| # taz.de -- Landwirtschaft in Norddeutschland: Gülle ist nicht scheiße | |
| > Gülle als Dünger wird oft grundlos als Klimaschädiger verteufelt, sind | |
| > sich Bauern einig. Pauschale Düngeverordnungen würden keinem helfen. | |
| Bild: Es regnet Gülle. Zu viel darf es aber nicht sein | |
| Hamburg taz | Eigentlich ist Gülle gut. Pflanzen brauchen den organischen | |
| Dünger aus Kot, Urin und Einstreu, denn er enthält wichtige Nährstoffe. | |
| „Stickstoff, Phosphat, Kalium – das braucht die Pflanze, um zu wachsen“, | |
| sagt Holger Hennies, Kartoffelbauer und Vize-Vorsitzender des | |
| Landesbauernverbandes Niedersachsen. Zudem fördert organischer Dünger die | |
| Fruchtbarkeit des Bodens. Zu viel Gülle allerdings schadet dem Klima. | |
| „Gülle ist unkontrollierbarer als etwa Mineraldünger, weil man nicht genau | |
| planen kann, wann die Pflanze die Nährstoffe aufnimmt“, sagt Hennies. Damit | |
| die Pflanze den Stickstoff verwerten kann, muss dieser im Boden umgewandelt | |
| werden. Bei dieser Umsetzung entsteht das treibhausrelevante Lachgas (N²O), | |
| das 298-mal klimaschädlicher als Kohlenstoffdioxid (CO²) ist. Bei zu viel | |
| Gülle sind die Pflanzen nicht mehr in der Lage, den Stickstoff aufzunehmen, | |
| und er gelangt in das Grundwasser. Besonders in Regionen mit einem hohen | |
| Viehbestand ist das ein Problem – je mehr Tiere, desto mehr Gülle. | |
| „Es herrschen starke regionale Unterschiede in Deutschland: Ein | |
| Nährstoffüberschuss tritt meistens nur in viehhaltenden Betrieben auf, wenn | |
| die Ackerfläche im Verhältnis zum Tierbestand limitiert ist“, sagt Karl | |
| Mühling, Professor für Pflanzenernährung an der | |
| Christian-Albrechts-Universität in Kiel. Vor allem in den nordwestlichen | |
| Regionen Niedersachsens entstehen als Folge große Mengen Lachgas. Außerdem | |
| versauern die Böden, Gewässer werden mit Nitrat belastet. Derzeit | |
| überschreiten laut niedersächsischem Landwirtschaftsministerium sieben | |
| Landkreise die Stickstoffobergrenze von 170 Kilogramm pro Hektar. | |
| „Jedes Jahr ermittle ich den Nährstoffbedarf meiner Pflanzen. Dann muss ich | |
| sehen, welcher Dünger am besten aufgenommen werden kann und den Bedarf | |
| deckt“, sagt Volker Hahn, Landwirt in Neustadt und Vorsitzender des Vereins | |
| Landvolk Hannover. Gülle muss so früh wie möglich im Jahr ausgebracht | |
| werden, weil sie Feuchtigkeit und niedrige Temperaturen braucht, um die | |
| Ammoniakverluste zu minimieren, erklärt er. Denn die Aufnahme organischen | |
| Düngers ist abhängig von der Witterung und der Feuchtigkeit des Bodens. | |
| Eine andere Möglichkeit ist der Einsatz von Mineraldünger, der jedoch in | |
| der Herstellung sehr energieaufwendig ist: Pro Tonne produziertem Ammoniak | |
| (NH³) werden zwei Tonnen CO² freigesetzt. Mineraldünger hat aber den | |
| Vorteil, dass Stickstoff bereits in für die Pflanzen verwertbarer Form | |
| vorhanden ist und bedarfsgerecht zugeführt werden kann. | |
| „Gülle ist trotzdem eine wertvolle Nährstoffquelle, sie muss nur bodennah | |
| effizienter eingesetzt werden“, sagt Mühling. „Mineralischer Dünger kann | |
| aber punktgenauer für das Wachstum der Pflanze genutzt werden, da keine | |
| Mineralisierung von organischen Nährstoffen notwendig ist. Die Umsetzung | |
| von Gülle dagegen ist wetterabhängig und muss mit dem zeitlichen | |
| Pflanzenbedarf übereinstimmen, welches nicht immer gegeben ist.“ | |
| Wegen der erheblichen Nährstoffüberschüsse wird gegenwärtig über eine | |
| weitere Verschärfung der Düngemittelverordnung diskutiert. „Die | |
| Verschärfung der bisherigen Vorgaben von 2017 ist fachlich mit nichts zu | |
