# taz.de -- Debattenreihe Klima: Zero Waste ist machbar | |
> Der Begriff der Kreislaufwirtschaft ist ähnlich sinnentleert wie der der | |
> Nachhaltigkeit. Dabei wäre sie ein wichtiger Beitrag zur | |
> Klimaneutralität. | |
Bild: Trotz Abfallgesetz steigen die Mengen an Müll, Schutt und Schrott in Deu… | |
Wenn von Konzepten für eine klimaneutrale Gesellschaft die Rede ist, darf | |
die Kreislaufwirtschaft nicht fehlen. Die „[1][Circular Economy]“ ist die | |
Wirtschaftsform für morgen, umweltfreundlich, klimaneutral, | |
ressourcenschonend. Sie ist wesentlicher Bestandteil des „[2][Green Deal]“ | |
der EU, praktisch alle Parteien in Deutschland führen sie in ihren | |
Programmen und fast jede Verpackung im Supermarkt trägt den Hinweis, sie | |
sei „recyclingfähig“. | |
Das Konzept klingt gut. Es ist auch gut: Rohstoffe werden im Kreislauf | |
geführt und so lange genutzt wie möglich. Für unsere Industriegesellschaft | |
ist das eine große Sache und weitaus aufwendiger, als es sich anhört. | |
Kreislaufwirtschaft ernst genommen, meint eine Revolution von Produktion | |
und Konsum: Produkte wären lange haltbar und leicht reparierbar – eine | |
riesige Herausforderung für Elektro- und Elektronikprodukte. | |
Neue Eigentumskonzepte würden eingeführt – Batterien für E-Autos blieben im | |
Besitz der Hersteller, mit Recycling-Pflicht. Es gäbe Positivlisten für | |
Chemikalien, um Recycling zu ermöglichen, etwa für Verpackungen oder | |
Baustoffe. Am Ende gäbe es weniger Arbeitsplätze in Industrie und Handel, | |
mehr im Handwerk – mit Auswirkungen auf Steuern, Lohngefüge etc. Es | |
entstünde weniger Abfall, der Verbrauch von Ressourcen würde sinken. | |
Deutschland war mal innovativ auf diesem Feld. Die Politik schubste die | |
Unternehmen sanft in die richtige Richtung, etwa, in dem sie Deponien für | |
Hausmüll verbot oder [3][Dosen bepfandete]. So entstanden neue | |
Geschäftsfelder im Bereich der Abfallwirtschaft, der Einstieg in eine | |
Kreislaufwirtschaft gelang nicht. Im Gegenteil. Unter den unionsgeführten | |
Bundesregierungen der vergangenen Jahre, egal ob schwarz-gelb oder | |
schwarz-rot, wurde das Konzept der Kreislaufwirtschaft ausgehöhlt. | |
## Union und SPD haben versagt | |
Motto: Wir produzieren und konsumieren weiter so wie bisher, dazu kommt ein | |
bisschen Recycling. Das „Abfallgesetz“ wurde zum | |
„[4][Kreislaufwirtschaftsgesetz]“ und „Müll“ zu „Sekundärrohstoff�… | |
Doch die Mengen an Schrott, Schutt und Verpackungen steigen und steigen. | |
Dem Konzept der Kreislaufwirtschaft ist es ähnlich ergangen wie dem der | |
Nachhaltigkeit. Jeder hat ihm nach Belieben den gerade passenden Inhalt | |
eingeflößt. | |
Nun ist es bis zur Unkenntlichkeit verbeult und für eine konkrete | |
politische Gestaltung unbrauchbar geworden. Der Betreiber eines | |
Braunkohletagebaus kann sein Unternehmen heute genauso gut „nachhaltig“ | |
nennen (sichere, sozial gerechte, Wohlstand schaffende Energieerzeugung mit | |
anschließender Renaturierung und Förderung der Biodiversität) wie eine | |
Demonstrantin auf einer Klimademo „nachhaltige Energiepolitik“ fordern. | |
Sie meinen halt nur etwas anderes. | |
Auch wer „Kreislaufwirtschaft“ sagt, kann unterschiedliche Dinge meinen. | |
