# taz.de -- Autor Zaza Burchuladze über Georgien: „Sie schlagen sie fast tot… | |
> Der in Berlin lebende Schriftsteller Zaza Burchuladze ist fassungslos | |
> über die Gewalt gegen Protestierende in Georgien. Er fordert Sanktionen | |
> der EU. | |
Bild: In Tbilissi werden Demonstrierende in spezielle Folterwagen gezerrt | |
taz: Zaza Burchuladze, was denken und fühlen Sie dieser Tage, wenn Sie die | |
Szenen in Tbilissi und Ihrer Heimat Georgien sehen? | |
Zaza Burchuladze: Es ist schwer, diese Gefühle in Worte zu fassen. Wir | |
wissen, wie schmerzhaft es ist, Eltern, Verwandte und Freunde zu verlieren. | |
Aber wissen wir auch, wie es ist, die eigene Heimat zu verlieren? Es ist, | |
als würde einem das Herz herausgerissen, das Organ, das für das | |
Funktionieren des gesamten Körpers verantwortlich ist. Menschen, die für | |
die Freiheit im Land protestieren, werden von den Spezialeinheiten entführt | |
und gefoltert. Ich verfolge diese Hölle von Berlin aus über die sozialen | |
Medien und habe praktisch aufgehört, normal zu funktionieren. Es fühlt sich | |
an, als würde ich den langsamen Tod von jemandem miterleben, der mir am | |
meisten bedeutet. | |
taz: Sie sprechen die Schlägertrupps an, die die Regierung mutmaßlich | |
einsetzt. | |
Burchuladze: Ja. Das ist Terror. Die Regierung setzt Banden, Gangster und | |
Kriminelle als Spezialeinheiten ein, um Demonstrierende zu schikanieren – | |
und bezahlt sie dafür. Die Mitglieder dieser Einheiten zerren | |
Demonstrierende in spezielle Folterwagen, wo sie brutal geschlagen werden. | |
Derzeit gibt es in Georgien etwa 500 Gefangene. Alle sagen, dass sich die | |
Spezialeinheiten wie echte Kriminelle verhalten. Sie schlagen sie fast tot, | |
brechen ihnen Rippen und Gesichtsknochen. Sie rauben ihre Handys, Schmuck | |
und Geld. So haben russische Soldaten 2008 agiert, als sie Georgien | |
angriffen. Sie raubten Bettwäsche und Toiletten aus georgischen Häusern. | |
taz: Die sowjetische Methode. | |
Burchuladze: Genau. Erst am Montag haben sie zwei junge Demonstranten | |
verhaftet und ihnen dann Drogen in die Taschen gesteckt, um sie wegen | |
Drogenbesitzes ins Gefängnis zu stecken. Das Gleiche haben sie offenbar | |
auch mit dem Journalisten Nika Katsia gemacht. Die Regierung versucht, so | |
viel Angst wie möglich im Land zu verbreiten. Mein Kollege, [1][der | |
georgische Lyriker Zwiad Ratiani], wurde zusammengeschlagen, musste ins | |
Krankenhaus und kam mit gebrochenen Rippen ins Gefängnis. | |
taz: Es ist bewundernswert, dass dennoch Tausende weiter auf die Straße | |
gehen, Gasmasken und Schutzmasken aufsetzen und weiter demonstrieren. | |
Burchuladze: Derzeit verabschiedet die illegitime Regierung ein Gesetz, das | |
das Tragen von Masken verbietet. Die Polizei setzt Wasserwerfer mit einer | |
Flüssigkeit ein, die Tränengas enthält. (hält inne) Es ist die Hölle. | |
taz: Welche Unterstützung braucht die georgische Opposition jetzt? | |
Burchuladze: Von der EU brauchen wir so schnell wie möglich Sanktionen | |
gegen den Oligarchen Bidsina Iwanischwili (Gründer der Partei Georgischer | |
Traum und mächtigster Mann Georgiens, d. Red.) und seine | |
Handlangerregierung. Wir brauchen Hilfe von der Europäischen Union und den | |
Vereinigten Staaten. Helft uns, denn sonst wird dieses schöne Land sehr | |
bald verschwinden! Wladimir Putin führt eine hybride Invasion in Georgien | |
durch. Er hat Syrien verloren, den Iran verloren, in der Ukraine sieht es | |
nicht gut für ihn aus; er will wenigstens dieses kleine Land mit 3,5 | |
Millionen Einwohnern annektieren. Die Deutschen haben einen historischen | |
