# taz.de -- Umstellung auf Öko-Landwirtschaft: Biobauer wider Willen | |
> Frank Hartmann wollte nie Biobauer werden. Weil er angefeindet wurde, | |
> stellt er nun aber um. Gegen seine Überzeugung. Kann das klappen? | |
Bild: Ökobauer wider Willen. Frank Hartmann sagt: „Bio wird uns nicht retten… | |
FISCHLAND taz | Wenn Frank Hartmann, 54 Jahre alt, seinen schönsten Acker | |
bearbeitet, dann thront er auf dem Trecker weit oben über dem Fischland. | |
Links leuchtet blau die Ostsee, rechts der Bodden. Schon im Frühjahr ist | |
der Weg zwischen den Feldern von Radfahrern so stark frequentiert wie die | |
Ausfallstraße einer holländischen Großstadt zur Pendlerzeit. Hartmann macht | |
seinen Job im Sommerhalbjahr unter Dauerbeobachtung. | |
Wenn bisher die Spritzmaschine oder der Düngewagen hinter seinem Trecker | |
hing, erntete er Kritik. „Manchmal“, sagt er, „waren es nur böse Blicke, | |
oft aber auch Beschimpfungen. Ich habe die Anfeindungen nicht mehr | |
ertragen.“ Er entschloss sich, seinen Betrieb in einen Biohof umzuwandeln. | |
Im Mai vergangenen Jahres hat er die Umstellung angemeldet, eine | |
zweijährige Phase, in der Fördermittel Ertragseinbußen abfedern und der | |
Landwirt Zeit hat, die neue Art der Bewirtschaftung zu entwickeln. Aktuell | |
dauert es noch ein Jahr, dann hat er das offizielle Siegel. „Wegen des | |
Drucks“, sagt er, „nicht weil ich daran glaube.“ | |
Hartmanns Hof liegt zwischen Wustrow und Ahrenshoop. Die Halbinsel | |
Fischland ist für sanften Tourismus, ein Kunstmuseum und eine | |
Künstlerkolonie bekannt. Die Gäste wollen Natur, kaufen auf dem Wustrower | |
Ökomarkt ein und trinken fair gehandelten Kaffee in der Mühle von | |
Ahrenshoop. | |
Hier mit Spritzmaschine unterwegs zu sein ist in etwa so, als eskortiere | |
man eine Friedensdemo mit einem Panzer. Wären es nur die Touristen gewesen, | |
hätte Hartmann vielleicht weitergemacht. Aber der Gegenwind kommt aus allen | |
Richtungen. Er sagt, oft seien es Einwohner, die ihm sagten, dass sich ihre | |
Gäste beschweren, seinetwegen. Ein konventioneller Hof passe nicht in den | |
Ort. Ob er nicht umstellen könne? | |
## „Ich glaube nicht, dass Bio uns retten wird“ | |
„Richtig schlimm wurde es 2015 nach dem Glyphosatskandal“, sagt Hartmann. | |
„Daraufhin wollte die Gemeinde Land nur noch an mich verpachten, wenn ich | |
nicht mehr spritze. Und dann kam 2017 noch die Studie zum Insektensterben.“ | |
In dem Pachtvertrag, den Hartmann neu mit dem Bürgermeister von Wustrow | |
ausgehandelt hat, steht, dass er auf den Gemeindeflächen keine Pestizide, | |
kein Glyphosat und keine synthetischen Düngemittel einsetzen darf. Die | |
Gemeinde war es auch, die ihm empfahl, komplett auf Öko umzustellen. | |
Bundesweit steigt der Anteil der Flächen, die für Ökolandbau genutzt | |
werden, kontinuierlich. 1996 wurden nur gut 2 Prozent ökologisch | |
bewirtschaftet, 2018 sind es über 9,1 Prozent. Aber das aktuelle Ziel der | |
Bundesregierung – 20 Prozent bis 2030 – liegt in weiter Ferne. | |
„Ich glaube nicht, dass Bio uns retten wird“, sagt Hartmann Ende Januar. Er | |
