| # taz.de -- Fußball in der Politik Georgiens: Das Schweigen der Helden | |
| > Ein Ex-Profi ist Staatspräsident, Nationalspieler machen Reklame für die | |
| > Regierungspolitik. Kritische Stimmen aus dem Sport werden verunglimpft. | |
| Bild: Kreativer Protestkick gegen die Wahl des Ex-Profis Micheil Kawelaschwili … | |
| Tbilisi taz | Am kalten und frostigen Morgen des 14. Dezember spielen | |
| Bürger mehrere Stunden lang Fußball vor dem Eingang zum Gebäude des | |
| georgischen Parlaments in Tbilisi. An diesem Tag hat das Parlament den | |
| sechsten Präsidenten des Landes gewählt: den ehemaligen Fußballprofi | |
| Micheil Kawelaschwili, der wegen seiner prorussischen Ansichten verschrien | |
| ist. | |
| „Das georgische Volk hat nicht gelernt, damit ein ungebildeter und | |
| illegitimer Präsident unser Land führt“, sagt eine junge Frau und zeigt ihr | |
| Diplom der staatlichen Universität von Tbilisi. Sie steht an einem anderen | |
| Zugang zum Parlament, vor dem sich Hunderte Menschen versammelt haben und | |
| ihre Diplome in die Höhe halten. Damit wollten sie die Absurdität der | |
| Situation unterstreichen: Ein Fußballer ohne Abschluss wird erst | |
| Parlamentarier, später gar Präsident. | |
| Der fehlende Hochschulabschluss ist wahrlich nicht das einzige Problem, das | |
| viele mit Kawelaschwili haben. Er ist bekannt für seine vulgären Ausfälle | |
| im Parlament, wo er die Opposition ein ums andere Mal beleidigt. Mit | |
| begrenztem Wortschatz und unausgereiften politischen Ansichten wiederholt | |
| er die Kremlpropaganda der Partei Georgischer Traum. Er behauptet | |
| beispielsweise, der Krieg von 2008 sei keine russische Aggression gewesen, | |
| sondern von den USA bestellt worden. | |
| Die Legitimität Kawelaschwilis und des georgischen Parlaments insgesamt | |
| wird weiterhin infrage gestellt. Seine Wahl zum Präsidenten ging mit | |
| massiven Protesten in Georgien einher. Zehntausende Bürger fordern seit dem | |
| 28. November Neuwahlen, da die Regierung beschlossen hat, den | |
| EU-Integrationsprozess bis 2028 zu stoppen. Die Polizei reagiert | |
| ungewöhnlich brutal und zynisch auf die friedlichen Demonstrationen, | |
| [1][schlägt und verhaftet Teilnehmer] und verhängt hohe Geldstrafen. | |
| ## Widerspruch unerwünscht | |
| „Es fällt mir schwer, dafür Worte zu finden. Als jemand, der in dieser | |
| Stadt geboren und aufgewachsen ist, schäme ich mich für das, was passiert. | |
| Und ich möchte mich bei den Familien der verletzten Bürger entschuldigen“, | |
| sagte dazu Archil Arveladse am 8. Dezember während einer Protestaktion auf | |
| der Rustaweli-Avenue, an der er teilnahm. Auch er ist ein ehemaliger | |
| Fußballprofi. Von 2000 bis 2003 spielte er in der Bundesliga beim 1. FC | |
| Köln. Sein Statement führte schnell zu Unmut bei der Regierung. | |
| Premierminister Irakli Kobachidze lud ihn offen zu einem Dialog ein. | |
| Archil Arveladze und sein Bruder gehören zu jener Generation georgischer | |
| Fußballspieler, die als erste erfolgreich außerhalb Georgiens, in | |
| europäischen Vereinen spielten. Bis heute zählen sie zu den beliebtesten | |
| Sportlern des georgischen Volkes. Die Regierung strebt zunehmend danach, | |
| sich mit den Erfolgen und Namen georgischer Sportler zu schmücken. | |
| Widerspruch ist nicht erwünscht. | |
| Seit 2017 ist [2][der ehemalige Spieler des AC Mailand, Kacha Kaladze,] | |
