# taz.de -- Fussball in Italien: Streik der Millionäre | |
> Im italienischen Fußball kriselt es. Der Hoffnungsträger des | |
> Nationalteams ist beurlaubt, der Nachwuchs schwächelt. Und die Profis | |
> wollen sogar streiken. | |
Bild: Wird für den nächsten Spieltag womöglich nicht aufstehen: Mailands Wes… | |
Italiens Fußball kommt nicht aus dem Schlamassel heraus. Der | |
Champions-League-Sieg von Inter Mailand - von einer Legionärstruppe | |
weitgehend ohne italienische Beteiligung errungen - hat nur einen Frühling | |
lang die Augen verkleistern können. Jetzt herrscht wieder Katzenjammer. | |
Angesichts der Streikdrohung für den kommenden Spieltag werden die | |
strukturellen Probleme offensichtlich. | |
"Die streiken doch schon heute", moserten die Blogger von "calciomalato" | |
(kranker Fußball) angesichts der Auftritte der Europa-League-Vertreter | |
ihres Landes. Drei von vier Klubs sind bereits ausgeschieden. In der | |
Champions League ist die Quote zwar besser. Die Mailänder Vereine sind | |
bereits qualifiziert, der AS Rom hat gute Aussichten. Aber der Sprung ins | |
Achtelfinale stellt für sie lediglich ein Minimalziel dar. Aufgrund eigener | |
Punktverluste konnten sie nicht verhindern, dass Italien in der | |
Nationenwertung der Uefa weiter ins Hintertreffen geriet und in der | |
nächsten Saison den vierten Startplatz in der Königsklasse wohl an die | |
Bundesliga abgibt. | |
Der Neuaufbau der Nationalmannschaft gerät angesichts der Posse um den | |
vereinsintern gesperrten Antonio Cassano ins Stocken. Das einstige | |
Feierbiest aus Bari hatte sich - in freilich überzogener Wortwahl - | |
geweigert, seinen Präsidenten Riccardo Garrone zu einem Fest zu begleiten. | |
Daraufhin wollte der Cassano rausschmeißen, muss sich aber bis zur | |
Entscheidung eines Schiedsgerichts am 10. Dezember gedulden. | |
Solange Cassano keinen neuen Verein gefunden hat und damit spielberechtigt | |
ist, kann Nationaltrainer Cesare Prandelli auch nicht auf seinen | |
Wunsch-Regisseur zurückgreifen. Weil es auch in der Nachwuchsarbeit derzeit | |
wieder schlecht aussieht - die U21 verpasste die Olympiaqualifikation -, | |
besteht kaum Hoffnung auf Besserung. | |
Das Streikvorhaben der Spielergewerkschaft AIC könnte man nun durchaus als | |
Flankenschutz für Cassano begreifen. Die Profis wehren sich gegen ein neues | |
Vertragswerk, das den Vereinen noch mehr Macht über ihre Angestellten | |
verleihen soll. Unter den acht umstrittenen Forderungen befindet sich der | |
Zugriff der Vereinsbosse auf die Freizeit ihrer Angestellten. Sie wollen, | |
dass diese sich auch außerhalb der Trainings- und Wettkampfzeiten nach den | |
ethischen Regeln ihrer Arbeitgeber verhalten sollen. | |
Das klingt nach Nordkorea oder der Sklavengesellschaft des alten Rom. "Wir | |
sind keine Objekte, wir lassen uns nicht so behandeln", protestierte | |
Massimo Oddo. Der frühere Weltmeister und aktuelle Politologiestudent ist | |
einer der Köpfe der Streikwilligen. Sie lehnen auch den Vorstoß der Klubs | |
ab, nicht mehr gewollte Spieler von einem Assistenten trainieren zu lassen | |
und ihnen die Hälfte des Gehalts zu streichen, wenn sie ein finanziell | |
gleichwertiges Transferangebot ablehnen. | |
Die Klubs wollen auf diese Art ihre übergroßen Kader reduzieren. Bei Milan | |
sitzen die nicht mehr benötigten Jankulowski und Kaladze gut dotierte | |
Verträge aus. Der AS Rom konnte den teuer eingekauften Julio Baptista nicht | |
loswerden. Die Klubmanager wollen die Zeche, die sie sich selbst auf dem | |
Transfermarkt der letzten Jahre eingebrockt haben, auf die Spieler | |
abwälzen. | |
Keiner von ihnen denkt daran, das große strukturelle Problem des | |
italienischen Fußballs zu beseitigen: Der ist nach Angaben der | |
Unternehmensberatung Deloitte zu 60-70 Prozent von den TV-Einnahmen | |
abhängig. In Deutschland ist dies nur zu einem Drittel der Fall, in England | |
zu 50 Prozent. Weil der drohende Ausfall des 16. Spieltages für die | |
werbetreibende Wirtschaft ein Super-GAU ist, die italienischen Vereine aber | |
am Tropf des Fernsehens hängen, nimmt der Druck auf die Streikfront von Tag | |
zu Tag zu. | |
Als "sinnlos", "unverantwortlich" und "ein Massaker" bezeichnete | |
Liga-Präsident Beretta den Streik. Der Präsident des NOK Italiens, | |
Petrucci, hält das Vorhaben für "bedrohlich, präpotent und arrogant", | |
Palermos Klubbesitzer Zamparini für die "größte Dummheit der Spieler seit | |
30 Jahren". | |
Dass es sich bei den Streikenden nicht nur um launische und egoistische | |
Millionäre handelt, stellte der kickende Kommunist Cristiano Lucarelli | |
(derzeit SSC Neapel) fest: "Die AIC repräsentiert 2.800 Spieler und nicht | |
nur die 20-30, die Millionen verdienen. Viele bekommen nur rund 1.100 Euro | |
und diese Gehälter steigen nicht immer mit der Zeit. Wir erheben uns für | |
die schwächeren Sektionen in diesem Beruf", sagte er und drohte: "Die | |
Spieler waren noch nie so vereint wie jetzt." | |
Wenn nächsten Sonntag Prekariat und Millionäre gemeinsam auf die Straße | |
gehen, hätte dies tatsächlich Avantgarde-Charakter. | |
7 Dec 2010 | |
## AUTOREN | |
Tom Mustroph | |
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