| # taz.de -- Umstellung auf Öko-Landwirtschaft: Biobauer wider Willen | |
| > Frank Hartmann wollte nie Biobauer werden. Weil er angefeindet wurde, | |
| > stellt er nun aber um. Gegen seine Überzeugung. Kann das klappen? | |
| Bild: Ökobauer wider Willen. Frank Hartmann sagt: „Bio wird uns nicht retten… | |
| Fischland taz | Wenn Frank Hartmann, 54 Jahre alt, seinen schönsten Acker | |
| bearbeitet, dann thront er auf dem Trecker weit oben über dem Fischland. | |
| Links leuchtet blau die Ostsee, rechts der Bodden. Schon im Frühjahr ist | |
| der Weg zwischen den Feldern von Radfahrern so stark frequentiert wie die | |
| Ausfallstraße einer holländischen Großstadt zur Pendlerzeit. Hartmann macht | |
| seinen Job im Sommerhalbjahr unter Dauerbeobachtung. | |
| Wenn bisher die Spritzmaschine oder der Düngewagen hinter seinem Trecker | |
| hing, erntete er Kritik. „Manchmal“, sagt er, „waren es nur böse Blicke, | |
| oft aber auch Beschimpfungen. Ich habe die Anfeindungen nicht mehr | |
| ertragen.“ Er entschloss sich, seinen Betrieb in einen Biohof umzuwandeln. | |
| Im Mai vergangenen Jahres hat er die Umstellung angemeldet, eine | |
| zweijährige Phase, in der Fördermittel Ertragseinbußen abfedern und der | |
| Landwirt Zeit hat, die neue Art der Bewirtschaftung zu entwickeln. Aktuell | |
| dauert es noch ein Jahr, dann hat er das offizielle Siegel. „Wegen des | |
| Drucks“, sagt er, „nicht weil ich daran glaube.“ | |
| Hartmanns Hof liegt zwischen Wustrow und Ahrenshoop. Die Halbinsel | |
| Fischland ist für sanften Tourismus, ein Kunstmuseum und eine | |
| Künstlerkolonie bekannt. Die Gäste wollen Natur, kaufen auf dem Wustrower | |
| Ökomarkt ein und trinken fair gehandelten Kaffee in der Mühle von | |
| Ahrenshoop. | |
| Hier mit Spritzmaschine unterwegs zu sein ist in etwa so, als eskortiere | |
| man eine Friedensdemo mit einem Panzer. Wären es nur die Touristen gewesen, | |
| hätte Hartmann vielleicht weitergemacht. Aber der Gegenwind kommt aus allen | |
| Richtungen. Er sagt, oft seien es Einwohner, die ihm sagten, dass sich ihre | |
| Gäste beschweren, seinetwegen. Ein konventioneller Hof passe nicht in den | |
| Ort. Ob er nicht umstellen könne? | |
| ## „Ich glaube nicht, dass Bio uns retten wird“ | |
| „Richtig schlimm wurde es 2015 nach dem Glyphosatskandal“, sagt Hartmann. | |
| „Daraufhin wollte die Gemeinde Land nur noch an mich verpachten, wenn ich | |
| nicht mehr spritze. Und dann kam 2017 noch die Studie zum Insektensterben.“ | |
| In dem Pachtvertrag, den Hartmann neu mit dem Bürgermeister von Wustrow | |
| ausgehandelt hat, steht, dass er auf den Gemeindeflächen keine Pestizide, | |
| kein Glyphosat und keine synthetischen Düngemittel einsetzen darf. Die | |
| Gemeinde war es auch, die ihm empfahl, komplett auf Öko umzustellen. | |
| Bundesweit steigt der Anteil der Flächen, die für Ökolandbau genutzt | |
| werden, kontinuierlich. 1996 wurden nur gut 2 Prozent ökologisch | |
| bewirtschaftet, 2018 sind es über 9,1 Prozent. Aber das aktuelle Ziel der | |
| Bundesregierung – 20 Prozent bis 2030 – liegt in weiter Ferne. | |
| „Ich glaube nicht, dass Bio uns retten wird“, sagt Hartmann Ende Januar. Er | |
| sitzt in seiner Küche. Wie sehr er sich mit seinem Hof identifiziert, sieht | |
| man daran, dass er ein Poloshirt mit aufgesticktem Hoflogo trägt. Er hat | |