| Bürgermeister der Hauptstadt Tbilisi. Die Bevölkerung der Millionenstadt | |
| wählte ihn in zwei aufeinanderfolgenden Wahlen zum Bürgermeister. Vier | |
| Spieler der georgischen Nationalmannschaft, Otar Kakabadse, Otar | |
| Kiteishvili, Giorgi Gwelesiani und Luka Lochoshvili, traten in einem | |
| Wahlwerbespot der regierenden Partei Georgischer Traum auf. | |
| Das ganze Land hatte [3][die Leistungen der Nationalmannschaft bei der | |
| Europameisterschaft im Sommer] gefeiert. Die Spieler wurden zu wahren | |
| Helden des kleinen Landes, das erstmals das Achtelfinale des Turniers | |
| erreicht hatte. Heute findet man in jedem Kleiderschrank eines georgischen | |
| Kindes ein Trikot der Nationalmannschaft. Alle kennen die Namen der | |
| Spieler. Kein Wunder, dass die Regierungspartei davon profitieren will. | |
| ## Seltene Kritik | |
| Doch nicht bei allen kommt das gut an. „Wie könnt ihr vier damit leben? | |
| Wenn ich an einer PR-Kampagne teilgenommen hätte, die dazu beitrug, eine | |
| Regierung an die Macht zu bringen, die später damit begann, Menschen zu | |
| schlagen, würde es mir das Herz zerreißen. Warum habt ihr euch in diesen | |
| Prozess eingebracht? Spürt ihr keine Verantwortung für das, was passiert?“, | |
| fragte etwa Sportkommentator Giorgi Kalatosow. Keiner der vier Spieler hat | |
| bisher eine öffentliche Stellungnahme zu den aktuellen Entwicklungen in | |
| Georgien abgegeben. | |
| Sportfans vermuten, dass die georgischen Fußballer, die sich im Frühjahr | |
| 2024 einhellig für den europäischen Weg des Landes ausgesprochen hatten, | |
| vom georgischen Fußballverband unter Druck gesetzt werden. Dieser wird von | |
| dem Ex-Profi Lewan Kobiashwili geleitet, der auch einmal Parlamentarier für | |
| den Georgischen Traum war. | |
| Der 47-Jährige, einst beim SC Freiburg und Hertha BSC unter Vertrag, | |
| unterstützte zwei der umstrittensten Gesetzesvorhaben, die das georgische | |
| Parlament im Frühjahr und Sommer 2024 verabschiedete. Das „Gesetz über | |
| ausländische Agenten“, das darauf abzielt, unabhängige Medien und | |
| Organisationen zu unterdrücken, befürwortete er ebenso wie das homophobe | |
| Gesetz, das ein Verbot der sogenannten „LGBT-Propaganda“ vorsieht, ein | |
| Vorhaben, das einerseits Zensur in Kunst, Wissenschaft und Medien | |
| legitimiert und andererseits das Leben queerer Menschen erschwert. | |
| Auch dass der Nationalmannschaftskapitän Guram Kaschia sich nicht | |
| öffentlich zu den Protesten äußert, erklären sich Fans mit dem Druck, den | |
| der Fußballverband ausübt. Der eigentlich auffällig mutige Fußballer, der | |
| schon häufig mit einer Regenbogen-Armbinde zur Unterstützung der | |
| LGBTQ-Community auflief und sich aktiv für Frauenrechte einsetzte, äußert | |
| sich nicht zu den Gewaltvorfällen gegen Demonstranten in Tiflis. Dafür | |
| übernahm er im Juni 2024 die Aufgabe, sich ganz persönlich beim Oligarchen | |
| Bidzina Iwanischwili zu bedanken. Der Gründer des Georgischen Traums hatte | |
| der Nationalmannschaft umgerechnet etwa 10 Millionen Euro für ihren Erfolg | |
| bei der Europameisterschaft spendiert. | |
| ## Angepasste Sportler | |
| Kaschias Schweigen hindert jedoch andere Fußballspieler nicht daran, ihre | |
| Meinung zu den aktuellen Entwicklungen im Land zu äußern. Der ehemalige | |
