscheinlich, dass Masthähnchen überleben.“ | |
| Dieser Auszug stammt aus einer Studie der University of Leicester von | |
| Dezember 2018. Titel: „Das Masthähnchen als Signal für eine vom Menschen | |
| geschaffene Biosphäre.“ | |
| Forscher untersuchten, wie sehr der Mensch seine Umwelt und das Huhn | |
| geprägt hat. Ihr Fazit: Durch die konstante Züchtung hat sich das Huhn von | |
| sich selbst entfernt. Organe wie Herz und Lunge sind kleiner, die Muskeln | |
| schwächer, die Genetik ist um 50 Prozent ärmer als noch vor 60 Jahren. | |
| Kurz: Kein anderes Nutztier ist vom Menschen so stark verändert worden wie | |
| das Huhn. | |
| Das Huhn ist tot, es lebe das Superhuhn. | |
| ## Vom Suppenhuhn zum Superhuhn | |
| Ein Wandel, ein Systemwechsel, der seinen Anfang in den späten 1950er | |
| Jahren nimmt. | |
| Deutschland ist damals der größte Eier- und Geflügelimporteur der Welt. Die | |
| USA, die Niederlande und Dänemark sind die Hauptlieferanten. | |
| Der Hunger aufs Huhn wächst stetig. Die deutschen Landwirte produzieren nur | |
| rund 60 Prozent des Bedarfs. Hühner dienen vor allem dem bäuerlichen | |
| Nebenerwerb. Das „Eiergeld“ bessert die Kassen der Bäuerinnen auf. | |
| 1959 ändert sich das. Damals kauft ein kleiner Geflügelbetrieb in Cuxhaven | |
| ein paar Lizenzen für neuartige Hybridhühner. Ein neue Form des Huhns, | |
| geschaffen von einem amerikanischen Genetiker, der das Prinzip der | |
| leistungssteigernden Hybridzüchtung von Mais auf Hühner überträgt. Mit | |
| Erfolg. | |
| 1965 gründet die Cuxhavener Firma Lohmann eine Brüterei für Masthähnchen, | |
| gemeinsam mit dem Eierhändler Paul Wesjohann, dem Vater der Brüder | |
| Wesjohann, und arbeitet am Aufbau der Marke Wiesenhof. Es ist der | |
| Startschuss für die deutsche Hühnerindustrie. Und für ein System, das auf | |
| Profit und Masse basiert. | |
| ## 7,5 Millionen Euro Umsatz mit Masthähnchen | |
| Vor zehn Jahren stieg dann auch Stefan Teepker, der Hühnermäster aus | |
| Niedersachsen, ins Hähnchengeschäft ein. Eine Entscheidung aus | |
| wirtschaftlichen Gründen. „Hähnchenfleisch ist ein Wachstumsmarkt“, sagt | |
| Teepker. Er ist da ganz klar. Ihm geht es ums Geschäft, und das ist | |
| profitabel. 7,5 Millionen Euro Umsatz macht Teepker mit seinen Masthähnchen | |
| pro Jahr. | |
| Er sitzt in seinem Büro auf einem schwarzen Stuhl und tippt etwas in den | |
| Computer. Durch die Fenster schaut er auf die grünen Wellblechhallen, die | |
| Geflügelstadt. Im Nebenraum befinden sich eine Umkleide und die | |
| Gemeinschaftsküche der Angestellten. An den weißen Raufasertapeten hängen | |
| Bilder von Teepkers blonden Kindern, umringt von kleinen gelben Küken. | |
| Die Eintagsküken bekommt Teepker von einer nahe gelegenen Brüterei, für 35 | |
| Cent das Stück. Nach der Mästung verkauft er die Tiere an den Schlachter. | |
| Für ein Kilo Lebendgewicht bekommt er 92 Cent. | |
| Den Zeitpunkt der Schlachtung bestimmt die Nachfrage der Kunden. Plant ein | |
| Discounter eine Grillaktion mit günstigem Hühnerfilet, dann kommen die | |
| Lastwagen der Schlachterei schon an Tag 35 und nicht erst an Tag 40, zum | |
