# taz.de -- LGBTQ in Georgien: Wo die Freiheiten ertanzt werden | |
> Die orthodoxe Kirche in Georgien stellt sich gegen mehr Rechte für LGBTQ. | |
> Mit einer liberaleren Drogenpolitik hat sie dagegen weniger Probleme. | |
Bild: Keta Gabundia, Besitzerin des Mtkvarze Clubs und Aktivistin bei „White … | |
TIFLIS taz | Die Wände sind aus kahlem Beton, die hohe Decke und der Boden | |
auch. Nur einzelne Kacheln kleben noch an der Wand rechts vom DJ-Pult. Im | |
Licht der roten Leuchten, die die Tanzfläche wie Säulen durchkreuzen, sieht | |
man wenig von dem ehemaligen Schwimmbecken, in dem man steht. | |
Der Club Bassiani liegt unter dem nationalen Fußballstadion in Tiflis, der | |
Hauptstadt von Georgien. Es ist Samstagnacht, zwei Uhr und die Halle füllt | |
sich. Die Menschen tanzen im Rhythmus des beständig hämmernden Beats, und | |
es breitet sich diese düstere, energetische Stimmung aus, die nur durch | |
sehr guten Techno entsteht. | |
Heute ist weniger los als gestern. Denn heute Nacht ist Horoom Night, eine | |
Party von und für die LGBTQ-Community, also für Lesben, Schwule, bi- und | |
transsexuelle und queere Menschen. Um hier reinzukommen, muss man sich auf | |
der Internetseite des Clubs registrieren und seine Facebook-Seite auf | |
homophobe Inhalte überprüfen lassen. Erst dann bekommt man ein | |
personalisiertes Ticket mit Barcode zugeschickt. | |
Mehr als 80 Prozent der Menschen in Georgien sind laut Umfragen streng | |
religiös. Homosexualität wird von der Kirche nicht toleriert. Die | |
wertkonservative Haltung erstreckt sich über alle Generationen, die | |
christlich-orthodoxe Kirche hat Georgien im Griff. „Keine Partei, die sich | |
die Kirche zum Feind macht, hätte jemals eine Chance, gewählt zu werden“, | |
sagt Mariam Kvaratskhelia von Equality Movement, einer NGO, die sich für | |
die Rechte der LGBTQ-Community einsetzt. | |
Die Kirche macht Kvaratskhelia und anderen Aktivist*innen das Leben schwer. | |
Wie schwer, konnte man am 17. Mai 2012 sehen. Am internationalen Tag gegen | |
Trans- und Homophobie kesselte eine Menschenmenge eine Gruppe von | |
LGBTQ-Aktivist*innen ein. Angeführt von Priestern und Vertreter*innen der | |
Kirche attackierten sie die Aktivist*innen mit Stühlen und Steinen. Von den | |
Tausenden Angreifer*innen mussten lediglich drei eine Geldstrafe zahlen. | |
Seitdem wird am 17. Mai in Georgien die „Reinheit der Familie“ gefeiert. | |
## Kriegsmaske als Logo | |
Seit 2012 gibt es ein Gesetz gegen Diskriminierung und hassmotivierte | |
Verbrechen. In der Realität aber wird es kaum angewandt, sagt | |
Kvaratskhelia. Dazu kommt, dass bezüglich der Ehe für alle gerade ein | |
Schritt zurück gemacht wurde: Die Ehe ist jetzt kein Bund mehr zwischen | |
zwei erwachsenen Menschen, wie es vorher im Gesetz stand, sondern | |
ausschließlich zwischen Mann und Frau. | |
Im Bassiani bleibt dieses Georgien jedoch vor der Tür. Queere Personen | |
können sich frei bewegen, amüsieren und lieben. In Tiflis wird die | |
Tanzfläche zum Politikum, wer in das Bassiani, in den Mtkwarze oder Khidi | |
Club geht, gibt auch ein Statement gegen Homophobie ab. Der Name Horoom | |
kommt von einem Tanz, der auf den Kampf vorbereitet. Bassiani bezieht sich | |
auf eine Schlacht im 13. Jahrhundert, das Logo des Clubs ist eine | |
Kriegsmaske. | |
Der industrielle Stil, die riesige Tanzfläche und die verwinkelten Tunnel, | |
die die Tanzfläche mit einem Darkroom verbinden, lassen an den Berliner | |
Technoclub Berghain denken. Auch musikalisch kann das Bassiani mit dem | |
bekanntesten Technoclub der Welt mithalten. Internationale Größen wie Nina | |
Kravitz, Ben Klock oder Rødhåd spielen auch hier. Während das Berliner | |
Nachtleben jedoch von Hedonismus und Freiheiten geprägt ist, hat das Tanzen | |
in Tiflis auch eine andere Ebene. | |
„Hier ist die Tanzfläche ein Schlachtfeld im Kampf um mehr Rechte und | |
Gleichberechtigung“, sagt David Kakhaberi. Er ist nicht nur Initiator der | |
Horoom-Partys und Besitzer der Success Bar, der einzigen Schwulenbar | |
Georgiens, sondern auch Philosophieprofessor. Er sieht das Aufblühen des | |
Nachtlebens als einen wichtigen Schritt für die LGBTQ-Community. „Davor | |
haben wir auch schon Seminare zur Rechtslage und zu HIV angeboten, doch | |
erst in den Clubs hat die Bewegung Fahrt aufgenommen.“ Immer mehr Leute | |
outen sich, das Thema bekommt Aufmerksamkeit in Medien und Politik. Horoom | |
ist zum Codewort der LGBTQ-Community geworden. „Man fragt jemanden, ‚Habe | |
ich dich schon mal bei einer Horoom-Party gesehen?‘, und weiß durch die | |