| Lachfalten um die Augen und erzählt gern, schnell und viel. Klar hat ihn | |
| der Beschluss der Gemeinde unter Druck gesetzt, aber auch nach dem ersten | |
| Gespräch bleibt rätselhaft, warum er wirklich umgestellt hat, ohne an Bio | |
| zu glauben. | |
| In der offenen Küche hängen großformatige Fotos. Aus den großen Fenstern | |
| blickt man auf den Bodden. Draußen stehen Pferde, er hält ein paar Rinder | |
| und Hühner in einem großen Gehege. Schon auf den ersten Blick entspricht | |
| sein Hof nicht dem Klischee vom Biohof, dazu wirkt er zu clean. 280 Hektar | |
| hat der Hof, der Durchschnitt liegt in Deutsachland bei 61 Hektar, in | |
| Mecklenburg-Vorpommern liegt Hartmanns Betrieb aber größenmäßig im | |
| Mittelfeld. | |
| ## Ökologische Landwirtschaft ist manchmal unökologisch | |
| Immer wieder kommt Hartmann auf das zurück, was seiner Meinung nach an Bio | |
| alles nicht stimmt: fehlende oder schlechtere Vertriebsmöglichkeiten, | |
| weitere Fahrwege, höherer Dieselverbrauch. Bürokratische Vorschriften, die | |
| er unsinnig findet, weil sie viel Zeit und manchmal Geld kosten. Wenn er | |
| etwa sein Getreide mit einer Spedition wegfahren lässt, braucht er vom | |
| Fahrer einen Nachweis über die drei letzten Fahrten. Die dürfen nicht für | |
| konventionell wirtschaftende Bauern gewesen sein, damit sich etwaige | |
| Getreidereste nicht mit seinen mischen. „Total bekloppt“, findet Hartmann. | |
| Bio ist für ihn ein Luxusprodukt, das man sich leisten können muss. | |
| Hartmann sagt, dass konventionelle Produkte die ökologischen | |
| subventionieren. Er verweist auf das Wachsen der Weltbevölkerung, den | |
| höheren Flächenverbrauch bei ökologischer Bewirtschaftung. „Wer will denn | |
| den Menschen in Entwicklungsländern sagen, dass sie kein Fleisch essen | |
| dürfen?“ | |
| Tatsächlich verbraucht die ökologische Landwirtschaft wegen der geringeren | |
| Erträge mehr Fläche als konventionelle. Die ganze Welt – 9 Milliarden | |
| Menschen im Jahr 2050 – nachhaltig zu ernähren, das ginge theoretisch auch | |
| dann, wenn die Landwirtschaft nur zu 60 Prozent umgestellt würde. Dann aber | |
| dürfte nur noch die Hälfte der Lebensmittel im Müll landen. | |
| Und weil Tierhaltung so viel mehr Fläche und Ressourcen verbraucht als der | |
| Anbau pflanzlicher Nahrung, hieße das zweitens: Auch der Fleischkonsum | |
| müsste um etwa ein Drittel reduziert werden. Fleisch also möglichst nur als | |
| Sonntagsbraten und auch insgesamt weniger tierische Erzeugnisse wie Milch, | |
| Eier, Leder. Weltweit. Das ist das Ergebnis einer internationalen Studie zu | |
| diesem Thema, die 2017 in der Zeitschrift Nature Communications | |
| veröffentlicht wurde. Bisher allerdings wird weltweit Jahr für Jahr mehr | |
| Fleisch gegessen. | |
| ## Ökolandbau ist nicht per se eine Klimaschutzmaßnahme | |
| Wie groß der Beitrag der Ökobauern für Umweltschutz und Gesellschaft ist, | |
| darüber streiten die Experten seit dem Aufkommen der ökologischen | |
| Landwirtschaft vor 30 Jahren. Das größte Problem ist: Vergleicht man öko | |
| und konventionell in Bezug darauf, welche negativen Folgen die | |
| Bewirtschaftung je Flächeneinheit mit sich bringt? Oder darauf, wie groß | |
| die Umweltschäden bei gleichem Ertrag sind? Hektar für Hektar ist die | |