sitzt in seiner Küche. Wie sehr er sich mit seinem Hof identifiziert, sieht | |
man daran, dass er ein Poloshirt mit aufgesticktem Hoflogo trägt. Er hat | |
Lachfalten um die Augen und erzählt gern, schnell und viel. Klar hat ihn | |
der Beschluss der Gemeinde unter Druck gesetzt, aber auch nach dem ersten | |
Gespräch bleibt rätselhaft, warum er wirklich umgestellt hat, ohne an Bio | |
zu glauben. | |
In der offenen Küche hängen großformatige Fotos. Aus den großen Fenstern | |
blickt man auf den Bodden. Draußen stehen Pferde, er hält ein paar Rinder | |
und Hühner in einem großen Gehege. Schon auf den ersten Blick entspricht | |
sein Hof nicht dem Klischee vom Biohof, dazu wirkt er zu clean. 280 Hektar | |
hat der Hof, der Durchschnitt liegt in Deutsachland bei 61 Hektar, in | |
Mecklenburg-Vorpommern liegt Hartmanns Betrieb aber größenmäßig im | |
Mittelfeld. | |
## Ökologische Landwirtschaft ist manchmal unökologisch | |
Immer wieder kommt Hartmann auf das zurück, was seiner Meinung nach an Bio | |
alles nicht stimmt: fehlende oder schlechtere Vertriebsmöglichkeiten, | |
weitere Fahrwege, höherer Dieselverbrauch. Bürokratische Vorschriften, die | |
er unsinnig findet, weil sie viel Zeit und manchmal Geld kosten. Wenn er | |
etwa sein Getreide mit einer Spedition wegfahren lässt, braucht er vom | |
Fahrer einen Nachweis über die drei letzten Fahrten. Die dürfen nicht für | |
konventionell wirtschaftende Bauern gewesen sein, damit sich etwaige | |
Getreidereste nicht mit seinen mischen. „Total bekloppt“, findet Hartmann. | |
Bio ist für ihn ein Luxusprodukt, das man sich leisten können muss. | |
Hartmann sagt, dass konventionelle Produkte die ökologischen | |
subventionieren. Er verweist auf das Wachsen der Weltbevölkerung, den | |
höheren Flächenverbrauch bei ökologischer Bewirtschaftung. „Wer will denn | |
den Menschen in Entwicklungsländern sagen, dass sie kein Fleisch essen | |
dürfen?“ | |
Tatsächlich verbraucht die ökologische Landwirtschaft wegen der geringeren | |
Erträge mehr Fläche als konventionelle. Die ganze Welt – 9 Milliarden | |
Menschen im Jahr 2050 – nachhaltig zu ernähren, das ginge theoretisch auch | |
dann, wenn die Landwirtschaft nur zu 60 Prozent umgestellt würde. Dann aber | |
dürfte nur noch die Hälfte der Lebensmittel im Müll landen. | |
Und weil Tierhaltung so viel mehr Fläche und Ressourcen verbraucht als der | |
Anbau pflanzlicher Nahrung, hieße das zweitens: Auch der Fleischkonsum | |
müsste um etwa ein Drittel reduziert werden. Fleisch also möglichst nur als | |
Sonntagsbraten und auch insgesamt weniger tierische Erzeugnisse wie Milch, | |
Eier, Leder. Weltweit. Das ist das Ergebnis einer internationalen Studie zu | |
diesem Thema, die 2017 in der Zeitschrift Nature Communications | |
veröffentlicht wurde. Bisher allerdings wird weltweit Jahr für Jahr mehr | |
Fleisch gegessen. | |
## Ökolandbau ist nicht per se eine Klimaschutzmaßnahme | |
Wie groß der Beitrag der Ökobauern für Umweltschutz und Gesellschaft ist, | |
darüber streiten die Experten seit dem Aufkommen der ökologischen | |
Landwirtschaft vor 30 Jahren. Das größte Problem ist: Vergleicht man öko | |
