Introduction
Introduction Statistics Contact Development Disclaimer Help
# taz.de -- Zero Waste: Denken in Kreisläufen
> Secondhand, Repaircafés, Unverpacktläden und demontierbare Häuser:
> Abfallvermeidung ist eine Antwort auf Rohstoffmangel und Erderwärmung.
Bild: „Leute, es gibt ein Problem. Verschwendung heißt es. Zu viel Müll“
Natürlich will das niemand hören: „Schaff mal den Müll weg.“ Also anderer
Versuch, eher so im Fünf-Schritte-zum-Knackarsch-Stil von
Lifestylemagazinen oder Influencer:innen: „Dein Weg aus der Krise. So wirst
du resilient und unabhängig.“ Vielleicht muss an der Sprache arbeiten, wer
klarmachen will: „Leute, es gibt ein Problem. Verschwendung heißt es. Zu
viel Müll. Da stecken aber Schätze drin. Also keine Diamanten, aber so was
Ähnliches.“
In der Krise lernt man sich ja noch mal ganz anders kennen, die Macken, was
so richtig schiefläuft. Und der Druck, mit Ressourcen schonender umzugehen,
sie nicht einfach in die Tonne zu schmeißen, ist schon enorm wegen der
[1][Erderhitzung]. Aber durch Corona und den furchtbaren Krieg reißen nun
auch noch Lieferketten, ziehen die Preise an. Dabei geht es anders – es
muss. Denn das Problem wiegt schwer.
Das sagen nicht spinnerte Ökokatastrophisten. Das zeigen Rechnungen der
Industrieländerorganisation OECD. Demnach wiegen 35.000 Eiffeltürme genauso
viel wie aller Plastikmüll, der allein 2019 in der Welt produziert wurde:
353 Millionen Tonnen. Damit hat sich der [2][Plastikmüll] innerhalb von nur
20 Jahren verdoppelt. Und nur der geringste Teil des Plastikmülls wird
recycelt: 9 Prozent. Der Rest kommt auf Deponien, wird verbrannt oder
landet irgendwo und treibt über Flüsse in die Meere.
Deutschland weit vorn bei der Müllproduktion
Es läuft nicht rund. Ja, aber in Deutschland ist das doch anders? Keinen
Deut. Deutschland rühmt sich zwar gern, bester Müllsammler und -sortierer
zu sein. Doch in fast keinem anderen Land der EU wird so viel in die
schwarzen, blauen, gelben, braunen, sonst wie bunten Mülltonnen und
Extracontainer gestopft wie in Deutschland. Im Jahr 2020 entsorgte
hierzulande jede:r Einzelne, das rechnet die Statistikbehörde Eurostat
vor, 632 Kilo Müll. Das sind 67 Kilo mehr als noch 2005.
Deutschland ist eine Wegwerfgesellschaft im XXL-Format. Die Bestellung aus
dem Internet, an Verpackung wird kaum gespart. Supermärkte bieten die
Ananas und den Salat schon geputzt und geschnitten in Plastikbechern an.
Mit einer älteren Gesellschaft werden Haushalte kleiner, die verkauften
Portionsgrößen auch. Die Schrankwand fürs Leben, Eiche massiv – die Zeiten
sind vorbei, seit ein schwedisches Möbelhaus Regale, Tische, Einbauschränke
zu einer Trendsache gemacht hat. Das hat sein Gutes.
Umweltferkel Textilbranche
Denn was zuvor oft als elitär galt, ist nun erschwinglich. Nur wird nun
allerhand an Zeug in die Wohnung gekarrt, was kurze Zeit später schon
wieder in der Tonne landet. Das ist bei Elektrogeräten nicht viel anders.
Manche Modekette wirft im 14-Tage-Takt eine neue Kollektion auf den Markt,
hier ein leicht anderer Schnitt, da eine etwas pastelligere Farbe. Die
Textilbranche ist so für mindestens 8 Prozent aller CO2-Emissionen
verantwortlich.
Das ist mehr, als der gesamte [3][Flug- und Schiffsverkehr] rund um den
Globus ausstößt. Noch nicht geredet von den vielen Häusern, die einfach
abgerissen werden, kaum einige Jahrzehnte alt. Das Gros des Bauschutts, der
dann Laster für Laster abtransportiert wird, landet aufbereitet im
Straßenbau. Dass aus einem alten Haus ein neues wird – selten.