| ökologische Landwirtschaft haushoch überlegen, geht es aber um den Ertrag, | |
| ist sie mit der konventionellen nur noch etwa gleichauf. | |
| Jürn Sanders hat Anfang dieses Jahres eine Metastudie für das Johann | |
| Heinrich von Thünen-Institut herausgegeben, das Bundesforschungsinstitut | |
| für Ländliche Räume, Wald und Fischerei. Sanders hat die 528 Studien der | |
| vergangenen 30 Jahre untersucht, in denen ökologische und konventionelle | |
| Landwirtschaft verglichen wurden. Sein Fazit: Ökolandbau ist nicht per se | |
| eine Klimaschutzmaßnahme, schützt hingegen Gewässer und Grundwasser | |
| zuverlässig vor zu hohen Nährstoffeinträgen und Giften. | |
| Und: Besonders groß sind die Vorteile, was Biodiversität, die | |
| Artenvielfalt, angeht. „Ja, Ökolandbau tut mehr für Umwelt und Gesellschaft | |
| als konventionelle Landwirtschaft und ist deshalb förderungswürdig“, sagt | |
| er. „Das ist die einfache Antwort. Im Detail ist allerdings alles | |
| komplexer. Und das ist schwierig zu kommunizieren.“ | |
| Die Details bestimmen allerdings das Leben eines Landwirts. Wenn eine | |
| Metastudie wie die des Thünen-Instituts in Politik übersetzt wird, gibt es | |
| Widersprüche und Frust bei denen, die sie in die Praxis umsetzen sollen. | |
| Auf Hartmanns sandigen Äckern zum Beispiel brüten nicht erst seit der | |
| Umstellung Hunderte Vögel: Grauammern, Feldlerchen, Schafstelzen, | |
| Steinschmätzer und Schwarzkehlchen. Hartmann spritzt nicht mehr, darum | |
| finden die Vögel nun mehr Futter und bessere Lebensbedingungen. | |
| ## Die Königsdisziplin im Bioanbau: Raps | |
| Weil er aber seine Felder zur Unkrautbekämpfung intensiv mit Striegel und | |
| Hacke bearbeitet, die er hinter seinem Trecker herzieht, tötet er mit deren | |
| Reihe aus Spitzen auch mehr Vögel. Trotzdem müssten es in der Summe mehr | |
| Vögel geworden sein. Aber Hartmann winkt ab. | |
| Seit über einem Jahr führt er seinen Betrieb auf eine Art und Weise, an die | |
| er eigentlich nicht glaubt. Trotzdem ist er deshalb kein miesepetriger Typ. | |
| „Dass ich nicht überzeugt bin, heißt nicht, dass ich es jetzt nicht so gut | |
| wie möglich machen will.“ Er hat sich, wie er sagt, gleich „das | |
| Schwierigste vom Schwierigen“ ausgesucht: Er will Raps anbauen, der | |
| eigentlich sehr viel Phosphor und Kali – also Dünger – braucht, weil es | |
| hartnäckige Schädlinge wie den Rapsglanzkäfer und die Kohlschotenmücke auf | |
| ihn abgesehen haben. Im letzten Jahr hat er schon ein paar Versuche mit | |
| Bioraps gemacht, eine kleine Ölmühle ausprobiert. | |
| Anfang März, zwei Monate nach dem ersten Gespräch in Hartmanns Küche, hat | |
| der Bauernverband Mecklenburg-Vorpommern zum Bauerntag eingeladen. | |
| Hartmann, Kreisvorsitzender des tendenziell eher konservativen, | |
| technikfreundlichen Verbands, sitzt in der dritten Reihe und hört zu, wie | |
| Till Backhaus (SPD), Umwelt- und Landwirtschaftsminister von | |
| Mecklenburg-Vorpommern, versucht, „seine“ Bauern von der Umstellung zu | |
| überzeugen. Backhaus inszeniert sich gerne als Bauernversteher, dann steht | |
| er vor dem Pappaufsteller einer schwarz-weiß gefleckten Kuh und sagt: „Ich | |
| bin ja einer von euch.“ | |
| Ungefähr seit Hartmann immer öfter auf dem Trecker beschimpft wurde, drückt | |