| üblichen Zeitpunkt der Schlachtung. Teepker muss dann liefern. | |
| ## Arbeitsteilung, ausgerichtet auf Effizienz | |
| Mit dem Superhuhn hat sich auch ein neues System etabliert: Arbeitsteilung, | |
| ausgerichtet auf Effizienz. Die Konzerne liefern die Genetik, die Vermehrer | |
| sorgen für die Produktion leistungsfähiger Elterntiere, Brütereien | |
| übernehmen das Ausbrüten, die Landwirte Mast und Eierproduktion, die | |
| Schlachtereien den Rest. Discounter und Fastfoodketten liefern den | |
| Konsumenten die fertigen Produkte. | |
| Eine Tabelle taucht auf Teepkers Computerbildschirm auf, darin die Zahlen | |
| für jeden der acht Ställe. Aufgelistet sind Futtermengen, auf die | |
| Grammzahl genau, Stalltemperatur und Grad der Belüftung. | |
| Stall 1: 24 Grad. 133 Gramm Futter pro Tier. Durchschnittsgewicht der | |
| Tiere: 1.399 Gramm. Fütterung und Lichtanlage lassen sich per App steuern, | |
| von Teepkers Telefon aus. Mit dem Wandel des Huhns hat sich auch die Arbeit | |
| der Landwirte verändert. Vom Handwerk zur computergesteuerten Tätigkeit im | |
| Hightechbereich. | |
| Weichen die Zahlen von der Norm ab, weiß Teepker, „muss man mal | |
| nachschauen“. Zweimal am Tag geht Stefan Teepker oder einer seiner | |
| Angestellten durch die Ställe. Schaut nach kranken oder auffälligen Tieren | |
| und kontrolliert die automatische Futterzufuhr. Fünf Leute betreuen hier | |
| 440.000 Hühner. Ein Mensch kommt auf 88.000 Tiere. | |
| ## Wer viel hat, bekommt viel Geld | |
| Masse lohnt sich. Nicht nur bei Hühnern, auch bei Gerste oder Mais. Das | |
| liegt vor allem an der Agrarpolitik der EU. In Europa werden Landwirte mit | |
| Subventionen gefördert, die sich vor allem nach der bewirtschafteten Fläche | |
| berechnen. | |
| Wer viel hat, bekommt viel Geld. Geld, das für den Ankauf wieder neuer | |
| Flächen benutzt werden kann. So werden die großen Höfe immer größer, und | |
| kleine Betriebe verschwinden. | |
| Seit Mitte der 1990er Jahre ist die Zahl der Betriebe in Deutschland um die | |
| Hälfte geschrumpft. Die Zahl der Arbeitskräfte sank um ein Drittel. Das | |
| zeigen Daten im aktuellen Agrar-Atlas der Heinrich-Böll-Stiftung. | |
| Wer aus diesem System ausbrechen möchte, der muss kämpfen. Oder weichen. | |
| ## Eine alte Rasse aus Frankreich | |
| Frank Maczkowski steht in einem hellen Hühnerstall aus Holz und schaut auf | |
| eine Herde aus wogenden weißen Hühnern. Er sieht zufrieden aus. „Die Tiere | |
| entwickeln sich gut“, sagt er. | |
| Maczkowski ist Stallmeister des Hofs Auguste, eines alten Gehöfts westlich | |
| von Cottbus. | |
| Er trägt eine grüne Latzhose über einem grünen Shirt. Sein Gesicht | |
| tiefbraun, die Augen hellblau, auf der Oberlippe hockt ein kleiner | |
| Schnurrbart. | |
| Es ist Mitte Juni. Draußen im Gebüsch zirpen die Grillen. Auf der | |
| verwitterten Holzscheune nistet ein Storch. An einem der Tore hat jemand | |
| mit weißer Kreide die Ankunft der Schwalben notiert. Maczkowski und der Hof | |
| Auguste sind das, was Städter sich vorstellen, wenn sie „Bio“ hören. Ein | |
| Idyll. | |