Für das Desaster gibt es eine berühmte Formel, aufgestellt vom Global
Footprint Network: Würden die Menschen überall so leben wie in Deutschland,
wäre die Erde dreimal nötig, um den Ressourcenverbrauch nachhaltig zu
decken. Als hätte es nie einen Umweltminister namens Klaus Töpfer gegeben,
der Anfang der 1990er Jahre die Kreislaufwirtschaft einführte, allen
eintrichterte: Vermeiden ist besser als wiederverwenden. Wiederverwenden
ist besser als Recycling. Recycling ist besser als verbrennen.
Allerdings gibt es jene, die vorangehen. Damit ist die Politik nicht aus
der Verantwortung. Dazu später. Doch ist gut zu wissen, was möglich ist.
Darum drei Beispiele neben Repaircafés, [4][Unverpacktläden] und unzählig
vielem anderen. Erstens: Städte stemmen sich gegen den Wegwerfkram,
Bamberg, Berlin, Düsseldorf, Köln, Regensburg, München. Vorreiter: Kiel.
Käserinde gehört in die Biotonne
Die schleswig-holsteinische Landeshauptstadt hat 100 Maßnahmen gegen den
Abfall entwickelt, will „Zero Waste City“ werden wie 400 andere Städte in
anderen europäischen Ländern auch schon. Die Stadtbücherei verleiht seit
Kurzem zum Beispiel Nähmaschinen, Skateboards, Werkzeug, verschiedene
Gebrauchsgegenstände. Die Abfallentsorger analysieren, [5][was alles falsch
in welcher Mülltonne landet], um dann eine Infokampagne zu machen.
Wer weiß schon genau, ob die Käserinde in die schwarze Tonne für Restmüll,
der verbrannt wird, oder in die braune gehört, woraus Kompost entsteht. Es
ist die Biotonne. Oder der Pizzakarton: Restmüll, wenn dreckig, sonst Gelb,
Recycling, er zählt zu den Verpackungen. Theoretisch ist aber auch nichts
falsch, wenn der saubere Karton in der blauen Tonne für Altpapier landet.
Kiel will so bis 2035 die Menge, die jede:r dort pro Jahr in die schwarze
Tonne für Restabfälle wirft, im Vergleich zu 2017 halbieren. Es ist ein
Etappenziel.
Zweitens: Erste Architekt:innen prägen einen neuen Stil. Das neue
Bürogebäude der niederländischen Triodos Bank nahe Utrecht, zumeist aus
Holz, entworfen vom Büro [6][RAU Architects], ist komplett demontierbar.
Denn das Gebäude wurde mithilfe von 165.312 Schrauben errichtet und kann
wieder auseinandergenommen werden. Die Angaben zu allen verwendeten
Materialien sind akribisch in einer Datenbank registriert, Madaster
genannt.
Die Idee: Es wird leichter, die Rohstoffe wiederzuverwenden. Außerdem
könnten sie so auch neben der Immobilie selbst als Wert verbucht werden.
Theoretisch zumindest, bisher macht das wohl niemand. Drittens: Der Handel
mit Gebrauchtem ist der letzte Schrei. Auf der französischen
Internetplattform Vestiaire Collective lassen sich Designmäntel, -taschen,
-gürtel von Gucci, Prada und so weiter kaufen – alles secondhand. Man mag
von Marken halten, was man will.
Da ist auch nicht für jede:n was dabei: Die Preise liegen zwar unter dem
Neupreis, sind aber oft immer noch sagenhaft. Doch hinter Vestiaire
Collective – auf Deutsch „gemeinsame Umkleidekabine“, angeblich rund 1,7
Milliarden Euro wert – stehen namhafte Investoren. Al Gore zum Beispiel,
der frühere amerikanische Vizepräsident und Klimaaktivist.