und konventionell in Bezug darauf, welche negativen Folgen die | |
Bewirtschaftung je Flächeneinheit mit sich bringt? Oder darauf, wie groß | |
die Umweltschäden bei gleichem Ertrag sind? Hektar für Hektar ist die | |
ökologische Landwirtschaft haushoch überlegen, geht es aber um den Ertrag, | |
ist sie mit der konventionellen nur noch etwa gleichauf. | |
Jürn Sanders hat Anfang dieses Jahres eine Metastudie für das Johann | |
Heinrich von Thünen-Institut herausgegeben, das Bundesforschungsinstitut | |
für Ländliche Räume, Wald und Fischerei. Sanders hat die 528 Studien der | |
vergangenen 30 Jahre untersucht, in denen ökologische und konventionelle | |
Landwirtschaft verglichen wurden. Sein Fazit: Ökolandbau ist nicht per se | |
eine Klimaschutzmaßnahme, schützt hingegen Gewässer und Grundwasser | |
zuverlässig vor zu hohen Nährstoffeinträgen und Giften. | |
Und: Besonders groß sind die Vorteile, was Biodiversität, die | |
Artenvielfalt, angeht. „Ja, Ökolandbau tut mehr für Umwelt und Gesellschaft | |
als konventionelle Landwirtschaft und ist deshalb förderungswürdig“, sagt | |
er. „Das ist die einfache Antwort. Im Detail ist allerdings alles | |
komplexer. Und das ist schwierig zu kommunizieren.“ | |
Die Details bestimmen allerdings das Leben eines Landwirts. Wenn eine | |
Metastudie wie die des Thünen-Instituts in Politik übersetzt wird, gibt es | |
Widersprüche und Frust bei denen, die sie in die Praxis umsetzen sollen. | |
Auf Hartmanns sandigen Äckern zum Beispiel brüten nicht erst seit der | |
Umstellung Hunderte Vögel: Grauammern, Feldlerchen, Schafstelzen, | |
Steinschmätzer und Schwarzkehlchen. Hartmann spritzt nicht mehr, darum | |
finden die Vögel nun mehr Futter und bessere Lebensbedingungen. | |
## Die Königsdisziplin im Bioanbau: Raps | |
Weil er aber seine Felder zur Unkrautbekämpfung intensiv mit Striegel und | |
Hacke bearbeitet, die er hinter seinem Trecker herzieht, tötet er mit deren | |
Reihe aus Spitzen auch mehr Vögel. Trotzdem müssten es in der Summe mehr | |
Vögel geworden sein. Aber Hartmann winkt ab. | |
Seit über einem Jahr führt er seinen Betrieb auf eine Art und Weise, an die | |
er eigentlich nicht glaubt. Trotzdem ist er deshalb kein miesepetriger Typ. | |
„Dass ich nicht überzeugt bin, heißt nicht, dass ich es jetzt nicht so gut | |
wie möglich machen will.“ Er hat sich, wie er sagt, gleich „das | |
Schwierigste vom Schwierigen“ ausgesucht: Er will Raps anbauen, der | |
eigentlich sehr viel Phosphor und Kali – also Dünger – braucht, weil es | |
hartnäckige Schädlinge wie den Rapsglanzkäfer und die Kohlschotenmücke auf | |
ihn abgesehen haben. Im letzten Jahr hat er schon ein paar Versuche mit | |
Bioraps gemacht, eine kleine Ölmühle ausprobiert. | |
Anfang März, zwei Monate nach dem ersten Gespräch in Hartmanns Küche, hat | |
der Bauernverband Mecklenburg-Vorpommern zum Bauerntag eingeladen. | |
Hartmann, Kreisvorsitzender des tendenziell eher konservativen, | |
technikfreundlichen Verbands, sitzt in der dritten Reihe und hört zu, wie | |
Till Backhaus (SPD), Umwelt- und Landwirtschaftsminister von | |