| 1.000 Hühner leben in Maczkowskis Stall, der Boden ist mit Stroh | |
| eingestreut, ein kleiner Aufbau aus Eisen dient den Hühnern als Sitzstange. | |
| Es riecht nach Tier, nach Land. Die Hühner, die hier scharren und nach | |
| Körnern picken, sind Bressehühner. Große, kräftige Tiere mit feuerrotem | |
| Kamm. Eine alte Rasse, ursprünglich aus Frankreich, es sind sogenannte | |
| Zweinutzungshühner. | |
| ## Das Gegenteil vom Superhuhn | |
| Das Zweinutzungshuhn ist das Gegenmodell zum Superhuhn. Es ist quasi ein | |
| Ursprungshuhn. Es legt Eier und kann gleichermaßen gemästet werden. | |
| Seit vier Jahren leben die Tiere auf dem Hof Auguste. Sie sind Teil einer | |
| Gegenbewegung, der sich vor allem Kleinbauern angeschlossen haben, in | |
| regionalen Initiativen. Es ist der Versuch, das System Superhuhn, das | |
| System aus Wachstum und Effizienz, zu unterbrechen. Der Versuch, 60 Jahre | |
| Landwirtschaft wieder rückgängig zu machen. | |
| Unruhe kommt auf, zwei Hähne gehen aufeinander los. „Die sind jetzt in | |
| einem Alter, wo es Reibereien gibt“, sagt Maczkowski. Die Tiere sind 70 | |
| Tage alt, mit 90 Tagen werden sie rund 1,8 Kilo wiegen. Mager im Vergleich | |
| zum Superhuhn. „Ist okay“, sagt Maczkowski. „Aber nur mit dieser Rasse ka… | |
| kein Bauer überleben.“ | |
| Wer mehr frisst und langsamer wächst, der kostet mehr. Dazu kommen höhere | |
| Ausgaben für Biofutter und große Anlagen. Kosten, die der Hof allein nicht | |
| tragen kann. Ein großer Biovertrieb sichert die Abnahme und übernimmt die | |
| Logistik. Die Eier und die Hähnchen landen in einem Biosupermarkt in | |
| Berlin. „Dafür sind wir dankbar“, sagt Maczkowski. Er erzählt von Höfen, | |
| die aufgegeben haben, darunter viele Familienbetriebe. „Da ist viel | |
| Herzblut bei, aber seine Schulden kann man damit nicht bezahlen.“ | |
| ## 24 Euro versus 3 Euro | |
| Der Hof Auguste ist ein Hof der Lebenshilfe. Ein Ort, an dem auch psychisch | |
| kranke Menschen leben und arbeiten. Die Mehrkosten für die Hühner tragen | |
| sich vor allem durch das soziale Projekt. | |
| Ein Auguste-Huhn kostet rund 24 Euro an der Fleischtheke. Ein Hybridhuhn | |
| etwa 3 Euro. Öffentliche Förderung für das Projekt Zweinutzungshuhn gibt es | |
| wenig, die Lobby ist klein. „Wenn Kunden und Politik nicht umdenken, bleibt | |
| das hier eine Nische“, sagt Maczkowski. | |
| Zwei Drittel der Deutschen wünschen sich strengere Vorschriften für Tiere | |
| in der Massenhaltung, so schreibt der BUND auf seiner Website. Der | |
| Marktanteil von Bioprodukten liegt bei 5 Prozent. Der von Ökogeflügel bei | |
| etwa 1 Prozent. | |
| Nicht nur das Huhn hat sich von sich selbst entfremdet. Während das Tier | |
| hinter grünem Wellblech verschwand und zur Maschine wurde, wurde der Mensch | |
| zum Konsumenten, gewöhnt an ständige Verfügbarkeit und günstige Preise. | |
| Tier und Mensch sind einander fremd geworden. „Die Leute haben keine | |
| Ahnung, woher ihr Fleisch kommt“, sagt Stefan Teepker. Er wirkt frustriert. | |
| „Wenn ein Huhn in der Kantine 2,50 Euro kostet, woher soll es dann kommen?“ | |
| ## „Können wir mal schauen?“ | |