Antwort, ob der andere dazugehört oder nicht“, sagt Kvaratskhelia. | |
## Bis zu 20 Jahre Haft | |
Das Nachtleben in Tiflis ist nicht nur eng mit der Homo- und Transbewegung | |
verknüpft. Naja Orashvili, Besitzerin des Bassiani, und Keta Gabundia, | |
Betreiberin des Mtkvarze Clubs, engagieren sich zugleich mit weiteren | |
Aktivist*innen und Anwält*innen für eine liberalere Drogenpolitik. | |
Sieht man sich die Gesetzgebung an, wird schnell klar, warum. Der Besitz | |
jeder Droge, außer Marihuana, wird, egal in welcher Menge, mit 7 bis 20 | |
Jahren Haft bestraft. Ein positiver Urintest ebenfalls. „White Noise | |
Movement“ heißt die NGO, für die Orashvili und Gabundia arbeiten. White | |
Noise beschreibt das Rauschen eines Fernsehers, wenn der keinen Kanal | |
empfängt. „Man kann uns nicht sehen, aber wir sind da, und mit der Zeit | |
gehen wir tierisch auf die Nerven“, erklärt Gabundia den Namen. | |
Erste Erfolge hatten sie damit schon. Dass der Besitz oder Konsum von | |
Marihuana nicht mehr automatisch mit einer Haftstrafe geahndet wird, ist | |
ihr Verdienst: 2012 wurde ein Freund von Gabundia, verhaftet, weil er eine | |
Hanfpflanze zu Hause hatte. Als diese – samt Topf – gewogen wurde, kamen | |
die Ermittler*innen auf 70 Gramm und verurteilten ihn zu 20 Jahren Haft. | |
Die Anwälte*innen des White Noise Movement erreichten einen Freispruch und | |
schufen damit einen Präzedenzfall. Inhaftierte mit ähnlichen Urteilen | |
wurden freigelassen und das Gesetz wurde geändert: Bis zu 5 Gramm Marihuana | |
wurden von da an nur noch mit einer Geldstrafe geahndet, seit November 2017 | |
ist der Besitz sogar straffrei. | |
In einem weiteren Fall wurde ein Mann von der Polizei festgenommen, während | |
er sich Crocodile, einen billigen Heroinersatz, spritzte. Die Rückstände an | |
der Nadel, 0,0009 Gramm, sollten ihn für acht bis zwölf Jahre ins Gefängnis | |
bringen. Die Anwälte*innen des White Noise Movement setzten durch, dass | |
eine Menge, die mit bloßem Auge nicht zu sehen ist, nicht strafbar sein | |
sollte. Der Mann kam frei und mit ihm 60 weitere Inhaftierte, denen | |
Ähnliches vorgeworfen wurde. | |
## Der Drang nach Westen | |
Dieser Fall zeigt, dass nicht nur feierwütige Technofans unter dem | |
herrschenden Drogengesetz leiden. „Die 90er Jahre werden in Georgien oft | |
die dunklen Jahre genannt. Die vier Kriege, die wir erleben mussten, | |
trieben viele in die Drogensucht“, sagt Gabundia. Abhängige greifen oft zu | |
selbstgemachten Drogen, die sie aus legalen Substanzen zusammenbrauen. | |
Diese sind oft viel gefährlicher und unberechenbarer als herkömmliche | |
Drogen. | |
Dazu kommt, dass Abhängigen der Entzug schwergemacht wird. Werden sie aus | |
der Haft entlassen, dürfen sie die ersten Jahre kein Auto fahren, nicht als | |
Lehrer*innen, Anwältin*innen oder Beamt*innen arbeiten. Das Stigma lastet | |
so schwer auf ihnen, dass sie meist keine andere Arbeit bekommen, meint | |
Gabundia. So werden die Drogen schnell wieder zum Ausweg. | |
Nun arbeitet White Noise Movement mit seinen Anwält*innen an einem | |
Gesetzentwurf der sich am Modell Portugals orientiert: Entkriminalisierung | |
kleiner Mengen für den persönlichen Bedarf und Hilfe für Abhängige. Dafür | |
organisieren sie Demos mit 40 anderen Organisationen und Unterstützern aus | |
allen Gesellschaftsschichten. Am 10. Dezember letzten Jahres brachten sie, | |
trotz der niedrigen Temperaturen, bis zu 7.000 Menschen auf die Straße. | |
Denn die strenge Gesetzgebung betrifft die gesamte Bevölkerung: Jede*r | |
dritte Inhaftierte in Georgien sitzt wegen drogenbezogenen Vorwürfen. | |
„Der Regierung ist es sehr wichtig, nicht altmodisch zu wirken“, sagt | |
Gabundia hoffnungsvoll. „Der Drang nach Westen und Moderne ist groß. Wir | |
machen ihnen deutlich, wie verstaubt das herrschende Drogengesetz ist.“ | |
Das Gesundheitsministerium hat ihrem Gesetzentwurf bereits zugestimmt, es | |
fehlen noch die anderen Ministerien. Doch von ganz oben kamen bereits | |
zusagende Worte: Präsident Giorgi Margvelashvili sagte Anfang des Jahres: | |
„Ich denke, wir sollten unsere Drogenpolitik liberaler und humaner | |
gestalten.“ Und selbst das Oberhaupt der orthodoxen Kirche, Ilia II., | |
[1][erklärte in seiner Weihnachtsansprache], dass Georgien eine | |
Drogenpolitik benötigt, die junge Menschen schützt. | |
Damit hätte das Land nicht nur aufregende Clubs, sondern auch eines der | |
liberalsten Drogengesetze der Welt. | |
21 Jan 2018 | |
## LINKS | |
[1] http://www.civil.ge/eng/article.php?id=30780 | |
## AUTOREN | |
Pola Kapuste | |
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