Mecklenburg-Vorpommern, versucht, „seine“ Bauern von der Umstellung zu | |
überzeugen. Backhaus inszeniert sich gerne als Bauernversteher, dann steht | |
er vor dem Pappaufsteller einer schwarz-weiß gefleckten Kuh und sagt: „Ich | |
bin ja einer von euch.“ | |
Ungefähr seit Hartmann immer öfter auf dem Trecker beschimpft wurde, drückt | |
Backhaus zunehmend aufs Tempo, wenn es darum geht, „seine“ Bauern von der | |
Richtigkeit der Umstellung zu überzeugen. „Ich bin stolz auf unsere | |
Landwirtschaft, aber ich will auch stolz darauf sein, dass die Erde in | |
einigen Generationen noch bewohnbar ist“, sagt Backhaus. „Ihr seid | |
einerseits Opfer, andererseits Täter, sucht nach Lösungen.“ „Dieses | |
Schwarz-Weiß-Denken finde ich furchtbar“, wird Hartmann das später | |
kommentieren. „Wir bauen doch nur das an, was die Leute bereit sind zu | |
bezahlen. Aber der muss seine Politik eben auch verkaufen.“ | |
## Hartmann leidet mit seinen Pflanzen | |
Dann erzählt er, dass auf seinen Äckern jetzt im März die ersten Halme | |
ausgetrieben haben. Zu mickrig, wie er findet. „Meine Pflanzen sind wie | |
meine Kinder“, sagt er. „Würden Sie Ihre Kinder hungern lassen? Ein | |
Nährstoffdefizit zu sehen und nicht düngen zu dürfen, das tut weh.“ | |
Düngen dürfte Hartmann zwar schon, aber nur organisch. Verzicht auf | |
synthetischen Dünger und Pflanzenschutzmittel sind die wichtigsten | |
Kriterien des ökologischen Landbau. Deshalb fährt er neuerdings den | |
Pferdemist aus den Ställen im Umkreis von 30 Kilometern auf seinen Hof. | |
Mehr Technik, automatisierte Arbeitsprozesse – nach dem Zweiten Weltkrieg | |
haben sich mehr und mehr Landwirte in Deutschland eine Sicht auf die | |
Landwirtschaft angeeignet, bei der es für fast jedes Problem eine Lösung | |
gibt, die auch noch den Gesetzen des Marktes gehorcht. Mittlerweile lässt | |
sich die Düngergabe für jeden Ackerabschnitt digital berechnen, über | |
GPS-Steuerung dann die optimale Menge aufbringen. | |
Dass Bauern heute oft dafür kritisiert, sogar öffentlich beschimpft werden, | |
ihre Betriebe nach ebendiesem Prinzip zu führen, das ihnen jahrelang | |
nahegelegt wurde und nach dem eine ganze Gesellschaft funktioniert, macht | |
viele wütend. Auch Hartmann. | |
## Eine Umstellung braucht Geduld | |
Jetzt zusehen zu müssen, wie die Pflanzen viel langsamer wachsen, auf | |
manchen Ackerstreifen auch gar nicht, Technik nicht einsetzen zu können | |
wie bisher, vielleicht ist das so, als wäre man plötzlich gezwungen, einen | |
langen Text mit der Schreibmaschine zu schreiben statt mit dem Computer. | |
Obwohl der immer noch einsatzbereit danebensteht. | |
Noch mal zwei Monate später, Mitte Mai. Hartmanns Rapsölprojekt ist | |
gescheitert, vermutlich mangels Wasser und Stickstoff. „Die Pflanzen sind | |
einfach nicht gewachsen“, sagt er, aber „so schnell gebe ich nicht auf, im | |
nächsten Jahr versuche ich es wieder.“ Die Spritzmaschine hat er verkauft, | |
aber dafür neue Technik angeschafft. Striegel, Hacke, Pick-up und | |
Schwadmäher. Die meisten Geräte dienen dazu, Unkraut mechanisch zu | |
bekämpfen. Hartmann hat alles gebraucht gekauft und trotzdem 100.000 Euro | |