| In grünen Gummistiefel steht Teepker in Stall Nummer 3. Er ist leer. „Wir | |
| haben gerade ausgestallt“, sagt Teepker. Er meint: Die Tiere wurden | |
| geschlachtet. Dunkelbrauner Torf bedeckt den Hallenboden, darauf verteilt | |
| liegen riesige Haufen aus gelbem Getreide. Es riecht säuerlich und nach | |
| Erde. „Morgen kommen die Küken“, sagt Teepker. 27.000 Stück. 27.000 neue | |
| Grillhähnchen. | |
| Vor zehn Jahren, als Teepker seinen Stall bauen wollte, protestierten | |
| Bewohner des angrenzenden Dorfs. „Die hatten Angst vor Dreck und Gestank“, | |
| sagt Teepker. Irgendwann standen die neuen Nachbarn vor dem Stall. „Könnten | |
| wir mal schauen?“ Ein paar Wochen später ging Teepkers Frau mit ein paar | |
| Küken in den örtlichen Kindergarten. Es ist der Versuch, schon Kindern zu | |
| zeigen: Hinter jedem Stück Fleisch steckt ein Tier. | |
| An einem seiner Ställe steht eine kleine Hütte aus Holz, ein großes Fenster | |
| öffnet den Blick in den Stall. Die Tür ist immer offen. Tag und Nacht, 365 | |
| Tage im Jahr. In einem kleinen Regal liegen Malbücher mit Hühnermotiven | |
| neben Broschüren über die moderne Hühnermast. Teepker hat einen Automaten | |
| aufstellen lassen, bestückt mit Getränken, Eiern und | |
| Geflügelfleischprodukten, die ein Nachbarbetrieb liefert. Manchmal kommen | |
| die Kids vom Dorf, um sich eine Cola zu ziehen. | |
| „Wir wollen den Leuten zeigen, wie produziert wird“, sagt Teepker. Auf | |
| Facebook hat er eine eigene Seite für den Hof angelegt, mit Bildern. | |
| Ferkel, die geboren, Rüben, die geerntet, und Hühnerställe, die mit | |
| riesigen Maschinen desinfiziert werden. | |
| Für die Hühnerbranche ist so viel Offenheit ungewöhnlich. Die Anfrage an | |
| die EW Group mit der Bitte, die Ställe anschauen zu dürfen, blieb | |
| unbeantwortet. | |
| ## Kranke Tiere bringen keinen Verdienst | |
| Stefan Teepker will es anders machen. Sagt, „früher lief vieles schief, da | |
| haben wir viel aufzuholen.“ Er meint vor allem die Kommunikation mit den | |
| Verbrauchern. | |
| Es störe ihn nicht, Teil eines Systems zu sein, das auf Wirtschaftlichkeit | |
| ausgelegt ist, sagt Teepker. Effizienz ist gut fürs Geschäft. Was ihn | |
| stört, ist die Ignoranz von Politik und Konsumenten. „Die kritisieren das | |
| System, aber mehr Geld für anderes wollen sie nicht ausgeben.“ | |
| Er erzählt von billigen Importen aus Osteuropa, die Tierwohlauflagen | |
| unterlaufen und die Preise drücken. Von seinen Versuchen, in dem | |
| bestehenden System alles richtig zu machen, damit es seinen Tieren | |
| möglichst gut geht. Kranke Tiere kann er sich nicht leisten. „Die bringen | |
| keinen Verdienst.“ | |
| In Stall 4 wird es hell, das weiße Chaos bricht aus. Teepker greift in die | |
| Menge. Das Huhn gackert leise unter Teepker festem Griff. Dann wird es | |
| still. „Das, was man hier sieht“, sagt Teepker und befühlt mit zarten | |
| Fingern die bebende Brust des Hähnchens, „ist das, was in Deutschland | |
| gegessen wird.“ | |
| 7 Aug 2019 | |
| ## AUTOREN | |
| Gesa Steeger | |
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