Sie glauben offenbar an eine, wenn auch luxuriöse, Neuauflage des
Kleiderflohmarkts, an eine länger anhaltende Abkehr einer ernst zu
nehmenden Zahl von Kund:innen vom schnellen Konsum. Nur: Standard ist das
alles beileibe nicht. Es bräuchte neue Regeln, Vorgaben. Dafür standen die
Chancen aber wohl noch nie so gut wie heute. Politiker:innen haben
einen Blick für Trends, zumindest wenn sie klug sind. Es geht ja um ihre
Wähler:innen.
Und vor allem richtet sich im rohstoffarmen Deutschland, aber nicht nur
hier, die Wirtschaft neu aus. Immerhin gilt, was lange undenkbar schien und
was die meisten Manager:innen – laut Umfragen jedenfalls – nicht sorgte:
Öl und Gas sind knapp. Und das ist noch nicht alles. Es fehlt an Nachschub
von Aluminium, von Stahl, von so vielem. Um robuster zu werden, resilienter
gegen die Krise – besser: die Krisen –, suchen sie in vielen
Konzernzentralen jetzt nach alternativen Quellen für ihre Rohstoffe.
## Aus Alt mach Neu
Da gerät nun auch die voll gestopfte Mülltonne in den Blick und die
Tatsache, dass sich aus Altem was Neues machen lässt. Das ist spät. Es
rächt sich, dass Regierungen das Denken in Kreisläufen viel zu lange unter
den Teppich gekehrt, nicht ernst genommen haben. Jetzt ändert sich etwas,
zumindest für alle, die optimistisch rangehen – gleich auf verschiedenen
Ebenen.
Auf der internationalen: Vertreter aus aller Welt haben sich erst Anfang
März auf einer UN-Umweltkonferenz im kenianischen Nairobi geeinigt, den
Plastikmüll an Land und in den Meeren zu bekämpfen. Innerhalb der nächsten
zwei Jahre soll dazu ein rechtsverbindliches internationales Abkommen
ausgehandelt werden, ähnlich dem Pariser Klimaabkommen. Wie streng es wird:
offen. Dagegen steht: Seit 2010 hat die Kunststoffindustrie 180 Milliarden
US-Dollar in neue Fabriken investiert. Aber es kann ein Anfang vom Ende
sein.
Die EU will für Textilien, Möbel, elektronische Geräte, für alle Produkte,
die auf dem EU-Markt landen, Vorgaben machen, damit sie nicht so schnell in
der Tonne landen. Tempo? Fraglich, das kann sich ziehen, sollte Schritt für
Schritt jede Produktgruppe einzeln verhandelt werden. Aber wer weiß.
Und Deutschland? Will eine „nationale Kreislaufwirtschaftsstrategie“
erarbeiten. Ein digitaler Produktpass soll kommen, sodass sich leicht
erkennen lässt, was etwa im Handy steckt. Es soll Vorschriften geben, wie
viel altes, recyceltes Material zu nutzen ist. So was. Das ist alles gut
und richtig und wird das Denken in Kreisläufen ankurbeln. Andere denken
allerdings schon wieder weiter.
## Nutzen statt besitzen
[7][Professor Martin Stuchtey] zum Beispiel, Experte für
Ressourcenmanagement. Der sagt gerne: „Produkte verkaufen ist total 1990.“
Seine Idee: Die Lampe, die Hose und anderes wird von Kund:innen nur über
eine bestimmte Zeit genutzt und dann wieder zurückgegeben. Setze sich
dieses „Nutzen statt besitzen“ durch, hätten die Unternehmen selbst ein
viel größeres Interesse, umweltfreundliche, kreislauffähige Produkte
herzustellen.
Doch noch werden die meisten Produkte für die Tonne produziert. Das
Müllproblem entscheidet sich am Ende immer mit dem Design, dem Anfang eines
Produktes. Das heißt: Wer das Wirtschaften in Kreisläufen ernst nimmt,
damit Müllberge schrumpfen, Ressourcen geschont werden, die
Rohstoffversorgung nicht zusammenbricht, der macht als Allererstes klare
Vorgaben für die Konstruktion. Das Ding muss lange halten, repariert
werden, ein zweites Leben secondhand haben und schließlich recycelt werden
können.