ausgegeben. | |
Ob sich all die Mühe, die Investitionen gelohnt haben, steht noch nicht | |
fest. In einem Jahr weiß er mehr. Dann ist die Umstellungsphase vorbei, in | |
der seine Ertragseinbußen durch die Umstellungsprämie zum Teil – nicht | |
vollständig – ausgeglichen werden. Nach der Umstellung werden, wenn alles | |
klappt, die höheren Preise und die von EU und Land gezahlten | |
Agrarumweltprämien den Minderertrag wettmachen. | |
Gegen Unkraut mechanisch vorzugehen kostet Zeit. Vier ganze Tage, sagt | |
Hartmann, hat er Erbsen auf dem Feld gehackt. Bisher brauchte er zwei | |
Stunden, um auf dem gleichen Acker einmal „Pflanzenschutz“, wie er die | |
Unkraut-, Pilz,- und Insektengifte nennt, auszubringen. Abwechselnd mit | |
seinem Sohn, der den Hof einmal übernehmen soll, sitzt er auf dem Trecker, | |
hinter sich die Hacke. | |
## Feldarbeit ist Präzisionsarbeit | |
Während er hackt, hört Hartmann Hörspiele. Und verschickt anschließend ein | |
Video an die Journalistin. Darin zieht der Ackerboden minutenlang unter der | |
Hacke vorbei. Sonst passiert nichts. Nur wenn man weiß, worauf es ankommt, | |
sieht man die Präzisionsarbeit: Das Fahren erfordert höchste Konzentration, | |
denn die parallel angeordneten Hackscharen mit ihren gebogenen Spitzen | |
müssen auf die Zentimeter genau zwischen den Reihen in den Boden dringen, | |
damit nicht die Erbsen gehackt werden, sondern das Unkraut. | |
Die größte Hoffnung setzt Hartmann inzwischen auf seine Erbsen, Lupinen und | |
auf Buchweizen: Er hat ganz gute Verträge für eine Saatgutvermehrung | |
bekommen. | |
Ein Risikofaktor bleibt: das Wetter, das einem Biohof ebenso schaden kann | |
wie einem konventionellen. Neu ist das Kostenbewusstsein der Verbraucher: | |
„Alle wollen Bullerbü, aber nicht dafür bezahlen“, sagt Hartmann. Dass der | |
Bioanteil bundesweit nur bei 5 Prozent der Lebensmittelausgaben liegt, | |
findet er entlarvend. „Da kriegen die Grünen bis zu 20 Prozent – aber Bio | |
kaufen tun die Wähler trotzdem nicht.“ Tatsächlich gibt es mehr | |
Grünen-Wähler als Biokäufer – aber der Absatzmarkt wächst ebenso wie die | |
ökologisch bewirtschaftete Fläche seit Jahren. | |
Hartmann befürchtet aber auch, dass im Moment zu viele Betriebe umstellen. | |
Dann könnten die Preise sinken und die Ertragseinbußen von bis zu 60 | |
Prozent, die er erwartet, werden nicht durch die höheren Preise im | |
Biosektor ausgeglichen. | |
## Die Lücke zwischen Angebot und Nachfrage | |
Uwe Becherer ist Teamleiter beim Bioland-Verband Ost und macht seit zwölf | |
Jahren Umstellungsberatung für Bauern, auch in Mecklenburg-Vorpommern. Er | |
sagt, Hartmanns Sorgen seien nicht ganz unbegründet. „Bisher sind wir immer | |
dem Markt hinterhergehinkt“, sagt Becherer. Auch deshalb habe die | |
Bundesregierung die Zielvorgaben „20 Prozent Ökolandbau 2030“ gemacht. Und | |
einige Bundesländer, darunter auch Mecklenburg-Vorpommern, hätten vermehrt | |
auf die Förderung von Ökolandbau gesetzt. | |
Es gebe Anzeichen dafür, dass sich die Lücke zwischen Angebot und Nachfrage | |
langsam schließe. Unter anderem ist es für Bauern in Umstellung zurzeit | |
