# taz.de -- Geschichte linker Medien im Überblick: Eine ganz andere Sicht | |
> Öffentlichkeit bedingte auch Gegenöffentlichkeit. Eine Auswahl von linken | |
> Medien in Deutschland und Österreich. | |
Bild: Für die einen nur ausgerupftes Grün, für die anderen beginnt hier scho… | |
Viel wurde diskutiert, organisiert, aber auch publiziert in den Jahren nach | |
dem Zweiten Weltkrieg. Linke Autor*innen schrieben über NS-Aufarbeitung und | |
Krisen des Kapitalismus, Frauenemanzipation und globale Ungleichheit, | |
Migration und Rechtsextremismus. | |
Von den Achtundsechzigern über Spontis bis zur Frauenbewegung entstanden | |
teilweise mythenhafte, sagenumwobene Publikationen. Manche Blätter starben | |
jung, andere hielten sich bis heute und neue kamen dazu. Eine Auswahl. | |
## Pflasterstand | |
Der Pflasterstrand entstand 1976 aus der Frankfurter Studentenzeitung FUZZY | |
und verstand sich als Herold der Sponti-Szene. Spiritus rector war Daniel | |
Cohn-Bendit. Gerade in der Anfangsphase setzte man sich intensiv mit der | |
linken Szene selbst auseinander und publizierte zahlreiche | |
Betroffenenberichte, etwa von Gefängnisinsass*innen. | |
Ende des zweiten Jahres des Bestehens verschob sich der Schwerpunkt in | |
Richtung Sexualitätsdebatte und man stieß in privatere Bereiche vor. Gipfel | |
des Ganzen war der Artikel „Vom Ende der matriarchalischen | |
Emanzipationsmoral“, der radikal mit der Frauenbewegung abrechnet und einen | |
Sturm der Empörung zur Folge hatte. | |
1978 druckte man eine Erklärung der linksextremistischen Terrorgruppe | |
Revolutionäre Zellen unter dem Titel „Hunde, wollt ihr ewig bellen“ ab, was | |
die Beschlagnahmung der kompletten Auflage zur Folge hatte. Dies bedeutete | |
einen nächsten Richtungswechsel und hatte eine Professionalisierungstendenz | |
zur Folge, bei der unter anderem Joschka Fischer entscheidend involviert | |
war. | |
Wenn auch zum Unbehagen der eigenen Partei, veröffentlichte sogar der | |
ehemalige CDU- und heutige AfD-Politiker Alexander Gauland seine Visionen | |
für Frankfurt in einigen Beiträgen im Pflasterstrand. 1987 wurde dann ein | |
Finanzier gefunden und zwei Jahre später gar Bertelsmann beteiligt, das | |
Experiment mündete in einem Hochglanzheft und scheiterte ein weiteres Jahr | |
später. Das Blatt fusionierte mit einer anderen Zeitschrift und ist heute | |
als Stadtmagazin Frankfurt erhältlich. | |
## Agit 883 | |
Die [1][Agit 883] war das Sprachrohr und das publizistische Aushängeschild | |
des linken Spektrums von Apo bis Untergrund in West-Berlin. Das zwischen | |
1969 und 1972 publizierte Blatt war als Plattform linker | |
Gegenöffentlichkeit konzipiert und wurde teilweise massiv verfolgt und | |
beschlagnahmt. | |
Das lag nicht zuletzt an Autoren wie Ulrike Meinhof und Andreas Baader, | |
Holger Meins hatte gar einen Abdruck der ersten öffentlichen Verlautbarung | |
der RAF realisiert. 1970 gelang ein Exklusiv-Interview mit Jimi Hendrix, | |
bevor interne Konflikte ein Ende für die Zeitung Anfang 1972 unausweichlich | |
machten. | |
## Courage | |
Die autonome, feministische Zeitschrift Courage erschien von 1976 bis 1984 | |
in West-Berlin. Die ehemalige Redakteurin Sibylle Plogstedt sagte 2006, die | |
