# taz.de -- Integrationsbeauftragte über Einbürgerung: „Viele haben lange d… | |
> Die Ampel will Einbürgerungen vereinfachen. Das sei eine Frage des | |
> Respekts, sagt die Integrationsbeauftragte der Bundesregierung Reem | |
> Alabali-Radovan. | |
Bild: Integrationsbeauftragte der Bundesregierung Reem Alabali-Radovan | |
taz: Frau Alabali-Radovan, derzeit wird erbittert über Einbürgerungen | |
gestritten. Die Ampel will, dass Menschen früher eingebürgert werden | |
können, und den Doppelpass ermöglichen. [1][Die Union, aber auch Ihr | |
Koalitionspartner FDP halten dagegen]: Da ist von „Abwertung“ oder gar | |
„Verramschung“ der deutschen Staatsbürgerschaft die Rede. Eine reale | |
Gefahr? | |
Reem Alabali-Radovan: Dass die Union [2][nicht für eine Reform des | |
Staatsbürgerschaftsrechts steht, war ja klar] – sonst hätte es das schon | |
vor Jahren gegeben. Aber diese Kritik hat keine Grundlage. Die | |
Anforderungen an die Staatsbürgerschaft bleiben weiter hoch: | |
Sprachnachweis, Sicherung des Lebensunterhalts, Einbürgerungstest, | |
Bekenntnis zur freiheitlich-demokratischen Grundordnung. Wer das alles auf | |
sich nimmt, bekennt sich eindeutig zu Deutschland. Und wer das statt in | |
acht schon in fünf Jahren schafft, was ist er, wenn nicht gut integriert? | |
Da von „Verramschen“ zu sprechen, ist respektlos. | |
Aber für Menschen über 67 sollen die Standards ja gesenkt werden: kein | |
Einbürgerungstest mehr, und mündliche Kenntnisse reichen für den | |
Sprachnachweis. | |
Da geht es vor allem um die sogenannten Gast- und Vertragsarbeiter*innen. | |
Um Menschen also, die seit Jahrzehnten hier leben, mit ausländischer | |
Staatsbürgerschaft zwar, die aber Steuern zahlen, die dieses Land mit | |
aufgebaut haben – aber hier bis heute nicht wählen dürfen. Für sie sind | |
solche Äußerungen wirklich ein Schlag ins Gesicht, genau wie für die vielen | |
anderen, die seit Jahren hier leben und Teil der Gesellschaft sind. Und | |
auch nach außen ist das Signal problematisch. Wir brauchen dringend | |
Fachkräfte, wollen das Einwanderungsrecht reformieren. Aber Menschen im | |
Ausland nehmen aus der jetzigen Diskussion mit, dass sie zwar als | |
Arbeitskräfte herkommen sollen – aber Teil der Gesellschaft sollen sie | |
bitte nicht werden. | |
Beim Doppelpass wird auch immer wieder das Argument der Loyalität gegenüber | |
Deutschland angeführt: Wer hier leben will und hier integriert ist, braucht | |
ja den anderen Pass nicht mehr. | |
Ich finde, zu einem modernen Einwanderungsland gehört die Erkenntnis dazu, | |
dass Menschen mehrere Identitäten in sich tragen können: die deutsche, aber | |
auch die ihres Herkunftslandes oder des Herkunftslandes ihrer Eltern und | |
Großeltern. Da sollte es absolut in Ordnung sein, auch beide | |
Staatsbürgerschaften zu haben. Es ist ja gar nicht so, dass alle Menschen | |
mit Migrationsgeschichte unbedingt den Doppelpass wollen. Aber es macht | |
einen Unterschied, ob sie das selbst entscheiden können oder ob der Staat | |
es ihnen vorschreibt. Und nicht immer geht es nur um das Emotionale, | |
manchmal sind es auch ganz praktische Gründe, warum Menschen ihre alte | |
Staatsangehörigkeit nicht aufgeben wollen; zum Beispiel mit Blick auf | |
Rentenansprüche. | |
Was ist mit der FDP? | |
Wir haben das Vorhaben fest im Koalitionsvertrag vereinbart. Auch den Teil | |
