# taz.de -- Zeitung „Graswurzelrevolution“ wird 50: Pazifismus als Markenke… | |
> Seit 50 Jahren gibt es die Zeitung „Graswurzelrevolution“. Sie steht für | |
> konsequente Gewaltfreiheit – auch der Ukrainekrieg ändert daran nichts. | |
Bild: Gegen Waffen und Gewalt: Friedensmarsch im Jahr 1981 (Ausschnitt) | |
Die Zeitung Graswurzelrevolution (gwr) feierte stilgerecht auf der | |
Anarchistischen Buchmesse in Mannheim ihren 50. Geburtstag. Für sie ist ein | |
konsequenter Pazifismus seit 50 Jahren der Markenkern, ihre GründerInnen | |
sind gewaltfreie SozialistInnen um Wolfgang Hertle, Wolfgang Zucht und | |
Helga Weber. Sie wollten Gewaltfreiheit und libertären Sozialismus | |
verbinden. Heute wird in der Zeitung allmonatlich über Arbeits- und | |
Mietkämpfe, aber auch antifaschistische Aktionen berichtet. In den letzten | |
Jahren widmete sich die Zeitung auch verstärkt feministischen Themen. | |
Ihre Hoch-Zeit hatte die gwr als Teil der Bewegung gegen die Nachrüstung | |
von Mittelstreckenraketen Anfang der 1980er Jahre. Dort hatten sich die | |
PazifistInnen unter dem Label Gewaltfreie Aktionsgruppen (FöGa) | |
konstituiert. | |
Im Gegensatz zu einem Großteil der Friedensbewegung agierten sie nicht nur | |
gegen eine weitere Aufrüstung, sondern lehnten jegliche Gewalt ab, egal ob | |
sie von Staatsapparaten oder von politischen Gruppierungen ausgeht. Damit | |
standen sie schnell im Visier der Staatsapparate, die gegen die | |
gwr-AutorInnen unter anderem wegen Aufruf zu Blockaden oder | |
Desertionsaufforderungen an Soldaten ermittelte. Auch in Teilen der | |
radikalen Linken machten sich die gewaltfreien AnarchistInnen keine | |
Freunde. Schließlich wurden in der gwr [1][die Aktionen der RAF] ebenso | |
kritisiert wie manche militante Scharmützel von Autonomen mit der Polizei. | |
Dagegen propagierten die GraswurzlerInnen Aktionen des zivilen Ungehorsams, | |
wie Besetzungen und Blockaden. Der vor einigen Monaten verstorbene Jochen | |
Stay, der die Kampagne X-tausendMal-quer zur Blockade der Castortransporte | |
in das Wendland wesentlich initiierte, war lange Zeit gwr-Redakteur. | |
## Finanziert durch Abogebühren und Spenden | |
Der Pazifismus der Zeitung könnte aktueller kaum sein: Nach dem russischen | |
Einmarsch in die Ukraine kommen PazifistInnen auch in linken Kreisen unter | |
Druck. Der bekannte Blogger Sascha Lobo steht mit seiner Polemik gegen | |
„[2][Lumpen-Pazifismus]“ in einem Spiegel-Beitrag nicht allein. | |
„Diplomatische Verhandlungen und politisches Handeln jenseits militärischer | |
Strategien werden als Traumtänzerei abgetan, und wer gar Überlegungen zu | |
systematischer Verweigerung, Desertion, massenhaftem gewaltfreiem | |
Widerstand und Sozialer Verteidigung anstellt, muss sogar damit rechnen, | |
als menschenverachtend diffamiert zu werden“, schreibt Silke Makowski in | |
der aktuellen Ausgabe der gwr. | |
2018 stand die gwr kurze Zeit im Zentrum der öffentlichen Aufmerksamkeit, | |
nachdem sich der Präsident des Landesverfassungsschutzes von Thüringen | |
Stefan Kramer positiv auf einen Artikel bezog, den der | |
Sozialwissenschaftler Andreas Kemper in der gwr veröffentlichte. Dort | |
hatte er ein Buch des AfD-Rechtsaußen Björn Höcke nach einer Sprachanalyse | |
als genuin faschistisches Machwerk bezeichnet. Die Kampagne gegen die | |
„Anarchopostille“ reichte von AfD bis Bild. | |
Längst ist es in einer größeren Öffentlichkeit wieder ruhig geworden um die | |
Zeitung. Die gwr finanziert sich ausschließlich von Abogebühren und | |
Spenden. Aktuell liegen die Abozahlen stabil bei etwa 2.400, die Auflage | |
wurde wegen Corona auf 3.000 abgesenkt. Bernd Drücke, der in den 1990ern | |
zur anarchistischen Presse in Ost- und Westdeutschland promoviert hat und | |
seit 1998 zum HerausgeberInnenkreis gehört, kommt ins Schwärmen, wenn er | |
auf sein Verhältnis zu der Zeitung erzählt: „Die gwr ist ein | |
generationsübergreifendes Projekt, und der HerausgeberInnenkreis ist für | |
mich und andere auch eine warmherzige, libertär-sozialistische ‚Familie‘, | |
in der Anarchistinnen in Würde altern können und gegenseitige Hilfe statt | |
Ausbeutung und Konkurrenz gelebt werden.“ Dabei stellt die Veränderung des | |
Leseverhaltens vor allem jüngerer Leute im digitalen Zeitalter auch die gwr | |
vor Herausforderungen. Trotzdem werden weiterhin nur wenige Artikel online | |
gestellt. | |
Doch politisch bewegt sich die gwr-Redaktion auf der Höhe der linken | |
Debatte. Zudem sieht Drücke gerade in Kriegszeiten Bedarf für eine | |
konsequent antimilitaristische Publikation. „Der Krieg und die | |
Re-Militarisierung müssen überall sabotiert werden. Jeder Panzer, der durch | |
Zucker im Tank unbrauchbar wird, ist gut“, fasst Drücke das Credo der gwr | |
zusammen. | |
7 Jun 2022 | |
## LINKS | |
[1] /RAF-Terroristin-Inge-Viett-gestorben/!5853899 | |
[2] https://www.spiegel.de/netzwelt/netzpolitik/ukraine-krieg-der-deutsche-lump… | |
## AUTOREN | |
Peter Nowak | |
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