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# taz.de -- Hühnchen in Ost und West: Goldbroiler und Wienerwald
> Ein Broiler war in der DDR mehr als ein Brathähnchen. Eine Erinnerung an
> den Geschmack des Ostens und des Westens.
Bild: Schlange vor einer Hähnchenbraterei (Ost), 1990
Was macht Mensch, wenn er seine Gefühle nicht gut zum Ausdruck bringen
kann? Er kocht, backt, grillt. Denn Essen ist Zuwendung pur. Es stiftet
Gemeinschaftssinn, sorgt für Nähe und heimelige Momente und schafft
Erinnerungen, die auch im hohen Alter abgerufen werden können.
„Das schmeckt wie früher“ – ein besseres Lob kann es doch eigentlich nic…
geben. „Das schmeckt ja wie DDR“, lautet die ostdeutsche Variante des
Satzes und lässt sich natürlich auch auf gegrillte Hühnchen übertragen.
## Broiler-Bar in der Kreisstadt
Meine Leidenschaft fing früh an, wohl schon in Kindertagen, und war
hausgemacht, Oma und Mutter waren begnadete Köchinnen. Das Nonplusultra
aber waren die gegrillten Broiler aus der Kreisstadt. In Hagenow (in
Westmecklenburg, damals Bezirk Schwerin) gab es in der Langen Straße, einer
Einkaufsstraße mit damals vielen kleinen Läden, eine Art Bar, die Broiler
anbot, eben eine Broiler-Bar.
Anfang der 1980er Jahre bin ich als Jugendlicher regelmäßig mit dem
Überlandbus aus meinem Dorf rund eine Stunde in die Stadt gegondelt, um
einzukaufen – etwa Zierfische im einzigen Fachgeschäft der Gegend –, vor
allem aber, um Broiler mit nach Hause zu nehmen. Und auch schon mal vor Ort
ein Stück zu verspeisen. Was hab ich das geliebt, den Geruch, den Geschmack
(Gewürze: scharfes Paprikapulver, Pfeffer und Salz), die goldbraune und
knusprige Haut.
Den Begriff „Broiler“, das wissen viele Westdeutsche bis heute nicht, hat
gar nicht die DDR erfunden. Das Fachwort aus der Geflügelzucht meint „zur
Mast bestimmtes Hähnchen“ und ist in allen deutschsprachigen Ländern
bekannt. Schon nach wenigen Wochen Mast müssen die Brathähnchen sterben.
In der DDR gab es in jeder größeren Stadt eine Broiler-Bar oder Gaststätten
mit dem Namen „Zum Goldbroiler“ – ein Begriff aus der Werbesprache. Dabei
war Werbung gar nicht nötig. Nicht immer gab es Brathähnchen für alle.
Ausverkauft heißt ausverkauft. Dann fuhr man ohne gegrilltes Geflügel nach
Hause. Aber hatte vielleicht wenigstens in einem anderen Geschäft etwas
ergattert. Zu DDR-Zeiten galt die Devise: Kaufen, wenn es etwas gibt, egal
was, man konnte alles irgendwann mal gebrauchen (oder tauschen).
Broiler esse ich bis heute gern (sorry, Verganer:innen) und am liebsten in
Bioqualität, auch wenn ich nun die leckere Haut beiseitelasse wegen des
Cholesterinspiegels. Natürlich sind die meisten Goldbroiler-Gaststätten mit
der DDR verschwunden, hier und da – wie in Burg bei Magdeburg – gibt es sie
noch.
## Kein würdiges Pendant
Und nein, der Wienerwald war nach der Wende kein wirklicher Ersatz. Die
1955 gegründete westdeutsche Kette war geschmacklich betrachtet kein
würdiges Pendant fürs Brathähnchen à la DDR. Auch wenn die Restaurants in
Berlin, wo ich inzwischen lebte, viel schicker waren als in meiner alten
Kreisstadt. Und auch wenn Hähnchen dort nie ausverkauft waren. Inzwischen
hat das Unternehmen einige Insolvenzen hinter sich und ist aus Berlin
verschwunden.
Dort hat sich aber ein anderes Brathähnchen-Imperium breitgemacht. Gut für
mich. Denn ich liebe die gegrillten Hähnchen von Risa Chicken, einem
familiengeführten Unternehmen mit mittlerweile acht Filialen in der Stadt.
Die Broiler – auch wenn sie so nicht heißen – schmecken besser als die oft
lieblos gegrillten Hähnchen in den Imbissen um die Ecke. Und ehrlich,
besser als die Broiler meiner Kindheit. Stimmt ja schon, nichts ist so süß
wie Erinnerungen aus der Kindheit, wenn es um Geschmack geht. Schmeckt wie
früher, ist das Gütesiegel schlechthin. Stimmt aber gar nicht.
28 Jul 2025
## AUTOREN
Andreas Hergeth
## TAGS
Schwerpunkt Stadtland
wochentaz
Hühner
DDR
Meppen
Lesestück Recherche und Reportage
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