| # taz.de -- Ausstellung „use-less. Slow Fashion“: Antike Avantgarde | |
| > Modedesign-Studierende fragen, wie dem textilen Konsumwahn begegnet | |
| > werden kann. Antworten finden sie bei Zero-Waste-Techniken aus der | |
| > Antike. | |
| Bild: Konsumkritik mit Humor: Dilan Caplans Projekt „damaged“ | |
| Klar, die Zahlen, die Greenpeace und andere 2015 unter erwachsenen | |
| Deutschen zu ihrem Konsum von Bekleidungsartikeln erhoben haben, sind nicht | |
| mehr ganz aktuell. Aber, so ist wohl zu befürchten, ihre Tendenz wird | |
| stimmen: [1][Viel zu viel wird gekauft]! Jede:r Deutsche erwirbt, wohl | |
| immer noch, etwa 60 neue Kleidungsstücke im Jahr, das macht rund 27 | |
| Kilogramm Textiles oder Schuhwerk, vieles davon wird nie oder sehr selten | |
| getragen. Und sehr vieles landet, auch ungetragen, schnell wieder im | |
| Altkleider-Container: knapp 15 Kilogramm pro Kopf im Jahr. | |
| Befeuert hat dieses Konsumverhalten eine „Fast Fashion“, die ab den | |
| 1990er-Jahren unsere Innenstädte mit ihren Filialgeschäften voller | |
| Billigprodukte flutete. Sie richtet sich mit radikal beschleunigten Zyklen | |
| ihrer Kollektionen vorrangig an ein junges, modeaffines Publikum. Zwölf | |
| oder mehr neue Linien, häufig abgekupferte Trends der Prêt-à-porter-Schauen | |
| namhafter Designer, werden in die Tiefstpreis-Shops gespült, | |
| durchschnittlich gut 20 Mal im Jahr frequentieren die Kund:innen | |
| entsprechende Läden. | |
| Wer aber nun hofft, das schlechte Shopping-Gewissen damit beruhigen zu | |
| können, dass die [2][Altkleiderverwertung] ja die üppig gespendeten | |
| Textilien schon irgendwie sinnvoll verwendet oder gar recycelt, der oder | |
| die irrt: Nur sehr gute Stücke werden aussortiert und etwa von karitativen | |
| Organisationen weitergehandelt. Der Rest tritt, wie schon bei der | |
| Herstellung, eine lange Reise um die Welt an. Hat eine Jeans vom Design in | |
| Europa über Fertigungs- und Veredelungsprozesse in Asien rund 25.000 | |
| Kilometer bis zum europäischen Handel zurückgelegt, so sind es nach | |
| Gebrauch 17.000 Kilometer bis zum Altkleidermarkt in Afrika. | |
| Zunehmend aber weigern sich afrikanische Staaten, diesen westlichen | |
| Wohlstandsmüll zu importieren, auch um eine einheimische Textilproduktion | |
| aufzubauen oder zu schützen. Und angesichts moderner Mischgewebe ist auch | |
| das Recycling von Textilien nur schöne Illusion. Lediglich in Italien gibt | |
| es Firmen, die sich auf die Wiederaufbereitung von sortenreiner Wolle und | |
| Cashmere spezialisiert haben, allerdings zu kurzfaseriger Reißwolle | |
| eingeschränkter Qualität. | |
| Was also tun, um diesem Konsumwahn und seinen Müllbergen mit nachhaltigen | |
| Prinzipien zu begegnen? Dieser Frage sind Studierende der Hochschule | |
| Hannover, Studiengang Modedesign unter Professorin Martina Glomb, | |
| nachgegangen und zeigen ihre Überlegungen nun in einer Ausstellung im | |
| [3][Museum August Kestner] in der Landeshauptstadt. Vorversionen waren | |
| schon in Bremen zu sehen, einst der deutsche Importhafen für Baumwolle. | |
| Oder im Textilwerk Bocholt, ein Industriemuseum, das sich der vormals in | |
| der Region ansässigen Spinnerei und Weberei widmet. | |
| Von dort stammt auch das Material für einige Demonstrationsmodelle der | |