sehr schwierig, ihre Umstellungsware, die auf dem Lebensmittelmarkt noch | |
nicht als „öko“ verkauft werden darf, aber als Futtergetreide für | |
Ökobetriebe genutzt wird, loszuwerden. | |
Welches sind die größten Schwierigkeiten bei der Umstellung? Becherer sagt: | |
„Das Wichtigste ist, dass die Bauern die Kurve im Kopf kriegen.“ Die Frage | |
sei: „Wie gehe ich an die Schwierigkeiten heran? Ein Bauer muss wie ein | |
Fußballspieler auf den Platz gehen und sich sagen: ‚Heute gewinne ich.‘ “ | |
Biolandbau sei komplexer als konventionelle Landwirtschaft, bei der es für | |
ein Problem, wie zum Beispiel einen Schädlingsbefall, relativ einfache | |
Lösungen gebe. „Das Symptom ist dann schnell bekämpft, das Problem | |
scheinbar gelöst. Im Ökolandbau aber muss der Bauer systemisch denken: | |
‚Wieso gibt es den Befall überhaupt? Liegt es an der Witterung, habe ich | |
die Frucht falsch ausgewählt?‘ “ Ökolandbau sei zunächst viel aufwendige… | |
„Aber viele Bauern kommen später zu mir und sagen, dass sie sich endlich | |
wieder als ‚echte Bauern fühlten‘, dass ihr Beruf ihnen mehr Spaß mache. | |
Ökolandbau ist komplexer, anspruchsvoller, aber auch interessanter.“ | |
## Die Politik muss bessere Rahmenbedingungen schaffen | |
Becherer sagt, dass es noch großes Verbesserungspotenzial bei den | |
Rahmenbedingungen gebe, er wünscht sich ein engmaschigeres Händlernetz, | |
mehr Engagement auch von der Politik, um Veredelung und Vermarktung | |
regional zu fördern. Auch die Landesregierung von Mecklenburg-Vorpommern, | |
deren Landwirtschaftsminister sich beim Bauerntag so wortgewaltig für den | |
Bioanbau einsetzt, könnte da mehr tun, findet er. | |
Die lokale Vermarktung etwa müsse gefördert werden. „Um Kartoffeln aus | |
Ägypten künftig durch ökologische aus Mecklenburg-Vorpommern zu ersetzen, | |
brauche es nicht nur den Bauern, der sie anbaut, sondern auch ein Kühlhaus, | |
eine Lagerung, Sortierung und Absackung. „Also Investitionsförderung.“ | |
Wie gut die Infrastruktur für Ökolandbau ist, hängt von der Region ab. | |
Baden-Württemberg und Bayern sind schon viel weiter. Hartmann dagegen muss | |
sein Getreide jetzt viermal so weit bis zur nächsten Mühle fahren. Und weil | |
man Ökogetreide anders als konventionelles hier nicht so spontan verkaufen | |
kann, muss er sich eigene Lagermöglichkeiten schaffen. | |
Leidet Hartmann immer noch darunter, dass seine Pflanzen so mickerig | |
wachsen? Er zögert. „Ja … ach, wahrscheinlich habe ich im Kopf einfach noch | |
nicht ganz umgestellt“, sagt er dann und es klingt wie eine Entschuldigung. | |
Am nächsten Tag fährt er nach Österreich. Er will einen Schwadmäher kaufen, | |
wie man sie in Kanada und Dänemark einsetzt. In Deutschland kennt er nur | |
drei Bauern, die damit arbeiten. Er hofft, dass der Mäher für den Einsatz | |
an der Ostsee, wo es ähnlich kühl und feucht ist wie in Skandinavien, | |
perfekt geeignet ist. | |
## Hartmann bleibt optimistisch | |
„Ich will jetzt zeigen, dass ich es schaffe, auch unter erschwerten | |
Bedingungen das Beste aus meinem Hof herauszuholen“, sagt Hartmann. „Dafür | |