mit den verkürzten Fristen und der doppelten Staatsangehörigkeit. Deswegen | |
bin ich zuversichtlich, dass wir einen Weg finden und es auch gemeinsam | |
umsetzen. | |
Sie haben gesagt, Deutschland wolle das „modernste | |
Staatsangehörigkeitsrecht der Welt“. Was machen Länder wie Kanada oder | |
Neuseeland denn bisher besser? | |
Sie sind unbürokratisch und digitalisiert. Vor allem aber zeigen sie sich | |
offen und werben aktiv darum, sich einbürgern zu lassen. Das möchte ich | |
hierzulande auch tun, mit einer Einbürgerungskampagne. Wir haben unser | |
Einbürgerungspotenzial bisher kaum ausgeschöpft, gerade mal zu 2,5 Prozent. | |
Das klingt sperrig, bedeutet aber: In Deutschland leben über 10 Millionen | |
Menschen mit ausländischer Staatsangehörigkeit, fünf Millionen davon schon | |
seit über 10 Jahren. Und von denen haben sich 2021 nur rund 132.000 | |
einbürgern lassen. Das heißt, es gibt sehr viele, die längst Teil unserer | |
Gesellschaft sind und sich einbürgern lassen könnten, es aber nicht tun. | |
Das wollen wir ändern. | |
Woran hapert es denn momentan? | |
Es ist tatsächlich ein großes Hemmnis für viele, dass sie bislang ihre | |
bisherige Staatsbürgerschaft aufgeben müssen. Es ist zwar schon heute so, | |
dass über 60 Prozent der Eingebürgerten ihre alte Staatsangehörigkeit | |
behalten dürfen. Das ist aber vor allem bei EU-Bürgern so oder zum Beispiel | |
bei Menschen, deren Herkunftsland sie nicht aus der Staatsbürgerschaft | |
entlässt, etwa Marokko oder der Iran. Und dann gibt es natürlich noch die | |
Kinder binationaler Eltern. Da wird der Doppelpass hingenommen, bei den | |
anderen 40 Prozent aber nicht. Und das ist im Grunde unfair, deshalb wollen | |
wir hier für Gleichberechtigung sorgen. | |
Bei der sehr aufgeladenen Debatte momentan geht es letztlich auch um die | |
Frage nach dem deutschen Selbstverständnis; wer ist Deutscher, wer nicht. | |
Müssen wir da also auch über Rassismus sprechen? | |
Wir müssen ganz grundsätzlich über Rassismus sprechen, das wurde in den | |
letzten Jahren und Jahrzehnten sehr vernachlässigt. Als erste | |
Antirassismusbeauftragte der Bundesregierung werde ich deswegen im Januar | |
dem Kabinett erstmalig einen Lagebericht zu Rassismus in Deutschland | |
vorlegen, mit Zahlen, Analysen und mit konkreten Vorhaben, um dagegen | |
anzugehen. Uns fehlen Studien, etwa zur Lage am Arbeitsmarkt, in der Schule | |
und in vielen anderen Bereichen. Das will ich fördern, ebenso ist mir | |
wichtig, Beratungsorganisationen zu unterstützen und Lücken zu schließen, | |
damit Betroffene Stellen haben, an die sie sich wenden können. | |
Die migrationspolitische Debatte ist nicht erst mit dem | |
Staatsangehörigkeitsrecht wieder aufgeflammt. Vorher ging es schon um die | |
steigenden Zahlen hier ankommender Geflüchteter. Länder und Kommunen haben | |
vor Überforderung gewarnt. Die Union kritisiert, dass die Ampel genau jetzt | |
Gesetze auf den Weg bringt, die Migration erleichtern. Ist da was dran? | |
Wir müssen gerade viele Krisen gleichzeitig bewältigen; den Krieg in der | |
Ukraine, die Inflation, die Energiekrise. Die Länder und Kommunen haben | |
viel geleistet bei der Aufnahme ukrainischer und auch anderer Geflüchteter, | |
das war und ist ein Kraftakt – den wir vom Bund unterstützen mit | |
