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# taz.de -- Zaza Burchuladze über die Eier Gottes: „Wir sind Heuchler“
> Der georgische Autor Zaza Burchuladze spricht im Interview über seinen
> Roman „Touristenfrühstück“, über seine Heimat und Tattoos.
Bild: „Ich bin ein First-Class-Second-Hand-Writer“: Burchuladze in seiner W…
Das Parker Bowles am Berliner Moritzplatz. Minimalistisches Design,
Holztische, darauf bunt gefüllte Schälchen. Im selben Gebäude befindet sich
der Aufbau Verlag, dessen Imprint Blumenbar Zaza Burchuladzes beiden
zuletzt erschienenen Bücher verlegt hat. Im Frühjahr erschien sein neues
Buch „Touristenfrühstück“. Ein hagerer Mann betritt nun das Café, in der
einen Hand ein iPhone, in der anderen eine Zigarette. Er winkt herüber.
Zaza Burchuladze trägt ein T-Shirt in dunklen Tarnfarben, schwarze Brille,
schwarze Kappe. Er wirkt etwas jugendlicher als erwartet. Nur die Augen
sehen müde aus.
taz: Herr Burchuladze, Sie leben seit knapp vier Jahren in Deutschland.
Fühlt sich das noch nach Exil an?
Zaza Burchuladze: Ich fühle mich immer, als wäre ich im Exil, egal wo ich
bin. Dieses Gefühl verlässt mich nie. Das ist mein Charakter. Schon als
Kind fühlte ich mich wie ein Ausländer, wie ein Fremder. Es ist angenehm,
so von sich zu denken. Man redet sich ein, dass man anders als der Rest
ist.
Also fühlen Sie sich wohl in ihrer Rolle?
Ich habe mir das selbst ausgesucht. Ich wollte nie ein einfaches Leben
führen. Wenn alles gut läuft, werde ich unruhig. Dann erfinde ich Probleme
und versuche sie zu lösen. Das bin ich.
Mit ihrer Heimat Georgien hatten Sie ein reales Problem, sodass das Land
schließlich verlassen haben. Warum?
Ich wollte Georgien eigentlich nie verlassen. Aber irgendwann habe ich
gesagt: Zaza, es reicht. Ich hatte ein Problem mit der aggressiven
Religiosität in Georgien. Dieses Land ist eine Sackgasse für Künstler. Es
gibt dort keinen Raum für die eigene Entwicklung. Überhaupt keinen
Wettbewerb.
In „Touristenfrühstück“ erzählen von Ihrem neuen Leben in Berlin, gehen …
Gedanken aber immer wieder zurück nach Tiflis.
Ich bin dabei, meinen Platz hier in Berlin zu finden. Aber es ist weder
einfach, seine Heimat zu verlassen, noch, sie in sich zu behalten. Menschen
wie ich, Flüchtlinge, sind Teil der Moderne, unserer Realität. Sie alle
tragen ein Stück Heimat in ihren Herzen.
Hat Ihnen das Schreiben beim Ankommen geholfen?
Dieses Buch war und ist eine Art Therapie. Ich war voller Vergangenheit und
hatte gleichzeitig Angst, dass mich die Erinnerungen verlassen. Ich wollte
es aus mir herauslassen, wie eine Beichte für meine Seele. Ich wollte mir
selbst vergeben.
Vergeben?
Ja. (Überlegt) Ich wollte mir vergeben, dass ich nicht mit Georgien
zurechtkomme. Mit diesem ganzen „georgischen Bullshit“. Wir sind Heuchler,
wir tragen Masken wie im japanischen No-Theater. Ich war und bin auch immer
noch wie Hamlet. Aber es ist unvorstellbar, Hamlet im No-Theater auftreten
zu lassen.
Was verstecken sie hinter den Masken?
Sich selbst.
In „Touristenfrühstück“ schreiben Sie auch über Freunde, Familie,
Kollegen. Waren die schockiert, als sie ihre Namen gelesen haben?
Ich benutze immer reale Menschen in meinen Geschichten. Früher wurde ich
oft angegriffen und gefragt: Warum komme ich in deinem Buch vor? Aber nach
diesem Buch haben mich viele gefragt, warum sie nicht in meinem Buch
vorkommen.
Ist „Touristenfrühstück“ Ihr persönlichstes Buch bisher?
Ja, wahrscheinlich. Es hat mich viel Zeit gekostet und es ist kurz. Ich
möchte keine dicken Bücher schreiben. Wir leben im 21. Jahrhundert und die
Menschen haben nicht viel Zeit zum Lesen. Unser Zeitverständnis hat sich
verändert.
Darüber denken Sie nach, wenn Sie ein Buch schreiben?
Nein. Aber ein Schriftsteller ist nicht jemand, der einfach nur schreibt.
Ein richtiger Schriftsteller ist jemand, der Dinge weglässt, ausradiert.