| Backhaus zunehmend aufs Tempo, wenn es darum geht, „seine“ Bauern von der | |
| Richtigkeit der Umstellung zu überzeugen. „Ich bin stolz auf unsere | |
| Landwirtschaft, aber ich will auch stolz darauf sein, dass die Erde in | |
| einigen Generationen noch bewohnbar ist“, sagt Backhaus. „Ihr seid | |
| einerseits Opfer, andererseits Täter, sucht nach Lösungen.“ „Dieses | |
| Schwarz-Weiß-Denken finde ich furchtbar“, wird Hartmann das später | |
| kommentieren. „Wir bauen doch nur das an, was die Leute bereit sind zu | |
| bezahlen. Aber der muss seine Politik eben auch verkaufen.“ | |
| ## Hartmann leidet mit seinen Pflanzen | |
| Dann erzählt er, dass auf seinen Äckern jetzt im März die ersten Halme | |
| ausgetrieben haben. Zu mickrig, wie er findet. „Meine Pflanzen sind wie | |
| meine Kinder“, sagt er. „Würden Sie Ihre Kinder hungern lassen? Ein | |
| Nährstoffdefizit zu sehen und nicht düngen zu dürfen, das tut weh.“ | |
| Düngen dürfte Hartmann zwar schon, aber nur organisch. Verzicht auf | |
| synthetischen Dünger und Pflanzenschutzmittel sind die wichtigsten | |
| Kriterien des ökologischen Landbau. Deshalb fährt er neuerdings den | |
| Pferdemist aus den Ställen im Umkreis von 30 Kilometern auf seinen Hof. | |
| Mehr Technik, automatisierte Arbeitsprozesse – nach dem Zweiten Weltkrieg | |
| haben sich mehr und mehr Landwirte in Deutschland eine Sicht auf die | |
| Landwirtschaft angeeignet, bei der es für fast jedes Problem eine Lösung | |
| gibt, die auch noch den Gesetzen des Marktes gehorcht. Mittlerweile lässt | |
| sich die Düngergabe für jeden Ackerabschnitt digital berechnen, über | |
| GPS-Steuerung dann die optimale Menge aufbringen. | |
| Dass Bauern heute oft dafür kritisiert, sogar öffentlich beschimpft werden, | |
| ihre Betriebe nach ebendiesem Prinzip zu führen, das ihnen jahrelang | |
| nahegelegt wurde und nach dem eine ganze Gesellschaft funktioniert, macht | |
| viele wütend. Auch Hartmann. | |
| ## Eine Umstellung braucht Geduld | |
| Jetzt zusehen zu müssen, wie die Pflanzen viel langsamer wachsen, auf | |
| manchen Ackerstreifen auch gar nicht, Technik nicht einsetzen zu können | |
| wie bisher, vielleicht ist das so, als wäre man plötzlich gezwungen, einen | |
| langen Text mit der Schreibmaschine zu schreiben statt mit dem Computer. | |
| Obwohl der immer noch einsatzbereit danebensteht. | |
| Noch mal zwei Monate später, Mitte Mai. Hartmanns Rapsölprojekt ist | |
| gescheitert, vermutlich mangels Wasser und Stickstoff. „Die Pflanzen sind | |
| einfach nicht gewachsen“, sagt er, aber „so schnell gebe ich nicht auf, im | |
| nächsten Jahr versuche ich es wieder.“ Die Spritzmaschine hat er verkauft, | |
| aber dafür neue Technik angeschafft. Striegel, Hacke, Pick-up und | |
| Schwadmäher. Die meisten Geräte dienen dazu, Unkraut mechanisch zu | |
| bekämpfen. Hartmann hat alles gebraucht gekauft und trotzdem 100.000 Euro | |
| ausgegeben. | |
| Ob sich all die Mühe, die Investitionen gelohnt haben, steht noch nicht | |
| fest. In einem Jahr weiß er mehr. Dann ist die Umstellungsphase vorbei, in | |
| der seine Ertragseinbußen durch die Umstellungsprämie zum Teil – nicht | |
| vollständig – ausgeglichen werden. Nach der Umstellung werden, wenn alles | |
| klappt, die höheren Preise und die von EU und Land gezahlten | |
| Agrarumweltprämien den Minderertrag wettmachen. | |