Fehler gemacht, als sie beim Gipfel in Bukarest 2008 gegen den | |
Nato-Beitritt der Ukraine und Georgiens gestimmt haben. Das könnten sie | |
jetzt auch korrigieren, indem sie sich in der EU für die Unterstützung | |
Georgiens einsetzen. | |
taz: Was würden Sanktionen bringen? | |
Burchuladze: Der Oligarch Iwanischwili kontrolliert mit seinem Vermögen | |
weiterhin das Land und lenkt es in Richtung Russland. Ein Teil seines | |
Vermögens befindet sich im Ausland. Diese Konten sollten eingefroren | |
werden, damit er mit diesem Geld kein weiteres Unheil anrichten kann. | |
taz: Welche Maßnahmen sollte die EU zusätzlich zu den Sanktionen ergreifen? | |
Burchuladze: Iwanischwili und seine Marionettenregierung sollten | |
vollständig isoliert werden. Die Sanktionen gegen ihn und sein Team sollten | |
nicht nur finanzieller Art sein, sondern auch ihre Visa einbeziehen. Sie | |
sollten weder in der Lage sein, ihr Geld frei in der Welt zu bewegen, noch | |
sollten sie sich selbst frei bewegen können. Außerdem wäre es gut, wenn die | |
EU auch nach ihrer Amtszeit den Kontakt zur einzig legitimen Präsidentin, | |
Salome Surabischwili, aufrechterhalten würde, denn sie ist die Stimme | |
Georgiens. Die georgische Bevölkerung muss in der Welt Gehör finden. Ohne | |
europäische Unterstützung wird Georgien vollständig russisch kontrolliert | |
werden. | |
taz: Am vergangenen Samstag ist der ultrarechte und prorussische | |
Ex-Fußballprofi Micheil Kawelaschwili zum Präsidenten Georgiens bestimmt | |
worden – erstmals von einer Versammlung aus Parlamentsabgeordneten und | |
Lokalpolitikern, nicht von der Bevölkerung. | |
Burchuladze: Was derzeit in Georgien passiert, ist ein verdammt schlechter | |
Witz. Es handelte sich nicht um eine Wahl, da es keinen anderen Kandidaten | |
gab. Wie zu Sowjetzeiten ernannte das illegitime Parlament einen | |
illegitimen Präsidenten. Salome Surabischwili sagte dazu: „Niemand hat | |
irgendjemanden gewählt.“ | |
Wofür steht Kawelaschwili? | |
Burchuladze: Kawelaschwili wird in Georgien auch Iwanischwilis Zebra | |
genannt. Man muss wissen, dass Iwanischwili exotische Tiere liebt, er hält | |
Pinguine, Löwen und andere Tiere, Kawelaschwili ist ein weiteres Exemplar | |
in seinem Zoo – doch ich denke, ein Zebra hat einen höheren IQ als er. Ein | |
Fußballer ohne höhere Bildung oder formale Qualifikationen als Präsident – | |
das erinnert viele an die Geschichte von [2][Caligulas] Pferd, das der | |
Kaiser im 1. Jahrhundert zum Konsul im römischen Senat machen wollte. | |
taz: Die Regierung wollte Salome Surabischwili schnell loswerden. | |
Burchuladze: Ja. Und was dann passiert, ist ungewiss. Normalerweise hätte | |
die Präsidentin nach ihrem Ausscheiden aus dem Amt noch mindestens ein Jahr | |
lang Anspruch auf Personenschutz. Auch diesen Schutz will ihr die Regierung | |
nicht gewähren. | |
taz: Was gibt Ihnen trotz allem Hoffnung? | |
Burchuladze: Es ist schwer, im Moment hoffnungsvoll zu sein. Der mächtigste | |
Mann des Landes (Iwanischwili) verbreitet im Fernsehen | |
Verschwörungstheorien über den Westen und über angebliche LGBTQ-Propaganda | |
dort. Er sagt, dass Männer im Westen Milch in ihren Brüsten haben und dass | |
Tampons in Herrentoiletten gefunden werden. Die Realität in Georgien ist | |
eine abgedrehte Version von Orwells „1984“. Aber Sie haben nach Hoffnung | |
gefragt. Es gibt ein georgisches Sprichwort, das besagt: Ein Mensch stirbt, | |
aber die Hoffnung bleibt. | |
16 Dec 2024 | |
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## AUTOREN | |
Jens Uthoff | |
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