Courage sei wie James Dean: „Sie ist einen frühen Tod gestorben, aber die, | |
die sie kannten, himmeln sie immer noch an.“ Wegen finanzieller Engpässe | |
musste die Zeitung eingestellt werden. | |
Beachtenswert ist, dass die Monatszeitung in den späten 1970ern eine | |
Auflage von 70.000 Exemplaren verbuchte. Ihre Themen waren u.a. | |
Zwangsprostitution, Abtreibung, sexualisierte Gewalt sowie systematische, | |
gesellschaftliche Ausgrenzung von Frauen. | |
## konkret | |
„Mercedes Benz des deutschen Antinationalismus“ nannte sie die analyse & | |
kritik. „Zentralorgan der Antideutschen“ schimpfte zehn Jahre später Stefan | |
Reinecke in der taz. Zum selben, 50. Geburtstag wunderte sich Willi Winkler | |
in der Süddeutschen Zeitung darüber, dass es sie noch gibt und | |
konstatierte: „Allein mit den Namen der prominenten Mitarbeiter ließen sich | |
vier Spalten füllen“. | |
Tatsächlich: Böll und Reemtsma, Adorno und Marcuse, ja, sogar de Beauvoir | |
und Sartre schrieben für die konkret. Ein Kreis kommunistischer | |
Studierender gründete das Magazin1957 in Hamburg, die Zeitung ging aus dem | |
Studentenkurier von Klaus Rainer Röhl hervor. Einst, als Kolumnen von | |
Ulrike Meinhof – Chefredakteurin in den Jahren von 1960 bis 1964 und | |
Ehegattin von Röhl – das Blatt schmückten, näherte man sich einer Auflage | |
von 200.000 an, heute sind es rund 40.000. | |
Als die DDR den Geldhahn zudrehte und Röhls Versuch der finanziellen Not | |
mit erotischen Elementen entgegenzuwirken scheiterte, ging der | |
konkret-Verlag 1973 in Konkurs. Auf Röhl folgte Chefredakteur Hermann L. | |
Gremliza – kein anderer steht heute so für die konkret wie er. | |
Manche vergleichen ihn und seine Schreibe mit Karl Kraus. Nach eigenen | |
Angaben geht es dem Magazin seit jeher darum, eine Absage an „Krieg, | |
Militär, Rüstung, an Aberglauben (auch den christlichen) und Ideologie, an | |
Ausbeutung, Kapitalismus, Nazimus, Faschismus, Rassismus, Antisemitismus“ | |
zu erteilen. | |
Zweifellos sind es ihre elaborierte Kompromisslosigkeit und sprachliche | |
Schärfe, die ihr auch heute noch viele übel nehmen. | |
## analyse & kritik | |
Der Vorläufer von [2][analyse &kritik], der Arbeiterkampf, wurde 1971 | |
gegründet und war zunächst eine Publikation des Kommunistischen Bundes | |
(KB). Nach dessen Auflösung wurde die Zeitschrift 1992 umbenannt. Die | |
Auflage liegt heute bei etwa 4500 Exemplaren, 2014 erschien die 600. | |
Ausgabe. | |
Die Redaktion der Zeitschrift ist Mitglied der Interventionistischen | |
Linken. Sie schreibt über Klassenkampf, linke Ansätze gegen Rechts, aber | |
auch Umwelt- und Genderdebatten. | |
## Graswurzelrevolution | |
Der Anarchist Bernd Drücke sitzt Tag für Tag in einer | |
Ein-Personen-Redaktion in Münster und produziert die bekannteste | |
anarchistische Zeitung im deutschsprachigen Raum: die Graswurzelrevolution. | |
Seit Oktober 1998 ist er verantwortlicher Redakteur. Die | |
Graswurzelrevolution lebt seit 1972, erscheint monatlich und wird mit Text | |
von Menschen aus aller Welt befüllt, die dem losen Autor*innennetzwerk | |
angehören. | |
Diese arbeiten an einer „tiefgreifenden gesellschaftlichen Umwälzung“ und | |