| Hannoveraner:innen, das Baumwoll- oder Leinengewebe des Grubentuchs, dem | |
| traditionellen Handtuch mit Karomuster. Statt in seinen klassisch dunklen | |
| Farben kommt es nun in Rot daher und wird mit Strick, Ausrangiertem und | |
| anderem kombiniert. Aber es geht dabei nicht um tragbare Mode, sondern um | |
| eine alte Kulturtechnik: das sinnvolle, ressourcenschonende und endlose | |
| Weiterverwenden. | |
| Glomb bezeichnet den theoretischen Schwerpunkt ihres Studienganges als | |
| „Forschen durch Mode“. Der trifft im Museum nun auf dessen | |
| zivilisationshistorisch-archäologischen Auftrag: ein Erforschen der Antike, | |
| auch anhand ihrer Bekleidungskultur und gestalteten „Mode“. Und darin sind | |
| sich beide Partner einig: Bereits die Antike schuf das Ideal der frühen, | |
| besser: „zeitlosen Vernunft“. Denn aus den zahlreichen Beschränkungen, etwa | |
| der technischen Möglichkeiten einer sehr einfachen Webtechnik, die nur | |
| quadratische oder rechteckige Stoffstücke entstehen ließ, entwickelte sich | |
| die Kunst, dieses archaische Textil als Bekleidung am Körper zu drapieren. | |
| Die Stoffbahnen wurden gegürtet, mit Nadeln gesteckt oder mit Gewandfibeln | |
| verschlossen. | |
| Die antike Mode praktizierte so schon ein [4][Zero-Waste-Prinzip], das | |
| einige Avantgarde-Modemacher:innen heute propagieren, denn es gab keinen | |
| Abfall wie beim Zuschnitt der modernen, genähten Bekleidung. Auch | |
| antizipierte die Antike ein Multifunktionsprinzip, das eine, nun allerdings | |
| bereits genähte, koptische Kindertunika aus der Sammlung demonstriert: Sie | |
| hat sowohl Ärmel als auch zwei Armlöcher, um im Sommer die nackten Arme | |
| durchzustecken. Die leeren Ärmel konnten dann, vielleicht als | |
| Schmuckelement, um den Oberkörper geschlungen werden. | |
| Eine zeitgenössische Mode, die solche Prinzipien neu interpretieren möchte, | |
| stößt derzeit noch auf große Akzeptanzprobleme. Deshalb liegt das Augenmerk | |
| der Ausstellung auf der Vermittlung, sei es durch ein großes | |
| Begleitprogramm, etwa für Schulklassen, oder durch aktive Stationen. Hier | |
| können Materialien befühlt werden, so die Peace Silk, die ohne Töten der | |
| Seidenraupen gewonnen wird, oder Lyocell, die umweltfreundliche Alternative | |
| zur Viskose. Man darf Funktionskleidung der Polizei anprobieren, deren | |
| puzzleartiges Schnittmuster nach dem Zero-Waste-Prinzip digital optimiert | |
| wurde, oder Secondhand- und Upcycling-Stücke, man kann an dicken Pullovern | |
| stricken oder aus Altmaterial Taschen und kleine Accessoires selbst nähen. | |
| Ein erster, simpler und individuell möglicher Schritt ist allerdings, | |
| einfach deutlich weniger neue Klamotten zu kaufen und vorhandene | |
| wertzuschätzen. Deshalb ist der doppelsinnige Titel der Ausstellung, | |
| „use-less“, auch als Referenz an ihre Schirmherrin, die britische | |
| Modemacherin Vivienne Westwood, zu verstehen und an ihre Maxime: „Buy less, | |
| choose well, make it last“. | |
| 29 Nov 2021 | |
| ## LINKS | |
| [1] /Greenpeace-Umfrage-zu-Kleidung/!5254821 | |
| [2] /Boom-des-Secondhand-Handels/!5813572 | |
| [3] https://www.hannover.de/Museum-August-Kestner | |
| [4] /Debattenreihe-Klima/!5788535 | |
| ## AUTOREN | |
| Bettina Maria Brosowsky | |
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