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# taz.de -- Protest gegen Abschiebungen in Berlin: Behandelt wie Altkleider
> Mit einer Modenschau aus Altkleidern wollen Aktivist*innen auf den
> Umgang mit Geflüchteten hinweisen. Ein Model wird kurz vor Beginn
> abgeschoben.
Bild: „Wir sind traurig“: Teilnehmer*innen der Modenschau im Görli
Berlin taz | Wippenden Schrittes tritt das erste Model auf den
improvisierten Catwalk zwischen den Bierbänken im Görlitzer Park. Aus einem
Lautsprecher ruft Bob Marley „wake up and live“. Das Model trägt ein blaues
Kleid, keine Schuhe, vor der Brust ein Schild: „Wir sind traurig.“ Sie
lächelt trotzdem.
Sie ist das erste von 35 Models an diesem Dienstag. Mit den
Designer:innen Amine Mohammed und Noemi Nuo haben sie eine Kollektion
aus Altkleidern entworfen, um ein Statement gegen die laufende Berliner
Fashion Week zu setzen. Eigentlich sollten es 36 Models sein, doch ihr
Freund Muhamadou G. wurde vergangene Nacht abgeschoben.
Amine Mohammed, 47, ist betrübt. „Kacke ist das“, sagt er und blickt durch
seine getönte Sonnenbrille. Sechs Monate haben sie an der Kollektion
gearbeitet im Studio Karfi, das Mohammed mit einer Kollegin leitet – eine
offene Werkstatt, die Migrant:innen hilft, Ausbildungen oder
Deutschkurse zu belegen. Eigentlich wollte Mohammed mit der Kollektion auf
die miserablen Lebensumstände in Ländern wie Benin aufmerksam machen.
Aber über Nacht wurde aus dem Catwalk ein Protest gegen die
Lebensbedingungen von Migrant:innen in Deutschland. „Menschen aus
afrikanischen Ländern werden hier behandelt wie die Altkleider, niemand
will sie haben“, sagt er. Wie sein Vater wurde Amine Mohammed in Benin
Schneider, bevor er 1999 nach Deutschland kam und Politikwissenschaften
studierte.
Auf der Fashion Week werden in diesem Jahr Nachhaltigkeit und Upcycling
groß geschrieben. Doch Mohammed schüttelt den Kopf. „Wenn es wirklich
nachhaltig sein soll, müssen wir schauen, wie der Textilienmarkt die
Lebensgrundlage von Menschen zerstört“, sagt er. Das sei auch ein Grund,
warum viele Menschen ihre Heimatländer verlassen müssten.
Allein in Deutschland landen Jahr für Jahr rund 1,1 Millionen Tonnen
Textilien im Altkleidercontainer. Viel davon wird in afrikanische Länder
verschifft in der Annahme, Menschen zu helfen. Mohammed wollte den Spieß
umdrehen. 2020 organisierte er das Projekt „Pushback Production“ und holte
Altkleider aus Benin zurück nach Europa, insgesamt 15 Pakete à 45
Kilogramm. Der Zoll schnitt jedes auf. Es war unbegreiflich für sie, warum
jemand Müll nach Europa bringen würde. „Die Leute wollen ihren Abfall nicht
zurückhaben“, sagt Mohammed. Aus diesen Kleidern nähten sie im Studio
Hosen, Decken und Jacken.
## „Alles ist so willkürlich“
Barbara Meyer ist Mohammeds Chefin. „Heute Nacht wurde ein Freund
abgeschoben. Das macht uns wütend und traurig“, sagt sie. „Pfui“ ruft
jemand. „Unser Freund spricht Deutsch, wollte eine Ausbildung machen.
Stattdessen wird er abgeschoben.“ Amine Mohammed steht etwas abseits und
nickt. Muhamadou G. wurde abgeschoben. Hauptsache weg, wie die Altkleider.
„Das ist alles so willkürlich“, sagt er.
7 Sep 2022
## AUTOREN
Torben Becker
## TAGS
Abschiebung
Fashion Week
Geflüchtete
Zero Waste
Mode
Textil-Bündnis
Kreislaufwirtschaftsgesetz
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