„für eine gewaltfreie, herrschaftslose Gesellschaft“. In großen Buchstaben | |
schreibt die Zeitung Antimilitarismus und Ökologie auf ihre Fahnen. | |
## Indymedia | |
„Don't hate the media, become the media“ ist das Motto des linksradikalen | |
und antifaschistischen Newsportals Indymedia. Entstanden ist die Plattform | |
1999 als eine globalisierungskritische Graswurzelbewegung bei den Protesten | |
gegen die WTO in Seattle. Inzwischen gibt es 60 Independent Media Centers | |
(IMCs), seit 2011 auch in Deutschland, wo sich die Plattform besonders | |
während des Protests gegen die Castor-Transporte etablierte. | |
Mit einer wachsenden internationalen Ausrichtung und etwa 4000 Besuchern | |
täglich (auf der deutschen Version) ist Indymedia der Shootingstar unter | |
den innovativen linken Medien. Die Seite versteht sich als unabhängiges | |
Mitmachmedium. Das Ziel ist eine bewusst subjektive, linke | |
Berichterstattung, denn Indymedia lebt insbesondere von „open postings“, | |
die jeder Nutzer selbst verfassen kann. | |
Eben deshalb wird aber oft die fehlende Überprüfung und redaktionelle | |
Bearbeitung der Beiträge kritisiert. Urheber können nur schwer | |
identifiziert werden. | |
Das beklagt auch der Verfassungsschutz, der Indymedia als „einflussreichste | |
linksextremistische Internetplattform im deutschsprachigen Raum“ einstuft. | |
Indymedia arbeitet sowohl mit Print-, als auch Audio- und Videobeiträgen. | |
In der Vergangenheit veröffentlichte das Netzwerk immer wieder private | |
Daten von rechten Politikern wie beispielsweise die der Teilnehmer des | |
AfD-Parteitags in Stuttgart 2016. | |
Nach dem Anschlag auf den Mannschaftsbus von Borussia Dortmund im April | |
sorgte [3][ein gefälschtes Bekennerschreiben der Antifa,] das auf Indymedia | |
erschien, für Kontroversen. | |
## Jungle World | |
Die Jungle World ist eine linke Wochenzeitung, die 1997 aus einer | |
Abspaltung von der Zeitung Junge Welt entstand. Nachdem der damalige | |
Chefredakteur der Jungen Welt, [4][Klaus Behnken], abgesetzt werden sollte, | |
besetzte ein Teil der MitarbeiterInnen die Reaktionsräume. | |
Die Jungle World wurde dann zunächst in der Wohnung von Behnken produziert. | |
Die Auflage der Zeitung liegt heute bei etwa 16.000 Exemplaren. Einzuordnen | |
ist sie als deutschlandkritisch. | |
## Malmoe | |
Der Werbespruch der linksalternativen, österreichischen Zeitschrift malmoe | |
lautet: „Gute Seiten – Schlechte Zeiten“. Sie entstand als Antwort auf ei… | |
einfältige österreichische Medienlandschaft und die schwarz-blaue | |
Regierungskoalition zwischen der ÖVP und FPÖ, die im Jahr 2000 tausende | |
Demonstrant*innen auf die Straßen Wiens bewegte. | |
Die 32-seitige Zeitung erscheint seither vier bis fünf Mal im Jahr. In | |
unkonventionell benannten Rubriken wie „Alltag“, „Regieren“ und | |
„Erlebnispark“ finden sich kritische und qualitätsbewusste Texte über das | |
Leben in Österreich und der Welt. | |
31 May 2017 | |
## LINKS | |
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[4] /!5350262 | |
## AUTOREN | |
Volkan Ağar | |
Jann-Luca Zinser | |
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