| Auswahlkapitän Djaba Kankawa [4][verurteilte Anfang Dezember auf Instagram] | |
| die Gewalt der Polizei gegen Journalisten bei der Berichterstattung über | |
| die Proteste aufs Schärfste. „Es ist schwer, das alles aus der Ferne zu | |
| beobachten. Es ist unmöglich, zu schweigen. Unmöglich, an etwas anderes zu | |
| denken oder normal weiterzumachen, während Menschen in Tiflis und anderen | |
| Städten für ihre Freiheit kämpfen und brutal unterdrückt werden. Dieses | |
| Land hat sich niemals der russischen Unterdrückung gebeugt und wird es auch | |
| diesmal nicht tun“, schrieb er. | |
| Die georgische Regierung, die stets versucht, ihre Reputation durch die | |
| Erfolge von Sportlern zu verbessern und gleichzeitig der Gesellschaft | |
| weismachen möchte, dass Sport und Politik nicht miteinander vermischt | |
| werden dürfen, verfolgt die gleiche Politik gegenüber Sportlern wie | |
| gegenüber allen anderen politischen Gegnern: Wer nicht die Ansichten der | |
| Regierung teile, sei von ausländischen Mächten gesteuert, repräsentiere | |
| radikale Gruppen und stelle eine Bedrohung für die nationalen Interessen | |
| dar. | |
| Diese Art der Einschüchterung hat dazu geführt, dass die Sportler, die der | |
| georgischen Politik einen prominenten Anstrich verleihen sollen, immer | |
| weniger in der Lage sind, eigene Meinungen zu politischen Ereignissen zu | |
| formulieren. Das betrifft nicht nur ehemalige Fußballprofis. Mittlerweile | |
| übersteigt die Zahl ehemaliger Olympiaathleten die von Ex-Kickern im | |
| Parlament. Das mag auch daran liegen, dass man glaubt, es sei noch | |
| unwahrscheinlicher, eine abweichende Meinung von einem Gewichtheber zu | |
| hören als von einem Fußballer ohne Universitätsdiplom. | |
| 21 Dec 2024 | |
| ## LINKS | |
| [1] /Autor-Zaza-Burchuladze-ueber-Georgien/!6056260 | |
| [2] /Fussball-in-Italien/!5130934 | |
| [3] /EM-Aussenseiter-Georgien/!6016354 | |
| [4] https://www.instagram.com/jabakankava/ | |
| ## AUTOREN | |
| Nastasia Arabuli | |
| ## TAGS | |
| Georgien | |
| Fußball | |
| Sportpolitik | |
| GNS | |
| Georgien | |
| Georgien | |
| Georgien | |
| Georgien | |
| Georgien | |
| ## ARTIKEL ZUM THEMA | |
| Politische Gefangene in Georgien: Die Journalistin Mzia Amaghlobeli ohrfeigte e… | |
| Sie ist die erste weibliche politische Gefangene in Georgien seit 1991 und | |
| im Hungerstreik. Sie hatte sich gegen Gewalt gewehrt. Was ihr jetzt droht. | |
| Pro-EU-Proteste in Georgien: Zwei Oppositionsführer verhaftet | |
| Ex-Bürgermeister von Tiflis gegen Kaution wieder frei. Die | |
| EU-Chefdiplomatin Kaja Kallas verurteilt Vorgehen gegen Demonstranten. | |
| Autor Zaza Burchuladze über Georgien: „Sie schlagen sie fast tot“ | |
| Der in Berlin lebende Schriftsteller Zaza Burchuladze ist fassungslos über | |
| die Gewalt gegen Protestierende in Georgien. Er fordert Sanktionen der EU. | |
| Kawelaschwili zum Präsident gewählt: Drecksarbeit wird Chefsache in Georgien | |
| Das Parlament wählt Mini-Putin Mikheil Kawelaschwili zum neuen Präsidenten | |
| Georgiens. Doch nach Vorwürfen der Wahlfälschung ist seine Legitimität | |
| zweifelhaft. | |
| Georgiens Clubszene nach der Wahl: Zusammen tanzen, zusammen kämpfen | |
| In Georgien hat sich die rechte Regierungspartei zur Siegerin der | |
| umstrittenen Wahl erklärt. Ein Besuch bei den oppositionellen | |
| Raver:innen in Tbilissi. |