Ich würde sagen, ich bin zuallererst ein Radierer und dann ein
Schriftsteller. Ich schreibe viel, dann redigiere ich und streiche sehr
viel wieder weg. Außerdem gebe ich vieles wieder, was schon gesagt wurde.
Sie nennen sich selbst „First-Class-Second-Hand-Autor“.
Genau. Ich habe diesen Schriftzug an dem Secondhandladen Humana gesehen und
dachte, ich schaue in einen Spiegel. Ich dachte mir: das bin ich.
„First-Class-Second-Hand-Autor“ klingt cool. Und ich bin lieber das als ein
Second-Class-First-Hand-Autor.
Sie sind einer der schärfsten Kritiker der orthodoxen Kirche in Georgien.
Was stört Sie genau?
Die Dummheit. 85 Prozent der Kirchgänger in Georgien sind gehirngewaschen,
die sind wie Zombies. Der Patriarch der orthodoxen Kirche in Georgien ist
viel mächtiger als die ganze Regierung zusammen. Und die Menschen glauben
ihm alles. Er hat zum Beispiel einmal gesagt, georgische Frauen sollen nur
für ihre Männer leben. Dass sie die Füße ihrer Männer waschen sollen. Das
ist völlig normal, dass er so etwas sagt. Das muss man sich einmal
vorstellen. Außerdem sind wir ein unglaublich homophobes Land.
Ist das ein georgisches Problem oder generell ein Problem der
postsozialistischen Länder?
Klar, das betrifft andere östliche Länder auch. Aber bei uns ist das
Patriarchale viel stärker ausgeprägt. Haben Sie jemals einen georgischen
Trinkspruch erlebt?
Ja, ich musste sogar selbst einmal einen geben. Danach war ich ziemlich
betrunken. Und verrückt fand ich auch, dass nur die Männer aufstehen
durften, als auf das Wohl der Frauen getrunken wurde.
Ja, das ist eine der schlimmsten Traditionen. Sie sagen „Wir respektieren
euch so sehr“ und so weiter, aber eigentlich meinen sie: „Wir respektieren
euch, solange ihr unsere Füße wascht.“
Denken Sie nicht manchmal, dass sie zu streng mit ihrer Heimat sind?
Nein. Ich halte mich noch zurück.
Sie schreiben: Georgien ist wie Europa, nur umgekehrt. Heißt das, Georgien
gehört nicht zu Europa?
Nein, Georgien ist nicht Europa. Ihr Europäer seid von Zeit umgeben. Ihr
müsst etwas machen in dieser Zeit, um Spaß zu haben oder Geld zu verdienen.
In Georgien ist es anders. Wir sind ein sonniges Land. Wir haben keinen
Respekt vor der Zeit, lassen uns treiben. Ihr seid Macher, wir nur
Verbraucher. Klar, haben wir hier auch Porsche, Mercedes und Bosch. Aber
das heißt nichts. Wir sind nur Kunden.
Das Buchcover von „Touristenfrühstück“ sieht dem deutschen Reisepass sehr
ähnlich. War das Ihre Idee?
Das ist eine lustige Geschichte. Zuerst wollte der Verlag das Buchcover wie
einen Deutschen Reisepass mit dem Reichsadler gestalten. Aber das ist
verboten. Die Designer haben daraufhin etwas Neues probiert, aber mir hat
das nicht gefallen. Auch nach drei weiteren Versuchen war ich nicht
zufrieden. Dann haben sie gesagt, ich solle einfach selbst etwas zeichnen.
Und das ist dabei herausgekommen. Jetzt ist es ein Papagei oder Kakadu.
Wenn man diese Vögel sieht, denkt man sofort an einen Käfig. Man stellt
sich keinen frei lebenden Papagei oder Kakadu vor. Das gefällt mir.
Darf ich Ihnen zum Schluss noch eine persönliche Frage stellen?
Klar.
Ich sehe, dass Ihre Haare nachgewachsen sind. In „Touristenfrühstück“
schreiben Sie, dass Sie sie abrasiert haben, weil Sie psychisch labil sind.
Heißt das, Sie sind geheilt?
(lacht laut). Nein, ich habe einfach beschlossen, sie wachsen zu lassen.
Dann wollte ich wieder etwas anderes und habe sie in der Mitte abrasiert.
Und vor ein paar Tagen habe ich mein erstes und letztes Tattoo machen
lassen. (Er nimmt die Kappe ab. In der Mitte des Kopfes hat er eine Glatze,
darauf tätowiert sind zwei, große, dunkel gefüllte Punkte) Auf dem Weg zum
Tätowierer wusste ich überhaupt nicht, was ich wollte. Und dann kam ich auf
diese zwei Punkte. Und ich dachte mir so: Oh, das ist wie eine Steckdose.
Aber jetzt habe ich noch eine bessere Version. Ich sage, dass ich einmal so
hoch gesprungen bin, dass ich Gottes Eier berührt habe.
15 Aug 2017
## AUTOREN
Paul Toetzke
## TAGS
Literatur
Georgien
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