umfangreichen Entlastungen. Ich bin aber froh, dass wir trotz dieser Krisen | |
unsere Vorhaben im Einwanderungsrecht weiter vorantreiben: aktuell die | |
Fachkräfteeinwanderung, das Chancenaufenthaltsrecht und eben auch das | |
Staatsangehörigkeitsrecht. Das sind Verbesserungen, auf die sehr viele | |
Menschen sehr lange gewartet haben. | |
Und gleichzeitig sind die Zahlen rassistischer Übergriffe auf Geflüchtete | |
und ihre Unterkünfte markant angestiegen – ausgerechnet unter einer | |
Koalition, die sich einem Paradigmenwechsel in diesem Bereich verschrieben | |
hat. Wie gehen Sie mit diesem Backlash um? | |
In der aktuellen Debatte werden die Themen Einbürgerung, Flucht und Asyl | |
vermischt, zum Teil sogar mit Begriffen aus der Mottenkiste wie | |
„Einwanderung in die Sozialsysteme“. Das ist schlicht falsch, schürt aber | |
Ressentiments gegenüber Menschen mit Einwanderungsgeschichte, das ist zu | |
spüren. Das gesellschaftliche Klima wird rauer. Und es besorgt mich sehr, | |
wenn ich die Zahl der Übergriffe auf Geflüchtete sehe. Das zeigt noch mal | |
sehr deutlich, wie sorgfältig wir die politische Debatte führen müssen und | |
dass diese Ressentiments nicht weiter geschürt werden dürfen. Das kommt vor | |
allem von bestimmten politischen Parteien und sie sollten erkennen, was ihr | |
Handeln ganz real verursacht. Unser gesellschaftlicher Zusammenhalt steht | |
auf dem Spiel. | |
Aber auch Bundesinnenministerin Nancy Faeser, wie Sie von der SPD, hat | |
zuletzt mehrfach betont: Man müsse illegale Migration stoppen, um denen | |
helfen zu können, „die wirklich Hilfe brauchen“. Dabei geht es vor allem um | |
Menschen aus Syrien und Afghanistan, die bisher nun mal kaum legale Wege | |
haben, einzureisen, um Asyl beantragen zu können. Brauchen sie deswegen | |
weniger Hilfe als Menschen aus der Ukraine? | |
Asylrecht ist ein Menschenrecht. Und als Flüchtlingsbeauftragte habe ich | |
schon seit Beginn des russischen Angriffskriegs in der Ukraine viele | |
Gespräche geführt darüber, ob es Geflüchtete erster und zweiter Klasse | |
gibt. Ich sage ganz klar, das darf es nicht geben. Die sehr große | |
Solidarität gegenüber den ukrainischen Geflüchteten und der enge | |
Schulterschluss der EU zeigten deutlich, dass ein anderer Umgang mit | |
Schutzsuchenden möglich ist, als wir in 2015 und 2016 erlebt haben. | |
Das, was wir für Menschen aus der Ukraine ermöglicht haben, sollte eine | |
Blaupause sein für alle Geflüchteten. Es geht um Integration von Anfang an, | |
Zugang zu Arbeitsmarkt und Sprachkursen. Daran arbeiten wir, zum Beispiel | |
mit der Öffnung der Integrationskurse, dem neuen Chancenaufenthaltsrecht, | |
das wir am Freitag im Bundestag beschließen werden, dem Gesetz für | |
schnellere Asylverfahren und ganz wichtig wird auch die Abschaffung von | |
Beschäftigungsverboten sein. Zudem werden wir dringend darüber beraten | |
müssen, wie wir perspektivisch mehr legale Flucht- und Migrationswege | |
ermöglichen. Auch das haben wir im Koalitionsvertrag vereinbart. | |
Wie woke ist die Ampel? | |
Die Ampel steht für gesellschaftlichen Aufbruch und Fortschritt. | |
1 Dec 2022 | |
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[1] /Reform-des-Staatsangehoerigkeitsgesetzes/!5895269 | |
[2] /Einbuergerung-nach-fuenf-Jahren/!5895078 | |
## AUTOREN | |
Dinah Riese | |
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