Ob sich die Ampelkoalition dazu wirklich aufrafft, auf allen Ebenen dafür
streitet, zu Hause, in Europa, in der Weltgemeinschaft? Okay, da hilft dann
doch kein magaziniger Lifestylesprech. „Liebe Regierung, schaff den Müll
endlich weg.“ Für mehr Klimaschutz. Für mehr Resilienz. Für den Weg aus
Krisen.
18 Apr 2022
## LINKS
[1] /Aufruf-zum-Handeln-gegen-Klimakrise/!5831893
[2] https://www.zeit.de/wissen/umwelt/2022-02/oecd-bericht-plastik-muell-recycl…
[3] https://www.europarl.europa.eu/news/de/headlines/society/20191129STO67756/e…
[4] /Ohne-Plastik-Einkaufen-am-Maybachufer/!5777671
[5] /Studie-zu-Restmuell/!5699352
[6] https://www.rau.eu/
[7] https://www.youtube.com/watch?v=1pBADOJwKp8
## AUTOREN
Hanna Gersmann
## TAGS
Zero Waste
Kreislaufwirtschaft
Umweltministerium
Erderwärmung
Fossile Rohstoffe
GNS
Schwerpunkt Klimawandel
Pfand
Wir retten die Welt
Elektroschrott
Müll
Konsumgesellschaft
Schwerpunkt Klimawandel
Schwerpunkt Radfahren in Berlin
Zero Waste
Schwerpunkt Klimawandel
Zero Waste
## ARTIKEL ZUM THEMA
Neues Pfand auf Einweg-Milchflaschen: Bananenmilch + 25 Cent
Das Pfandsystem wird 2024 auf Milchflaschen ausgeweitet. Für eine echte
ökologische Wende brauchen wir aber viel mehr: eine Ressourcensteuer etwa.
Alte Möbel auf der Straße: Der Sperrmüll der anderen
Alte Möbel rauszustellen, statt sie zu entsorgen, hat Tradition – nicht nur
in Berlin. Doch genau so achtlos funktioniert die Umweltpolitik im Großen.
Reparatur-Programm in Bremen: Zweites Leben für die Waschmaschine
Werkstätten erwünscht: Bremen soll nach dem Willen der Regierungsfraktionen
Reparaturnetzwerke ausbauen. So soll es weniger Elektroschrott geben.
Ausgrabungen am Wochenende: Sisyphos beim Müllsammeln
Jedes Jahr machen wir Frühjahrsputz am Ufer der Havel. Jedes Jahr liegt da
der gleiche Plastikmüll. Fragen eines auflesenden Müllwerkers.
Volkswirt über Postkonsumgesellschaft: „Überfluss nimmt Freiheit“
Coronapandemie und Ukrainekrieg haben unser Einkaufsverhalten
durcheinandergebracht. Ein Gespräch über zu viel Konsum und Alternativen.
Earth Day 2022: Shoppen für die Umwelt
Am Earth Day Konsum überdenken und Umweltbewusstsein schaffen? Mit Apple,
Disney und Co. klappt das dieses Jahr bestimmt wieder am besten!
Repaircafés in Berlin: Das geht doch noch!
In Berlin fallen jährlich 70.000 Tonnen Sperrmüll an. Repaircafés und
weitere Initiativen versuchen, dem Müll ein zweites Leben zu geben.
Ausstellung „use-less. Slow Fashion“: Antike Avantgarde
Modedesign-Studierende fragen, wie dem textilen Konsumwahn begegnet werden
kann. Antworten finden sie bei Zero-Waste-Techniken aus der Antike.
Debattenreihe Klima: Zero Waste ist machbar
Der Begriff der Kreislaufwirtschaft ist ähnlich sinnentleert wie der der
Nachhaltigkeit. Dabei wäre sie ein wichtiger Beitrag zur Klimaneutralität.
„Zero-Waste-Konzept“: Kreuzberger Kehraus
Ein „Zero-Waste-Konzept“ soll Friedrichshain-Kreuzberg sauberer und
nachhaltiger machen. Es könnte das Ende der Vermüllung durch Straßenfeste
sein.
You are viewing proxied material from taz.de. The copyright of proxied material belongs to its original authors. Any comments or complaints in relation to proxied material should be directed to the original authors of the content concerned. Please see the disclaimer for more details.