Ein umfassendes Konzept, wie oben beschrieben, oder ein ideenloses „Weiter | |
so“. Jetzt, da Wahlen anstehen, ist von Interesse, wer was jeweils mit dem | |
Begriff verbindet. Die SPD, die die Themen „Klima und Umwelt“ gerade erst | |
entdeckt (was schade ist, weil sie dafür in den letzten Jahren zuständig | |
war), meinte mit Kreislaufwirtschaft bislang vor allem „[5][weniger | |
Plastik]“. | |
Das sozialdemokratisch geführte Umweltministerium setzte viel Zeit und | |
Energie in den Aufbau einer Struktur, die Verpackungen erfassen, bewerten | |
und so dafür sorgen soll, dass ökologische Tüten am Ende billiger werden | |
als schädliche. Das hat eine Menge Bürokratie erzeugt, zu einem sinkenden | |
Ressourcenverbrauch aber nicht geführt. Die Hersteller verpacken ihre | |
Lebensmittel und Versandwaren in immer mehr Pappkartons mit dünnen | |
Plastikbeschichtungen. Recyceln lassen sie sich nicht mehr. | |
## Zu wenig Mehrwegflaschen und -dosen | |
Zugleich sah die SPD-Ministerin dabei zu, wie immer mehr | |
Lebensmittelhändler regionale Mehrwegflaschen aus ihren Regalen heraus- und | |
Einwegflaschen und Dosen hineinräumten. Inzwischen liegt der | |
[6][Mehrweganteil bei Getränkeverpackungen] in Deutschland bei nur noch 41 | |
Prozent. Auch der mengenmäßig größte Abfallstrom, Bauabfälle und Erden, ist | |
von einer echten, ressourcensparenden Kreislaufführung weit entfernt. Zwar | |
hat die Bundesregierung kurz vor Ablauf ihrer Amtszeit noch ein | |
Bundesgesetz dazu hingewurstelt. | |
Doch dem CSU-geführten Innenministerium waren die Interessen bayerischer | |
Kiesgrubenbesitzer dann doch näher als Klima- und Naturschutz. Es bestand | |
auf einer Länderöffnungsklausel, die das Gesetz in Zukunft verwässern wird. | |
Die Vorstellung der Union von einer „Kreislaufwirtschaft“ ist entsprechend | |
vage, das hat sie auch an anderer Stelle bewiesen. Sie trug in den drei | |
Ministerien – für Wirtschaft, Landwirtschaft und Forschung – Verantwortung, | |
in denen in der vergangenen Legislaturperiode Rohstoffstrategien | |
ausgearbeitet wurden. | |
Sie wären der zentrale Ort gewesen, um Vorgaben für eine Beschaffung und | |
Verwendung von Rohstoffen zu machen, die wirklich auf den Kreislaufgedanken | |
setzen. Doch die drei CDU-Minister:innen denken an „Zugang zum | |
Weltmarkt“, „Bergbau“ und „Gentechnik“, wenn sie das Wort „Rohstoff… | |
Das Konzept der Kreislaufwirtschaft ist – wie die Themen Klima- oder | |
Naturschutz – bei Union und SPD für den Sonntag reserviert. Unter der Woche | |
stören sie beim Arbeiten. | |
Ein umfassendes Kreislaufwirtschaftskonzept liegt in einer Schublade der | |
Bundestagsfraktion der Grünen. Es heißt „[7][Zero Waste]“ und packt das | |
Thema von allen Seiten an: Es formuliert neue Vorschriften für die | |
Ökodesignrichtlinie und zum Produkt-, Verbraucher- und Chemikalienrecht, es | |
sieht Fördermechanismen für weniger Konsum und Produktion vor. | |
Kreislaufwirtschaft, das wird hier sichtbar, muss keine inhaltsleere | |
Sprechblase sein. Man kann sie als Idee ernst nehmen und in Gesetze gießen. | |
Vier weitere Jahre „nachhaltige Kreislaufwirtschaft“ à la Schwarz-Rot | |
sollten wir unserem Land nicht zumuten. | |