| Gegen Unkraut mechanisch vorzugehen kostet Zeit. Vier ganze Tage, sagt | |
| Hartmann, hat er Erbsen auf dem Feld gehackt. Bisher brauchte er zwei | |
| Stunden, um auf dem gleichen Acker einmal „Pflanzenschutz“, wie er die | |
| Unkraut-, Pilz,- und Insektengifte nennt, auszubringen. Abwechselnd mit | |
| seinem Sohn, der den Hof einmal übernehmen soll, sitzt er auf dem Trecker, | |
| hinter sich die Hacke. | |
| ## Feldarbeit ist Präzisionsarbeit | |
| Während er hackt, hört Hartmann Hörspiele. Und verschickt anschließend ein | |
| Video an die Journalistin. Darin zieht der Ackerboden minutenlang unter der | |
| Hacke vorbei. Sonst passiert nichts. Nur wenn man weiß, worauf es ankommt, | |
| sieht man die Präzisionsarbeit: Das Fahren erfordert höchste Konzentration, | |
| denn die parallel angeordneten Hackscharen mit ihren gebogenen Spitzen | |
| müssen auf die Zentimeter genau zwischen den Reihen in den Boden dringen, | |
| damit nicht die Erbsen gehackt werden, sondern das Unkraut. | |
| Die größte Hoffnung setzt Hartmann inzwischen auf seine Erbsen, Lupinen und | |
| auf Buchweizen: Er hat ganz gute Verträge für eine Saatgutvermehrung | |
| bekommen. | |
| Ein Risikofaktor bleibt: das Wetter, das einem Biohof ebenso schaden kann | |
| wie einem konventionellen. Neu ist das Kostenbewusstsein der Verbraucher: | |
| „Alle wollen Bullerbü, aber nicht dafür bezahlen“, sagt Hartmann. Dass der | |
| Bioanteil bundesweit nur bei 5 Prozent der Lebensmittelausgaben liegt, | |
| findet er entlarvend. „Da kriegen die Grünen bis zu 20 Prozent – aber Bio | |
| kaufen tun die Wähler trotzdem nicht.“ Tatsächlich gibt es mehr | |
| Grünen-Wähler als Biokäufer – aber der Absatzmarkt wächst ebenso wie die | |
| ökologisch bewirtschaftete Fläche seit Jahren. | |
| Hartmann befürchtet aber auch, dass im Moment zu viele Betriebe umstellen. | |
| Dann könnten die Preise sinken und die Ertragseinbußen von bis zu 60 | |
| Prozent, die er erwartet, werden nicht durch die höheren Preise im | |
| Biosektor ausgeglichen. | |
| ## Die Lücke zwischen Angebot und Nachfrage | |
| Uwe Becherer ist Teamleiter beim Bioland-Verband Ost und macht seit zwölf | |
| Jahren Umstellungsberatung für Bauern, auch in Mecklenburg-Vorpommern. Er | |
| sagt, Hartmanns Sorgen seien nicht ganz unbegründet. „Bisher sind wir immer | |
| dem Markt hinterhergehinkt“, sagt Becherer. Auch deshalb habe die | |
| Bundesregierung die Zielvorgaben „20 Prozent Ökolandbau 2030“ gemacht. Und | |
| einige Bundesländer, darunter auch Mecklenburg-Vorpommern, hätten vermehrt | |
| auf die Förderung von Ökolandbau gesetzt. | |
| Es gebe Anzeichen dafür, dass sich die Lücke zwischen Angebot und Nachfrage | |
| langsam schließe. Unter anderem ist es für Bauern in Umstellung zurzeit | |
| sehr schwierig, ihre Umstellungsware, die auf dem Lebensmittelmarkt noch | |
| nicht als „öko“ verkauft werden darf, aber als Futtergetreide für | |
| Ökobetriebe genutzt wird, loszuwerden. | |
| Welches sind die größten Schwierigkeiten bei der Umstellung? Becherer sagt: | |
| „Das Wichtigste ist, dass die Bauern die Kurve im Kopf kriegen.“ Die Frage | |
| sei: „Wie gehe ich an die Schwierigkeiten heran? Ein Bauer muss wie ein | |
| Fußballspieler auf den Platz gehen und sich sagen: ‚Heute gewinne ich.‘ “ | |
| Biolandbau sei komplexer als konventionelle Landwirtschaft, bei der es für | |