| begründen, sie schadet der Pflanze und dem Klima und hilft dem Grundwasser | |
| nicht“, sagt Hahn. Mit Gewalt würde „ein Strukturbruch“ erzeugt, der kle… | |
| Bauern zum Aufhören zwinge, weil sie bei gleichbleibenden Investitionen | |
| nicht mehr denselben Ertrag erwirtschaften können. | |
| „Man muss Mindererträge in Kauf nehmen“, stimmt Martin Schulz, | |
| Schweinehalter im Wendland und Bundesvorsitzender der Arbeitsgemeinschaft | |
| Bäuerliche Landwirtschaft zu. In überlasteten Gebieten etwa ist jeder | |
| Landwirt dazu verpflichtet, 20 Prozent weniger Düngemittel aufzufahren. | |
| Das ist auch für Holger Hennies spürbar: „Meine Kartoffelsorte Linda ist | |
| schon jetzt zu klein.“ Für ihn trifft die Verordnung die falschen Landwirte | |
| und ist in Regionen mit wenig Viehbestand sinnlos. „Die Verordnung könnte | |
| effizient sein, wenn sie richtig umgesetzt würde“, sagt er. Dennoch: „Wir | |
| brauchen einen schärferen Vollzug, nicht alle zwei Jahre eine pauschale | |
| Verschärfung.“ | |
| Mehr Kontrolle, um höhere Effizienz zu erzielen, fordert auch Mühling. „Die | |
| Gülleausbringung muss sofort eingearbeitet werden. Ansonsten ist die | |
| Emission von Ammoniak in die Atmosphäre zu hoch.“ Durch den Klimawandel | |
| erwarte Norddeutschland vermehrt Starkregenereignisse. | |
| „Die Folge ist eine vermehrte Lachgasemission. Durch Kalkung kann die | |
| Bodenstruktur verbessert werden und somit das überschüssige Wasser | |
| abgeleitet werden“, erklärt Mühling. Eine Kalkung des Bodens ist immer | |
| wichtig, um den pH-Wert optimal einzustellen, damit dieser nicht versauert | |
| und die Nährstoffverfügbarkeit verbessert wird, sagt Mühling. | |
| Die geplante Verschärfung sieht außerdem kürzere Düngezeiten und die | |
| Anrechnung der Düngermenge im Herbst auf die Frühjahrsmenge vor. Für Volker | |
| Hahn wird die Konsequenz sein, dass Bauern weniger Raps anbauen werden, | |
| weil der im Herbst und Frühling Dünger braucht. Wenn die Herbstmenge mit | |
| angerechnet wird, werde sich das aus ökonomischen Gründen nicht mehr | |
| rechnen, ist sich Hahn sicher. | |
| „Seit Beginn wird den Landwirten jedoch eingetrichtert, die Wirtschaft geht | |
| über alles, das heißt Masse, Masse und nochmals Masse“, sagt Schulz. Durch | |
| ein wachsendes Umweltbewusstsein in der Gesellschaft jedoch würden die | |
| konventionellen Betriebe an die ökologischen angepasst werden. „Die direkte | |
| Folge ist ein Anstieg der Lebensmittelpreise“, sagt Schulz. | |
| Bereits jetzt gibt es Wege, um die Auswirkungen der Überdüngung wie die | |
| Stickstoffauswaschung zu verringern. Die Bauern pflanzen zwischen Sommer- | |
| und Winterernte Zwischenfrüchte an. Das kann Ölrettich sein, der hohe | |
| Stickstoffmengen aufnehmen kann, die noch im Boden gespeichert sind. Der | |
| Humusgehalt des Bodens ist danach sehr hoch, was eine optimale | |
| Startbedingung im Frühjahr für viele Pflanzen bedeutet: Kartoffeln etwa | |
| profitieren davon sehr. Ein anderer Weg ist die Bodenbearbeitung, bei der | |
| viel Stickstoff mobilisiert wird. Beim Anbau von Hülsenfrüchten wie Erbsen | |
| und Ackerbohnen benötigen die Pflanzen keinen Stickstoffdünger, denn sie | |
| nehmen den Nährstoff über die Luft auf. | |
| Was die Politik tun müsse, ist für Landvolk-Chef Volker Hahn klar. Er | |
| fordert Investitionszuschüsse, wenn die Landwirtschaft die immer höheren | |
| Anforderungen einhalten soll. Gerade kleinere Betriebe könnten sonst schwer | |
| oder gar nicht überleben: „Wir Bauern brauchen Ausgleichszahlungen für | |
| unsere Ertragsverluste.“ | |
| 9 Jul 2019 | |
| ## AUTOREN | |
| Katharina Gebauer | |
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