13 Aug 2021 | |
## LINKS | |
[1] https://www.europarl.europa.eu/news/en/headlines/economy/20151201STO05603/c… | |
[2] https://ec.europa.eu/info/strategy/priorities-2019-2024/european-green-deal… | |
[3] /Kommentar-Dosenpfand/!5076220 | |
[4] /Erneuertes-Abfallgesetz/!5659847 | |
[5] /Der-Kampf-gegen-Plastikmuell/!5591532 | |
[6] /Aenderung-der-Mehrwegquote/!5387790 | |
[7] /Gruener-Landesparteitag-in-Berlin/!5497816 | |
## AUTOREN | |
Heike Holdinghausen | |
## TAGS | |
Schwerpunkt Klimawandel | |
Erderwärmung | |
Kreislaufwirtschaft | |
Recycling | |
Nachhaltigkeit | |
Umweltministerium | |
Landwirtschaft | |
Ressourcenverbrauch | |
Konsum | |
Pfandflaschen | |
Mehrweg | |
GNS | |
Müll | |
Zero Waste | |
Müll | |
Zero Waste | |
Upcycling | |
Plastik | |
Schwerpunkt Wahlen in Berlin | |
Grünes Wachstum | |
Recycling | |
Verpackungen | |
Zivilgesellschaft | |
## ARTIKEL ZUM THEMA | |
Gesetz zu Mehrweg-Verpackungen: Becher, Becher, du musst wandern… | |
Wer Getränke oder Essen to go verkauft, muss seit dem 1. Januar | |
Mehrweggefäße anbieten. Bringt das weniger Müll? Sieben Fragen und | |
Antworten. | |
Zero Waste: Denken in Kreisläufen | |
Secondhand, Repaircafés, Unverpacktläden und demontierbare Häuser: | |
Abfallvermeidung ist eine Antwort auf Rohstoffmangel und Erderwärmung. | |
Kreislaufwirtschaft und Klimakrise: Das Potenzial der Müllkippe | |
Unser Müllproblem in den Griff zu bekommen, wäre auch fürs Klima gut. Dazu | |
muss sich nicht nur die Abfallwirtschaft umstellen. | |
Ausstellung „use-less. Slow Fashion“: Antike Avantgarde | |
Modedesign-Studierende fragen, wie dem textilen Konsumwahn begegnet werden | |
kann. Antworten finden sie bei Zero-Waste-Techniken aus der Antike. | |
Müllskulpturen-Ausstellung: Mit Ästhetik gegen die Müllflut | |
Das Berliner Künstler:innenkollektiv „Planet Trash“ zeigt „Wasted | |
Creatures“ in einer Ausstellung. Manchmal führt der Weg zum Handeln über | |
die Phantasie. | |
Maßnahmen für weniger Plastikmüll: Raus aus der Plastikkrise | |
Kunststoffverpackungen werden in Deutschland meist verbrannt oder | |
exportiert – fatal für die Umwelt. Der WWF fordert, sie zu vermeiden. | |
Klima, Umverteilung, Mieten: Heiße Wochen bis zur Wahl | |
Wer geht wofür in den nächsten Wochen auf die Straße? Den Überblick gibt es | |
hier im taz-Protest-Poesiealbum zwischen zivilem Ungehorsam und Großdemos. | |
Klimaschutz im Kapitalismus: „Grünes Wachstum ist nicht möglich“ | |
Deutschland will bis 2045 klimaneutral werden. Aber geht das in unserem | |
Wirtschaftssystem überhaupt? Ein Streitgespräch. | |
Chemisches Recycling bei Dior: Zurück zum Öl | |
Dior setzt auf chemisches Recycling, um Verpackungen nachhaltiger zu | |
machen. Diese Methode kann sinnvoll sein, ist es aber nicht immer. | |
Neues Verpackungsgesetz im Bundestag: Viel Plastik wird weiter verbrannt | |
Was tun mit den unzähligen Coffee-to-go-Bechern und Plastiktüten? Das neue | |
Verpackungsgesetz wird das Müllproblem nicht lösen. | |
Kampagne „Transformation Haus & Feld“: Ein Haus für alle und das Klima | |
Das Tempelhofer Flughafengebäude muss zu einem „sozial-ökologischen | |
Transformationszentrum“ werden, fordert ein Bündnis. Bebauung soll tabu | |
bleiben. |