| ein Problem, wie zum Beispiel einen Schädlingsbefall, relativ einfache | |
| Lösungen gebe. „Das Symptom ist dann schnell bekämpft, das Problem | |
| scheinbar gelöst. Im Ökolandbau aber muss der Bauer systemisch denken: | |
| ‚Wieso gibt es den Befall überhaupt? Liegt es an der Witterung, habe ich | |
| die Frucht falsch ausgewählt?‘ “ Ökolandbau sei zunächst viel aufwendige… | |
| „Aber viele Bauern kommen später zu mir und sagen, dass sie sich endlich | |
| wieder als ‚echte Bauern fühlten‘, dass ihr Beruf ihnen mehr Spaß mache. | |
| Ökolandbau ist komplexer, anspruchsvoller, aber auch interessanter.“ | |
| ## Die Politik muss bessere Rahmenbedingungen schaffen | |
| Becherer sagt, dass es noch großes Verbesserungspotenzial bei den | |
| Rahmenbedingungen gebe, er wünscht sich ein engmaschigeres Händlernetz, | |
| mehr Engagement auch von der Politik, um Veredelung und Vermarktung | |
| regional zu fördern. Auch die Landesregierung von Mecklenburg-Vorpommern, | |
| deren Landwirtschaftsminister sich beim Bauerntag so wortgewaltig für den | |
| Bioanbau einsetzt, könnte da mehr tun, findet er. | |
| Die lokale Vermarktung etwa müsse gefördert werden. „Um Kartoffeln aus | |
| Ägypten künftig durch ökologische aus Mecklenburg-Vorpommern zu ersetzen, | |
| brauche es nicht nur den Bauern, der sie anbaut, sondern auch ein Kühlhaus, | |
| eine Lagerung, Sortierung und Absackung. „Also Investitionsförderung.“ | |
| Wie gut die Infrastruktur für Ökolandbau ist, hängt von der Region ab. | |
| Baden-Württemberg und Bayern sind schon viel weiter. Hartmann dagegen muss | |
| sein Getreide jetzt viermal so weit bis zur nächsten Mühle fahren. Und weil | |
| man Ökogetreide anders als konventionelles hier nicht so spontan verkaufen | |
| kann, muss er sich eigene Lagermöglichkeiten schaffen. | |
| Leidet Hartmann immer noch darunter, dass seine Pflanzen so mickerig | |
| wachsen? Er zögert. „Ja … ach, wahrscheinlich habe ich im Kopf einfach noch | |
| nicht ganz umgestellt“, sagt er dann und es klingt wie eine Entschuldigung. | |
| Am nächsten Tag fährt er nach Österreich. Er will einen Schwadmäher kaufen, | |
| wie man sie in Kanada und Dänemark einsetzt. In Deutschland kennt er nur | |
| drei Bauern, die damit arbeiten. Er hofft, dass der Mäher für den Einsatz | |
| an der Ostsee, wo es ähnlich kühl und feucht ist wie in Skandinavien, | |
| perfekt geeignet ist. | |
| ## Hartmann bleibt optimistisch | |
| „Ich will jetzt zeigen, dass ich es schaffe, auch unter erschwerten | |
| Bedingungen das Beste aus meinem Hof herauszuholen“, sagt Hartmann. „Dafür | |
| lasse ich mir schon was einfallen.“ Die Umstellung, dieses kosten-, risiko- | |
| und arbeitsintensive Riesenprojekt, ist für ihn auch so etwas wie eine | |
| persönliche Herausforderung. Und er ist auf den Platz gegangen, um das | |
| Spiel definitiv zu gewinnen. | |
| Eines hat er schon erreicht: „Die Resonanz auf die Umstellung war super“, | |
| sagt er. „Viele Einwohner kamen, um sich zu bedanken.“ Und die Touristen, | |
| die Spaziergänge auf den Feldwegen rund um seine Äcker machen, pflücken | |
| sich jetzt Mohnblumen. Die wachsen hier, seit Hartmann nicht mehr spritzt. | |
| 14 Jul 2019 | |
| ## AUTOREN | |
| Anke Lübbert | |
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