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# taz.de -- Wachsende Berge von Altkleidern: Nicht das Label interessiert
> Die Secondhandbranche und das Textilrecycling sind in der Krise. Auch
> hier werden durch Corona die Systemfehler sichtbar.
Bild: Michelangelo Pistolettos Lumpen-Venus (1967), ausgestellt 2011 im Maxxi i…
Die Zeit des erzwungenen Zuhauseseins aufgrund von Covid-19 hat
offensichtlich viele Leute auf die Idee gebracht, ihre Kleiderschränke und
Keller auszumisten. Ungeliebte oder längst vergessene Kleidungsstücke
wurden in Säcke verpackt und in die Altkleidercontainer entsorgt. Julia
Breidenstein, Nachhaltigkeitsbeauftragte der Humana Kleidersammlung GmbH,
beobachtet, dass seit März dieses Jahres deutlich mehr Kleider in die
Container der Firma geworfen wurden als in vergleichbaren Zeiträumen.
Ähnliches berichtet der Dachverband Fairwertung, dem rund 130 gemeinnützige
Organisationen vornehmlich aus kirchlichen Kreisen angehören, aber auch
Oxfam Deutschland. In manchen Landkreisen seien bis zu 35 Prozent mehr
Kleider abgegeben worden, so Fairwertung. „Das Textilrecycling steht vor
dem Kollaps“, meldete sich Ende Juni Martin Wittmann vom Bundesverband
Sekundärrohstoffe und Entsorgung (bvse) alarmiert zu Wort. Die Preise für
Altkleider sollen bis zu 80 Prozent gesunken sein.
Corona funktioniert auch in der Welt der Textilien wie ein Brennglas und
zeigt, wie wenig nachhaltig der derzeitige Handel mit Secondhandkleidung
und das Textilrecyling tatsächlich sind. In normalen Zeiten werden die
eingesammelten Kleider über Verwertungsunternehmen vor allem nach
Osteuropa, Afrika und Asien exportiert, aus Deutschland belief sich der
Wert dieser Altkleider laut der UN-Datenbank Comtrade 2019 auf 368
Millionen US-Dollar.
## Importverbot für Altkleider
Diese Vertriebswege sind nun verschlossen. Sehr wahrscheinlich werden sie
in ihrer bisherigen Form auch nicht wieder aufgebaut werden können. Da die
lokale Textilindustrie etwa in Afrika durch den Altkleiderimport fast zum
Erliegen gekommen ist, hat die East African Community (EAC) ein Verbot des
Imports von Altkleidern, Schuhen und Lederwaren beschlossen. Es sollte bis
2019 durchgesetzt werden, bislang wurde es freilich nur in Ruanda
umgesetzt. Nun könnte sich das ändern.
Gleichzeitig bringen gemeinnützige Vereine und Firmen wie etwa Humana ihre
Gewinne für Entwicklungshilfeprojekte ein, die nun durch den Gewinneinbruch
gefährdet sind. In Hinblick auf die Situation im globalen Süden, wo es nur
schwach ausgebildete Gesundheitssysteme und kaum Strukturen einer sozialen
Absicherung gibt, spricht die Humana-Beauftragte Julia Breidenstein von
einer völlig unzureichenden internationalen Antwort.
Ihr zufolge wäre für die Zeit nach Corona angesichts des Klimawandels und
seiner Ursachen eine Förderung der Secondhandbranche sehr sinnvoll. Da
diese allerdings europaweit wie auch global überwiegend aus Klein- und
Kleinstunternehmen besteht, muss hier die Politik tätig werden. Nur die
Politik kann auch den Druck auf die internationale Textilkwirtschaft
aufbauen, der nötig ist, sie zum Umdenken hinsichtlich ihrer Produkte im
weiteren Warenkreislauf zu bewegen.
## Die Materialangaben studieren
„Kleidung aus billiger Chemiefaser oder gar Fasermixen eignen sich weder
als Secondhandware noch für die Weiterverwendung“, sagt Martin Wittman vom
bvse. Oft können diese Stoffe nicht einmal mehr zu Putzlappen verarbeitet
werden.
Der Anteil der Altkleider, die nur noch verbrannt werden können, hat sich
nach Brancheninformationen zuletzt denn auch um fast ein Achtel erhöht.
Würde statt aufs Label auf die Materialangaben geachtet, würde nach
Naturstoffen geschaut und der ganze Polyesterkram verschmäht, wäre also
schon viel gewonnen.
7 Jul 2020
## AUTOREN
Brigitte Werneburg
## TAGS
Mode
Recycling
Abschiebung
Textilindustrie
nachhaltige Kleidung
Mode
BSR
Literatur
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