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# taz.de -- Fashion Week verlässt Berlin: Lieber Ranz als falscher Glanz
> Die Modemessen ziehen von Berlin nach Frankfurt am Main um. Hat die
> Hauptstadt denn etwa überhaupt keinen Stil?
Bild: Fashion ist ihr überwiegend wumpe: Berlinerin fährt Rolltreppe
In dem Roman „Das kunstseidene Mädchen“ aus dem Jahr 1932 haut die
18-jährige Doris im geklauten Nerzmantel nach Berlin ab, um dort „ein
Glanz“ zu werden. „Ich will so ein Glanz werden, der oben ist. Mit weißem
Auto und Badewasser, das nach Parfüm riecht, und alles wie Paris“, lässt
die Autorin Irmgard Keun ihre Protagonistin erklären.
Einmal davon abgesehen, dass es heute nicht nur in Berlin zu Recht verpönt
ist, einen Nerz spazieren zu tragen – jener an Paris erinnernde, nach
Parfüm duftende Glanz, von dem die kunstseidene Doris da träumt, ist fast
90 Jahre später nichts, aber auch gar nichts, was man mit Berlin in
Verbindung brächte.
Mit Berlin und dem Glanz beziehungsweise Berlin und der Mode ist es gelinde
gesagt kompliziert. Die hohe Schneiderkunst der 1920er Jahre, als der
Vergleich mit Paris tatsächlich nicht so fern lag, ist lang schon
Geschichte, und nun scheint sogar der letzte Rest textiler Romantik
verflogen: Am Montag verkündeten die großen Modemessen ihren Abzug von der
Spree an den Main und riefen vollmundig für den Sommer 2021 die Frankfurt
Fashion Week aus.
Zwar soll es, so heißt es inzwischen, mit der Berliner Modewoche, also den
Schauen, dennoch weitergehen. Ohne die Zugkraft der Messen laufen diese
jedoch mehr denn je Gefahr, in die Bedeutungslosigkeit abzustürzen. Wo ist
er nur hin, all der Glanz? Hat Berlin einfach keinen Stil?
Komplett unfair ist es eigentlich, in der aktuellen Homeoffice-bedingten
Jogginghosen-Hochsaison über das Verhältnis von Berlin zur Mode
nachzudenken. Böse Zungen aus den internationalen Modemetropolen, aber auch
aus Düsseldorf, München und freilich auch Frankfurt würden jedoch
behaupten, dass es auch sonst nicht so weit her sei mit dem modischen
Feingefühl der Hauptstadt – und es damit verkennen. Was dieses nämlich
ausmacht, ist weniger der perfekt sitzende Anzug – den gibt es allerdings
auch, siehe Beispiel des zuletzt selbst in der New York Times gefeierten,
wiederentdeckten Labels Manheimer. Was den Berliner Stil ausmacht, ist der
von Club- und Subkultur genährte Mythos des Halblädierten, der ungebügelte,
löchrige Charme des Exzessiven – und der hat tatsächlich viele große
Geister der Design- und Modewelt inspiriert.
Einige der bestangezogenen Menschen der Stadt finden ihre Anziehsachen
entsprechend in den „Zu verschenken“-Kisten auf der Straße und auf den
Grabbeltischen bei Humana und tragen diese vielleicht hin und wieder auch
in Kombination mit einem Designerteil.
Nur in Ausnahmefällen schien etwas von diesem eher Ranz als Glanz auf der
Berliner Modewoche durch. Dabei hat die überhaupt nur dann wirklich Spaß
gemacht, wenn man in irgendwelchen Kaschemmen, auf deren Boden man sich die
Absätze teurer Highheels kaputt gerieben hätte, Klamotten vorgeführt bekam,
mit denen man sich in Frankfurt nicht trauen würde die Zeil
entlangzuflanieren. Mit denen man sich in Berlin aber problemlos in die
Schlange vorm Bäcker einreihen kann. Klamotten, die sich dennoch eher
schlecht verkauften, weil so weit die Wertschätzung oder das Portmonee doch
nicht reichten. Für diese Art des Berliner Stilbewusstseins ist der Weggang
der Modemessen völlig belanglos. Schwerer wiegt die Gefährdung der
Lebensräume der Freigeister der Stadt. Auch im Sinne der Mode gilt es, sie
zu schützen: den Ranz, nicht den falschen Glanz.
13 Jun 2020
## AUTOREN
Beate Scheder
## TAGS
Mode
Fashion Week
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Upcycling
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