lasse ich mir schon was einfallen.“ Die Umstellung, dieses kosten-, risiko- | |
und arbeitsintensive Riesenprojekt, ist für ihn auch so etwas wie eine | |
persönliche Herausforderung. Und er ist auf den Platz gegangen, um das | |
Spiel definitiv zu gewinnen. | |
Eines hat er schon erreicht: „Die Resonanz auf die Umstellung war super“, | |
sagt er. „Viele Einwohner kamen, um sich zu bedanken.“ Und die Touristen, | |
die Spaziergänge auf den Feldwegen rund um seine Äcker machen, pflücken | |
sich jetzt Mohnblumen. Die wachsen hier, seit Hartmann nicht mehr spritzt. | |
14 Jul 2019 | |
## AUTOREN | |
Anke Lübbert | |
## TAGS | |
Lesestück Recherche und Reportage | |
Schwerpunkt Bio-Landwirtschaft | |
Landwirtschaft | |
Schwerpunkt Klimawandel | |
Schwerpunkt Glyphosat | |
Schwerpunkt Pestizide | |
Lesestück Recherche und Reportage | |
Schwerpunkt Klimawandel | |
Bio | |
Humus | |
Düngemittel | |
Türkei | |
## ARTIKEL ZUM THEMA | |
Bauern bilden Banden: Die Milchrebellion | |
Besser als Dieselsubventionen: Wenn Bauern sich in Erzeugergemeinschaften | |
organisieren, können sie bessere Preise für ihre Produkte aushandeln. | |
Umstellung auf Öko-Landwirtschaft: Biobauer mit Hindernissen | |
Joachim Becker hält Milchkühe in Schleswig-Holstein. Er möchte auf Bio | |
umstellen, aber keine Molkerei zieht mit. Jetzt macht er es trotzdem. | |
Glyphosat-Ausstieg im Bundeskabinett: Der Bund lässt es brummen | |
Das Kabinett einigt sich im Kampf gegen Insektensterben auf einen Ausstieg | |
aus Pestizid Glyphosat. Der Haken: Bis dahin dauert es noch etwas. | |
Giftiges Pestizid an Zitrusfrüchten: Gefahr für ungeborene Kinder | |
Seit Jahren setzen Bauern in vielen Ländern das Pestizid Chlorpyrifos ein. | |
Nun sagt die EU-Lebensmittelbehörde: Das Insektengift dürfte gar nicht | |
zugelassen sein. | |
Massenprodukt Huhn: Heißhunger auf Huhn | |
Kein Tier ist so überzüchtet wie das Huhn. Es ist fett und billig. Aber | |
warum wurde ausgerechnet das Huhn zum Ramschartikel in der Fleischtheke? | |
Warnung von Stiftung Warentest: Blöder Bambusbecher | |
Die Stiftung Warentest warnt vor der Öko-Variante des | |
Coffee-to-Go-Behälters: Der sei weder öko noch gesund. Was ist die | |
ökologische Alternative? | |
Bio-Schokolade aus Bolivien: Blühendes Geschäft in El Alto | |
Die Kakaobauern der bolivianischen Genossenschaft El Ceibo produzieren | |
Schokolade in der eigenen Fabrik. Die Nachfrage im Land steigt rasant. | |
Farmer über regenerative Landwirtschaft: „Bio ist der erste Schritt“ | |
Regenerative Landwirtschaft ist nötig, um kaputte Böden aufzubauen, sagt | |
Filmemacher und US-Farmer John Chester. In seinem neuen Film zeigt er, wie | |
das geht. | |
Landwirtschaft in Norddeutschland: Gülle ist nicht scheiße | |
Gülle als Dünger wird oft grundlos als Klimaschädiger verteufelt, sind sich | |
Bauern einig. Pauschale Düngeverordnungen würden keinem helfen. | |
Inkompetenz bei Ökosiegeln: Kontrollstelle gibt große Mängel zu | |
Das für 12 Länder zuständige Büro in der Türkei wisse zu wenig über die | |
Ökoregeln, kritisierten die USA. Fehler wurden bereits im Juni 2017 | |
moniert. |